BGH,
Urt. v. 11.9.2003 - 4 StR 193/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 193/03
vom
11.09.2003
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11.09.2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
des Landgerichts Bochum vom 12. November 2002 im
Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zwei
Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt
und
die Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung
ausgesetzt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu
Ungunsten
des Angeklagten eingelegten Revision, die sie - wie die
Revisionsbegründung
deutlich macht - trotz des umfassend gestellten Aufhebungsantrages
wirksam
auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat (vgl. BGHR StPO
§ 344 Abs. 1
Antrag 3). Das auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte
Rechtsmittel hat
Erfolg.
1. Nach den Feststellungen schlug der hochverschuldete Angeklagte der
M. K. GmbH & Co KG, dessen Geschäftsführer er
gut kannte, die Beteiligung
an einem Kunststoffhandelsgeschäft vor. Mit dem einzusetzenden
Geld sollten
- 4 -
angeblich sogenannte „Streckengeschäfte“
mit solventen Partnern und sicherer
Gewinnaussicht finanziert werden. Den Gewinn veranschlagte der
Angeklagte
auf 10 %; er sollte zwischen ihm und der M. K. GmbH & Co KG
hälftig geteilt
werden. Im Vertrauen auf die Angaben des aus seiner früheren
Tätigkeit in der
Kunststoffbranche als seriöser Geschäftsmann
bekannten Angeklagten leistete
die M. K. GmbH & Co KG vier Zahlungen über insgesamt
475.000 DM, und
zwar jeweils auf Anforderung des Angeklagten Einzelbeträge von
50.000 DM
am 14. Februar 2000, 160.000 DM am 21. Februar 2000, 80.000 DM am
1. März 2000 und 185.000 DM am 21. Juni 2000.
Tatsächlich schloß der Angeklagte
kein Geschäft der bezeichneten Art ab, sondern verwendete
entsprechend
seinem Tatplan den überwiegenden Teil des Geldes zur Abdeckung
von
Verbindlichkeiten aus seiner früheren
Unternehmertätigkeit. Rückzahlungen an
die M. K. GmbH & Co KG leistete er nicht (Fall 1). Noch
während die M. K.
GmbH & Co KG auf Rückzahlung der eingesetzten Gelder
drängte, spiegelte
der Angeklagte dem Inhaber einer für ihn tätigen
Gebäudereinigungsfirma
ebenfalls die Möglichkeit einer kurzfristigen Geldanlage mit
einer Verzinsung
von 10 % vor. Im Vertrauen auf die Angaben des kompetent und
seriös wirkenden
Angeklagten stellte dieser am 2. November 2000 einen Betrag von 10.000
DM zur Verfügung. Die Rückzahlung nebst 1.000 DM
Gewinn wurde für den
1. Februar 2001 vereinbart. Auch hier investierte der Angeklagte das
Geld
nicht, sondern verwendete es entsprechend seiner vorgefaßten
Absicht zur
Deckung seiner laufenden Lebenshaltungskosten (Fall 2).
2. Das Landgericht hat - infolge der wirksamen Beschränkung des
Rechtmittels auf den Rechtsfolgenausspruch für den Senat
bindend (vgl. BGH
NStZ-RR 1996, 267) - die betrügerische Erlangung der Zahlungen
im Fall 1
rechtlich als eine Handlung bewertet und hierfür eine
Einzelfreiheitsstrafe von
- 5 -
einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt. Im Fall 2 hat es eine
Einzelfreiheitsstrafe
von sechs Monaten verhängt. Hierbei hat es jeweils das
Vorliegen
besonders schwerer Fälle im Sinne des § 263 Abs. 3
Satz 2 Nrn. 1 und 2 StGB
verneint und ausgeführt, es sei insoweit maßgeblich
darauf abzustellen, ob das
gesamte Tatbild unter Berücksichtigung der
Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt
der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle
derart abweiche, daß „die
Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten“ erscheine.
Gewerbsmäßig
habe der Angeklagte nicht gehandelt, denn er habe „mit den
Taten allein weder
seinen Lebensunterhalt verdient“, noch sei er in der
planmäßigen Absicht vorgegangen,
sich durch die wiederholte Tatbestandsverwirklichung eine laufende
Einnahmequelle von einiger Dauer zu verschaffen. Vielmehr seien die
Taten
„Ausdruck des Wunsches des Angeklagten, sich wieder
kurzzeitig Luft vor allzu
drängenden Altgläubigern zu verschaffen und durch
neue Schulden alte drängende
Verbindlichkeiten begleichen zu können“ (UA 17).
Auch die Höhe des
Schadens rechtfertige nicht die Annahme eines besonders schweren Falles.
Insoweit müsse zu Gunsten des Angeklagten insbesondere sein
vorbehaltloses
Geständnis in der Hauptverhandlung, seine Bereitschaft zur
Schadenswiedergutmachung,
die Verwendung der Gelder zur Schuldentilgung und namentlich
im Fall 1 berücksichtigt werden, daß die
„schwer verständliche Leichtgläubigkeit
der Anlegerfirma in Verbindung mit einer nicht unerheblichen
Geldgier“ die
Tat wesentlich erleichtert habe (UA 18). Bei einer
Gesamtwürdigung reiche
daher zur Ahndung jeweils der Regelstrafrahmen aus.
3. Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen
Bedenken.
- 6 -
a) Sie lassen bereits besorgen, daß das Landgericht bei der
Beurteilung
der Frage, ob die Betrugstaten des Angeklagten als besonders schwere
Fälle
im Sinne des § 263 Abs. 3 Satz 2 StGB zu qualifizieren sind,
von einem fehlerhaften
rechtlichen Ansatz ausgegangen ist. Nach § 263 Abs. 3 StGB in
der
Fassung des 6. Strafrechtsreformgesetzes wird ein besonders schwerer
Fall
durch die Verwirklichung eines der in Satz 2 Nrn. 1 bis 5 bezeichneten
Regelbeispiele
indiziert. Sind die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben,
so bestimmt sich der „Regelstrafrahmen“ nach dem
erhöhten Strafrahmen; einer
zusätzlichen Prüfung, ob dessen Anwendung im
Vergleich zu den im
Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden
Fälle geboten erscheint,
bedarf es hier nicht. Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang
zitierte
Rechtsprechung betraf - soweit überhaupt einschlägig
- die Regelung des §
263 Abs. 3 StGB a.F., die keine Regelbeispiele, sondern einen
unbenannten
besonders schweren Fall zum Gegenstand hatte und die zudem
gegenüber
§ 263 Abs. 3 StGB in der geltenden Fassung ein
höheres Mindeststrafmaß (ein
Jahr statt nunmehr sechs Monate Freiheitsstrafe) vorsah.
b) Zwar kann die Indizwirkung des Regelbeispiels durch besondere
strafmildernde Umstände entkräftet werden, die
für sich allein oder in ihrer Gesamtheit
so schwer wiegen, daß die Anwendung des Strafrahmens
für besonders
schwere Fälle unangemessen erscheint (vgl. BGH NStZ 1999, 244,
245;
Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 46 Rdnr. 91 m.w.N.).
Das Landgericht hat
- was rechtlich nicht zu beanstanden ist - im Fall 1 ersichtlich das
Regelbeispiel
des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 1. Alt StGB
(Herbeiführung eines Vermögensverlustes
großen Ausmaßes) als erfüllt angesehen.
Die von ihm vorgenommene
Gesamtwürdigung ist jedoch - ungeachtet des aufgezeigten
verfehlten Ansatzes
- ebenfalls nicht frei von rechtlichen Mängeln.
- 7 -
Sie ist einerseits in einem wesentlichen Punkt lückenhaft. Das
Landgericht
hat nämlich - wie die Revision zu Recht rügt - bei
der Abwägung, ob ein
besonders schwerer Fall vorliegt, nicht erkennbar
berücksichtigt, daß der Angeklagte
schon 1997 und 1998 wegen einschlägiger Straftaten zu
Bewährungsstrafen
verurteilt worden war und damit die hier abgeurteilten Taten jeweils
unter laufender Bewährung, die Tat zu Fall 1 sogar unter
laufender Bewährung
aus beiden Vorverurteilungen, begangen hat. Diese Umstände
hätten
hier schon deshalb besonderer Erörterung bedurft, da der
Angeklagte seinen
eigenen Angaben zufolge bereits die den genannten Vorverurteilungen
zugrundeliegenden Betrugstaten „in dem Bemühen
(beging), Altschulden zu
stopfen“ (UA 8).
Des weiteren ist der vom Landgericht herangezogene strafmildernde
Umstand, die Tatbegehung sei - namentlich im Fall 1 - durch die
„schwer verständliche“
Leichtgläubigkeit und „nicht unerhebliche
Geldgier“ der Geschädigten
erleichtert worden, nicht ohne weiteres mit den getroffenen
Feststellungen
in Einklang zu bringen. Danach verfügte der Angeklagte als
langjähriger
Marketingleiter eines namhaften Unternehmens der Kunststoffbranche
„über
vielfältige Kontakte als seriöser
Geschäftsmann“, beschloß diese
für seine
Zwecke auszunutzen und vertraute darauf, von den Kunden, die ihn seit
langem
kannten, auf diesem Gebiet „als kompetent und seriös
akzeptiert zu werden“
(UA 8/9). Die den Anlegern zugesagten Gewinnmargen lagen zudem
gegenüber
vergleichbaren Fällen eher im unteren Bereich.
c) Das Urteil kann schließlich im Rechtsfolgenausspruch auch
deshalb
keinen Bestand haben, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte
- 8 -
habe bei den ausgeurteilten Taten jeweils nicht
gewerbsmäßig gehandelt,
rechtlicher Überprüfung nicht standhält.
Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn der
Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte
Tatbegehung eine fortlaufende
Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.
Liegt ein derartiges Gewinnstreben vor, ist schon die erste der ins
Auge gefaßten
Tathandlungen als gewerbsmäßig anzusehen (st. Rspr.,
vgl. nur BGH
NStZ 1995, 85 sowie Tröndle/Fischer aaO vor § 52 Rdn.
37 m.w.N.). Entgegen
der Auffassung des Landgerichts ist weder erforderlich, daß
der Täter beabsichtigt,
seinen Lebensunterhalt „allein“ oder auch nur
überwiegend durch die
Begehung von Straftaten zu bestreiten (vgl. Tröndle/Fischer
aaO), noch steht
der Annahme der Gewerbsmäßigkeit entgegen,
daß er in dem Bestreben handelt,
mit dem erlangten Geld alte Verbindlichkeiten abzutragen (vgl. BGH NJW
1998, 2913, 2914 sowie hierzu auch BGH, Urteil vom 25. Juni 2003 - 1 StR
469/02). Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt es daher nahe,
daß der Angeklagte
jedenfalls im Fall 1 gewerbsmäßig handelte, zumal er
- wie das Landgericht
an anderer Stelle ausgeführt hat - von vorneherein
beabsichtigte, den
als zahlungsbereit eingeschätzten
Geschäftsführer der Geschädigten als
„Finanzierungsquelle“
einzusetzen, um von ihm soviel Geld zu erhalten, wie jeweils
zur Schuldentilgung notwendig war (UA 15/16). Aufgrund des gegebenen
zeitlichen Zusammenhanges kann der Senat nicht ausschließen,
daß der Angeklagte
auch im Fall 2 in Fortsetzung des einmal gefaßten
Entschlusses, sich
durch die Begehung von Betrugsstraftaten eine fortlaufende
Einnahmequelle
zu verschaffen, gehandelt hat.
- 9 -
Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung der erneuten Verhandlung
und Entscheidung.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible |