BGH,
Urt. v. 10.1.2008 - 5 StR 435/07
5 StR 435/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
10.1.2008
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10.
Januar 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Prof. Dr. Jäger
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 14. März 2007
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der
Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger
Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun
Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die
Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten,
auf die Sachrüge gestützten Revision, mit der sie
beanstandet, dass der Angeklagte nicht wegen Körperverletzung
mit Todesfolge verurteilt worden ist. Das vom Generalbundesanwalt
vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
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Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war Tänzer in einer afrikanischen Tanzgruppe,
die in verschiedenen deutschen Städten gastierte. Auch seine
Ehefrau war dort als Tänzerin engagiert. Das Leben der
Eheleute war geprägt von einer traditionellen
Rollenverteilung, wonach der Ehemann u. a. auch über den
Aufenthalt der Frau bestimmen konnte. In der Tanzgruppe fiel der
Angeklagte dadurch auf, dass er seine Frau mehrmals körperlich
misshandelte und ein weiteres weibliches Ensemblemitglied schlug.
Deswegen wurde ihm gekündigt. Dies traf den Angeklagten hart,
da er nicht nur sein ihm wichtiges Engagement und sein Aufenthaltsrecht
in Deutschland verlor, sondern die Kündigung auch als
empfindlichen Rückschlag für sein Lebenskonzept, das
er bislang zielstrebig umgesetzt hatte, empfand.
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Seine Ehefrau, G. , blieb weiter bei der Tanzgruppe und genoss ihre
neuen Freiheiten. Dies entsprach jedoch nicht den Vorstellungen des
Angeklagten, der mit seiner Frau in den Senegal zurückkehren
wollte. Am 31. Juli 2006 besuchte er seine Ehefrau für vier
Tage in ihrer Zweizimmerwohnung im achten Stock eines Berliner
Appartementhauses; er wollte sie überreden, mit ihm nach
Afrika zurückzukehren. Hierauf ließ sich Frau G.
jedoch nicht ein, sie wollte weiterhin bei der Tanzgruppe bleiben. Kurz
vor seiner Abreise forderte der Angeklagte am 3. August 2006 immer
energischer die gemeinsame Rückkehr und bedrohte seine Frau
mit dem Tod. Als sie sich weiterhin weigerte, die Tanzgruppe zu
verlassen, drohte er damit, sich selbst zu töten. Frau G.
erklärte, dass er dies nicht machen solle, stattdessen werde
sie sich umbringen.
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Während dieser erhitzten Diskussion griff der Angeklagte nach
einem Messer. Als seine Frau versuchte, es ihm zu entwinden, brach in
dem Angeklagten aufgrund der erlittenen Kränkungen und vor dem
Hintergrund des „ambivalenten Verhaltens“ (UA S. 6)
seiner Ehefrau - während des Besuchs hatten die Eheleute jede
Nacht Geschlechtsverkehr - ein „Aggressionssturm“
(UA S. 6, 16) los. Unter der Einwirkung dieses Ausnahmezustands
versetzte er sei-
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ner Frau mit dem 20 Zentimeter langen Küchenmesser in
Verletzungsabsicht einen Stich in den Rücken, der etwa vier
Zentimeter tief eindrang. Frau G. floh barfuß in das
gegenüberliegende Schlafzimmer. „In einer
Kurzschlussreaktion“ (UA S. 7) stieg sie mit
„Schwung“ auf das Fensterbrett, aufgrund der
geringen Fensterhöhe konnte sie sich nur zu dreiviertel
aufrichten, sie fand keinen Halt auf dem schmalen Fensterbrett,
rutschte aus und fiel etwa 25 Meter in die Tiefe in ein
Gebüsch. Durch den Sturz erlitt sie tödliche
Verletzungen. Der Angeklagte war ihr mit dem Messer in der Hand
nachgelaufen, nachdem er erkannt hatte, dass sie auf das Fensterbrett
kletterte, konnte sie aber nicht mehr erreichen. Er rannte sofort nach
unten, zerrte die Leiche seiner Frau in ein anderes Gebüsch
und flüchtete.
1. Revision der Staatsanwaltschaft
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a) Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht
ausschließt, dass der Angeklagte seine Frau aus dem Fenster
gestoßen hat, unterliegt keinen durchgreifenden Bedenken. Der
Tötungsvorsatz bei dem Messerstich ist rechtsfehlerfrei
abgelehnt worden, auch die Annahme einer erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit aufgrund einer tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung in Form eines Affekts hält
revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
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b) Die rechtliche Würdigung des Geschehens ist jedoch insoweit
rechtsfehlerhaft, als die Strafkammer das festgestellte Geschehen nicht
als Körperverletzung mit Todesfolge im Sinne des §
227 StGB gewertet hat.
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aa) Die Vorschrift des § 227 StGB setzt unter anderem voraus,
dass der Tod der verletzten Person „durch die
Körperverletzung (§§ 223 bis 226)“
verursacht worden ist, wobei dem Täter hinsichtlich dieser
Tatfolge Fahrlässigkeit zur Last fallen muss (§ 18
StGB). Zwar genügt zur Erfüllung dieser Voraussetzung
ein lediglich kausaler Zusammenhang zwischen Körperverletzung
und Tod der verletzten Person nicht, vielmehr ist eine engere Beziehung
vorausgesetzt (Fischer, StGB 55. Aufl. § 227 Rdn. 3). Denn
erfasst werden nur solche Körperverletzungen, denen die
spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu füh-
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ren; gerade diese Gefahr muss sich im tödlichen Ausgang
niedergeschlagen haben (BGHSt 31, 96, 98; 48, 34, 37; BGHR StGB
§ 226 Todesfolge 5; § 227 [i. d. F. 6. StrRG]
Todesfolge 1). Diese deliktsspezifische Gefahr kann aber auch von der
Körperverletzungshandlung ausgehen, einer Kausalität
zwischen Körperverletzungserfolg und dem Tod des Opfers bedarf
es nicht (BGHSt 14, 110, 112; 48, 34, 37 f.). Eine solche
tatbestandstypische Gefahr kann sich auch dann im Tod des Opfers
verwirklicht haben, wenn die unmittelbar zum Tod führende
Ursache ein Verhalten des Opfers war, sofern dieses
selbstschädigende Verhalten sich als naheliegende und
deliktstypische Reaktion darstellt, wie dies bei Fluchtversuchen in
Panik und Todesangst der Fall ist (BGHSt 48, 34, 38 f. Fischer Rdn. 4
aaO).
bb) Danach hat sich der Angeklagte der Körperverletzung mit
Todesfolge schuldig gemacht. Denn von seinem Verhalten - Messerstich in
den Rücken nach Todesdrohung bei auswegloser Lage des Opfers -
ging auch die Gefahr aus, dass Frau G. , die um ihr Leben
fürchten musste, in Panik geriet und bei riskanten
Fluchtversuchen zu Tode kommt. Der erforderliche
Zurechnungszusammenhang wurde entgegen der Ansicht des Landgerichts,
das damit einen zu engen Maßstab an die Verknüpfung
von Körperverletzung und Todesfolge anlegt, auch nicht durch
das Opferverhalten unterbrochen. Denn angesichts der konkreten
Bedrohungssituation war das - wenngleich kopflose - Fluchtverhalten von
Frau G. eine typische, dem Schutzzweck des § 227 StGB
unterfallende unmittelbare (Kurzschluss-)Reaktion auf die
lebensgefährliche Körperverletzungshandlung mit dem
Messer - ein Vorgehen, das die Strafkammer zutreffend als massiv
bewertet hat. Dass Frau G. sich zu dem festgestellten Fluchtverhalten
gedrängt sah, war allein auf die
Körperverletzungshandlung des Angeklagten
zurückzuführen und nicht mehr durch einen autonomen,
mit diesem Geschehen nur durch die bloße Kausalität
verbundenen Willensbildungsprozess beeinflusst.
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cc) Das - nach Auffassung des Senats ohnehin zu restriktive - Urteil
des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 30. September 1970 - 3
StR 119/70 (NJW 1971, 152, 153) steht nicht entgegen, denn weit
stärker
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und damit anders als dort sah sich das Opfer hier einer konkret
lebensgefährlichen Körperverletzung ausgesetzt, was
eine abweichende Bewertung der Typizität der Opferreaktion
begründen kann. Dies gilt im Ergebnis auch für das
noch vor dem Hintergrund der für erforderlich gehaltenen
Kausalität des Körperverletzungserfolgs für
den Tod ergangene Urteil des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom
3. Dezember 1953 - 4 StR 378/53.
c) Da das Landgericht - im Rahmen der Prüfung des §
222 StGB, der einen diesbezüglich gleichen
Prüfungsmaßstab wie § 227 StGB erfordert -
einen Fahrlässigkeitsschuldvorwurf des Angeklagten
hinsichtlich des infolge des Messerstichs und der dadurch
hervorgerufenen Kurzschlussreaktion verursachten Todes seiner Frau
rechtsfehlerfrei angenommen hat (UA S. 11), kann der Senat den
Schuldspruch selbst ändern. § 265 StPO steht nicht
entgegen, denn auf eine mögliche Strafbarkeit wegen §
227 StGB ist der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht
hingewiesen worden.
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d) Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung des
Strafausspruchs. Die Entscheidung obliegt einem neuen Tatrichter, und
zwar auf der Grundlage aller bisherigen, insgesamt rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen, die lediglich durch neue, hierzu nicht in
Widerspruch stehende Feststellungen ergänzt werden
dürfen.
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Basdorf Gerhardt Raum
Brause Jäger |