BGH,
Urt. v. 11.12.2001 - 1 StR 408/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 408/01
vom
11. Dezember 2001
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 11.
Dezember 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Schluckebier, Dr. Kolz,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Karlsruhe vom 14. Mai 2001 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die Sachrüge und eine
Verfahrensrüge gestützte Revision bleibt erfolglos.
1. Folgendes ist festgestellt:
Der Angeklagte hielt sich häufig im Obdachlosenmilieu auf, wo
er als spendabel geschätzt wurde. Auch am 5. September 2000
hatte er mit G. V. , E. D. und anderen Bekannten den ganzen Tag im
Freien gezecht, wobei er die Getränke bezahlt hatte. Am
Spätnachmittag forderte er E. D. mit den Worten: "Du Schlampe
gehst jetzt einkaufen!" auf, weitere Getränke zu besorgen und
schwenkte dabei vor ihrem Gesicht ein "Bowie-Messer"
(Klingenlänge 15,5 cm). V. trat an ihn heran, und
erklärte ihm, daß er - der Angeklagte - seine - V. s
- Verlobte nicht als Schlampe zu bezeichnen habe und gab ihm dabei
einen leichten Schlag ins Gesicht. Daraufhin beschwichtigte der
Angeklagte, es sei schon alles in Ordnung. Für kurze Zeit
kehrte darauf Ruhe ein; E. D. entfernte sich, während V. beim
Angeklagten stehen blieb.
Plötzlich und unerwartet stieß der Angeklagte das
Messer, das er immer noch in der Hand gehalten hatte, V. in
horizontaler Stichführung mit einem kräftigen und
gezielten Stich in die linke Brust. V. brach sofort zusammen. Mit den
Worten: "Ich kann noch mehr!" stach der Angeklagte noch zweimal auf den
zusammenbrechenden V. ein und fügte ihm zwei weitere
(oberflächliche) Verletzungen im Bereich des Schulterblatts
und des Oberarms zu. Als die völlig überraschte E. D.
laut um Hilfe rief, trat der Angeklagte beiseite. Kurz darauf wurde er
noch am Tatort festgenommen. Bei seiner Festnahme erklärte er
gegenüber den Polizeibeamten, mehrfach auf V. eingestochen zu
haben; wörtlich sagte er unter anderem: "Wenn er verreckt, hat
er Pech gehabt. .... Die Alte ist schuld, der G. kann nichts
dafür."
V., der eine Herzmuskelverletzung im Bereich des rechten Ventrikels
erlitten hatte, konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden.
2. Der Generalbundesanwalt und die Revision meinen im wesentlichen
übereinstimmend, die Strafkammer habe den
Tötungsvorsatz allein aus dem äußeren
Tatgeschehen geschlossen und damit nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
Zwar liege es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl.
hierzu zusammenfassend nur Eser in Schönke/Schröder
StGB, 26. Aufl. § 212 Rdn. 5 m.w.N.) bei
äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe,
daß der Täter mit der Möglichkeit des Todes
seines Opfers rechne und diesen Erfolg auch billigend in Kauf nehme,
wenn er sein Verhalten gleichwohl fortsetze. Im Hinblick auf die hohe
Hemmschwelle gegenüber einer Tötung könne es
aber im Einzelfall auch so sein, daß der Täter die
Gefahr des Todes entweder nicht erkenne, oder zumindest ernsthaft -
nicht nur vage - darauf vertraue, ein solcher Erfolg werde nicht
eintreten. Die für die Bejahung eines
Tötungsvorsatzes erforderliche Gesamtwürdigung aller
Umstände sei nicht vorgenommen, insbesondere habe sich die
Strafkammer nicht mit dem Fehlen eines nachvollziehbaren Motivs
für eine so schwer wiegende Straftat auseinandergesetzt, und
auch nicht geprüft, ob der Angeklagte trotz seiner erheblichen
Alkoholisierung (die zur Bejahung der Voraussetzungen von § 21
StGB führte) erkennen konnte, daß er einen
möglicherweise tödlichen Stich setzte.
3. Der Senat sieht keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
Angesichts der Feststellungen nicht nur zum Tat-, sondern auch zum
Nachtatgeschehen (zu deren Bedeutung vgl. Eser aaO) waren weitere
Ausführungen zu Erkenntnisfähigkeit, Hemmschwelle und
dem voluntativen Element des Vorsatzes jedenfalls nicht zwingend
geboten.
Es mag dahinstehen, unter welchen konkreten Umständen trotz
eines aus nächster Nähe geführten
kräftigen Messerstichs in die Herzregion von einem mehr als
allenfalls vagen Vertrauen auf das Ausbleiben eines tödlichen
Erfolgs ausgegangen werden kann oder sonst Zweifel am
Tötungsvorsatz bestehen können (vgl. BGH NStZ 1999,
507; vgl. zusammenfassend auch Altvater, Rechtsprechung des BGH zu den
Tötungsdelikten, NStZ 2001, 19, NStZ 2000, 18, 19 ). Hier hat
der Angeklagte mit einem Messerstich in den Oberkörper nicht
nur eine generell äußerst gefährliche
Handlung vorgenommen, sondern er hat auf die Herzregion gezielt, also
willentlich gerade dorthin gestochen. Dies spricht für einen
zumindest bedingten Tötungsvorsatz (vgl. BGHSt 39, 168, 181),
dem der Umstand, daß er auf den zusammenbrechenden V. nach
dem ersten Stich noch weiter eingestochen hat, nicht entgegensteht.
Die schon genannte Äußerung, es sei Pech
für V. , wenn er "verrecke", spricht in ihrem Zusammenhang
auch nicht etwa dafür, daß der Angeklagte den Tod V.
s als unglückliche und von ihm eigentlich ungewollte Folge
seines Verhaltens angesehen hätte. Vielmehr zeigt seine
Äußerung, daß V. nichts "dafür"
könne und über die "Schuld" der "Alten",
daß das "Pech" V. s darin liege, daß er wegen des
Stichs möglicherweise sterben müsse, obwohl er selbst
aus der Sicht des Angeklagten keinen Anlaß zu dem Stich
gegeben hatte. Unter diesen Umständen waren auch
Erwägungen dazu, daß sich aus dem
Verhältnis zwischen V. und dem Angeklagten kein Grund
für ein Tötungsdelikt erkennen
läßt, nicht geboten.
4. Hinsichtlich des Vorsatzes macht die Revision darüber
hinaus mit einer Aufklärungsrüge (§ 244 Abs.
2 StPO) geltend, der gehörte Sachverständige sei
nicht zur Auswirkung des Alkohols auf die Willensbildung befragt
worden. Wäre dies geschehen, wäre ein Schuldspruch
allein wegen gefährlicher Körperverletzung zumindest
nicht auszuschließen gewesen. Auch unbeschadet der Fragen,
unter welchen Voraussetzungen eine Aufklärungsrüge
auf die Nichtausschöpfung eines Beweismittels
gestützt werden kann (vgl. hierzu Kuckein in KK 4. Aufl.
§ 344 Rdn. 53 m.w.N.) und ob das nach Auffassung der Revision
von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwartende Beweisergebnis
hinreichend bestimmt mitgeteilt ist (vgl. hierzu Kuckein aaO Rdn. 51
m.w.N.), geht diese Rüge ins Leere. Angesichts der gesamten
Feststellungen zu dem Verhalten des Angeklagten brauchte sich die
Strafkammer zu weiteren Beweiserhebungen über die Auswirkungen
des Alkohols auf den Vorsatz des (zwar stark alkoholisierten, aber auch
in hohem Maße alkoholgewohnten) Angeklagten nicht
gedrängt zu sehen.
5. Auch im übrigen hat die auf Grund der
Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des
Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Ergänzend ist lediglich zu bemerken, daß die von der
Revision vermißte nähere Erörterung einer
Unterbringung gemäß § 64 StGB nicht geboten
war. Der Angeklagte neigt zwar zu Alkoholmißbrauch - von dem
er sich, anders als weitgehend von seinem früheren
Drogenkonsum - auch nicht gelöst hat und er ist
häufig vorbestraft. Seit 1996 wurde er jedoch nur mit
Geldstrafen belegt, neben Drogendelikten vor allem wegen
Beförderungserschleichung und Diebstahl. Ein Zusammenhang mit
seiner Neigung zum Alkoholmißbrauch ist hier jedoch ebenso
wenig zu erkennen, wie bei seinen früheren, in den
Urteilsgründen näher geschilderten, inzwischen mehr
als zehn Jahre zurückliegenden schwerwiegenderen Straftaten.
§ 64 StGB eröffnet nicht allgemein die Unterbringung
behandlungsbedürftiger Täter; die Maßnahme
ist vielmehr abhängig von der künftigen Entwicklung
des Angeklagten als Straftäter (BGH StV 1996, 538 m.w.N.).
Anhaltspunkte für die Gefahr weiterer hangbedingter
erheblicher Straftaten sind jedoch weder aus den
Urteilsgründen noch sonst erkennbar.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Kolz |