BGH,
Urt. v. 10.6.2009 - 2 StR 103/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 103/09
vom
10. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10.
Juni 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Köln vom 4. April 2008 - mit Ausnahme der
Entscheidung über die Adhäsionsanträge - mit
den Feststellungen aufgehoben
a) insgesamt soweit es den Angeklagten M. B. betrifft und
b) soweit es den Angeklagten D. M. betrifft im Fall B.III.21 bis 29 der
Urteilsgründe (Fall 2 der Anklage) sowie im
Rechtsfolgenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten M. B. wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und
neun Monaten verurteilt. Gegen den zur Tatzeit 20 Jahre alten
Angeklagten D. M. hat es wegen gefährlicher
Körperverletzung in zwei Fällen eine Jugendstrafe von
zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Dagegen wendet sich
die Staatsanwaltschaft mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten
eingelegten und auf die
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Sachrüge gestützten Revisionen, mit denen sie eine
Verurteilung der Angeklagten - hinsichtlich des Angeklagten M.
beschränkt auf den zweiten Fall - wegen Totschlags in
Mittäterschaft, hilfsweise wegen versuchten Totschlags durch
Unterlassen, hilfsweise wegen Körperverletzung mit Todesfolge
anstrebt.
I.
Das Landgericht ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:
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In der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 2007 war der später
getötete A. B. vom Angeklagten M. und dem Mitangeklagten D. B.
angegriffen und mit einem Baseballschläger am Knie verletzt
worden (Tatkomplex 1). Im unmittelbaren Anschluss rief B. mehrfach den
ihm flüchtig bekannten D. B. auf dem Mobiltelefon an,
äußerte Beleidigungen und forderte ihn auf,
„Mann gegen Mann“ mit ihm zu kämpfen.
Schließlich erklärte sich D. B. mit einem
„Einzelkampf“ einverstanden, der noch in der
gleichen Nacht ausgetragen werden sollte.
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Am vereinbarten Treffpunkt, einem Parkplatz am Marktplatz in K. -V. ,
erschien D. B. in Begleitung seines älteren Bruders, des
Angeklagten M. B. . Daneben begleiteten ihn der Angeklagte M. sowie
eine weitere Person. B. war bereits kurz zuvor zusammen mit dem
Mitangeklagten Sa. dort eingetroffen und stand nun im Lichtkegel des
Fahrzeugs der Angeklagten.
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Während der Angeklagte M. zunächst das Fahrzeug nicht
verlassen konnte, weil er versehentlich den
Schließmechanismus der Beifahrertür
betätigt hatte, stiegen die Angeklagten D. und M. B. aus und
stellten sich unmittelbar vor B. auf. Spätestens jetzt fassten
sie den Entschluss, entgegen der getroffenen Vereinbarung eines
„Einzelkampfs“, A. B.
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„gemeinsam durch Schläge und Tritte“ zu
attackieren. Nach einem kurzen Wortwechsel schlugen beide mit
Fäusten auf B. ein, bis dieser die Flucht ergriff. Nach nur
wenigen Metern wurde er von dem ihm sofort nacheilenden D. B. wieder
gestellt. D. B. schlug zunächst erneut nach B. . Dann
stieß er diesem mit bedingtem Tötungsvorsatz die
Klinge eines einschneidigen Messers zweimal mit großer Wucht
in den Oberkörper. Zudem fügte er B. eine stark
blutende Schnittverletzung an Ober- und Unterlippe bei. Dass der
Angeklagte D. B. ein Messer bei sich getragen hatte, war den
übrigen Angeklagten nicht bekannt gewesen. Einer der in den
Brustbereich geführten Stiche durchtrennte den Herzbeutel
sowie Vorder- und Zwischenwand der rechten Herzkammer. Diese Verletzung
war unmittelbar tödlich; selbst bei sofortiger medizinischer
Versorgung hätte keine reale Überlebenschance
bestanden.
Anschließend schlug D. B. gemeinsam mit dem mittlerweile
hinzugekommenen M. B. weiter mit Fäusten auf B. ein. Dieser
war, obwohl tödlich verwundet, in seiner
Aktionsfähigkeit nicht sofort maßgeblich
beeinträchtigt. Es gelang ihm, sich von den Angreifern
loszureißen und in Richtung der abgestellten Fahrzeuge
zurück zu laufen. Dort traf er auf den Angeklagten M. , der
ihm mindestens fünf auf die Beine gezielte Schläge
mit einem Baseballschläger versetzte. Dann wurde der stark aus
dem Gesicht blutende B. von M. B. gepackt und so zu Boden geworfen,
dass er mit dem Oberkörper auf einer Steinkante
bäuchlings zu liegen kam. In dieser Position sprang ihm M. B.
mit großer Wucht in den Rücken. Der
Geschädigte leistete nun keine aktive Gegenwehr mehr.
Gleichwohl schlugen und traten D. und M. B. eine Zeit lang weiter auf
ihn ein, wobei B. auch im Gesicht getroffen wurde. Dabei bildeten sich
massive Blutauftropfungen und Blutrinnablaufspuren an der Steinkante.
Schließlich rief der Angeklagte M. , dass es genug sei,
worauf die Angeklagten von ihrem Opfer ablie-
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ßen und sich in ihre Fahrzeuge begaben. Dort redeten sie eine
zeitlang wild durcheinander, insbesondere über die Frage
„wo denn das ganze Blut hergekommen“ sei, wobei
eine Person das türkische Wort für Messer nannte.
Nachdem der Mitangeklagte Sa. den Notruf der Feuerwehr
gewählt, dort aber nur unzureichende Angaben gemacht hatte,
fuhren die Angeklagten vom Tatort fort.
Wenige Minuten später wurde B. , der zu diesem Zeitpunkt noch
bei Bewusstsein war, von einem Markthändler aufgefunden. Trotz
sofort eingeleiteter notärztlicher Versorgung verstarb er noch
auf dem Weg ins Krankenhaus infolge inneren Verblutens.
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Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Angeklagten M. B. und
M. bis zum Verlassen des Tatorts den nicht abgesprochenen Einsatz eines
Messers durch den Angeklagten D. B. nicht bemerkt und weder die
Stichverletzungen im Oberkörper B. s noch die damit
einhergehende Lebensgefahr erkannt hatten.
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II.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten M.
ist wirksam auf die Verurteilung im Fall B.III.21 bis 29 der
Urteilsgründe (entspricht Fall 2 der Anklageschrift vom
05.10.2007) - Geschehen am Parkplatz - beschränkt. Zwar hat
die Beschwerdeführerin einen umfassenden Aufhebungs- und
Zurückverweisungsantrag gestellt. Der ausgeführten
Sachrüge ist indes zu entnehmen, dass der Anfechtungswille der
Staatsanwaltschaft nur den zweiten Tatkomplex erfasst und die in der
Revisionsbegründung an keiner Stelle erwähnte
Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung im
Fall 1 nicht angegriffen wird (vgl. BGH NStZ 1998, 21; NStZ-RR 2007,
304, 305; wistra 2007, 112, 113 jew. m.w.N.).
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2. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der
Staatsanwaltschaft sind begründet. Die Verurteilung wegen
(nur) gefährlicher Körperverletzung hält der
sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Das Urteil leidet an einem durchgreifenden
Erörterungsmangel. Denn das Landgericht hat nicht erkennbar
geprüft, ob sich die Angeklagten M. und M. B. , wenn nicht
eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, so doch
jedenfalls einer Körperverletzung mit Todesfolge (§
227 StGB) schuldig gemacht haben. Dies erweist sich als
rechtsfehlerhaft.
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Nach den Feststellungen erfolgten die tödlichen Messerstiche
im unmittelbaren Anschluss an die von den Angeklagten D. und M. B.
ausgeführten Faustschläge, welche Auftakt der
offenkundig auch von dem Angeklagten M. angestrebten
körperlichen Auseinandersetzung waren. Es liegt dabei auf der
Hand, dass der Mitangeklagte D. B. durch die Anwesenheit und
tätliche Unterstützung seines Bruders und des
Angeklagten M. in seinem sich bis zum Tötungsvorsatz
steigernden Angriffswillen bestärkt und angestachelt wurde.
Dies wird bereits durch den Umstand belegt, dass die Angeklagten M. und
D. B. den Angeklagten M. B. und den Zeugen Bu. „zur
Verstärkung“ mitnahmen, weil sie angesichts der
bevorstehenden Auseinandersetzung
„ängstlich“ und
„unsicher“ waren (UA S. 70). Das Landgericht
hätte deshalb erörtern müssen, ob damit
bereits in den Gewalthandlungen, die den Messerstichen vorangingen, die
spezifische Gefahr einer Eskalation mit tödlichem Ausgang
angelegt war und ob die Angeklagten M. und M. B. dies hätten
vorhersehen können. Eine solche Annahme liegt nach den
getroffenen Feststellungen zumindest sehr nahe. Bereits in dem
Vorgeschehen, das jedenfalls dem Angeklagten M. in vollem Umfang
bekannt war, - heimtückischer Überfall in
Überzahl und Verwendung von Schlagwerkzeugen (Tatkomplex 1) -
war ein erhebliches Gefahrenpotential an-
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gelegt. Auch während des späteren Geschehens am
Marktplatz waren Schlagwerkzeuge (Baseballschläger und
Tisch-/Stuhlbein) im Fahrzeug der Angeklagten griffbreit vorhanden und
wurden jedenfalls zum Teil von ihnen während der Tat auch
unmittelbar verwendet. Zudem traten die Angeklagten dem
Geschädigten erneut in Überzahl gegenüber,
wobei der Angeklagte M. nur durch die versehentliche
Betätigung des Türschließmechanismus daran
gehindert wurde, von Anfang an die personelle Überzahl noch zu
vergrößern. Der hinsichtlich der qualifizierenden
Tatfolge erforderlichen Vorhersehbarkeit steht dabei nicht entgegen,
dass die Angeklagten nichts von dem Mitführen eines Messers
gewusst hatten. Denn es reicht für die Erfüllung der
subjektiven Fahrlässigkeitskomponente aus, wenn der
Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis
hätte voraussehen können. Einer Voraussehbarkeit
aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs
bedarf es nicht (BGH NStZ 2008, 686 m.w.N.). Zudem liegt es nach den
Gesamtumständen aber auch nicht fern, dass die Angeklagten M.
und M. B. die Möglichkeit hätten vorhersehen
können, dass einer ihrer Mittäter ein Messer im
Rahmen der gezielt herbeigeführten Auseinandersetzung
mitführen und einsetzen würde.
Ferner hätte das Landgericht prüfen müssen,
ob der Eintritt des Todes durch die Verletzungshandlungen, die den
Messerstichen zeitlich folgten, beschleunigt wurde. Auch wenn die dem
Geschädigten im Verlauf dieses Geschehens zugefügten
Verletzungen nicht derartig schwerwiegend waren, dass sie ohne
Berücksichtigung des tödlichen Messerstichs eine
Lebensgefahr nach sich gezogen hätten, kann nach den bisher
getroffenen Feststellungen zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass
diese den Sterbevorgang beschleunigt haben und damit für den
Todeserfolg in seiner konkreten Gestalt unmittelbar ursächlich
waren (BGHR StGB vor § 1/Kausalität, Angriffe,
mehrere 1). Dies hätten die Angeklagten schon aufgrund des
äußeren Erscheinungsbildes des Geschädigten
(starke Blutungen im Gesicht, Bildung massiver Blutauftropfun-
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gen mit Blutrinnablaufspuren auf der Mauer, Aufgabe aktiver Gegenwehr)
auch erkennen können.
b) Im Übrigen begegnet auch die Beweiswürdigung,
aufgrund derer das Landgericht einen Tötungsvorsatz der
Angeklagten M. und M. B. abgelehnt hat, erheblichen rechtlichen
Bedenken. Insoweit hat es die erhebliche Brutalität, die in
der Misshandlung des am Boden liegenden Geschädigten lag,
nicht hinreichend berücksichtigt. Zu Recht weist die
Beschwerdeführerin darauf hin, dass sich das Landgericht
näher hätte damit auseinandersetzen müssen,
ob sich der Körperverletzungsvorsatz der Angeklagten
spätestens dann, als der Angeklagte M. B. zusammen mit seinem
Bruder auf den sich nicht mehr wehrenden und stark blutenden
Geschädigten einschlug, ihm u.a. in den Gesichtsbereich trat
und „mit seinem beschuhten Fuß mit großer
Wucht“ in den Rücken sprang, zu einem zumindest
bedingten Tötungsvorsatz gesteigert hatte. Angesichts der
massiven und ersichtlich von einem gemeinsamen Willen getragenen
Einwirkungen genügte es nicht, einen (bedingten)
Tötungsvorsatz allein deshalb zu verneinen, weil die
zugefügten Verletzungen in ihrer konkreten Gestalt letztlich
nicht lebensgefährlich waren. Denn dem Urteil ist nicht zu
entnehmen, ob die objektive Ungefährlichkeit darauf beruht,
dass - was nach dem äußeren Geschehensbild eher fern
liegt - die Ausführung der Einwirkungen auf das Opfer nur mit
geringer Intensität und kontrolliert erfolgte oder ob es
letztlich nur dem Zufall geschuldet war, dass hierdurch keine
schwereren Schädigungen beigebracht wurden. Hierzu
hätte es näherer Feststellungen zur konkreten Art und
Schwere der Verletzungen bedurft.
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c) Im Übrigen wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben zu
prüfen, ob sich die Angeklagten wegen Beteiligung an einer
Schlägerei in der Alternative des von mehreren
verübten Angriffs (§ 231 Abs. 1 2. Alt. StGB)
strafbar gemacht haben, gegebenenfalls in Tateinheit mit einem
Tötungsdelikt (vgl. BGHSt
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33, 100, 103 f.; Fischer, StGB 56. Aufl. § 231 Rdn. 7 und 11;
Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 231 Rdn. 6; Hirsch in
LK 11. Aufl. § 231 Rdn. 22).
3. Die im Adhäsionsverfahren erfolgte Verurteilung der
Angeklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld an die
Nebenklägerin wird von der Aufhebung der
Schuldsprüche nicht erfasst (BGHSt 52, 96).
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Rissing-van Saan Rothfuß Roggenbuck
Appl Schmitt |