BGH,
Urt. v. 10.11.2005 - 4 StR 337/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 337/05
vom
10.11.2005
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
10.11.2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterinnen am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin gegen das
Urteil des Landgerichts Dortmund vom 25.01.2005 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und
neun Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen des
Angeklagten und der Nebenklägerin. Beide rügen die
Verletzung sachlichen Rechts, die Nebenklägerin beanstandet
die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten
Mord. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
Revision der Nebenklägerin
1. Nach den Feststellungen fügte der Angeklagte der ihm
flüchtig bekannten Nebenklägerin nach gemeinsamem
erheblichem Alkoholkonsum aus ungeklärter Motivation in deren
Wohnung in der Zeit zwischen 12.30/13.00 Uhr und 20.00 Uhr
vorsätzlich vielfältige Verletzungen zu, wobei er
unter anderem ein Messer und eine leere Weinbrandflasche einsetzte. Das
Opfer erlitt massiv blutende Kopfverletzungen und eine 9 cm lange
Schnittwunde im oberen Halsbereich, die weit auseinanderklaffte und
ebenfalls stark blutete; außerdem trug es durch stumpfe
Gewaltanwendung einen Nasenbeinbruch und Prellungen im Augen- und
Brustbereich davon. Hilferufe unterband der Angeklagte dadurch,
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dass er der Frau mittels eines Kopfkissens so lange die
Möglichkeit zum Atmen nahm, bis sie bewusstlos wurde und
Unterblutungen in der Mundhöhle sowie unter den Ohren erlitt.
Während des gesamten Tatgeschehens verlor das Opfer mehrfach
das Bewusstsein.
Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt stellte der
Angeklagte seine Übergriffe auf die Frau ein.
Schließlich erklärte er, er werde ihr nichts mehr
tun, und forderte sie auf, ein Bad zu nehmen, was diese aus Angst vor
ihm ablehnte. Gegen 20.00 Uhr gelang es der Nebenklägerin, aus
der in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung zu fliehen und an einer
Wohnungstür zu klingeln; danach brach sie auf einem
Treppenabsatz zusammen. Der Angeklagte hatte mittlerweile die Flucht
seines Opfers bemerkt und verließ an der am Boden Liegenden
vorbeigehend das Haus. Nahezu zeitgleich sorgten Hausbewohner
für ärztliche Hilfe, so dass die
Nebenklägerin gerettet werden konnte.
2. Das Schwurgericht hat den Angeklagten nur der gefährlichen
Körperverletzung und nicht auch, wie angeklagt, des versuchten
Mordes für schuldig befunden. Dabei hat es letztlich
dahinstehen lassen, ob der Angeklagte - insbesondere beim
Zufügen der Schnittverletzung am Hals - mit bedingtem
Tötungsvorsatz gehandelt habe, da er jedenfalls durch
freiwilliges Absehen von weiteren, ihm möglichen Tathandlungen
von dem unbeendeten Versuch mit strafbefreiender Wirkung
zurückgetreten sei.
3. Diese Würdigung ist, wie auch der Generalbundesanwalt in
seiner Antragsschrift ausgeführt hat, revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden.
Das Landgericht konnte die Frage des (bedingten)
Tötungsvorsatzes, der bei einer so gefährlichen
Gewalthandlung, wie sie ein Schnitt in den Hals darstellt, allerdings
nahe liegt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter
42), offen lassen, weil es auf Grund einer möglichen
Beweiswürdigung einen
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strafbefreienden Rücktritt von einem etwa vorliegenden
Tötungsversuch angenommen hat.
Die Erwägungen, auf Grund derer das Landgericht von einem
unbeendeten Versuch ausgegangen ist, von dem der Angeklagte durch
bloßes Unterlassen weiterer Tathandlungen
zurücktreten konnte, weisen letztlich keinen Rechtsfehler auf.
Ein unbeendeter Versuch ist nach ständiger Rechtsprechung dann
gegeben, wenn der Täter nach der letzten
Ausführungshandlung nicht mit dem Eintritt des
tatbestandsmäßigen Erfolges rechnet und die
Vollendung aus seiner Sicht noch möglich erscheint (vgl. BGHSt
39, 221, 227 m.w.N.; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch,
unbeendeter 31); ein beendeter Versuch liegt dagegen vor, wenn der
Täter zu diesem Zeitpunkt in seiner subjektiven Vorstellung
den Erfolgseintritt für möglich hält (vgl.
BGHSt aaO; 31, 170, 171) oder sich - namentlich nach besonders
gefährlichen Gewaltanwendungen, die zu schweren Verletzungen
geführt haben - keine Vorstellungen über die Folgen
seines Handelns macht (vgl. BGHSt 40, 304 f.).
Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugen
können, dass der Angeklagte zu dem Zeitpunkt, als er die
Gewalthandlungen einstellte und der Nebenklägerin
erklärte, er werde ihr nichts mehr tun, davon ausgegangen ist,
sie werde ohnehin an den ihr zugefügten Verletzungen sterben.
Es hat dabei berücksichtigt, dass diese Verletzungen nicht so
schwerwiegend waren, dass sie unverzüglich oder innerhalb
kürzester Frist zum Tode führen mussten, sondern dass
die konkrete Gefahr des Todes erst durch den kontinuierlichen
Blutverlust eingetreten ist. In diesem Zusammenhang ist auch von
Bedeutung, dass das Landgericht nicht festzustellen vermochte, zu
welchem Zeitpunkt innerhalb des insgesamt etwa siebenstündigen
Aufenthalts in der Tatwohnung die einzelnen Verletzungshandlungen
vorgenommen wurden. Es hat, wenngleich an anderer Stelle des Urteils,
zu Gunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen, dass
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dieser seinem Opfer alle schweren Verletzungen bereits in der
Anfangsphase zugefügt hat [UA 92]. Hiervon ausgehend,
hätte der Angeklagte bereits zu einem Zeitpunkt von weiteren
Verletzungshandlungen abgesehen, zu dem die Auswirkungen seiner Tat
für ihn als medizinischem Laien möglicherweise noch
nicht erkennbar waren, weil der lebensgefährliche Blutverlust
erst allmählich eintrat. Schließlich kann zwar die
Tatsache, dass der Angeklagte sich beim Verlassen des Wohnhauses nicht
um das erneut zusammengebrochene Opfer kümmerte, auf eine
gewisse Gleichgültigkeit diesem gegenüber hindeuten;
den Schluss, er habe sich auch bei und nach Einstellung der
Tätlichkeiten aus Gleichgültigkeit keine
Vorstellungen über die - möglicherweise
tödlichen - Folgen seines vorangegangenen Tuns gemacht, musste
das Gericht entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin daraus
allerdings nicht ziehen.
Die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts beruht somit auf
einer rechtsfehlerfreien Würdigung des festgestellten
Sachverhalts durch das Tatgericht. Diese ist vom Revisionsgericht
hinzunehmen, auch wenn eine andere Würdigung möglich
gewesen wäre oder sogar näher gelegen hätte.
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II.
Revision des Angeklagten
Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Seine Revision hat daher
ebenfalls keinen Erfolg.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Sost-Scheible |