BGH,
Urt. v. 11.9.2008 - 4 StR 284/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 284/08
vom
11.9.2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter sexueller Nötigung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11.9.2008, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Maatz
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann,
Dr. Mutzbauer als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bayreuth vom 27. Februar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchter sexueller Nötigung
verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil
mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der
Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus
abgesehen worden ist.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger
Trunkenheit im Verkehr und wegen versuchter sexueller Nötigung
zu einer Gesamtfreiheitsstra-
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fe von einem Jahr verurteilt. Ferner hat es gegen ihn ein Fahrverbot
von drei Monaten verhängt und bestimmt, dass ihm vor Ablauf
von zwei Jahren keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte
die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft wendet sich
mit ihrer wirksam beschränkten Revision dagegen, dass das
Landgericht die Anordnung einer Maßregel nach § 63
StGB abgelehnt hat.
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I.
Der 64 Jahre alte Angeklagte ist mehrfach vorbestraft, u.a. wegen
Körperverletzung, exhibitionistischer Handlungen, Erregung
öffentlichen Ärgernisses und wegen Beleidigung. Am
22. Juni 2005 verurteilte ihn das Amtsgericht Bayreuth wegen
fahrlässigen Vollrausches, gefährlicher
Körperverletzung, Bedrohung in vier rechtlich
zusammentreffenden Fällen und wegen Diebstahls in zwei
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs
Monaten und ordnete seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.
Diese Strafe verbüßte der Angeklagte, nachdem die
angeordnete Maßregel für erledigt erklärt
worden war, bis zum 3. April 2007. Nach jahrelangem intensiven
Alkoholmissbrauch leidet der Angeklagte an einer
„Alkoholabhängigkeitserkrankung“, die zu
einer „organischen
Persönlichkeitsstörung“ geführt
hat.
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Der Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter sexueller
Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten liegen im
Wesentlichen folgende Feststellungen zu Grunde:
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Der erheblich alkoholisierte Angeklagte hielt sich am 17. September
2007 gegen 16.30 Uhr in der Fußgängerzone in
Bayreuth auf und traf dort auf die am 9. Oktober 1993 geborene Jasmin
L. und ihre etwa gleichaltrigen Freundinnen Denise D. und Juliane F. .
Er belästigte die Mädchen mit obszönen,
sexualbezogenen Äußerungen. Die Mädchen
entfernten sich und gingen zu einem nahe gelegenen Brunnen. Der
Angeklagte folgte ihnen und stellte sich vor Jasmin L. , die sich auf
den Brunnenrand gesetzt hatte. Er erklärte ihr, er
könne mehrmals am Tage Sex haben und forderte die
Mädchen auf, gegen 23.00 Uhr zu ihm nach Hause zu kommen. Dort
könne man eine "Sex-Party" veranstalten. Der Angeklagte legte
seine Hände auf die Oberseite der Oberschenkel des
Mädchens, das eine Hose trug, und streichelte die
Oberschenkel. Als Jasmin L. ihre Oberschenkel zusammenpresste und
aufzustehen versuchte, hielt der Angeklagte sie fest, um die
Innenseiten der Oberschenkel und den Genitalbereich des
Mädchens über der Kleidung zu
„begrapschen“. Denise D. und Juliane Feige zerrten
Jasmin L. vom Angeklagten gegen dessen Widerstand weg. Die dem
Angeklagten um 18.30 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine
Blutalkoholkonzentration von 1,83 ‰.
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Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen sexuellen
Missbrauchs eines Kindes verneint, weil dieser nicht habe erkennen
können, dass Jasmin L. noch nicht 14 Jahre alt war, und hat
den Angeklagten der versuchten sexuellen Nötigung schuldig
gesprochen. Es hat einen strafbefreienden Rücktritt verneint,
weil der Angeklagte sein Vorhaben wegen des Eingreifens der Freundinnen
des Tatopfers nicht habe zu Ende führen können.
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Das Landgericht hat einen minder schweren Fall im Sinne des §
177 Abs. 5 StGB u.a. deshalb bejaht, weil die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten wegen seiner organischen
Persönlichkeitsstörung als Folge seiner Alkoholab-
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hängigkeitserkrankung erheblich vermindert gewesen sei. Es hat
ferner von der Milderungsmöglichkeit gemäß
§§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht. Die
Zubilligung der Versuchsmilderung sei vertretbar, auch wenn dem
Angeklagten die weitere Tatausführung durch das Eingreifen der
Freundinnen des Tatopfers unmöglich geworden sei.
„Immerhin“ habe „der Angeklagte
freiwillig von weiteren - auch verbalen - Zudringlichkeiten
abgesehen“ .
Die Voraussetzungen des § 64 StGB für eine
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat das
sachverständig beratene Landgericht verneint, weil eine
weitere Therapie des Angeklagten "keinerlei" Erfolgsaussichten habe.
Auch eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus gemäß § 63 StGB komme nicht in
Betracht. Zwar liege bei dem Angeklagten eine organische
Persönlichkeitsstörung im Sinne eines
überdauernden Zustandes vor. Die Anlasstat und die den
Vorverurteilungen zu Grunde liegenden Taten rechtfertigen nach
Auffassung des Landgerichts jedoch nicht die Annahme, dass von dem
Angeklagten infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige
Taten zu erwarten sind.
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II.
Revision des Angeklagten:
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Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung seiner
Verurteilung wegen versuchter sexueller Nötigung und zur
Aufhebung der Gesamtstrafe. Im Übrigen ist sein Rechtsmittel
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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Die Verurteilung wegen versuchter sexueller Nötigung hat
keinen Bestand.
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Durch die bisherigen Feststellungen ist zwar noch hinreichend belegt,
dass der Angeklagte das Tatopfer zur Duldung intensiver,
länger dauernder Berührungen der Innenseite seiner
Oberschenkel und seines Genitalbereichs nötigen wollte. Solche
Handlungen sind unter Berücksichtigung des hier gegebenen
Handlungsrahmens (vgl. dazu BGH NStZ-RR 1999, 357), insbesondere der
Äußerungen des Angeklagten gegenüber dem
Tatopfer und dessen Freundinnen, als sexuelle Handlungen im Sinne des
§ 184 f Nr. 1 StGB zu werten.
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Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet aber die Verneinung eines
strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten vom (unbeendeten)
Versuch der sexuellen Nötigung gemäß
§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB. Ein solcher Rücktritt durch
freiwilliges Aufgeben der weiteren Ausführung der Tat ist
ausgeschlossen, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist (vgl. BGHSt 39,
221, 228 m. w. N.). Ein fehlgeschlagener Versuch liegt jedoch dann
nicht vor, wenn der Täter die Tat, wie er weiß, mit
den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden einsatzbereiten
Mitteln ohne zeitliche Zäsur noch vollenden kann (st. Rspr.;
BGHSt 34, 53, 56; 35, 90, 94; 39, 221, 228). Dies hat das Landgericht
nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Denn die
Urteilsausführungen zur Rücktrittsfrage weisen einen
auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht
aufzulösenden Widerspruch auf. Das Landgericht hat
nämlich dem Angeklagten, obwohl es einen freiwilligen
Rücktritt verneint hat, bei der Strafrahmenwahl gleichwohl
zugute gehalten, „immerhin“ habe er
„freiwillig von weiteren - auch verbalen -
Zudringlichkeiten“ abgesehen.
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Die danach gebotene Aufhebung der Verurteilung wegen versuchter
sexueller Nötigung zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach
sich.
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III.
Revision der Staatsanwaltschaft:
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Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
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Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht die Ablehnung der
Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Denn die Würdigung, auf die das Landgericht die für
den Angeklagten günstige Gefährlichkeitsprognose
stützt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Sie ist lückenhaft und lässt deshalb die
gebotene umfassende revisionsrechtliche Überprüfung
der Würdigung der Persönlichkeit und der den
Vorverurteilungen zugrunde liegenden Taten nicht zu.
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Diese Würdigung durch das Landgericht beschränkt sich
im Wesentlichen auf die Verurteilungen wegen exhibitionistischer
Handlungen, Erregung öffentlichen Ärgernisses und
wegen Beleidigung mit sexuellem Hintergrund. Soweit das Landgericht die
der Verurteilung durch das Amtgericht Bayreuth vom 30. Juni 2005 wegen
Vollrausches zugrunde liegende Tat als nicht erheblich im Sinne des
§ 62 StGB ansieht, lässt es außer acht,
dass die zum Nachteil einer Justizangestellten im dortigen
Gerichtsgebäude begangene Rauschtat eine rechtswidrige Tat im
Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB war. Der Generalbundesanwalt
beanstandet ferner zu Recht, dass die Verurteilung des Angeklagten
durch das vorgenannte Urteil wegen gefährlicher
Körperverletzung, die
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der Angeklagte mittels einer Bierflasche beging, mit der er auf das
Tatopfer einstach, nachdem sie nach einem Schlag auf dessen Kopf
zerbrochen war, nicht in die Gesamtwürdigung einbezogen worden
ist. Zudem lässt sich den Urteilsgründen nicht
entnehmen, ob der Angeklagte diese Tat, was nach den bisherigen
Feststellungen nahe liegt, ebenso wie die anderen den letzten
Vorverurteilungen zugrunde liegenden Taten infolge seines
„Zustandes“ begangen hat.
Soweit das Landgericht darauf verweist, dass mit Blick auf die nur
geringfügige Gewaltanwendung bei der
verfahrensgegenständlichen versuchten sexuellen
Nötigung gegenüber den früheren Taten keine
Steigerungstendenz zu erkennen sei, lässt es außer
acht, dass die Anlasstat selbst grundsätzlich nicht erheblich
sein muss (vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 63 Rdn. 3).
Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von
dem Täter infolge seines Zustandes zu erwarten sind und ob
diese erheblich im Sinne des § 63 StGB sind. Deshalb
hätte es, insbesondere auch im Hinblick darauf, dass der
Angeklagte nach Auffassung des Sachverständigen
„wohl in absehbarer Zeit“ in einer Einrichtung
für chronisch abhängige Alkoholkranke untergebracht
werden muss, der Mitteilung bedurft, zu welcher Einschätzung
der Sachverständige hinsichtlich der Gefährlichkeit
des Angeklagten gekommen ist.
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IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich
darauf hin, dass der für die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus erforderliche
„überdauernde“ Zustand (vgl. BGHSt 34, 22,
27; BGHR StGB § 63 Zustand 38) näherer Darlegung
bedarf. Jedenfalls genügt es nicht, mit dem
Sachverständigen „die weiteren medizinischen
Voraussetzungen des § 63 StGB“ zu bejahen.
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Im Falle der erneuten Verurteilung im Fall II. 2. der
Urteilsgründe und einer Anordnung auch der Maßregel
nach § 63 StGB wird zu prüfen sein, ob im Hinblick
darauf, dass der Angeklagte nunmehr unter Betreuung steht und die
Möglichkeit einer vormundschaftsgerichtlich genehmigten
Unterbringung des Angeklagten besteht, die Gesamtstrafe
gemäß § 56 Abs. 1 StGB und damit auch die
Maßregel gemäß § 67 b StGB zur
Bewährung ausgesetzt werden kann.
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Maatz Kuckein Athing
Ernemann Mutzbauer |