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BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - 5 StR 281/00



Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 11.1.2001 - 5 StR 281/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 281/00
URTEIL
vom 11. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Hauptverhandlung vom
11. Januar 2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt G
als Verteidiger,
Rechtsanwalt R und Rechtsanwalt S
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- 3 -
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 20. September
1999 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der
Staatsanwaltschaft und die dadurch dem Angeklagten
Sch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Nebenkläger haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge unter Einbeziehung einer früheren, gegen ihn in anderer Sache
verhängten Geldstrafe zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten sich der Angeklagte
und sieben weitere - inzwischen rechtskräftig verurteilte - Mitangeklagte
am 4. Juli 1998 nach der Niederlage der deutschen Fußballnationalmannschaft
gegen Kroatien getroffen. Sie beschlossen, ihren Ärger über den
Ausgang des Spieles durch eine “Prügelei” mit Ausländern abzureagieren.
- 4 -
Bei der anschließenden Autofahrt bemerkten sie fünf Portugiesen, die auf
dem Weg zu ihrer Unterkunft waren. Der Angeklagte und die früheren Mitangeklagten
hielten an und stiegen aus. Mit Rufen wie: “Die schnappen wir
uns”, stürzten sie sich auf die Ausländer und schlugen auf sie ein. Der Angeklagte
Sch riß dabei den später verstorbenen L zu Boden
und trat mit seinen Springerstiefeln drei- bis fünfmal schnell und kräftig gegen
den Oberkörper sowie den Kopfbereich des am Boden liegenden Opfers.
Dieses versuchte, seinen Kopf mit den Armen zu schützen, und schrie
mehrmals auf. Schließlich ließ der Angeklagte von dem Geschädigten, der
sich noch bewegte, ab und flüchtete zusammen mit den anderen Tatbeteiligten.
L zog sich vermutlich in Folge des Sturzes eine Fraktur
des rechten Unterarmes zu; durch die Tritte kam es im Gesichtsbereich zu
Schwellungen und Platzwunden. Einen Schädelbruch erlitt er nicht; er war
orientierungslos, aber nicht bewußtlos. Er wurde bis zum 20. Juli 1998 in
Deutschland stationär behandelt, seine Wunden waren zu diesem Zeitpunkt
komplikationslos verheilt; psychisch wirkte er zunächst unauffällig. Ende Juli
1998 kehrte er nach Portugal zurück, wo er als Folge des Überfalls unter
starken Depressionen litt. Er verließ das Haus nicht mehr und äußerte gegenüber
seiner Ehefrau häufiger die Angst, die Angreifer könnten wiederkommen.
Er litt unter Schlaf- und Eßstörungen und mußte zeitweise künstlich
ernährt werden. Auch hegte er Selbsttötungsabsichten. Mehrfache Einweisungen
in ein psychiatrisches Krankenhaus brachten keine dauerhafte
Besserung. Nach der Entlassung wurde er aufgrund seiner psychischen
Verfassung zunehmend bewegungsunfähig und im Dezember 1998 bettlägerig.
Dies führte schließlich zu einer Lungenentzündung, an der er am
29. Dezember 1998 verstarb.
- 5 -
II.
Staatsanwaltschaft und Nebenkläger fechten mit den auf die Sachrüge
gestützten Revisionen den Schuldspruch an; sie erstreben eine Verurteilung
des Angeklagten wegen Totschlags oder Mordes. Die Staatsanwaltschaft,
deren Revision vom Generalbundesanwalt vertreten wird, beanstandet
darüber hinaus die Strafe als zu milde.
Die eigene Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluß
gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft
und der Nebenkläger haben ebenfalls keinen Erfolg. Der Schuldspruch (nur)
wegen Körperverletzung mit Todesfolge wie die verhältnismäßig milde Bestrafung
des Angeklagten gehen letztlich auf den im Ergebnis sachgerecht
bewerteten besonderen Umstand zurück, daß der tödliche Erfolg der Tat
nicht unmittelbar durch die abgeurteilte Gewalttätigkeit verursacht worden
ist, sondern auf einem - ungeachtet der gegebenen Zurechenbarkeit und
Vorhersehbarkeit - eher ungewöhnlichen Kausalverlauf beruht. Im einzelnen
gilt folgendes.
1. Soweit das Landgericht sich nicht vom Vorliegen eines - wenn
auch nur bedingten - Tötungsvorsatzes des Angeklagten hat überzeugen
können, liegt dem kein sachlichrechtlicher Fehler zugrunde.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter den Eintritt
des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt,
weiter, daß er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit
der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGHSt 36, 1, 9; BGHR StGB § 212
Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 33, 38). Die Billigung des Todeserfolgs bedarf
jedoch angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung der
sorgfältigen Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls
(vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 3, 5, 38).
- 6 -
Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der erhobenen Beweise eine
Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen, somit auch von der subjektiven
Tatseite zu verschaffen, obliegt dabei allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung
hat das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen. Kann der
Tatrichter eigene Zweifel nicht überwinden, so darf das Revisionsgericht
eine solche Entscheidung allein im Hinblick auf Rechtsfehler überprüfen.
Eine rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung liegt etwa dann vor, wenn sie widersprüchlich,
unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen gesicherte wissenschaftliche
Erkenntnisse, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder
wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit zu hohe Anforderungen
gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 - Beweiswürdigung
16; Überzeugungsbildung 33). Derartige Rechtsfehler sind hier nicht
ersichtlich.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist entgegen dem Vorbringen
der Beschwerdeführer insbesondere nicht lückenhaft. Die Strafkammer hat
zunächst das äußere Tatbild gewürdigt. Sie hat dabei auch beachtet, daß
eine äußerst gefährliche Tathandlung ein gewichtiges Indiz dafür darstellt,
daß der Täter mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs rechnet
(vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 3, 37, 40, 41; BGH
NStZ-RR 2000, 328). So führt das Gericht aus, daß Tritte gegen den Kopfbereich
eines Menschen grundsätzlich geeignet seien, dessen Tod herbeizuführen
(S. 38 UA). Wenn das Landgericht gleichwohl aus dem äußeren
Tatbild keinen bedingten Tötungsvorsatz herleitet, weil der Angeklagte kräftig,
aber nicht mit voller Kraft zugetreten habe, die konkreten Verletzungen
für sich genommen auch nicht lebensgefährlich gewesen seien (S. 38,
39 UA), ist diese Bewertung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und
vom Revisionsgericht hinzunehmen.
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Bei der gebotenen Gesamtwürdigung hat sich das Landgericht auch
eingehend mit den Äußerungen des Angeklagten nach der Flucht vom Tatort
auseinandergesetzt. So hatte der Angeklagte später gegenüber den anderen
Beteiligten u. a. angegeben: “Wenn ich ein Messer gehabt hätte, hätte
ich ihn abgestochen” und es habe bei seinen “Tritten geknackt” (S. 30, 31,
39 UA). Nach Auffassung des Landgerichts läßt sich auch hieraus nicht
“zweifelsfrei auf einen Tötungsvorsatz schließen”, vielmehr seien die Erklärungen
seinem Bedürfnis entsprungen, sich hervorzutun und vor seinen Bekannten
zu prahlen (S. 39 UA). Diese Beurteilung des Nachtatverhaltens ist
sicher nicht die einzig mögliche. Sie ist aber in sich widerspruchsfrei, läßt
auch keine sonstigen Rechtsfehler erkennen und ist daher angesichts des
aufgezeigten Prüfungsmaßstabs vom Revisionsgericht ebenfalls hinzunehmen.
Soweit die Staatsanwaltschaft darüber hinaus eine Auseinandersetzung
mit dem Umstand vermißt, daß der Angeklagte jedenfalls subjektiv “ein
Knacken” als Folge seiner Tritte und als Anhaltspunkt für eine Fraktur wahrgenommen
habe, und (auch) hierauf einen Tötungsvorsatz stützen will, handelt
es sich um urteilsfremdes Vorbringen, das nicht geeignet ist, die behauptete
Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe zu belegen. So legt die sachverständig
beratene Strafkammer ausdrücklich dar, daß eine Abstützfraktur,
wie sie das Opfer erlitten hat, keinerlei Geräusche verursache. Sonstige
knöcherne Verletzungen, die Ursache dafür sein könnten, habe das Opfer
nicht aufgewiesen. Ebensowenig stellt das Landgericht aber fest, daß der
Angeklagte subjektiv ein entsprechendes Geräusch wahrgenommen hat.
Vielmehr beschränken sich die diesbezüglichen Feststellungen der Strafkammer
allein darauf, der Angeklagte habe dies im nachhinein lediglich behauptet
(S. 30, 31 UA), was seinem überzogenen Geltungsbedürfnis entspreche
(S. 39 UA).
2. Auch der Strafausspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
- 8 -
a) Die Verhängung von Jugendstrafe gegen den Angeklagten
Sch ist rechtsfehlerfrei begründet. Insoweit erhebt die Staatsanwaltschaft
in ihrer Revision auch keine Einwendungen.
b) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Seine
Aufgabe ist es, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der
Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen
hat, gemäß § 18 Abs. 2 JGG die erzieherisch notwendige Dauer der Jugendstrafe
festzulegen. Ein Eingriff in die Strafzumessung ist in der Regel
nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft, insbesondere
widersprüchlich sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte
Strafzwecke verstößt oder wenn ein grobes Mißverhältnis von Schuld und
Strafe offenkundig ist (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 - Beurteilungsrahmen
1, 6 m.w.N.). In Zweifelsfällen hat das Revisionsgericht die Bewertung
des Tatrichters hinzunehmen (BGHSt 29, 319, 320).
c) Entgegen den Ausführungen der Staatsanwaltschaft hat die Strafkammer
die “objektiv ausländerfeindliche Tendenz der Tat”, die “völlig
wahllose und überfallartige Auswahl der Opfer ..., welche zur Tatbegehung
keinerlei Anlaß gegeben hatten” (S. 67, 69 UA), rechtsfehlerfrei ausschließlich
zu seinen Lasten berücksichtigt. Dies steht nicht im Widerspruch dazu,
daß in den Zumessungserwägungen an anderer Stelle (S. 68 UA) davon die
Rede ist, bei dem Angeklagten könne keine “gefestigte ausländerfeindliche
Gesinnung” festgestellt werden. Das Bestehen einer “ausländerfeindlichen
Gesinnung” wird damit nicht in Frage gestellt; vielmehr beschränkt sich die
Wertung des Tatgerichts allein darauf, daß sie nicht “gefestigt” sei. Hinzu
tritt, daß - wie das Landgericht weiter festgestellt hat - der Angeklagte die
Tat glaubhaft bereut.
- 9 -
Ebensowenig sind die Ausführungen des Landgerichts zur Strafzumessung
lückenhaft. Dabei ist zu beachten, daß der Tatrichter im Urteil nur
diejenigen Umstände anzuführen hat, die “für die Bemessung der Strafe bestimmend
gewesen sind” (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende
Aufzählung aller Strafzumessungstatsachen ist somit weder vorgeschrieben
noch möglich (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 - Strafzumessung
2; BGHR StGB § 46 Abs. 1 - Schuldausgleich 18; BGHR BtMG § 29
- Strafzumessung 10).
Harms Häger Basdorf
Gerhardt Raum



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