BGH,
Urt. v. 11.4.2002 - 4 StR 2/02
4 StR 2/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
vom
11. April 2002
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 11.
April 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Dr.
Kuckein, Athing, Richterinnen am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic,
Sost-Scheible als beisitzende Richter, Oberstaatsanwältin in
der Verhandlung, Bundesanwalt bei der Verkündung als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt:
I.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Arnsberg vom 12. Juli 2001 mit den Feststellungen
aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei
Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt, ihm die
Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die
Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von neun Monaten
keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wendet sich
die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie eine
Verurteilung auch wegen erpresserischen Menschenraubs erstrebt. Sie
rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das vom
Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat bereits mit der
Sachrüge Erfolg, so daß es eines Eingehens auf die
Verfahrensrügen nicht bedarf.
1. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte in einem
Zigarrengeschäft eine "Feuerzeugpistole", fuhr mit seinem Pkw
nach B. -B. und faßte den Entschluß, die dortige
Sparkasse zu überfallen. Bei deren Betreten rief er:
"Überfall, schnell Geld her!" und richtete hierbei die Pistole
zwischen den Kassierer A. und die Bankkundin K. , die sich ebenfalls im
Schalterraum befand. Der Angeklagte warf eine Tüte auf den
Schaltertisch und befahl: "Schnell, Geld rein!". Daraufhin schob der
Kassierer das im Kassenbereich befindliche Geld durch die
"Durchreiche", das Frau K. sodann in die Tüte packte.
Währenddessen hielt der Angeklagte die Feuerzeugpistole "etwa
in der Mitte zwischen dem Zeugen A. und der Zeugin K. " (UA 6) und
schwenkte sie zwischen beiden hin und her (UA 10). Er nahm sodann die
Tüte mit dem Geld (31.890 DM) und flüchtete.
Das Landgericht hat das Tatgeschehen lediglich als schwere
räuberische Erpressung (§§ 253, 255, 249
Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB) gewertet; wegen erpresserischen
Menschenraubs habe sich der Angeklagte nicht zusätzlich
schuldig gemacht, weil er sich der Bankkundin K. nicht im Sinne des
§ 239 a StGB "bemächtigt" habe.
2. Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung
nicht stand, weil die Feststellungen lückenhaft sind.
Nach ständiger Rechtsprechung macht sich der Täter
eines Banküberfalls - tateinheitlich zum Erpressungsdelikt -
auch wegen erpresserischen Menschenraubs schuldig, wenn er die durch
den Einsatz einer (Schein-)Waffe erlangte physische Herrschaft
über einen Bankkunden dazu ausnutzt, den Kassierer zu
veranlassen, ihm aus Angst um das Leben des Bankkunden die erstrebte
Beute zu übergeben (vgl. nur BGHSt 25, 386; BGHR StGB
§ 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 1, 6, 7, 8). Danach
kommt es für die Erfüllung des Tatbestands des
§ 239 a Abs. 1 StGB darauf an, ob der Angeklagte die
Bankkundin K. an einer freien Bestimmung über sich selbst
gehindert hat und er in der Absicht handelte, seine mit erpresserischen
Mitteln begehrte unrechtmäßige Bereicherung durch
die Sorge des Kassierers um das Wohl der bedrohten Kundin zu erreichen
(vgl. BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 3, 5;
BGH NStZ 1986, 166; 2002, 31, 32).
Zureichende Feststellungen des Landgerichts hierzu fehlen; sie
erscheinen jedoch noch möglich: Aus dem Urteil ergibt sich,
daß der Kassenbereich vom übrigen Schalterraum
getrennt war, weil der Kassierer das Geld durch eine "Durchreiche"
schob (UA 6). Da es Frau K. dort entgegennahm und in die vom
Angeklagten mitgebrachte Tüte packte, drängt es sich
auf, daß sie direkt beim Angeklagten gestanden hat.
Dafür sprechen auch die Erörterungen des Landgerichts
zu der Frage, ob der Angeklagte der Kundin seine "Waffe" an den Kopf
gehalten hat. Wenn Frau K. somit durch die scheinbar scharfe
Schußwaffe des Angeklagten unmittelbar bedroht war, so liegt
der Tatbestand des § 239 a Abs. 1 StGB - objektiv und
subjektiv - nahe (vgl. BGHR StGB § 239 a Abs. 1
Sichbemächtigen 1, 3). Die für § 239 a Abs.
1 StGB erforderliche und vom Landgericht verneinte stabile
Bemächtigungslage ist bei einem
"Dreipersonenverhältnis" - wie hier -
regelmäßig gegeben (vgl. BGHSt 40, 350, 356; BGH
NStZ 1986, 166; 2002, 31, 32; NStZ-RR 2000, 367; StV 1999, 646 mit
krit. Anm. Renzikowski).
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat
hebt die getroffenen Feststellungen auf, um Widersprüche durch
ergänzende Feststellungen zu vermeiden und dem neuen
Tatrichter die Möglichkeit zu geben, eine Entscheidung ohne
Bindung an rechtskräftige Feststellungen zu treffen. Wegen der
Bedenken gegen die Beweiswürdigung im Hinblick auf die Zeugin
K. (UA 7 ff.) verweist der Senat auf die Antragsschrift des
Generalbundesanwalts vom 3. Januar 2002.
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Sost-Scheible |