BGH,
Urt. v. 11.6.2008 - 5 StR 612/07
5 StR 612/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11.
Juni 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger,
Richterin Dr. Schneider
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B.
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger des Angeklagten T. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Cottbus vom 16. Mai 2007 in den Strafaussprüchen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags jeweils zu einer
Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die
Staatsanwaltschaft mit ihren wirksam auf den Strafausspruch
beschränkten, zuungunsten der Angeklagten eingelegten
Revisionen. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die
vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
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1. Der Angeklagte S. trank seit dem Jugendalter Alkohol.
Alkoholmissbrauch betrieb er seit 1983; er ist
alkoholabhängig. Nach schweren Ausfallerscheinungen im
März 2005 trank er bis zum 3. Dezember 2005 keinen Alkohol. Er
ist wiederholt, vor allem wegen Verkehrsdelikten, darunter auch
Trunkenheit im Verkehr, vorbestraft. Der Angeklagte T.
verprügelte einmal unter erheblichem Alkoholeinfluss seine
Ehefrau. Um eine solche Reaktion zukünftig zu vermeiden, trank
er außer in Gesellschaft kaum noch Al-
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kohol. Er ist mehrfach - wegen Vermögensdelikten und
Beleidigung, aber auch wegen Körperverletzung - vorbestraft.
Die nach gemeinsamem Strafvollzug befreundeten Angeklagten hielten auch
in den Tagen nach ihrer Haftentlassung engen Kontakt. So war der
Angeklagte T. anwesend, als der Sohn des Angeklagten S. diesem am 3.
Dezember 2005 berichtete, er sei von dem 55 Jahre alten Obdachlosen R.
sexuell belästigt worden. Die Mutter des Jungen
erzählte zudem, dass sie von R. wegen der von ihr erstatteten
Strafanzeige mit dem Tode bedroht worden sei. Die Angeklagten kamen
daraufhin überein, dass R. eine „Ansage“
brauche. Nachdem sie ihn im Obdachlosenheim ausfindig gemacht hatten,
verabredeten sie sich mit ihm unter dem Vorwand, gemeinsam Alkohol
trinken zu wollen, für den nächsten Morgen. Der
Angeklagte S. , der im Laufe dieses Tages bereits erheblich dem Alkohol
zugesprochen hatte, hatte noch in der Nacht einem Trinkkumpanen
gegenüber angedroht, dass R. „bluten“
müsse und dass er ihn umbringen werde. Jedoch verschlief er
das Treffen zunächst, wurde aber von dem Angeklagten T.
geweckt und an das gemeinsame Vorhaben - R. sollte eine
„Abreibung“ erhalten - erinnert. Gemeinsam holten
sie R. ab und fuhren in die Wohnung des Angeklagten S. . Dort tranken
sie gemeinsam Alkohol. Die Angeklagten spielten R. ein harmloses
Trinkgelage vor, bis sie die Frage des sexuellen Missbrauchs
geklärt hatten. Hierzu fotografierte der Angeklagte T. den R.
und traf sich mit dem Sohn S. s, um sich bestätigen zu lassen,
dass dies der Täter gewesen sei. Danach gab der Angeklagte S.
an, er fühle sich in sexueller Hinsicht zu Kindern hingezogen.
R. , enthemmt durch die Atmosphäre und den Alkohol, berichtete
jetzt freimütig über seine Vorliebe zu Jungen und
erklärte nach Vorhalt eines Bildes, auch den Sohn des S. zu
kennen.
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Der Angeklagte T. , der wusste, dass R. ein Messer mit sich
führte, bewegte ihn dazu, dieses vorzuzeigen, um eine
mögliche Gegenwehr
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damit zu verhindern. Der Angeklagte S. schrie R. an, dass der Junge auf
dem Bild sein Sohn sei, worüber R. lachte. S. versetzte diesem
gegen 12.00 Uhr mit einem Feuerzeug einen Schlag gegen den Kopf,
aufgrund dessen R. kurz darauf das Bewusstsein verlor. Jetzt schnitt
ihm S. ein Ohr ab, während T. die Misshandlungen detailliert
fotografierte. Spätestens jetzt entschlossen sich die
Angeklagten, R. zu töten. Sie versetzten ihm Messerstiche in
den Bauch, in die Beine und in die linke Brustseite; zudem brachten sie
ihm einen tiefgreifenden Halsschnitt bei. Welcher der beiden
Angeklagten dem Opfer die todesursächlichen Verletzungen
unmittelbar beibrachte, blieb ungeklärt. Der jeweils andere
fotografierte das Geschehen.
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R. verstarb zwischen den Bruststichen und der Beibringung des
Halsschnittes. Die Angeklagten bemerkten dies. Der Angeklagte T. nahm
die Ringe und eine Uhr des Toten an sich. Sodann schnitten die
Angeklagten ihrem Opfer dessen Geschlechtsteil ab. Nach etwa einer
Stunde Pause - zweieinhalb Stunden nach Beginn der
Gewalttätigkeiten - versuchten sie, ihm das Herz aus der Brust
herauszuschneiden, was jedoch scheiterte, da das hierzu verwendete
Messer zerbrach. Während des gesamten Geschehensablaufs waren
die Angeklagten in erheblichem Maße alkoholisiert.
Das gesamte Geschehen hatten die Angeklagten, wie es von vornherein
geplant war, in den jeweiligen Sequenzen fotografiert. Dazu hatten sie
auch Positionen arrangiert. So entkleideten sie ihr Opfer und legten
ihm das abgeschnittene Geschlechtsteil auf den Bauch. Mit der so
entstandenen Bilddokumentation wollten sie beweisen, dass sie an R.
„Rache genommen haben“, zudem sollten die Bilder in
das Internet gestellt werden, um eine abschreckende Wirkung auf
Sexualtäter zu erzielen.
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2. Das Landgericht hat sachverständig beraten aufgrund der
Alkoholisierung der Angeklagten eine erhebliche Verminderung ihrer
Steuerungsfähigkeit bei der Fassung des Tatentschlusses und
für die eigentliche Tataus-
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führung angenommen. Es hat bei beiden Angeklagten den
Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB nach den
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschoben.
Während die Annahme erheblich verminderter
Steuerungsfähigkeit rechtsfehlerfrei ist, hält die
nicht begründete - und von der Staatsanwaltschaft beanstandete
- Strafrahmenverschiebung revisionsrechtlicher Prüfung nicht
stand. Über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach den
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB entscheidet der Tatrichter nach
seinem pflichtgemäßen Ermessen aufgrund einer
Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände.
Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf zu
verantwortender Trunkenheit, spricht dies in der Regel gegen eine
Strafrahmenverschiebung, wenn sich aufgrund der persönlichen
Verhältnisse des Täters (etwa Neigung zu Aggressionen
oder Gewalttätigkeiten unter Alkoholeinfluss) oder der
Tatsituation (etwa Trinken in gewaltbereiten Gruppen oder
gewaltgeneigten Situationen) das Risiko der Begehung von Straftaten
vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht
hat. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter in wertender Betrachtung
zu bestimmen (BGHSt 49, 239, 245 f.; BGHR StGB § 212 Abs. 1
Vorsatz, bedingter 59).
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Diesen Grundsätzen genügt das angefochtene Urteil
nicht. Denn das Landgericht hat sich nicht mit der Frage
auseinandergesetzt, ob der grundsätzlich schuldmindernde
Umstand der erheblichen Einschränkung der
Steuerungsfähigkeit durch andere, die Schuld steigernde
Umstände ausgeglichen wird. Anlass zu der Erörterung
eines solchen Ausgleichs hätte insbesondere im Hinblick darauf
bestanden, dass sich die Angeklagten - planvoll alkoholisiert - bewusst
in eine gewaltgeneigte Situation begeben haben. Das von ihnen
arrangierte Treffen mit dem späteren Opfer diente allein dem
Zweck, ihm eine „Abreibung“ zu verpassen. Dieser
Situation wohnte das vorhersehbare Risiko erheblicher Gewalttaten inne.
Dabei hat der Angeklagte T. die mit dem Alkoholgenuss verbundene
Enthemmung in Kauf genommen. Hinzu tritt, dass ihm seine Neigung zu
Gewalttätigkeiten unter Alkoholeinfluss bewusst war. Dass dies
nicht zu einer strafrechtlichen Vorverurteilung geführt
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hat, ist unbeachtlich; denn das Wissen des Täters um seine
Gefährlichkeit hängt nicht von der Warnfunktion einer
früheren Verurteilung ab (BGHSt 49, 239, 243). Auch der
Angeklagte S. hat in Kauf genommen, durch die Alkoholisierung besonders
enthemmt zu sein und dies durch weiteren Alkoholkonsum noch zu
verstärken. Seine Alkoholabhängigkeit wiegt diesen
schulderhöhenden Fahrlässigkeitsvorwurf nicht ohne
weiteres auf. Auch demjenigen, der weitgehend durch Alkohol beherrscht
wird, kann vorgeworfen werden, dass er sich trotz Vorhersehbarkeit -
zumal weiterer - alkoholischer Enthemmung bewusst in eine
gewaltträchtige Situation begeben hat (BGHSt 49, 239, 254).
Eine Ausnahme von der unter diesen Umständen in
Erwägung zu ziehenden Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung
nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB käme nur bei
einer hier nicht gegebenen absoluten Androhung lebenslanger
Freiheitsstrafe in Betracht (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz,
bedingter 59; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40).
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Es ist nicht auszuschließen, dass der jeweilige
Strafausspruch auf den möglicherweise unzutreffend
gewährten Strafrahmenverschiebungen beruht. Das neue
Tatgericht wird die Strafen neu zuzumessen haben. Dies kann bei dem
hier vorliegenden Erörterungsmangel auf der Grundlage der
bisherigen Feststellungen geschehen, die freilich um solche
ergänzt werden dürfen, die den bisher getroffenen
nicht widersprechen. Indes wird darauf zu achten sein, dass angesichts
der ungeklärten Frage, durch wessen Handlungen unmittelbar die
todesursächlichen Verletzungen verursacht worden sind,
missverständliche Erwägungen zur
Strafschärfung aufgrund der eingesetzten Kraft und der wuchtig
geführten Stiche zu vermeiden sein werden.
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Die - zudem im Ergebnis rechtsfehlerfreie - Ablehnung einer
Maßregel nach § 64 StGB gegenüber beiden
Angeklagten ist von der Anfechtung und der allein auf die Bemessung der
Strafe bezogenen Tatausführung nicht betroffen.
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Basdorf Brause Schaal
Jäger Schneider |