BGH,
Urt. v. 10.3.2005 - 3 StR 233/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 233/04
vom 10.03.2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung u. a.
hier: Revision des Angeklagten R.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10.
März
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
von Lienen,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten R. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Auf die Revision des Angeklagten R. wird das Urteil des
Kammergerichts Berlin vom 22. Dezember 2003, auch soweit es
die Mitangeklagten M. und W. betrifft, in den
Schuldsprüchen dahin geändert, daß jeweils
die tateinheitliche
Verurteilung wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten
entfällt.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Kammergericht hat den Angeklagten R. unter Freispruch
im übrigen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung als
Rädelsführer
in Tateinheit mit Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger
Organisationen und Volksverhetzung in je zwei Fällen sowie mit
öffentlichem
Auffordern zu Straftaten, Billigung von Straftaten, Verunglimpfung des
Staates
und seiner Symbole und Beschimpfung von Bekenntnissen zu einer
Freiheitsstrafe
von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Außerdem hat es
gegen ihn
den Verfall von 5.400 € angeordnet. Gegen die
nichtrevidierenden Mitangeklagten
M. und W. ist ein entsprechender Schuldspruch ergangen,
nur wurden sie nicht als Rädelsführer im Sinne des
§ 129 Abs. 4 StGB verurteilt.
- 4 -
Nach den Feststellungen war der Angeklagte R. seit 1992 Mitglied
und ab 1993 Kopf der Musikband "Landser", die sich aus
Angehörigen der
rechtsextremen Szene in Berlin zusammengefunden hatte und sog. Punk-
bzw.
Oi!-Skin-Musik spielte. Nachdem er die Leitung der Band
übernommen hatte,
verfolgte der Angeklagte R. das Ziel, durch strafbare und damit in der
Szene besonders mutig wirkende Texte rechtsradikal-propagandistisch auf
die
Jugend Deutschlands einzuwirken, um Haß und Emotionen zu
schüren und so
aus der Band ein Instrument des politischen Kampfes zu machen. Diese
Bestrebungen
wurden von den übrigen Bandmitgliedern geteilt. Sie
verzichteten
daher in der Folge auf öffentliche Auftritte und allgemein
zugängliche Proben.
Diese wurden vielmehr heimlich an wechselnden Orten abgehalten. Zwischen
Ende 1992 und Mitte 2001 brachte die Band, deren Zusammensetzung sich
mit
Ausnahme des Angeklagten R. im Laufe der Zeit änderte und die
im Jahre
1997 mit den drei Angeklagten ihre endgültige Besetzung
gefunden hatte, im
Zusammenwirken mit verschiedenen Personen aus dem In- und Ausland eine
Musikkassette und mehrere CDs auf den Markt. Die CDs waren vornehmlich
im
Ausland eingespielt und hergestellt worden. Sie wurden im Inland auf
konspirativen
Wegen in der rechtsradikalen Szene vertrieben, fanden dort einen
reißenden
Absatz und begründeten den Ruf von "Landser" als der Kultband
des
jugendlichen rechtsextremistischen Spektrums.
Die Verurteilung des Angeklagten R. nach § 129 Abs. 1 und 4
StGB stützt sich auf seine Mitgliedschaft in der Band in der
Zeit ab 1997 in ihrer
endgültigen Zusammensetzung. Dem Schuldspruch
bezüglich der übrigen
tateinheitlich abgeurteilten Delikte liegen die Texte mehrerer Lieder
rechtsradikalen,
rassistischen bzw. ausländerfeindlichen Inhalts zugrunde, die
auf den in
den Jahren 2000 bzw. 2001 veröffentlichten CDs "Ran an den
Feind" und "Best
of Landser" enthalten sind.
- 5 -
Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und
materiellen
Rechts. Das Rechtsmittel führt, auch hinsichtlich der
nichtrevidierenden
Mitangeklagten, auf die Sachrüge zu einer
geringfügigen Korrektur des Schuldspruchs,
bleibt im übrigen aber ohne Erfolg.
I. Die Verfahrensrüge ist unbegründet.
Zwar beanstandet der Angeklagte im Ausgangspunkt zu Recht,
daß der
Generalbundesanwalt Telefonate, die er - der Angeklagte - mit seinem
Verteidiger
geführt hatte und die aufgrund der im Verfahren gegen einen
Dritten ermittlungsrichterlich
angeordneten Überwachung des Fernsprechanschlusses
des Angeklagten (§ 100 a Satz 1 und 2 StPO) automatisch
aufgezeichnet worden
waren, ausgewertet und in dem Verfahren gegen den Angeklagten
für das
Anbringen eines Ablehnungsgesuchs verwertet hat. Denn im Hinblick auf
§ 148
Abs. 1 StPO ist es im Rahmen einer laufenden
Telefonüberwachung grundsätzlich
geboten, die Aufzeichnung eines Telefonats sofort abzubrechen, wenn
sich ergibt, daß es sich um ein Mandantengespräch
zwischen dem Beschuldigten,
Angeschuldigten bzw. Angeklagten und seinem Verteidiger handelt (vgl.
Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. §
100 a Rdn. 75; Meyer-Goßner,
StPO 47. Aufl. § 100 a Rdn. 13; Welp JZ 1972, 423, 428; ders.,
Die strafprozessuale
Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs - 1974 - S. 207
f.).
Dies gilt auch dann, wenn die Überwachung des Anschlusses des
Mandanten
in dem Verfahren gegen einen Dritten (vgl. § 100 a Satz 2
StPO) angeordnet
wurde (Schäfer aaO). Ist der Abbruch der Aufzeichnung nicht
möglich, weil sie
automatisch durchgeführt wird, so hat jedenfalls jede
inhaltliche Auswertung
des Gesprächs zu unterbleiben. Dies folgt nunmehr auch aus
§ 100 h Abs. 2
Satz 1 Halbs. 2 StPO. Denn wenn es danach schon unzulässig
ist, die unter
Mißachtung des § 100 h Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 i. V.
m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO
gewonnenen bloßen Daten über
Telekommunikationsverbindungen zwischen
dem Verteidiger und seinem Mandanten zu verwerten, muß die
Auswertung
- 6 -
des durch eine Überwachungsmaßnahme
zufällig bekannt gewordenen Inhalts
einer derartigen Kommunikation erst recht ausgeschlossen sein (aA wohl
Nack
in KK 5. Aufl. § 100 a Rdn. 30). Anders läge es nur,
wenn gegen den Verteidiger
ein Verdacht im Sinne des § 100 h Abs. 2 Satz 2 StPO bestanden
hätte.
Dies war jedoch nicht der Fall.
Entgegen der vom Generalbundesanwalt ersichtlich vertretenen Ansicht
ist die Aus- und Verwertung des Inhalts des Mandantengesprächs
nicht nur im
Hinblick auf die unmittelbare Schuld- und Straffrage, sondern auch
für sonstige,
hiervon ohnehin kaum trennbaren verfahrensrechtlichen Zwecke
unzulässig.
Er darf daher auch nicht - wie hier - als Grundlage für einen
Ablehnungsantrag
gegen einen der erkennenden Richter herangezogen werden.
Die an diese Vorgänge anknüpfende Rüge des
Angeklagten greift indessen
nicht durch. Das Kammergericht mußte dem Antrag auf Vernehmung
des Generalbundesanwalts nicht nachkommen, sondern durfte der Behauptung
des Angeklagten, es seien weitere Telefonate zwischen ihm und seinem
Verteidiger
abgehört worden, freibeweislich nachgehen; denn es ging hier
nicht um
die Aufklärung von Tatsachen, die für die Schuld-
oder Straffrage relevant waren,
sondern darum, ob gegebenenfalls die Grundsätze fairer
Verfahrensgestaltung
verletzt und hieraus verfahrensrechtliche Konsequenzen zu ziehen
waren (vgl. Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 6 m. w. N.).
Die freibeweislichen
Ermittlungen hat das Kammergericht durchgeführt. Es ist auf
der Grundlage
der seitens der Bundesanwaltschaft eingereichten dienstlichen
Erklärungen
zu dem Ergebnis gelangt, daß neben dem Telefonat, das
Anlaß für das
Ablehnungsgesuch war, noch weitere Gespräche zwischen dem
Angeklagten
und seinem Verteidiger aufgezeichnet, jedoch nicht zur
"Begründung der
Schuld- und Straffrage ausgewertet und benutzt" wurden. Es ist nicht zu
erkennen,
daß aus der persönlichen Vernehmung des
Generalbundesanwalts weitergehende
Erkenntnisse hätten gewonnen werden können; solche
trägt auch
- 7 -
die Revision nicht vor. § 244 Abs. 3 Satz 2 bzw. §
244 Abs. 2 StPO sind daher
entgegen der Auffassung des Angeklagten nicht verletzt.
Die geschilderten Vorgänge lassen auch keinen
Verstoß gegen das
Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren
erkennen,
der die weitere Durchführung des Verfahrens hindern
würde. Ob dies auch
dann der Fall wäre, wenn dem Generalbundesanwalt durch die
Auswertung der
Mandantengespräche das Verteidigungskonzept bekannt geworden
wäre (vgl.
BGH NStZ 1984, 419 für den Fall der unzulässigen
Beschlagnahme von Unterlagen
des Verteidigers), braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn dies
wird weder von der Revision behauptet, noch ergeben sich
hierfür irgendwelche
Anhaltspunkte.
II. Die Sachrüge hat nur in geringem Umfang Erfolg.
1. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten R. wegen Bildung
einer kriminellen Vereinigung als Rädelsführer
(§ 129 Abs. 1 und 4 StGB) ist
nicht zu beanstanden.
a) Das Kammergericht ist der Ansicht, daß die drei Mitglieder
der Musikgruppe
"Landser" nach dem Eintritt des Mitangeklagten W. im Jahre
1997 innerhalb kürzester Zeit eine kriminelle Vereinigung im
Sinne des § 129
Abs. 1 StGB bildeten. Es stützt diese Beurteilung
maßgeblich auf folgende Erwägungen:
Die Gruppe habe die für eine (kriminelle) Vereinigung
vorausgesetzte
Organisationsstruktur aufgewiesen, den notwendigen verbindlichen
Gesamtwillen
ausgebildet und sich als einheitlicher Verband verstanden. Sie habe sich
daher von einer Bande im strafrechtlichen Sinne abgehoben, die keine
organisatorischen
Strukturen und auch keinen den Willen der einzelnen Bandenmit-
8 -
glieder überlagernden Gesamtwillen aufweisen müsse.
Die Tätigkeit der Bande
erschöpfe sich darin, daß deren Mitglieder aus je
eigenem Interesse an einer
risikolosen und effektiven Tatausführung sowie Beute- und
Gewinnerzielung
zusammenwirken. Dagegen verfolge sie keine über die
unmittelbaren kriminellen
Handlungen hinausgehenden gesellschaftsgefährdenden Ziele.
Auf die organisatorische Struktur der Musikgruppe "Landser" deute
bereits
hin, daß sie unter einem besonderen Namen und seit Anfang
1996 mit
einem identitätsstiftenden Logo ausgestattet gewesen sei.
Darüber hinaus seien
innerhalb der Band nicht nur die musikalischen Aufgaben auf die
einzelnen
Mitglieder verteilt gewesen. Der Angeklagte R. sei als Sänger
und Gittarist
aufgrund seiner überlegenen Fähigkeiten der kreative
Kopf der Band gewesen,
der deren nationalsozialistische Ausrichtung bestimmt und die Liedtexte
verfaßt habe, ohne die der Erfolg der Band nicht denkbar
gewesen sei. Der
Mitangeklagte W. sei mit äußeren
Organisationsaufgaben betraut gewesen.
So habe er drei Probenräume besorgt und durch seine
Verbindungen in
der rechtsradikalen Szene maßgeblich zur Produktion und zum
Vertrieb der CD
"Ran an den Feind" beigetragen. Der Mitangeklagte M. habe
demgegenüber
aufgrund seiner Berufstätigkeit neben den musikalischen nur
wenige sonstige
Aufgaben erledigen können. Er habe R. und W. zum Teil zu
den Probenräumen transportiert und R. s Post bei dessen Mutter
abgeholt.
Dieses Mindestmaß an innerer Struktur sei ergänzt
worden durch die
von der Gruppe zur Herstellung der CDs planvoll genutzten
Fremdstrukturen
ihrer Unterstützer im rechtsradikalen Umfeld. Auf dieses
"Netzwerk" habe sich
die Gruppe in der Durchsetzung ihrer kriminellen Ziele verlassen und
sich in
ihm geborgen fühlen dürfen.
- 9 -
Dies genüge indessen nicht, um sie als kriminelle Vereinigung
im Sinne
des § 129 Abs. 1 StGB einzustufen. Denn derartige
Organisationsstrukturen
seien bei Musikgruppen, die strafbare Texte verbreiten, leicht
anzutreffen. Der
Schutzzweck des § 129 Abs. 1 StGB gebiete es indessen, nur
solche Gruppen
zu erfassen, von denen eine Gefahr für die innere
öffentliche Sicherheit ausgehe.
Dies sei nur der Fall, wenn die Gruppe "eine bedeutende Stellung im
relevanten Markt" habe. Eine solch hohe Marktbedeutung habe sich die
Band
"Landser" schon durch die 1995 noch in anderer Besetzung eingespielte CD
"Republik der Strolche" erworben. Diese sei auch durch den Wechsel in
der
Besetzung und die mehrmonatige Pause der Aktivitäten der Band
vor Eintritt
des Mitangeklagten W. nicht verlorengegangen.
Innerhalb der Gruppe sei auch ein bindender Gemeinschaftswille vorhanden
gewesen. Zwar habe R. die Gruppe nicht autoritär
geführt und es
habe auch keine hierarchische Struktur bestanden. Vielmehr
hätten alle Mitglieder
die Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen, wenn auch
häufig aufgrund
der gleichgerichteten Interessenlage und in Anerkennung der Kompetenz
des Angeklagten R. einstimmig durch Abnicken.
Da im Vordergrund der Aktivitäten der Gruppe die Begehung von
Straftaten
gestanden habe, nämlich die Verbreitung zu Gewalttaten
auffordernder,
volksverhetzender, die demokratische Verfassung der Bundesrepublik
verunglimpfender
und den Nationalsozialismus wiederbelebender Botschaften, und
hierdurch die öffentliche Sicherheit erheblich
gefährdet gewesen sei, habe die
Band sämtliche Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung
im Sinne des
§ 129 Abs. 1 StGB erfüllt.
b) Dies läßt im Ergebnis keinen durchgreifenden
Rechtsfehler erkennen.
Bei einer kriminellen Vereinigung handelt es sich um einen auf eine
gewisse
Dauer angelegten, freiwilligen organisatorischen
Zusammenschluß von minde-
10 -
stens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des einzelnen
unter
den Willen der Gesamtheit gemeinsame (kriminelle) Zwecke verfolgen und
unter
sich derart in Beziehung stehen, daß sie sich als
einheitlicher Verband fühlen
(s. nur BGHSt 28, 147; 31, 202, 204 f.; 31, 239 f.; 45, 26, 35).
aa) Diese Voraussetzungen waren hier nach den Urteilsgründen
erfüllt.
Innerhalb der Musikband "Landser" war eine organisatorische Struktur
für
das Zusammenwirken der drei Gruppenmitglieder vorhanden, um die
gemeinsam
verfolgten Ziele zu verwirklichen. Dies wird durch die Feststellungen
zum
Verfassen neuer Lieder durch den Angeklagten R. , zum Einüben
der
neuen Stücke, zum allgemeinen Ablauf des Probenbetriebes, zum
Einspielen
bzw. der Produktion der CDs sowie der weitgehend konspirativen
Ausübung all
dieser Aktivitäten hinreichend belegt. Daß sich die
Mitglieder der Gruppierung
als einheitlicher Verband fühlten, hat das Kammergericht
zutreffend aus dem
Bandnamen und dem für die Band verwendeten Abzeichen
geschlußfolgert.
Die einzelnen Gruppenmitglieder hatten sich dem Gruppenwillen
untergeordnet.
Zwar hat das Kammergericht nicht festgestellt, daß sich die
Angeklagten
verbindliche Regeln gegeben hatten, nach denen sämtliche
Entscheidungen
innerhalb der Band zu treffen waren. Dies war hier indessen auch nicht
erforderlich. Denn aus dem erfolgreichen Zusammenwirken über
mehrere Jahre,
in denen drei CDs auf den Markt gebracht wurden, ergibt sich ohne
weiteres,
daß sich jedes einzelne Mitglied der Band dem vom gemeinsamen
Gruppenwillen
getragenen Ziel untergeordnet haben muß. Ansonsten
hätten die
kriminellen Absichten der Beteiligten nicht in der hier vorliegenden
Weise umgesetzt
werden können.
bb) Die weiteren Umstände, die das Kammergericht zur
Bestätigung seiner
Rechtsauffassung erörtert, sind demgegenüber
für das Vorliegen einer kri-
11 -
minellen Vereinigung nicht konstitutiv und nicht geeignet, diese von
einem sonstigen
Zusammenwirken mehrerer zur Erreichung krimineller Ziele abzugrenzen.
Insoweit gilt:
Sollten die Ausführungen des Kammergerichts dahin zu verstehen
sein,
daß erst die Einbettung in bzw. die Nutzung von
Fremdstrukturen der rechtsradikalen
Szene ("Netzwerk") der Band "Landser" den für eine Vereinigung
im
Sinne des § 129 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Organisationsgrad
verschafft
habe, könnte dem nicht gefolgt werden. Eine derartige ein-
oder gegenseitige
Ergänzung organisatorischer Strukturen könnte
straftatbestandliche Folgen nur
dann zeitigen, wenn beiden "Organisationen" zumindest in ihrem
Zusammenwirken
strafrechtliche Relevanz zukäme. Dies war hier nicht der Fall;
denn es
fehlt an jedem Hinweis darauf, daß die Teile der
rechtsradikalen Szene, mit
denen die Angeklagten zusammenwirkten, mit diesen gemeinsam eine der
Vereinigung "Landser" einschließende, umfassendere kriminelle
Vereinigung
bildeten. Durch die Konstruktion des Kammergerichts würde
überdies die gesetzliche
Unterscheidung zwischen der Vereinigung und ihren Unterstützern
eingeebnet.
Soweit das Kammergericht darüber hinaus als wesentliches
Merkmal zur
Abgrenzung einer Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1 StGB
von sonstigen
Formen des Zusammenwirkens mehrerer bei der Verfolgung deliktischer
Zwekke,
insbesondere der Bande, anführt, daß die Vereinigung
über die unmittelbaren
kriminellen Handlungen hinausgehende gesellschaftsgefährdende
Ziele
verfolge, findet dies im Gesetz keine Stütze. Zwar ist den
Gesetzesmaterialien
zu entnehmen, daß der Gesetzgeber als kriminelle
Vereinigungen namentlich
politische oder politisch motivierte Gruppierungen ins Auge
faßte (Hohmann
wistra 1992, 85 f. m. w. N.). Jedoch kann weder hieraus noch aus der
Deliktsnatur,
der systematischen Stellung oder dem von § 129 StGB
geschützten
Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit der Schluß
gezogen werden, daß die
- 12 -
Vorschrift nur auf derartige Organisationen anwendbar ist (aA Hohmann
aaO;
Walischewski StV 2000, 583, 585). Denn eine solche
Einschränkung des Anwendungsbereichs
ist weder dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen, noch
wird sie von der der Norm in ihrem Ursprung zugrunde liegenden
Bestimmung
des Art. 9 Abs. 2 GG nahegelegt (s. nur von Bubnoff in LK 11. Aufl.
§ 129
Rdn. 5; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl.
§ 129 Rdn. 1).
Ebensowenig hängt die Bewertung der Musikband "Landser" als
kriminelle
Vereinigung davon ab, daß sie eine "bedeutende Stellung im
relevanten
Markt" erreicht hatte. Dies ist ein untaugliches Abgrenzungskriterium.
§ 129
Abs. 1 StGB setzt nicht voraus, daß die Vereinigung auch nur
eine der Straftaten,
auf die sie ausgerichtet ist, konkret plant oder gar vorbereitet (BGH
NJW
2005, 80, 81 m. w. N.). Die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift kann
demgemäß
nicht voraussetzen, daß diese Straftaten begangen werden und
die Vereinigung
hierdurch ein hohes Maß an Ansehen bei ihren
Gesinnungsgenossen
gewinnt. Es genügte, daß sie auf die Begehung von
Straftaten wie Volksverhetzung,
Verunglimpfung des Staates, Verbreitung von Propagandamitteln
verfassungsfeindlicher Organisationen etc. ausgerichtet war.
2. Auch der Schuldspruch wegen der tateinheitlich mit § 129
Abs. 1
und 4 StGB abgeurteilten sonstigen Delikten hält im
wesentlichen rechtlicher
Überprüfung stand. Er stützt sich auf die
Texte verschiedener Lieder der CDs
"Ran an den Feind" und "Best of Landser". Zwar hat das Kammergericht
abgesehen
von einer kurzen inhaltlichen Textanalyse eine Subsumtion der
getroffenen
Feststellungen unter die einzelnen Tatbestandsmerkmale der von ihm
angewendeten
Vorschriften weitgehend unterlassen. Dies hat indessen nur in
einem Punkt zu einer rechtlichen Fehlbeurteilung geführt, die
Auswirkung auf
den Schuldspruch hat:
- 13 -
Die Verurteilung wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten
(§ 111
Abs. 1 und 2 StGB) kann keinen Bestand haben. Der Schuldspruch
stützt sich
insoweit auf den Text des Liedes "Xenophobia" aus der CD "Best of
Landser".
Darin werden die in Deutschland lebenden Vietnamesen in
unflätiger Weise
angegriffen. Der Text mag zwar nach seinem Gesamtzusammenhang zu Gewalt-
oder Willkürmaßnahmen gegen diese
inländische Bevölkerungsgruppe
auffordern und damit den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130
StGB) auch
in dieser Variante erfüllen. Dies genügt für
die Verwirklichung des § 111 Abs. 1
und 2 StGB indessen nicht. Dieser Tatbestand setzt weitergehend vielmehr
voraus, daß zumindest erkennbar wird, in welcher
strafrechtlich relevanten
Weise gegen die Mitglieder der angegriffenen
Bevölkerungsgruppe vorgegangen
werden soll. Daran fehlt es hier. Das Kammergericht meint, die
Zuhörer
würden aufgestachelt, "die verhaßten Opfergruppen
ihrem verhießenen Schicksal
zuzuführen"; es werde "das Existenzrecht der Betroffenen in
Deutschland
bestritten". Das beschreibt jedoch gerade keinen erkennbaren
Straftatbestand.
Es bleibt offen, ob die Opfer körperlich mißhandelt
oder gar getötet oder genötigt
werden sollen, Deutschland zu verlassen.
Weitergehender Erörterung bedarf darüber hinaus nur
noch folgendes:
Das Kammergericht meint, der Angeklagte habe durch die Verbreitung
der CD "Best of Landser" wegen mehrerer hierauf enthaltener Lieder den
Tatbestand
der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (§ 90 a StGB)
erfüllt. Der Titel "Republik der Strolche" richte sich gegen
den Bestand der
Bundesrepublik Deutschland, da er zum Widerstand und Volksaufstand
auffordere,
um das "herrschende Regime" gewaltsam zu beseitigen. Die Tat sei daher
gemäß § 90 a Abs. 3 StGB qualifiziert. Dies
ist nur im Ergebnis zutreffend.
Im Sinne des § 90 a Abs. 3 StGB sind Bestrebungen des
Täters nur
dann gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichtet, wenn er
- 14 -
darauf hinarbeitet, die Freiheit der Bundesrepublik von fremder
Botmäßigkeit
aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihr
gehörendes
Gebiet abzutrennen (§ 92 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 StGB).
Hierfür ist in der
Person des Angeklagten nichts erkennbar. Dennoch ist der
qualifizierende Tatbestand
des § 90 a Abs. 3 StGB verwirklicht. Denn sowohl nach dem
Inhalt
aller fraglichen Lieder als auch nach den sonstigen Feststellungen zu
den
ideologischen Zielen des Angeklagten R. steht außer Zweifel,
daß er
sich durch das Verbreiten der CD absichtlich gegen
Verfassungsgrundsätze im
Sinne des § 90 a Abs. 3, § 92 Abs. 3 Nr. 3 i. V. m.
Abs. 2 Nr. 1 und 6 StGB eingesetzt
hat.
III. Da weitergehende Feststellungen nicht in Betracht kommen,
ändert
der Senat entsprechend obiger Darlegungen das Urteil gegen den
Angeklagten
R. dahin ab, daß im Schuldspruch die Verurteilung wegen
tateinheitlicher
öffentlicher Aufforderung zu Straftaten entfällt.
Diese Schuldspruchänderung ist
gemäß § 357 StPO auf die beiden
nichtrevidierenden Mitangeklagten M.
und W. zu erstrecken.
Die Strafaussprüche werden hierdurch nicht berührt.
Der Senat kann
ausschließen, daß das Kammergericht auf niedrigere
Strafen erkannt hätte,
wenn es von der Verurteilung der Angeklagten nach § 111 Abs. 1
und 2 StGB
abgesehen hätte; denn ausweislich der Urteilgründe
waren die Verwirklichung
der neben der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung
ausgeurteilten
Straftaten für die Strafbemessung ohne ausschlaggebende
Bedeutung.
Tolksdorf Winkler von Lienen
Becker Hubert
- 15 -
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
__________________
StGB § 129 Abs. 1
Zur Strafbarkeit einer Musikgruppe nach § 129 Abs. 1 StGB, die
auf
die Veröffentlichung von Liedern mit Texten strafbaren Inhalts
ausgerichtet
ist.
BGH, Urt. vom 10.03.2005 - 3 StR 233/04 - Kammergericht Berlin |