BGH,
Urt. v. 11.10.2000 - 3 StR 336/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 336/00
vom
11. Oktober 2000
in der Strafsache gegen
wegen des Verdachts der Untreue
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11.
Oktober 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Kutzer, die Richter am Bundesgerichtshof Winkler,
Pfister, von Lienen, Becker als beisitzende Richter, Bundesanwalt in
der Verhandlung, Staatsanwalt bei der Verkündung als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Oldenburg vom 14. April 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der Untreue
freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der
Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Angriffen gegen die
Beweiswürdigung. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte, der als
Verwaltungsleiter einer kirchlichen Stiftung für deren
Zahlungs- und Finanzverkehr zuständig und
kontobevollmächtigt war, in neun Fällen der N. AG
Aufträge zum Erwerb von Aktien, Devisen- und Aktien-Optionen
erteilt und in acht Fällen die Kontrakte durch
Überweisung von Bankkonten der Stiftung bezahlt. Innerhalb von
zwei Monaten überwies der Angeklagte 5,015 Mio DM. Dabei
überzog er mit der fünften Überweisung
erstmals ein Konto der Stiftung. Für die weiteren
Überweisungen ließ er sich von der Darlehenskasse im
Bistum M. Überziehungskredite von 4,7 Mio DM
einräumen. Entgegen den Vereinbarungen legte die N. AG die
Gelder nicht an, sondern verbrauchte sie anderweitig. Die Stiftung
erhielt nach Einschaltung eines Rechtsanwalts lediglich 15.000 DM
zurück. Der Angeklagte schloß - ohne dazu berechtigt
zu sein - die Geschäfte für die Stiftung ab. Er sah
unter dem Eindruck zahlreicher Anrufe von Telefonverkäufern
der N.
AG die Gelegenheit, die lediglich zu einem banküblichen
Zinssatz auf Festgeldkonten angelegten Gelder der Stiftung binnen
kurzer Zeit beträchtlich zu vermehren und wollte - ohne sich
davon einen privaten finanziellen Vorteil zu versprechen - einen
möglichst hohen Gewinn für die Stiftung herausholen,
auch um auf diese Weise seine Eignung als Verwaltungsleiter unter
Beweis zu stellen.
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen
Gründen freigesprochen, weil es davon ausgegangen ist,
daß der Angeklagte jedenfalls darauf vertraut hatte, es werde
zu keinen Nachteilen kommen, und es sich nicht davon
überzeugen konnte, daß der Angeklagte bei seinen
Mißbrauchshandlungen mit zumindest bedingtem Vorsatz
gehandelt hat.
Das Urteil muß aufgehoben werden, weil die Strafkammer von
einem rechtlich unzutreffenden Ausgangspunkt ausgegangen ist. Auf die
Angriffe der Revision gegen die Beweiswürdigung kommt es
deshalb nicht an.
Ehe der Tatrichter den Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der
Nachteilszufügung verneinen kann, muß er das
objektive Tatgeschehen zutreffend beurteilen und genau darlegen, welche
Handlung des Angeklagten er als Mißbrauch der ihm
eingeräumten Befugnis, über fremdes Vermögen
zu verfügen, ansieht. Dies setzt Feststellungen zu den dem
Angeklagten eingeräumten Befugnissen voraus. Erst wenn
feststeht, was der Angeklagte nicht (mehr) tun durfte, kann
geprüft werden, ob bereits diese Handlung zu einem Nachteil
für das betreute Vermögen geführt und welche
Vorstellungen sich der Angeklagte in Bezug auf diese Handlung und ihre
Folgen gemacht hat. Dabei können die Grenzen der Befugnis des
Angeklagten nicht erst, worauf das Urteil besonders abhebt, durch
§ 6 Abs. 3 des Niedersächsischen Stiftungsgesetzes,
sondern auch schon durch den Arbeitsvertrag des Angeklagten gezogen
werden.
Das Urteil enthält keine ausreichenden Feststellungen dazu,
was der Angeklagte als "hauptamtlich kommissarischer Verwaltungsleiter"
(UA S. 4) des St. V. -Stiftes durfte. Die Feststellung, es sei ihm die
"laufende Geschäftsführung und Verwaltung als
Rendant" übertragen gewesen, wobei er "an die Weisungen des
Kuratoriums dieser Stiftung gebunden" gewesen sei (UA S. 5), belegt
nicht, daß der Angeklagte auch befugt war, die als Festgelder
angelegten Rücklagen des Stiftes auf irgend eine andere, sei
es auch noch so gewinnbringende Weise neu anzulegen; vielmehr legt dies
nahe, daß der Angeklagte eine solche, über die
"laufenden Geschäfte" hinausgehende Befugnis gerade nicht
hatte. Dann aber wäre bereits jede
Vermögensumschichtung eine Pflichtwidrigkeit des Angeklagten
gewesen, die zumindest eine schadensgleiche
Vermögensgefährdung hätte auslösen
können. Erst recht gilt dies für eine eventuelle
Befugnis des Angeklagten zur Kreditaufnahme. Hier liegt es besonders
nahe, daß der Angeklagte bereits aufgrund der mit ihm in
seinem Arbeitsvertrag getroffenen Regelungen verpflichtet war, vor
Abschluß von Darlehensverträgen die Zustimmung
Dritter einzuholen. Die Unkenntnis solcher arbeitsvertraglicher
Beschränkungen, wenn sie denn vom Angeklagten behauptet
würde, wäre anders zu beurteilen als die
über Vorschriften des Niedersächsischen
Stiftungsgesetzes.
Zumindest setzt sich das Urteil nicht mit dem Widerspruch auseinander,
daß der Angeklagte nach seiner Einlassung, der die Kammer
folgt, die Gelder des Stiftes beträchtlich zu vermehren
gedachte (UA S. 6), daß er aber dafür alsbald
erhebliche Verbindlichkeiten (Zins- und Tilgungszahlungen) einging, die
das Stift belasteten.
Auf der Grundlage genauerer Feststellungen darüber, was der
Angeklagte rechtlich durfte und was er über den Umfang seines
Dürfens wußte, wird der neue Tatrichter die Frage
des bedingten Schädigungsvorsatzes neu zu entscheiden haben.
Kutzer Winkler Pfister von Lienen Becker |