BGH,
Urt. v. 11.4.2000 - 1 StR 638/99
StGB § 222, BtMG 1981 § 30 Abs. 1 Nr. 3
Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Abgabe von Heroin und Tod
des Rauschgiftkonsumenten.
BGH, Urt. vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99 - LG Karlsruhe
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 638/99
vom
11. April 2000
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11.
April 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Granderath, Nack, Dr. Boetticher, Schluckebier,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof , Staatsanwalt als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Karlsruhe vom 21. Juli 1999 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten durch diese
Revision entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur
Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei
Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer Revision in einem der
Fälle eine Verurteilung auch wegen tateinheitlich begangener
fahrlässiger Tötung und rügt die Verletzung
sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen zum Fall II 2 der Urteilsgründe
erhielt die Angeklagte im August 1998 aus Kirgistan eine Lieferung von
wenigstens 10 g Heroin zum Zwecke der
Weiterveräußerung. Dabei handelte es sich um sehr
starkes ("weißes") Heroin, dessen Heroinhydrochloridanteil
bei mindestens 80 Prozent lag. Die Angeklagte wußte,
daß die Injektion dieses hochprozentigen Rauschgifts
lebensgefährlich war. Sie verkaufte aus dieser Menge an
verschiedene Personen, darunter am 7. September 1998 an den damals
20jährigen K. und am 15. September 1998 an den ebenfalls
20jährigen Ka. jeweils ein Gramm zum Preise von 150 DM. Sie
wies die Abnehmer darauf hin, daß es sich um sehr starkes
Material handele. Beim Konsumieren müsse man aufpassen und
"nicht spritzen, sondern nur sniefen".
K. konsumierte das von ihm erworbene Heroin wenig später auf
nicht bekannte Art und Weise; er erlitt dadurch am 9. September 1998
eine toxische Hirnschädigung. Im Krankenhaus entwickelte sich
ein Wachkoma mit spastischer Lähmung aller vier
Extremitäten. Im weiteren Verlauf wurde er in ein
Fachkrankenhaus für Hirnverletzte verlegt. Er kann sich nicht
mehr gezielt bewegen, sich nicht selbst an- und auskleiden, nicht ohne
Hilfe essen, nicht sprechen, nicht stehen und auch
Sinnzusammenhänge nur begrenzt erfassen.
Ka. konsumierte das Rauschgift noch am 15. September 1998 durch Sniefen
und verstarb aufgrund dessen. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht
drogenabhängig, hatte in zurückliegender Zeit
gelegentlich Drogen konsumiert, damit aber im Februar 1998
aufgehört und nun wieder Heroin genommen, weil er "mal wieder
Lust darauf hatte". Zum Zeitpunkt des Konsums war er weder krank noch
alkoholisiert. Den Hinweis der Angeklagten beim Erwerb, es handele sich
um sehr starkes Heroin, hatte er verstanden.
Zwei weitere Personen nahmen an dem von der Angeklagten erworbenen und
von ihnen konsumierten Heroin keinen Schaden. Der eine war im Umgang
mit Drogen erfahren und an harte Drogen gewöhnt. Der andere
nahm die Warnung der Angeklagten sehr ernst und konsumierte das Heroin
nur in kleinen Mengen. Ka. als Gelegenheitskonsument hatte die Warnung
der Angeklagten indessen nicht zum Anlaß genommen, das
erworbene Rauschgift in kleinere Portionen aufzuteilen.
2. Das Landgericht hat den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3
BtMG (leichtfertige Todesverursachung durch Abgabe von
Betäubungsmitteln) geprüft und leichtfertiges Handeln
der Angeklagten verneint. Ka. sei nicht drogenabhängig und
auch nicht erkennbar erkrankt gewesen. Die Angeklagte habe ihn, wie
schon zuvor andere Käufer, vor der starken Wirkung des von ihr
verkauften Heroins gewarnt. Aus diesem Grunde sei sie auch nicht der
fahrlässigen Tötung schuldig. Ka. sei weder durch
eine Intoxikationspsychose noch sonst in seiner Einsichts- oder
Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Die
Strafbarkeit der Angeklagten sei daher insoweit durch den
Rechtsgedanken der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des
Opfers ausgeschlossen.
II.
Diese Würdigung des Landgerichts hält rechtlicher
Nachprüfung stand.
1. Die Maßstäbe der strafrechtlichen
Verantwortlichkeit für den im Anschluß an die Abgabe
von Betäubungsmitteln eingetretenen Tod des
Rauschgiftkonsumenten sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
geklärt.
a) Der Bundesgerichtshof hat in mittlerweile ständiger
Rechtsprechung hervorgehoben, daß im Grundsatz die
eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte
Selbstgefährdung nicht den Tatbeständen eines
Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts
unterfällt, wenn das mit der Gefährdung vom Opfer
bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich
eine solche Gefährdung veranlaßt,
ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht
wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts
strafbar (so grundlegend BGHSt 32, 262; siehe auch BGHSt 37, 179; BGH
NStZ 1987, 406; 1992, 489). Das gilt auch für den Fall der
Abgabe von Heroin (so BGH NStZ 1985, 319 f.). Dabei hat der
Bundesgerichtshof darauf abgestellt, daß derjenige, der sich
an einem Akt der eigenverantwortlich gewollten und bewirkten
Selbstgefährdung beteiligt, an einem Geschehen teilnimmt,
welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder
Körperverletzung geht - kein
tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang
ist (BGHSt 32, 262, 265). Das Gesetz bedroht nur die Tötung
oder Verletzung eines anderen mit Strafe. Die Strafbarkeit des sich
Beteiligenden wegen Körperverletzung oder
Tötungsdelikts beginnt erst dort, wo dieser kraft
überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als
der sich selbst Gefährdende. Der Senat hat auf sich beruhen
lassen, wie es sich verhielte, wenn der sich selbst
Gefährdende außerstande war, die Risiken seines Tuns
sachgerecht abzuwägen oder der Verlockung zum Drogenkonsum
viel Widerstand entgegenzusetzen. Offengeblieben ist auch die Frage,
was gilt, wenn denjenigen, der sich an der Selbstgefährdung
eines eigenverantwortlich Handelnden aktiv beteiligt, Garantenpflichten
für dessen Leib oder Leben treffen (BGH aaO S. 266).
b) Anerkannt ist darüber hinaus in der Rechtsprechung,
daß das im Bereich der Körperverletzungs- und
Tötungsdelikte entwickelte Prinzip der Selbstverantwortung und
die Grundsätze zur bewußten
Selbstgefährdung bei der Auslegung und Anwendung der
Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes eine
Einschränkung erfahren (BGHSt 37, 179; zu weiteren
schutzzweckorientierten Einschränkungen des Grundsatzes
eigenverantwortlicher Selbstgefährdung vgl. BGHSt 39, 322, 324
f.). Denn strafrechtliche Verantwortlichkeit ist Verantwortlichkeit
unter einem bestimmten rechtlichen Aspekt nach den dafür
geltenden normativen Voraussetzungen (BGHSt 32, 262, 266). Gerade dem -
vom Landgericht geprüften - Tatbestand des § 30 Abs.
1 Nr. 3 BtMG, der den Tod eines Menschen infolge der unerlaubten Abgabe
von Betäubungsmitteln voraussetzt, ist damit nach dem
erkennbaren Willen des Gesetzgebers typischerweise eine
selbstgefährdende Handlung des später zu Tode
Gekommenen immanent. Der Regelungsinhalt des § 30 Abs. 1 Nr. 3
BtMG ist dadurch geprägt, daß der Gesichtspunkt der
Selbstgefährdung nach der positiv-rechtlichen Entscheidung des
Gesetzgebers die objektive Zurechnung der Todesfolge nicht hindern soll
(so schon BGHSt 37, 179, 182/183). Allerdings erweist sich die auf der
subjektiven Tatseite zu stellende Anforderung, daß dem
Täter Leichtfertigkeit zur Last fallen muß, als
gewisse Einschränkung des Anwendungsbereichs.
2. Der Senat hält an diesen Maßstäben fest
(vgl. aber Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 11, 21).
Sie gelten auch für den vorliegenden Fall. Auf dieser
Grundlage begegnet die Ablehnung einer der Angeklagten zuzurechnenden
fahrlässigen Tötung zum Nachteil Ka. keinen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Den festgestellten Gesamtumständen ist zu entnehmen,
daß der zu Tode gekommene Ka. nicht etwa außer
Stande war, die Risiken seines Tuns sachgerecht abzuwägen oder
der Verlockung zum Drogenkonsum nennenswerten Widerstand
entgegenzusetzen. Vielmehr ergeben die Urteilsgründe,
daß er eigenverantwortlich und aus freien Stücken
das Heroin in selbstgefährdender Weise konsumiert hat. Ka. war
weder alkoholisiert noch in irgendeiner Weise erkrankt, als er das
Heroin sniefte. Im Umgang mit Drogen, auch Heroin, war er nicht
unerfahren, weil er in früherer Zeit Gelegenheitskonsument
gewesen war. Zum Vorfallszeitpunkt war er nicht
drogenabhängig. Auch hatte er die Warnung der Angeklagten
verstanden. Wenn das Landgericht bei dieser Sachlage von einer
freiverantwortlich getroffenen Entschließung des Opfers zur
Selbstgefährdung ausgeht, so läßt das einen
Rechtsmangel nicht erkennen.
Eine täterschaftliche Verantwortung der Angeklagten
für den Tod des Ka. ergibt sich schließlich auch
nicht unter dem Gesichtspunkt eines überlegenen Sachwissens,
das grundsätzlich die Zurechnung des vom Opfer selbst
bewirkten Todeseintritts zu rechtfertigen vermag (vgl. BGHSt 32, 262,
265; BGH NStZ 1986, 266; siehe auch BGHSt 36, 1, 17 zum Sexualverkehr
eines HIV-Infizierten; vgl. in der Literatur Jähnke in LK 11.
Aufl. § 222 Rdn. 21; Wessels/Beulke, Strafrecht AT 28. Aufl.
Rdn. 187; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT Teil 1 23. Aufl. Rdn. 191).
Wann ein solches Sachwissen als überlegen zu erachten ist,
hängt von den Umständen des Falles ab und unterliegt
in erster Linie der Würdigung des Tatrichters (vgl. in anderem
Zusammenhang BGHSt 7, 112, 115). Dessen Feststellungen zum Wissensstand
der Angeklagten und des Opfers erweisen sich nicht als
lückenhaft; seine Bewertung ist tragfähig und
verkennt den rechtlichen Zurechnungsmaßstab nicht.
Ka. kannte den Warnhinweis der Angeklagten, es handele sich um sehr
starkes Heroin, man müsse beim Konsumieren aufpassen. Ihm war
- neben dem ebenfalls als allgemeinbekannt vorauszusetzenden
grundsätzlichen Risiko bei Heroinkonsum - überdies
zum Zeitpunkt seines Rauschgiftgenusses bekannt, daß zuvor K.
infolge Heroinkonsums ins Koma gefallen war und im Krankenhaus lag.
Wiewohl ihm die Kenntnis fehlte, daß K. sein Heroin aus
derselben Quelle bezogen hatte wie er, so war dieser Umstand doch ganz
allgemein dazu angetan, warnende Wirkung zu entfalten und ihm auch die
mahnenden Worte der Angeklagten ins Bewußtsein zu rufen.
Die Beschwerdeführerin vermißt weitergehende
Feststellungen dazu, ob auch der Angeklagten der Umstand bekannt war,
daß K. ins Koma gefallen war. Auf der Grundlage der
getroffenen Feststellungen konnte es darauf indessen ersichtlich nicht
mehr entscheidend ankommen, zumal die Strafkammer ausdrücklich
hervorgehoben hat, K. habe das Heroin auf nicht bekannte Art und Weise
konsumiert und Ka. sei das Schicksal des K. bekannt gewesen. Unter
diesen Rahmenbedingungen hätte ein etwaiger weiterer Hinweis
der Angeklagten an Ka. , ein anderer Abnehmer des Heroins der selben
Qualität sei bereits ins Koma gefallen, die im
übrigen bereits ausgesprochene Warnung allenfalls
unterstreichen können, die Aussagekraft der Warnung aber
inhaltlich nicht wesentlich zu steigern vermocht; denn über
Dosierung und Umstände des Konsums durch K. war nichts
feststellbar. Ein etwa weitergehendes Sachwissen der Angeklagten
wäre unter den gegebenen Umständen kein insoweit
überlegenes Wissen gewesen. Die Erfassung des Risikos durch
den im Umgang mit Drogen nicht unerfahrenen Ka. hing
maßgeblich vom Wissen um die Stärke des Stoffes ab.
Darauf aber hatte die Angeklagte hingewiesen und so ihr
überlegenes Sachwissen in dem wesentlichen Punkt an das Opfer
vermittelt. Danach erschöpfte sich der Beitrag der Angeklagten
unter dem Aspekt des § 222 StGB in der Förderung
eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Opfers. Die
Bewertung des Landgerichts ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen.
Im übrigen hat das Landgericht auch eine leichtfertige
Verursachung des Todes im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG
rechtsfehlerfrei abgelehnt. Dies beanstandet auch die
Beschwerdeführerin nicht.
3. Das angefochtene Urteil läßt auch sonst weder
einen Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten noch einen solchen zu
ihrem Nachteil (vgl. § 301 StPO) erkennen. Das Landgericht
durfte die schweren Folgen der Tat im
Fall II 2 der Urteilsgründe, die Hirnschädigung bei
K. und den Tod von
Ka. , bei der Strafzumessung zu Lasten der Angeklagten
berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1992, 489).
Schäfer Granderath Nack
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