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BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 11.5.2005 - 1 StR 37/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 37/05
vom
11.05.2005
in dem Verfahren
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
10.05.2005 in der Sitzung am 11.05.2005, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 10.05.2005 -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts
Bayreuth vom 15. Oktober 2004 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in
der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 StGB angeordnet. Hiergegen
richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung sachlichen
Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Verurteilte wurde am 21. Mai 1996 vom Landgericht Bayreuth wegen
sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei
Jahren und drei Monaten verurteilt. Nach Aufhebung dieser Entscheidung im
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Strafausspruch erkannte eine andere Jugendkammer des Landgerichts Bayreuth
am 17. Dezember 1996 erneut auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren
und drei Monaten. Unter Einbeziehung dieses Urteils wurde er dann am
10. Februar 1997 durch die 1. Große Jugendkammer beim Landgericht Bayreuth
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sechs Fällen, in drei Fällen
rechtlich zusammentreffend mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen,
sowie wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, wegen
Anstiftung sowie versuchter Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage in
drei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dabei wurden wegen der verschiedenen
Taten des sexuellen Mißbrauchs von Kindern Einzelstrafen von
neun Monaten bis zu einem Jahr und neun Monaten, wegen sexuellen Mißbrauchs
von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen
Einzelstrafen von zwei Jahren und drei Monaten sowie einem Jahr und
drei Monaten, wegen Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage eine Einzelstrafe
von zwei Jahren sechs Monaten und wegen versuchter Anstiftung zur
falschen uneidlichen Aussage eine Einzelstrafe von einem Jahr zehn Monaten
verhängt. Die hieraus und unter Einbeziehung der Vorverurteilung gebildete
Gesamtfreiheitsstrafe verbüßte der Betroffene, der sich seit seiner Festnahme
am 21. Mai 1996 zunächst in Untersuchungshaft und dann ohne Unterbrechung
in Strafhaft befand, vollständig bis zum 3. November 2002.
2. Mit Beschluß vom 7. Oktober 2002 ordnete die Strafvollstreckungskammer
des Landgerichts Bayreuth die unbefristete Unterbringung des Verurteilten
aufgrund des Bayerischen Gesetzes zur Unterbringung von besonders
rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern (BayStrUBG) an. Im Zeitraum
vom 4. November 2002 bis 30. September 2004 (Ende der Anwendbarkeit des
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Gesetzes nach Maßgabe des Urteils des BVerfG vom 10. Februar 2004,
BVerfGE 109, 190, 191) wurde die Unterbringung vollstreckt. Seit 1. Oktober
2004 befindet sich der Verurteilte aufgrund Unterbringungsbefehls des Landgerichts
Bayreuth vom 26. August 2004 in der Justizvollzugsanstalt St. Georgen-
Bayreuth.
Unter dem 4. August 2004 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, die
nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen. Das Landgericht hat zur
Frage der Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit Sachverständigengutachten
des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B.
und des Diplom-Psychologen Dr. R. eingeholt.
3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 66b Abs. 1 StGB bejaht.
Nach der Verurteilung seien Tatsachen erkennbar geworden, die auf eine
erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinwiesen. Der
Verurteilte habe im Februar 1999 eine Therapie in der sozial-therapeutischen
Abteilung der Justizvollzugsanstalt München begonnen und diese im März
1999 „faktisch abgebrochen“, weil er sich geweigert habe, „sein - wie er wusste
- aussichtloses Verlegungsgesuch nach Niedersachsen zurückzunehmen“. Ihm
sei bewußt gewesen, daß die Weigerung den Therapieabbruch und die sofortige
Rückverlegung nach Bayreuth zur Folge haben würde. Von August bis Anfang
November 2002 habe er dann in Bayreuth an einer Motivationsarbeitsgruppe
teilgenommen und von März bis Juni 2003 Motivationsgespräche geführt.
Trotz mehrfachen Hinweises von Seiten der Justizvollzugsanstalt Bayreuth,
wegen in absehbarer Zeit fehlender Therapieplätze in Bayreuth sich für
eine Therapie in den Justizvollzugsanstalten München, Kaisheim und Würzburg
zu bewerben, habe er nichts unternommen. Seit März 2004 absolviere er
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nun in der Justizvollzugsanstalt Bayreuth eine Sexualtherapie, welche nach
anfänglichen Schwierigkeiten seither positiv verlaufe. Nach Ablauf der verlängerten
Probezeit sei zum 1. Oktober 2004 ein Therapievertrag geschlossen
und eine Mindesttherapiezeit von 24 Monaten vereinbart worden. Ein Zeitraum
von zwei Jahren sei erfahrungsgemäß zur Durchführung einer solchen Therapie
erforderlich; auch beim Verurteilten sei kein frühzeitigerer Therapieerfolg zu
erwarten. Eine ambulante Therapie sei nicht ausreichend.
Auf der Grundlage der Gutachten des Psychiaters Dr. B. und des
Diplom-Psychologen Dr. R. kam das Landgericht zu dem Ergebnis, daß wegen
der beim Verurteilten vorliegenden Pädophilie mit homosexueller Ausrichtung
ein erhebliches, über 50 Prozent liegendes Rückfallrisiko und damit eine
fortbestehende Gefährlichkeit bestehe. Wichtige Therapiethemen wie die Bearbeitung
der sexuellen Phantasien seien noch nicht thematisiert worden. Daß
die Therapie erst im März 2004 begonnen habe, sei auf das Verschulden des
Verurteilten zurückzuführen, weil er sich trotz eindringlicher Hinweise auf freie
Therapieplätze in anderen Justizvollzugsanstalten nicht beworben habe.
II.
Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen
des § 66b Abs. 1 StGB sind nicht hinreichend festgestellt.
1. Die durch das „Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung“
(BGBl. I S. 1838) eingeführte und am 29. Juli 2004 in Kraft getretene
Vorschrift des § 66b StGB ermöglicht bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen
die Anordnung der Unterbringung eines Straftäters in der Sicherungs-
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verwahrung auch noch dann, wenn gegen ihn nicht schon bei seiner Verurteilung
aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Sicherungsverwahrung angeordnet
wurde, sofern sich erst im Zeitraum nach seiner Verurteilung bis zum
Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe herausstellt, daß von ihm erhebliche Gefahren
für die Allgemeinheit ausgehen.
Dem liegt zugrunde, daß es Verurteilte gibt, gegen die zum Urteilszeitpunkt
keine Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, die sich aber gleichwohl
zum Entlassungszeitpunkt als hochgefährlich darstellen. Der Schutz vor solchen
Verurteilten, von denen auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen
schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit
oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer mit hoher Wahrscheinlichkeit
zu erwarten sind, stellt ein überragendes Gemeinwohlinteresse dar. Diesen
Schutz durch geeignete Mittel - insbesondere auch durch weitere Freiheitsentziehung
- zu gewährleisten, ist Aufgabe des Staates (BVerfGE aaO S. 236).
Allerdings ist bei der zu treffenden Entscheidung über die nachträgliche Anordnung
einer Sicherungsverwahrung in gleicher Weise dem Freiheitsgrundrecht
Betroffener in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Insbesondere kann
die Unterbringung nach voller Verbüßung der Schuldstrafe im Hinblick auf das
Freiheitsgrundrecht des Betroffenen nur dann verhältnismäßig sein, wenn bei
der Gefahrenprognose sämtliche entscheidungserheblichen Daten aus der Lebens-
und Kriminalitätsgeschichte des Betroffenen berücksichtigt werden
(BTDrucks. 15/2887 S. 10; vgl. auch BVerfGE aaO S. 241). Dabei ist sorgfältig
abzuwägen zwischen dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit vor hochgefährlichen
Verurteilten, von denen auch nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe
die vorbezeichneten Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu
erwarten sind, und den Freiheitsgrundrechten der durch die nachträgliche
Anordnung einer Sicherungsverwahrung Betroffenen. Danach kommt eine
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einer Sicherungsverwahrung Betroffenen. Danach kommt eine solche Maßnahme
nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht, wovon auch
der Gesetzgeber ausgegangen ist (BTDrucks. 15/2887 S. 10; vgl. auch
BVerfGE aaO S. 236).
2. Unter Berücksichtigung vorstehender Grundsätze kommen als Grundlage
einer nachtäglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nur solche
„neuen“ Tatsachen in Betracht, die nach einer Verurteilung erkennbar werden
und auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit
hinweisen. [Nach den Gesetzesmaterialien sollen beispielsweise wiederholte
verbal-aggressive Angriffe auf Bedienstete der Justizvollzugsanstalt als Anknüpfungspunkt
für eine weitere Prüfung ebenso denkbar sein wie die Drohung
des Verurteilten, nach der Entlassung weitere Straftaten zu begehen, die Begehung
einer erneuten Straftat während des Vollzugs der Freiheitsstrafe oder
intensive Kontakte zu einem gewaltbereiten Milieu aus der Haft heraus
(BTDrucks. 15/2887 S. 12).] Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers einerseits
klargestellt werden, daß es sich um Tatsachen jenseits einer gewissen
Erheblichkeitsschwelle handeln muß. Andererseits soll durch den Verzicht auf
eine exemplarische oder „namentliche“ Nennung von Tatsachen zum Ausdruck
gebracht werden, daß monokausale Erklärungsmuster fehl am Platz sind. Zugleich
soll hierdurch der Weg geebnet werden für den weiteren Prüfungsschritt
in Gestalt der von Verfassungs wegen gebotenen Gesamtwürdigung
(BTDrucks. 15/2887 S. 12). Dem Schutzinteresse der Allgemeinheit wird nur
dann im gebotenen Umfang entsprochen, wenn es nicht auf den Entstehungszeitpunkt
der einer nachträglichen Anordnung zugrunde zu legenden Tatsachen
ankommt, sondern allein auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme und Berücksichtigung
im vorangegangenen Strafverfahren. Insoweit ist das Gemeinwohlinteresse
als vorrangig vor dem Freiheitsgrundrecht des Verurteilten zu
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betrachten. Umstände, die für den ersten Tatrichter erkennbar waren, scheiden
demgegenüber als neue Tatsachen im Sinne des § 66b StGB aus. Durch deren
Nichtberücksichtigung entstandene Rechtsfehler können durch die Anordnung
einer nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht korrigiert werden. Die Möglichkeit
der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung zielt auch
nicht darauf ab, die Frage einer späteren Unterbringung länger als bisher offen
zu halten (BTDrucks. aaO S. 12).
3. Grundsätzlich können die Verweigerung oder der Abbruch einer Therapie
zu den in § 66b Abs. 1 und 2 StGB genannten neuen Tatsachen gehören,
die erst nach der Verurteilung und vor Ende des Vollzuges erkennbar werden
und auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit
nach seiner Entlassung hinweisen. Ein solcher Umstand reicht aber für sich
allein nicht aus, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen
(BTDrucks. aaO S. 13; BVerfGE aaO S. 241), zumal sich aus der Stellung des
Gefangenen bei der Gestaltung seiner Behandlung im Strafvollzug (§ 4 Abs. 1
StVollzG) ergibt, daß gegen seinen Willen eine Behandlungsmaßnahme nicht
erzwungen werden kann (vgl. Callies/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl. § 4
Rdn. 5). Vielmehr ist nach § 66b Abs. 1 StGB eine Gesamtwürdigung des Verurteilten,
seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzuges
vorzunehmen, welche einer Übergewichtung der Verweigerung von
Resozialisierungs- und Therapiemaßnahmen entgegensteht. Es verengt den
Blick auf die gesamte Persönlichkeit des Betroffenen und seine bisherige Lebensgeschichte
und Kriminalitätsentwicklung in unzulässiger Weise, wenn das
Gericht eine Unterbringung allein mit einer derartigen Verweigerungshaltung
begründet (BVerfGE aaO S. 241).
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Offenbart daher der Verurteilte während des Vollzuges der Freiheitsstrafe
seine ablehnende Haltung gegenüber erforderlichen therapeutischen Maßnahmen,
dokumentiert dies zunächst nur sein Verhalten im Strafvollzug; es
kann jedoch eine Entscheidungshilfe sein. In gewichtigerem Maße sind allerdings
die Persönlichkeit und die Lebensumstände des Verurteilten außerhalb
des Strafvollzugs sowie seine Straftaten zu werten. Andernfalls würde die Unterbringung
zu einer unverhältnismäßigen Sanktion für fehlendes Wohlverhalten
im Vollzug (BVerfGE aaO S. 241). Zudem verliert die zu erstellende Gefährlichkeitsprognose
an Plausibilität, wenn diese nur einen schmalen Ausschnitt
der Wirklichkeit - die Zeit der Strafverbüßung - zur Grundlage hat. Auch
nach Auffassung des Gesetzgebers bietet das Merkmal der Therapieverweigerung
oder des Therapieabbruchs eine zu schmale Tatsachenbasis, um die besondere
Gefährlichkeit des Täters während des Strafvollzugs zu begründen
(BTDrucks. 15/2887 S. 13; s. auch Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses,
BTDrucks. 15/3346 S. 17). Täterpersönlichkeit und Legalbiographie können
die Entscheidung ebenso beeinflussen wie konkrete Änderungen physischer
Natur, etwa fortgeschrittenes Alter, Krankheiten, ferner Unterkunft, Arbeit
und persönliche Bindungen und zuvor erfolgte Lockerungsversuche sowie alternative
Kontrollmöglichkeiten in Form der Führungsaufsicht oder ambulante
Therapiemaßnahmen. Nur wenn die Gesamtwürdigung unter Einschluß der
Tatsachen, die die Prüfung ausgelöst haben, die geforderte besondere Gefährlichkeit
ergibt, kann ein über das Strafende hinausgehender Freiheitsentzug
gerechtfertigt sein (BTDrucks. 15/2887 S. 13).
Daher ist eine Therapieverweigerung, sofern sie im konkreten Fall ein
erst nach der Verurteilung erkennbarer Umstand ist, zunächst für die Einleitung
der Prüfung der Voraussetzungen des § 66b StGB maßgeblich. Kern der mate-
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riellrechtlichen Prüfung ist hingegen die Gesamtwürdigung des Verurteilten. In
diese Prüfung fließt dann auch die Entwicklung des Verurteilten während des
Strafvollzugs ein (vgl. BTDrucks. 15/2887 S. 12) - ebenso Erkenntnisse aus
einer zwischenzeitlichen Unterbringung nach Landesrecht (vgl. BTDrucks. 15/
2887 S. 20). Mit welchem Gewicht eine Verweigerungshaltung des Verurteilten
(etwa bei einer noch im Strafverfahren erklärten Therapiebereitschaft) die Gesamtwürdigung
und die Gefährlichkeitsprognose beeinflussen kann, wird vom
konkreten Einzelfall abhängen.
4. Vorliegend bieten die Feststellungen der Strafkammer bereits keine
ausreichende Tatsachengrundlage für die getroffene Anordnung.
a) Das Landgericht hat lediglich die einzelnen Vorverurteilungen nebst
den ausgeurteilten Strafen aufgeführt, ohne weitere Einzelheiten zu den vom
Verurteilten begangenen Taten mitzuteilen. Auch zu seinem persönlichen Werdegang
fehlen jegliche Einzelheiten; diese ergeben sich auch nicht aus den
Feststellungen der angefochtenen Entscheidung, noch wird insoweit auf die
vorangegangenen rechtskräftigen Verurteilungen Bezug genommen.
b) Das Landgericht hat des weiteren weder einen Therapieabbruch
durch den Verurteilten noch gar eine Therapieverweigerung ausreichend dargelegt.
Vielmehr bestehen erhebliche Unklarheiten hinsichtlich der Beendigung
der Therapie im März 1999. Nach den Feststellungen hat nämlich der Verurteilte
nicht selbst die damalige Therapie abgebrochen, sondern die sozial-therapeutische
Abteilung hat ihrerseits die Therapie beendet. Weshalb der offenbar
bereits schon vor Beginn der Therapie gestellte Verlegungsantrag nach Niedersachsen
überhaupt ein Hindernis für die Durchführung der Therapie in
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München darstellen konnte, bleibt offen. Im übrigen hätte der Verlegungsantrag,
zumal bei Aussichtslosigkeit, auch ohne weiteres negativ verbeschieden
werden können. Das Landgericht führt auch nicht aus, aus welchem Grund die
Therapie nicht fortgeführt werden konnte. Nicht ersichtlich ist, daß in der fehlenden
Bereitschaft des Verurteilten, sein Verlegungsgesuch zurückzunehmen,
eine völlige Therapieunwilligkeit zum Ausdruck gekommen ist; denn immerhin
stimmte der Verurteilte einer Verlegung nach München zwecks Durchführung
der Therapie augenscheinlich zu. Seine Einlassung, er habe eine Therapie in
Niedersachsen deswegen absolvieren wollen, weil er beabsichtigt habe, seinen
Wohnsitz nach Niedersachsen zu verlegen, ist als solche zunächst nicht offensichtlich
als Ausdruck einer Therapieunwilligkeit zu werten, gerade auch weil er
- nach seiner vom Landgericht nicht überprüften Einlassung in der Hauptverhandlung
- gleichzeitig darauf hingewiesen habe, daß er die Therapie in
München unbedingt habe machen wollen. Soweit das Landgericht entgegen
der Beteuerungen des Verurteilten von dessen von Anfang an bestehenden
Therapieunwilligkeit ausgeht und sich hierbei auf die Aussage des Psychologen
K. stützt, trägt dies bereits deswegen nicht, weil dieser nur die Therapiemotivation
des Verurteilten im April 2002 überprüft hat und nicht in dem
maßgeblichen Zeitraum im Jahr 1999.
Daß der Verurteilte im November 2002 und im März und September
2003 mehrfach ergebnislos aufgefordert worden ist, sich auf freie Therapieplätze
in anderen Justizvollzugsanstalten zu bewerben, reicht ebenfalls nicht aus,
um die mangelnde Therapiewilligkeit zu begründen. Das Landgericht hätte zumindest
die Reaktion des Verurteilten, auch gegebenenfalls auf Nachfragen,
schildern müssen, zumal er sich dahin eingelassen hat, er habe für den Fall
einer Bewerbung für andere Anstalten befürchtet, von der Liste der Therapie-
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bewerber in Bayreuth gestrichen zu werden. Schließlich ist auch zu berücksichtigen,
daß der Verurteilte seit März 2004 tatsächlich eine Sexualtherapie absolviert
und damit für eine Therapieunwilligkeit keine weiteren Anzeichen mehr
ersichtlich sind.
5. Demgegenüber stellt es keinen Rechtsfehler dar, daß die Strafkammer
nicht die Gutachten von zwei psychiatrischen Sachverständigen, sondern
eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie eines Diplom-
Psychologen eingeholt hat. Weder aus dem Wortlaut des § 275a Abs. 4 Satz 1
StPO noch aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich ein solches Erfordernis.
Vielmehr sollen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt
werden, um eine möglichst breite und zuverlässige Entscheidungsbasis für das
Gericht zu schaffen (BTDrucks. 15/2887 S. 16). Daher kann es im Einzelfall zur
Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen durchaus angezeigt sein, Sachverständige
unterschiedlicher Fachrichtungen mit der Begutachtung zu beauftragen.
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
zu § 67d Abs. 3 StGB, wonach nur davon
ausgegangen wird, daß die Ergebnisse der in dem entsprechenden Verfahren
erhobenen Gutachten dann von einem Facharzt mit psychiatrischer Ausbildung
und Erfahrung gewichtet und in einen Gesamtzusammenhang eingestellt
werden (BVerfGE 109, 133, 164 f.; vgl. auch BGHSt 23, 8, 12 f.).
6. Entgegen der Auffassung der Revision ist weder ein Verstoß gegen
das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG noch das aus Art. 2
Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete rechtsstaatliche
Vertrauensschutzgebot gegeben, weil die rein präventative Maßnahme der Sicherungsverwahrung
nicht vom Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG umfaßt
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wird (BVerfGE 109, 133, 167 ff.) und als Maßregel der Besserung und Sicherung
bereits zum Zeitpunkt des Strafurteils gegen den Verurteilten hätte ausgesprochen
werden können. Ob unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes
für Altfälle bei der Anwendung der § 66b Abs. 1 und 2 StGB, sofern
diese auf die formellen Voraussetzungen des durch das 6. StrRG eingeführten
§ 66 Abs. 3 StGB verweisen, etwas anderes gilt, weil damit auch solche Taten
erfaßt würden, die vor Einführung des § 66 Abs. 3 StGB begangen wurden,
kann hier offen bleiben.
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1. Bei der Therapieverweigerung muß es sich um eine Tatsache handeln,
die erst nach der Verurteilung erkennbar geworden ist. Kommt das Landgericht
zu dem Ergebnis, daß eine Therapieverweigerung vorliegt, wird es prüfen
müssen, ob im Urteil vom 10. Februar 1997 Ausführungen zur Frage der
Therapiewilligkeit enthalten sind oder nicht. Hat der Angeklagte bereits in der
damaligen Hauptverhandlung keine Bereitschaft zu einer Therapie zur Behandlung
seiner Pädophilie mit homosexueller Ausrichtung bekundet, handelte es
sich um eine Tatsache, die das erkennende Gericht ohne weiteres bei der Frage
der Verhängung von Sicherungsverwahrung, deren formelle Voraussetzungen
gemäß § 66 Abs. 2 StGB zum damaligen Zeitpunkt schon vorlagen, hätte
berücksichtigen können.
2. Im Rahmen der Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und
ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs verbietet sich eine
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abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognoseentscheidung
(vgl. BVerfGE 109, 190, 242). Auch wenn bestimmte Persönlichkeitsstörungen
von vornherein ein hohes Rückfallrisiko beinhalten, entbindet dies das
Landgericht nicht von einer individuellen Gefährlichkeitsprognose. Der Umstand,
daß nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. B. und
Dr. R. bei einer Pädophilie mit homosexueller Ausrichtung ein über 50 Prozent
liegendes Rückfallrisiko für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
anderer besteht, kann für sich allein nicht die Gefährlichkeit ohne eine
weitere, umfassende Gesamtwürdigung begründen. Ansonsten eröffnete dies
einen Anwendungsbereich des § 66b StGB, der sich entgegen der Absicht des
Gesetzgebers nicht nur auf wenige Fälle beschränkte.
3. Auch in einem Urteil über die nachträgliche Sicherungsverwahrung
sind in den Gründen die speziellen Anforderungen für seine revisionsrechtliche
Nachprüfbarkeit zu beachten. § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO verlangt eine in sich
geschlossene Darstellung der vom erkennenden Gericht zur Urteilsgrundlage
gemachten Feststellungen. Die Urteilsgründe müssen klar, geschlossen, erschöpfend
und aus sich heraus verständlich sein (BGHSt 30, 225, 227; 33, 59,
60). Die Bezugnahme auf andere Schriftstücke und Erkenntnisquellen ist deshalb
grundsätzlich unzulässig (BGH aaO). Allerdings kann in demselben Verfahren
zur Vermeidung von Wiederholungen ein neuer Tatrichter beispielsweise
auf die von einer Teilaufhebung nicht erfaßten Feststellungen eines früheren
Urteils Bezug nehmen (BGHSt 24, 274, 275; 30, 225, 227; 33, 59, 60). Diese
Grundsätze lassen sich auch auf Entscheidungen über die Anordnung einer
nachträglichen Sicherungsverwahrung anwenden. Die Feststellungen im Urteil,
in dem der Verurteilte zu einer Freiheitsstrafe wegen eines der in § 66b StGB
genannten Verbrechen oder Vergehen verurteilt worden ist, sind rechtskräftig.
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Sie bleiben aufrechterhalten und binden das Gericht, das über die nachträgliche
Sicherungsverwahrung zu befinden hat. Die Bindungswirkung ist nur insoweit
eingeschränkt, als die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung
in Betracht kommt. Wird dabei auf das Ausgangsurteil Bezug genommen,
muß der Umfang der in Bezug genommenen Feststellungen eindeutig und
zweifelsfrei erkennbar sein (vgl. BGHSt 24, 274, 275). Aus Gründen der Verständlichkeit
kann es allerdings dennoch angezeigt erscheinen, die Straftaten
im Sinne des § 66b StGB kurz darzustellen.
Auf jeden Fall ist jedoch darzulegen, ob und inwieweit im Ausgangsurteil
Ausführungen zur Sicherungsverwahrung oder vorbehaltenen Sicherungsverwahrung
enthalten sind. Auch kann - sofern solches sich nach den vom Verurteilten
begangenen Taten nicht aufdrängt - es erforderlich sein, darzulegen,
worauf sich die Prognose stützt, daß durch die befürchteten künftigen Straftaten
Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
4. Darüber hinaus sind auch im Rahmen des § 66b Abs. 1 StGB Feststellungen
zum Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
grundsätzlich nicht entbehrlich. Zwar wird im Regierungsentwurf ausgeführt,
daß auf das Merkmal des „Hanges“ verzichtet werde, weil der Strafvollzug angesichts
der künstlichen Bedingungen nicht geeignet sei, bestehende Unsicherheiten
hinsichtlich des Merkmals zu beseitigen, insbesondere wenn gerade
das Vollzugsverhalten Anlaß gebe, sich mit der Gefährlichkeit des Täters auseinanderzusetzen
(BTDrucks. 15/2887 S. 13). Im Wortlaut des Gesetzes hat
diese Zielsetzung jedoch keinen Niederschlag gefunden, weil § 66b StGB die
übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB erwähnt, ohne § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
auszunehmen. Dabei mag zwar nahe liegen, daß die Bejahung einer hohen
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Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung erheblicher Straftaten im Regelfall
auch auf das Vorliegen eines „Hanges“ hindeutet; zwingend ist dies jedoch
nicht, so daß diese Frage der ausdrücklichen Prüfung durch die Strafkammer
bedarf.
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5. Für das weitere Verfahren wird ausdrücklich auf die besondere Eilbedürftigkeit
der Sache hingewiesen.
Wahl Kolz Hebenstreit
Elf Graf
BGHSt: ja
BGHR: ja
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StGB § 66b Abs. 1; StPO § 275a Abs. 4
1. Die Verweigerung oder der Abbruch einer Therapie können zwar grundsätzlich
neue Tatsachen sein, die erst nach der Verurteilung und vor Ende des
Vollzuges erkennbar werden und auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten
für die Allgemeinheit hinweisen, reichen aber für sich allein nicht
aus, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen.
2. Die Prüfung des Merkmals des Hanges zu erheblichen Straftaten (§ 66
Abs. 1 Nr. 3 StGB) ist auch im Rahmen der Anordnung einer nachträglichen
Sicherungsverwahrung nicht entbehrlich.
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3. Aus § 275a Abs. 4 Satz 1 StPO ergibt sich nicht zwingend, daß mit der Begutachtung
jeweils zwei Fachärzte mit psychiatrischer Ausbildung und Erfahrung
beauftragt werden müssen.
BGH, Urteil vom 11.05.2005 - 1 StR 37/05 - LG Bayreuth



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