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BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 10.11.2004 - 2 StR 329/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 329/04
vom
10. November 2004
in der Strafsache
gegen


 
wegen schweren räuberischen Diebstahls u.a.
 
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Novem-
ber 2004, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Pr of. Dr. Fischer,
Staatsanwalt
 als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
 als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
 
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Aachen vom 2. April 2004

a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit ei-
ne Entscheidung über die Frage der Unterbr ingung des An-
geklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist;

b) im Tenor dahin ergänzt, daß vor "Raubes" das Wort "schwe-
ren" eingefügt wird.

2. Im Umfang der Aufhebung wir d die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verwor fen.

 

 Von Rechts wegen

 

 

 Gründe:

 

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwer en räuberischen
Diebstahls und Raubes sowie wegen Diebstahls in Tateinheit mit Urkundenfäl-
schung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verur-
 
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teilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unter-
bringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblie-
ben ist. Daneben ist lediglich der Schuldspruch im Fall II, 3 in Übereinstimmung
mit den Urteilsgr ünden dahin zu ergänzen, daß der Angeklagte nicht des Rau-
bes, sondern des schweren Raubes (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) schuldig ist. Im
übr igen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Insoweit
kann auf die Antragsschrift des Gener albundesanwalts vom 3. August 2004
verwiesen werden.

1. Das Landgericht hat u.a. festgestellt:

Der 38jährige Angeklagte ar beitete nach seiner Schul- und Berufsaus-
bildung als Betriebsschlosser. Seine Berufstätigkeit wurde nur durch wenige
kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen. Zuletzt war er bis zum 1.
Januar 2004 im Rahmen einer "Ich-AG" selbständig. Danach bezog er
Arbeitslosenhilfe.

Der Angeklagte trank bis zu seiner Festnahme maßvoll Bier. Vor zwei
Jahr en kam er über einen Arbeitskollegen aber auch zum Konsum von Heroin,
das er bis zu seiner Verhaftung "blowte", d.h. von einer Folie rauchte. Sein
Konsum steigerte sich ständig. Zuletzt benötigte er täglich 2 g Heroin (Zuberei-
tung), für die er 40 Euro pro Gr amm zahlen mußte. Nach der Inhaftierung er-
hielt er neun Tage lang Methadon. Im Mai 2003 war der Angeklagte einmal für
eine Woche zu einer stationären Entziehungsbehandlung in einem Kranken-
haus. An einer Drogentherapie hat der Angeklagte noch nicht teilgenommen.
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Die der Verurteilung zugrundeliegenden drei Straftaten beging der An-
geklagte am 25. Januar sowie 8. und 11. Februar 2004. Am 11. Februar 2004
wurde er festgenommen.

Eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit hat das sachver-
ständig beratene Landgericht für alle drei Taten rechtsfehlerfr ei verneint. Bei
der Tat II, 1 (schwerer räuberischer Diebstahl von neun Kästen Bier) betrug die
Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit - zurückgerechnet - ma-
ximal 1,25 o/oo. In den Fällen II, 2 (Diebstahl eines Kfz-Kennzeichens) und II, 3
(Überfall auf eine Bäckerei, um sich Bargeld zu verschaffen; Beute 220 Eur o)
ist eine r elevante Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit nicht er wiesen.
Aller dings fanden sich in den nach den Taten II, 1 und 3 entnommenen Blut-
proben geringe Opiatrückstände aus vorangegangenem Heroinkonsum. Für die
Steuer ungsfähigkeit relevante Entzugssymptome hat das Landgericht jedoch -
entgegen der Einlassung des Angeklagten - nicht festgestellt.

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landger icht ferner ausgeführt,
Grund für die Entgleisungen des Angeklagten sei wohl maßgeblich seine Dr o-
gensucht. Es lasse sich nicht verkennen, daß es sich bei den Taten II, 1 und 3
letztlich um Beschaffungskriminalität handele. Der Angeklagte habe sich offen-
sichtlich finanzielle Mittel zur Finanzierung seines Drogenkonsums besorgen
wollen.

2. Nach diesen Urteilsfeststellungen und ergänzenden Erwägungen
drängte sich dem Tatr ichter eine Pr üfung der Voraussetzungen für eine Unter-
bringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auf. Dem steht nicht ent-
gegen, daß bei dem Angeklagten die Vor aussetzungen des § 21 StGB zur Zeit
der zwei Taten rechtsfehlerfrei verneint wurden (vgl. u.a. BGHR StGB § 64
Abs. 1 Rausch 1; BGH NStZ-RR 2001, 12) .
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Die Feststellungen des Tatrichters legen nahe, daß der Angeklagte ei-
nen Hang zum übermäßigen Heroinkonsum hat. Der Hang im Sinne von § 64
StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit
oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende
oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder
andere Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. u.a. BGHR StGB § 64
Abs. 1 Hang 1, 4 und 5). Ein solches Verhalten belegen die Urteilsfeststellun-
gen. Der Angeklagte ist seit längerer Zeit heroinabhängig, er war bereits frei-
willig zu einer Entzugsbehandlung im Krankenhaus. Nach seiner Inhaftierung
litt er unter Entzugser scheinungen, die mit Methadon behandelt werden muß-
ten.

 Die Umstände legen auch nahe, daß der Angeklagte Heroin im Über maß
konsumiert. Es kann offen bleiben, ob bei einer Heroinabhängigkeit - unabhän-
gig von der Konsumform - überhaupt ein kontrollierter, nicht übermäßiger Kon-
sum des Betäubungsmittels möglich ist. Denn ausreichend für die Annahme
eines Hangs zum über mäßigen Genuß von Rauschmitteln ist jedenfalls, daß
der Betroffene aufgrund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich
erscheint (vgl. BGH, Beschl. vom 10. September 1997 - 2 StR 416/97 - m.w.N.).
Das kommt nicht nur dann in Betr acht, wenn der Betroffene Rauschmittel in
einem solchen Umfang zu sich nimmt, daß seine Gesundheit, Arbeits- und
Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden (vgl. BGH, Beschl.
vom 6. November 2003 - 1 StR 451/03 = StraFo 2004, 36; NStZ-RR 2003, 106
f. jew. m.w.N.), sondern insbesonder e auch bei Beschaffungskriminalität, die
das Landgericht hier jedenfalls in den Fällen II, 1 und 3 für gegeben erachtet.
Geht man mit dem Tatrichter hiervon aus, liegt zugleich die Gefahr nahe, daß
der Angeklagte infolge seines Hangs weitere erhebliche rechtswidr ige Taten
begehen wird. Offen bleibt nach den bisherigen Feststellungen des Landge-
 
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richts, ob und inwieweit das Scheitern des Angeklagten in der Selbständigkeit
als "Ich-AG" mit dem Heroinkonsum zusammenhängt. Darüber hinaus wird der
neue Tatrichter konkrete Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die der Ver-
urteilung zugrundeliegenden Straftaten maßgeblich auf seine Drogensucht zu-
rückgehen, ob also zwischen Drogensucht und Str aftaten ein
symptomatischer Zusammenhang besteht. Die dahingehende, naheliegende
Vermutung des Landgerichts ist bisher nicht hinreichend mit konkret festge-
stellten Tatsachen belegt.

Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muß des-
halb neu verhandelt und entschieden werden. Daß nur der Angeklagte Revisi-
on eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht
(§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5), er hat die Nichtanwendung des § 64
StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen
(vgl. BGHSt 38, 362 f.). Anhaltspunkte dafür, daß keine hinreichend konkr ete
Aussicht besteht, den Angeklagten von seinem Hang zu heilen oder doch über
eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (vgl.
BVerfGE 91, 1 ff., 29 = NStZ 1994, 578), sind nicht ersichtlich. Der Senat kann
auch ausschließen, daß der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf
niedriger e Einzelstrafen oder eine ger ingere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hät-
te. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.

Rissing-van Saan     Bode      Otten

     Rothfuß     Fischer



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