BGH,
Urt. v. 11.4.2002 - 4 StR 585/01
4 StR 585/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
vom
11. April 2002
in der Strafsache gegen
wegen Verdachts des Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 11.
April 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Dr.
Kuckein, Athing, Richterinnen am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic,
Sost-Scheible als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, die Angeklagte in Person, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Rechtsanwalt als Nebenkläger-Vertreter,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1.
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers
wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 18. Mai 2001 mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf, ihren schlafenden
Ehemann B. P. heimtückisch getötet zu haben,
freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
wenden sich mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts
gestützten Revisionen gegen diesen Freispruch. Die
Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Nach den - insoweit rechtsfehlerfrei - getroffenen Feststellungen
tötete die Angeklagte in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.30
Uhr des folgenden Morgens im Schlafzimmer der gemeinsamen Wohnung ihren
Ehemann durch zwei Schüsse aus einer Kleinkaliberpistole.
Jeder der beiden Schüsse, die das Opfer linksseitig vorne in
den Oberkörper und in die rechte Hinterkopfseite getroffen
hatten, war für sich genommen tödlich. Die Waffe
hatte sich die Angeklagte tags zuvor für einige Tage in einem
Schützenverein ausgeliehen. Zwei zugehörige Patronen
hatte sie dort heimlich an sich genommen. Die Leiche, sowie die mit
Blut verschmierte Bettwäsche und eine Reisetasche verbrannte
und vergrub die Angeklagte zwei Tage später in einem
Waldstück.
2. Das Landgericht hat nicht auszuschließen vermocht,
daß die Angeklagte, die bestreitet, ihren Ehemann
getötet zu haben, in Notwehr gehandelt hat. Es hat sie deshalb
aus Rechtsgründen freigesprochen.
Die Strafkammer geht davon aus, B. P. , der seit Jahren immer wieder
aus nichtigen Anlässen gegen die Angeklagte
gewalttätig geworden sei, habe diese auch in der Tatnacht
angegriffen, um sie zu schlagen. Der Angeklagten sei es gelungen, die
Tatwaffe, die sie in der Wohnung versteckt gehalten habe, zu ergreifen.
Sie habe ihrem Ehemann zunächst damit gedroht. Als dieser sich
ihr trotzdem bedrohlich genähert und versucht habe, ihr die
Waffe wegzunehmen und sie zu "verprügeln", habe sie aus "Angst
und Erregung" zweimal kurz hintereinander geschossen. Der erste
Schuß habe das Opfer vorne in den Oberkörper
getroffen. Als B. P. , "sich nach links unten drehend" (UA 10), auf sie
gestürzt sei und versucht habe, sie an den Beinen oder am
Rumpf zu packen, habe sie den zweiten Schuß abgegeben, der
das Opfer in den Hinterkopf getroffen habe.
3. Die Erwägungen, auf die die Strafkammer das nicht
ausschließbare Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes der
Notwehr stützt, halten sachlich-rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
a) Zwar darf der Angeklagten kein Nachteil daraus erwachsen,
daß sie die Tat bestreitet und deshalb nicht in der Lage ist,
ohne sich in Widerspruch zu ihrer Einlassung zu setzen, entlastende
Umstände zum Vorliegen einer Notwehrsituation vorzutragen. In
einem solchen Fall ist von der für sie günstigsten
Möglichkeit auszugehen, die nach den gesamten
Umständen in Betracht kommt (vgl. BGH StV 1990, 9). Dabei sind
jedoch nicht alle nur denkbaren Gesichtspunkte, zu denen keine
Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten der
Angeklagten zu berücksichtigen. Vielmehr berechtigen nur
vernünftige Zweifel, die reale Anknüpfungspunkte
haben, den Tatrichter zu Unterstellungen zu Gunsten der Angeklagten
(vgl. BGH aaO; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung
18, 22). Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen
lassen, daß die Beweiswürdigung auf einer
tragfähigen Grundlage beruht und die vom Gericht gezogene
Schlußfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als
bloße Vermutung erweist (BGHR StPO § 261 Vermutung
11).
Diesen Anforderungen an die Beweiswürdigung genügt
das angefochtene Urteil nicht.
Einziger Anhaltspunkt dafür, daß die Angeklagte in
Notwehr gehandelt haben könnte, ist der Umstand, daß
B. P. seine Ehefrau nicht nur seit Jahren betrog, sondern
häufig auch schlug. Die Annahme, daß ein solcher
körperlicher Übergriff durch B. P. auch in der
Tatnacht stattgefunden und die Angeklagte zur Notwehr berechtigt hat,
stützt die Strafkammer auf zwei Umstände, denen sie
"erhebliches Gewicht" beimißt (UA 34): Gegen eine Tatplanung
und für eine Notwehrsituation spreche zum einen der Zeitpunkt
der Tatausführung. Wegen eines auf den Folgetag der Tat
kurzfristig angekündigten Besuchs eines Verwandten ihres
Ehemannes habe die Angeklagte mit einer alsbaldigen Nachfrage nach
dessen Verbleib rechnen müssen. Wäre die Tat geplant
gewesen, hätte es nahegelegen, diese zu verschieben, was
möglich gewesen wäre, da die Angeklagte sich die
Waffe erneut hätte verschaffen können. Zum anderen
spreche gegen eine geplante Tötung, daß die
Angeklagte das Fahrzeug, mit welchem sie die Leiche abtransportiert
habe, nicht bereits vor der Tat, sondern erst danach ausgeliehen habe.
Weder der Frage des Tatzeitpunkts, noch dem Umstand, daß die
Angeklagte erst nach der Tat das Fahrzeug zum Abtransport der Leiche
organisierte, kann jedoch der von der Strafkammer zugrundegelegte
Beweiswert zugemessen werden.
aa) Das Landgericht legt nicht dar, weshalb es sich für die
Angeklagte für den Fall einer Tatplanung ihres Ehemannes
aufgedrängt haben könnte, sich schon im Rahmen der
Tatvorbereitung um ein Fahrzeug für den Abtransport der Leiche
zu bemühen. Vielmehr spricht die Feststellung, daß
sich der Getötete häufig, auch über Nacht,
außer Haus aufhielt, ohne die Angeklagte hierüber
zuvor zu informieren (UA 7) - dies war auch in der ersten Nacht nach
Beschaffung der Tatwaffe der Fall (UA 8) - dafür,
daß die Angeklagte selbst bei Planung der Tat wegen des
für sie nicht vorhersehbaren Tatzeitpunkts jedenfalls keine
bis ins einzelne gehende Vorkehrungen für die
Spurenbeseitigung treffen konnte. Mit diesem Umstand setzt sich die
Strafkammer nicht auseinander.
bb) Mit ihrer Annahme, der Zeitpunkt der Ausführung der Tat
spreche wegen des erhöhten Entdeckungsrisikos gegen eine
geplante Tat, trägt die Strafkammer den übrigen
Urteilsfeststellungen nicht hinreichend Rechnung. Danach gelang es der
Angeklagten nämlich am Morgen nach der Tötung ihres
Ehemannes, ihrem Schwager, ohne bei diesem Mißtrauen zu
erwecken, eine plausible Erklärung für die
Abwesenheit ihres Ehemannes zu geben (UA 10). Auch der Tatzeitpunkt ist
deshalb kein geeignetes Argument, eine Notwehrlage "naheliegender
erscheinen" zu lassen als eine auf einem spontanen Entschluß
der Angeklagten beruhende, nicht gerechtfertigte Tötung ihres
Ehemannes.
b) Dagegen hat das Landgericht eine Vielzahl von Umständen
festgestellt, die dafür sprechen, daß die Angeklagte
nicht gehandelt hat, um einen gegenwärtigen Angriff von sich
abzuwenden, sondern um sich ihres Ehemannes, dessen
Demütigungen und Gewalttätigkeiten sie nicht
länger hinnehmen wollte, auf Dauer zu entledigen.
aa) Soweit das Landgericht jedes dieser Indizien einzeln in seiner
Beweisbedeutung untersucht hat und dabei zu dem Ergebnis gelangt ist,
daß auch eine die Angeklagte nicht belastende Deutung
möglich erscheint, läßt diese
Vorgehensweise besorgen, daß die Strafkammer den
Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft schon auf einzelne Indiztatsachen
angewandt und sich so den Blick dafür verstellt hat,
daß mehrdeutige Indizien mit der ihnen zukommenden
Ungewißheit in die erforderliche Gesamtwürdigung
einzustellen sind (vgl. BGHR StPO § 261
Beweiswürdigung 24). So gelangt das sachverständig
beratene Landgericht beispielsweise in rechtlich nicht zu
beanstandender Weise zu dem Ergebnis, die Reihenfolge der
Schußabgabe könne nicht mehr festgestellt werden (UA
28). Es durfte dieses "non liquet" jedoch nicht, wie geschehen, zum
Anlaß nehmen, außerhalb der gebotenen
Gesamtabwägung zu Gunsten der Angeklagten davon auszugehen,
daß das Tatopfer zuerst in die linke vordere
Oberkörperhälfte getroffen wurde und der
Schuß in den Hinterkopf erst erfolgte, als B. P. in Richtung
der Angeklagten stürzte, sie zu packen versuchte und sich
dabei nach links unten drehte. Es läßt sich nicht
ausschließen, daß die isolierte Bewertung dieser
und weiterer Indiztatsachen sich im Rahmen der Gesamtabwägung
rechtsfehlerhaft zum Vorteil der Angeklagten ausgewirkt hat.
bb) Hinzu kommt, daß die Strafkammer einem vom Zeugen R.
geschilderten Gespräch mit der Angeklagten (UA 31 f.) in
rechtlich zu beanstandender Weise keine entscheidende Aussagekraft
zugebilligt hat. Diese Schlußfolgerung beruht auf einer
unzureichenden Beweiswürdigung. Der Zeuge hat angegeben, mit
der Angeklagten ca. zwei bis drei Monate vor der Tat ein
Gespräch über "genau die Art der Tötung und
Leichenbeseitigung" geführt zu haben, wie sie beim Tatopfer
"später angewandt" worden sei. Die Strafkammer hat zwar nicht
ausgeschlossen, daß es ein Gespräch dieses Inhalts
gab, hat aber nicht festzustellen vermocht, daß die
Angeklagte dieses Gespräch mit dem ihr "in keiner Weise
nahestehenden" Mitschüler suchte, um sich bei diesem gezielt
nach Möglichkeiten, einen Menschen zu töten und die
Spuren einer solchen Tat zu beseitigen, zu erkundigen. Das Landgericht
ist deshalb der Auffassung, daß dieses Gespräch mit
einer Tatplanung ebenso vereinbar sei, wie mit der
Möglichkeit, daß sich die Angeklagte erst nach der
gerechtfertigten Tötung ihres Ehemannes dieses
Gesprächs erinnerte und ihre Erkenntnisse daraus für
die Beseitigung der Leiche nutzte. Hiermit nicht in Einklang zu bringen
ist die Aussage des Zeugen bei der Polizei, er sei von der Angeklagten
angesprochen worden. Die Strafkammer berücksichtigt bei ihrer
Würdigung auch nicht, daß das Gespräch mit
dem Zeugen R. nicht nur die Spurenbeseitigung, sondern auch die "Art
der Tötung" eines Menschen betraf. Ihre
Schlußfolgerung, die Angeklagte habe ihre Erkenntnisse aus
dem Gespräch nur für die Beseitigung der Leiche
genutzt, schöpft den Beweiswert der Zeugenaussage daher nicht
vollständig aus. Um die dem Gespräch beigemessene
Bedeutung nachvollziehen zu können, hätte es deshalb
der näheren Darlegung der Aussage des Zeugen zum
Zustandekommen, Verlauf und Inhalt seiner Unterhaltung mit der
Angeklagten bedurft.
cc) Daß keiner der Wohnungsnachbarn die beiden
Schüsse akustisch wahrgenommen hat, bewertet die Strafkammer
ebenfalls als "mehrdeutiges" Indiz (UA 27). Die fehlende Wahrnehmung
der Schüsse läßt sich nach Auffassung des
Landgerichts sowohl auf eine mögliche
Geräuschabdeckung bei Abgabe der Schüsse unter
Zuhilfenahme des später von der Angeklagten verbrannten
Kopfkissens als auch auf den alltäglich herrschenden
Lärm in der Hochhaussiedlung, in der sich die eheliche Wohnung
der Angeklagten befand, zurückführen. Auch hier weist
die Beweiswürdigung Lücken auf. Die Strafkammer setzt
sich - trotz erfolgter Tatrekonstruktion - weder mit der Tatsache
auseinander, daß in den späten Abend- bzw.
Nachtstunden auch in einem Hochhaus die Intensität von
Alltagsgeräuschen nachläßt, noch damit,
daß die Schüsse nach den getroffenen Feststellungen
nicht unmittelbar nacheinander abgegeben wurden, sondern ein kurzer
zeitlicher Abstand zwischen den Schüssen liegen
mußte, was bei fehlender Schalldämpfung
zusätzlich zu einer besseren Wahrnehmbarkeit führen
konnte.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
4. Mit der Urteilsaufhebung ist die sofortige Beschwerde der
Angeklagten gegen die Kostenentscheidung und die Entscheidung
über die Haftentschädigung im angefochtenen Urteil
gegenstandslos.
Tepperwien Kuckein Athing
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovic ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert.
Tepperwien Sost-Scheible |