BGH,
Urt. v. 11.3.2010 - 3 StR 538/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 538/09
vom
11. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 4. März 2010 in der Sitzung am 11. März 2010, an
denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 4. März 2010 -
als Verteidiger,
Justizangestellte in der Verhandlung vom 4. März 2010,
Justizamtsinspektor bei der Verkündung am 11. März
2010
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Mönchengladbach vom 25. August 2009 mit den
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des
Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen
versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung sowie wegen schweren Raubes zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und die Unterbringung
in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die allein gegen den
Maßregelausspruch gerichtete, mit dem Ziel der
Verhängung von Sicherungsverwahrung durchgeführte
Revision der Staatsanwaltschaft hatte der Senat das Urteil im
Maßregelausspruch aufgehoben, weil das Landgericht die
notwendige Erfolgsaussicht der Suchtbehandlung nach § 64 StGB
nur widersprüchlich und damit rechtsfehlerhaft
begründet hatte. Zugleich hatte er darauf hingewiesen, dass
der neue Tatrichter angesichts der Vielzahl von Straftaten,
Verurteilungen und Strafverbüßungen des Angeklagten
auch zu prüfen habe, ob bei dem Angeklagten die
Sicherungsverwahrung anzuordnen sei (BGH, Urt. vom 12. Februar 2009 - 3
StR 569/08 = NStZ 2009, 442). Auf der Grundlage des
rechtskräftigen Schuld- und Strafausspruchs hat das
Landgericht nunmehr erneut die Unterbringung des Angeklagten in der
Entziehungsanstalt angeord-
1
- 4 -
net; die Sicherungsverwahrung hat es abgelehnt, weil der hierzu
erforderliche Hang beim Angeklagten nicht festzustellen sei. Die auf
sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision der
Staatsanwaltschaft hat erneut Erfolg.
1. Das Rechtsmittel richtet sich gegen den gesamten
Maßregelausspruch. Zwar bekämpft die
Beschwerdeführerin mit Einzelausführungen allein die
Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung, indes geht sie, wie auch aus
dem uneingeschränkten Aufhebungsantrag zu ersehen ist,
zutreffend davon aus, dass eine Beschränkung der Revision hier
wegen des Zusammenhangs der Maßregeln nach
§§ 64 und 66 StGB unzulässig wäre,
was der Senat schon in seiner ersten Entscheidung in dieser Sache
ausgesprochen hat.
2
2. Die Ablehnung der Sicherungsverwahrung hält erneut
rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat einen
Hang des Angeklagten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
verneint. Hierzu hat es unter Bezugnahme auf den gehörten
Sachverständigen ausgeführt, die langjährige
strafrechtliche Delinquenz des Angeklagten sei ausschließlich
auf dessen Suchterkrankung zurückzuführen; der
Angeklagte habe keine antisoziale Persönlichkeit und keinen
dissozial-delinquenten Lebensstil, er stehe seiner Delinquenz nicht
zustimmend gegenüber, bei ihm seien Reue und Empathie
festzustellen; es bestehe keine persönlichkeitsgebundene
Bereitschaft zur Begehung von Straftaten, die Gefährlichkeit
des Angeklagten für die Allgemeinheit sei nicht in
Umständen jenseits seiner Sucht begründet.
3
Gegen diese Begründung bestehen in zweifacher Hinsicht
durchgreifende Rechtsbedenken:
4
- 5 -
a) Zum einen werden die Urteilsgründe ihrer Aufgabe nicht
gerecht, dem Revisionsgericht die sachlichrechtliche
Nachprüfung der Entscheidung zu ermöglichen. Sie
geben lediglich die Schlussfolgerungen des Sachverständigen
wieder, teilen aber nicht die diesen zugrundeliegenden
Anknüpfungstatsachen mit. Sie enthalten - nahezu wortgleich
mit dem ersten Urteil - erneut keine Angaben zu Art und Umfang der
Straftaten, die dazu führten, dass der Angeklagte seit 1978 -
als er wohl schon als 16jähriger - eine Jugendstrafe von einem
Jahr verbüßen musste, mehrfach zu - auch
langjährigen - Jugend- und Freiheitsstrafen verurteilt wurde.
Die Behauptung, die Delinquenz sei "ausschließlich auf die
Suchterkrankung des Angeklagten zurückzuführen",
hätte der Begründung bedurft, zumal eine solche
monokausale Betrachtung im Schrifttum auf Kritik
stößt (vgl. Schöch in LK 12. Aufl.
§ 64 Rdn. 127; Rasch R&P 1991, 109, 113; Schalast FPPN
2009, 294, 295).
5
b) Zum anderen ist zu besorgen, dass das Landgericht seiner
Entscheidung ein unzutreffendes Verständnis des Hanges im
Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zugrunde gelegt hat
dahingehend, dass der für die Sicherungsverwahrung
erforderliche Hang zur Begehung erheblicher Straftaten ausscheide, wenn
die wiederholte Delinquenz eines Täters allein auf dessen Hang
zum übermäßigen Konsum berauschender Mittel
beruht. Eine solche Überlegung mag für den
psychowissenschaftlichen Sachverständigen hilfreich sein, um
sich der Frage nach den Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im
Ausschlussverfahren zu nähern (vgl. Leygraf in
Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 5. Auflage S. 483, 486
f.). Für die richterliche Entscheidung über die
Verhängung der Maßregel ist dies nicht zutreffend.
6
Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters,
der ihn immer wieder neue Straf-
7
- 6 -
taten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der
dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest
eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn
sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach
ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen
vermag. Nach der ständigen Rechtsprechung kommt es auf die
Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten nicht
an (BGH NJW 1980, 1055; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1, 3).
Deshalb scheidet, selbst wenn sich eine Monokausalität der
Suchterkrankung eines Täters für dessen
Kriminalität ausnahmsweise feststellen ließe, die
Annahme eines Hanges im Sinne von § 66 StGB (neben der eines
Hanges im Sinne von § 64 StGB) nicht aus. Der für die
Anordnung der Sicherungsverwahrung erforderliche Hang hätte
seine Ursache in einem solchen Fall ausschließlich in der
Suchterkrankung. Ob sodann die Unterbringung des Täters in
beiden Maßregelformen oder nur in einer von ihnen anzuordnen
ist, beurteilt sich nach der Regelung in § 72 StGB. Ist der
Zweck der Maßregel bereits durch eine von ihnen zu erreichen,
was ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraussetzt
(BGH NStZ 2009, 442), so wird nur die weniger beschwerende
Maßregel, hier die Unterbringung in der Entziehungsanstalt,
verhängt. Andernfalls sind beide anzuordnen und deren
Vollstreckungsreihenfolge zu bestimmen. Vor dem Ende des Vollzugs der
ersten Maßregel ist sodann zu entscheiden, ob der Zweck der
zweiten Maßregel deren Vollstreckung noch erfordert.
Diese Regelung ermöglicht zweierlei: Sofern die
Gefährlichkeit eines Täters nach der Behandlung in
der Entziehungsanstalt entfallen ist, kommt der Vollzug der
angeordneten Sicherungsverwahrung nicht mehr in Betracht (vgl.
§ 72 Abs. 3 Satz 2 StGB). Andererseits kann ein
gefährlicher Täter, dessen Behandlung im Vollzug der
Maßregel nach § 64 StGB ohne Erfolg bleibt oder gar
wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen werden muss (§ 67 d Abs.
5 StGB), auf
8
- 7 -
diese Weise zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen
Straftaten - nach Verbüßung des durch Anrechnung
(§ 67 Abs. 4 StGB) nicht erledigten Teil der Strafe - in der
Sicherungsverwahrung untergebracht werden.
3. Die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt
(§ 64 StGB) ist schon wegen ihres hier bestehenden
untrennbaren Zusammenhangs mit der erneut notwendigen Prüfung
der Sicherungsverwahrung aufzuheben.
9
Unabhängig davon hätte der Senat im Hinblick auf die
von § 64 Abs. 2 StGB geforderte hinreichend konkrete
Erfolgsaussicht Rechtsbedenken gegen die Anordnung dieser
Maßregel, da das Landgericht in Übereinstimmung mit
dem Sachverständigen "von einer voraussichtlichen Dauer der
Suchtbehandlung bis zur Erzielung eines Behandlungserfolges von drei
Jahren" ausgegangen ist. Er ist der Auffassung, dass in einem solchen
Fall die notwendige Erfolgsaussicht zu verneinen ist.
10
a) Hierfür spricht die Gesetzeslage. Nach § 67 d Abs.
1 Satz 1 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwei
Jahre nicht übersteigen. Dieser Begrenzung liegt die
Überzeugung des Gesetzgebers zugrunde, dass eine
Unterbringungsdauer von mehr als einem Jahr äußerst
selten und eine Behandlung über den Zweijahres-Zeitraum hinaus
nicht erforderlich, vielmehr eher schädlich sei (vgl.
Horstkotte in LK 10. Aufl. § 67 d Rdn. 4 unter Hinweis auf die
Beratungen des Sonderausschusses; Schöch in LK 12. Aufl.
§ 64 Rdn. 167; Sinn in SK-StGB § 67 d Rdn. 2; Veh in
MünchKomm-StGB § 67 d Rdn. 5;
SSW-StGB/Schöch § 67 d Rdn. 9). Auch die
Änderung der Vorschriften über die teilweise
Vorwegvollstreckung der Strafe in § 67 Abs. 2 StGB durch das
Gesetz vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) zeigt, dass der Gesetzgeber eher
von kürzeren Unterbringungszeiten ausgeht (vgl. BTDrucks.
16/1110 S. 14: " …
11
- 8 -
sinnvolle Entziehungstherapie [ist] spätestens nach zwei
Jahren beendet"; … voraussichtliche Dauer der Therapie bis
zur Erzielung eines Behandlungserfolgs zu orientieren, die nach den
Erfahrungen der Praxis gegenwärtig im Durchschnitt bei etwa
einem Jahr liegt"), da er bei Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren einen
teilweisen Vorwegvollzug der Strafe nicht für angezeigt
hält. Suchttherapien von mehr als zweijähriger Dauer
werden durchweg nicht für sinnvoll gehalten (vgl.
Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug 6. Aufl. S. 254).
b) Die Verlängerung der Höchstfrist in den
Fällen, in denen vor einer Freiheitsstrafe eine daneben
angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen wird
(§ 67 d Abs. 1 Satz 3 StGB), spricht nicht dagegen, Therapien
als aussichtslos anzusehen, sofern sie länger als zwei Jahre
andauern müssten. Der gegenteiligen Ansicht des 5.
Strafsenats, dass die Vorschrift gerade für Fälle
längerer Therapienotwendigkeit geschaffen worden sei (Beschl.
vom 6. Februar 1996 - 5 StR 16/96), könnte sich der Senat
nicht anschließen. Die Verlängerungsvorschrift steht
nicht in einem Zusammenhang mit der für eine Suchtbehandlung
für notwendig erachteten Zeit, sondern mit den sich aus der
Länge der neben der Maßregel verhängten
Freiheitsstrafe ergebenden Problemen. Sie soll die sich durch die
Anrechnung der Maßregel auf die Freiheitsstrafe ergebende
Besserstellung gegenüber dem Untergebrachten, bei dem die
Strafe vor der Maßregel vollstreckt wird, ausgleichen. Sie
ermöglicht zugleich, dass die neben einer Strafe angeordnete
Unterbringung nach § 64 StGB nicht nach Ablauf von zwei Jahren
erledigt ist, sondern zur Bewährung ausgesetzt oder zur
Vermeidung einer Rückverlegung in den Strafvollzug
weitervollstreckt werden kann (SSW-StGB/Jehle § 67 d Rdn. 12;
Sinn in SK-StGB § 67 d Rdn. 4; Veh in MünchKomm-StGB
§ 67 d Rdn. 8).
12
- 9 -
c) Auch die in verschiedenen Untersuchungen festgestellten
durchschnittlichen Unterbringungszeiten (vgl. hierzu im Einzelnen
Metrikat, Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach §
64 StGB S. 251 ff., insbesondere Fn. 577 und 586) zeigen, dass
Entwöhnungstherapien weniger als zwei Jahre
benötigen. Sie liegen weitgehend unterhalb dieser Grenze.
Soweit sie diese in Einzelfällen überschreiten,
beruht dies gerade auf der durch § 67 d Abs. 1 Satz 3 StGB
eingeräumten Möglichkeit, die Höchstfrist im
Hinblick auf die Dauer der daneben erkannten Freiheitsstrafe aus
vollzugspraktischen und nicht unmittelbar therapeutischen
Gründen zu verlängern. Zwischen der Höhe der
Freiheitsstrafe und der im Maßregelvollzug verbrachten Zeit
besteht ein signifikanter Zusammenhang (vgl. Metrikat aaO S. 257).
Hinzu kommt, dass in die festgestellten Durchschnittszeiten auch jene
Suchttherapien einbezogen worden sind, die zuletzt doch wegen
Erfolglosigkeit abgebrochen worden waren, was die ermittelten Werte
erhöht hat.
13
4. Über den Maßregelausspruch muss deshalb erneut
entschieden werden. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch
gemacht, die Sache an ein zu demselben Land gehörendes anderes
Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen (§ 354
Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO).
14
Becker Pfister RiBGH von Lienen befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker
Hubert Schäfer |