BGH,
Urt. v. 12.8.2009 - 2 StR 165/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 165/09
vom
12. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12.
August 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Mainz vom 30. September 2008 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger
Körperverletzung in Tatmehrheit mit fahrlässiger
Tötung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn
Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt wurde. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die eine
Verurteilung wegen Mordes erstrebt, hat mit der Sachrüge
Erfolg.
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1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Das Tatopfer, der zum
Tatzeitpunkt vier Jahre alte Sohn der Lebensgefährtin des
Angeklagten, hielt sich am Tattag, dem 25. April 2007, ab 17.00 Uhr
zusammen mit dem Angeklagten in dessen Wohnung auf. Am Vormittag dieses
Tages war der Geschädigte wegen eines am Vortag erlittenen
harmlosen Hundebisses an der Hand und wegen einer Erkältung
von seiner Mutter einem Kinderarzt vorgestellt worden; hierbei wurde
die Hand des Kindes mit einem Verband versorgt.
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Gegen 20.00 Uhr begann der Angeklagte, auf den ausdrücklichen
Wunsch des Kindes hin, den Jungen spielerisch in die Luft zu werfen und
wieder aufzufangen. Hierbei warf der 1,68 m große, 70 kg
schwere Angeklagte das 17 kg schwere Kind schließlich bis in
eine Höhe von etwa 2,25 m. Bei einem dieser Würfe
bemerkte der Angeklagte, dass er das Kind, das sich in der Luft
verdrehte, nicht würde auffangen können. Um den Sturz
abzufangen, zog er ruckartig sein rechtes Knie nach oben. Das Kind fiel
mit dem Bauch auf die Kniespitze des Angeklagten; gleichwohl gelang es
diesem nun, den Geschädigten aufzufangen. Er legte das Kind
auf die Couch; dieses klagte nur über geringe Schmerzen im
Bauch. Als es gegen 20.30 Uhr aufstand, brach es nach wenigen Schritten
zusammen. Unmittelbar darauf kam die Mutter des Kindes von der Arbeit
nach Hause; es wurde nun der Rettungsdienst und nach Anforderung um
21.57 Uhr schließlich auch ein Notarzt alarmiert. Das Kind
war bei dessen Eintreffen schläfrig,
bewusstseinsgetrübt, klagte über Bauchschmerzen und
war schließlich kaum noch ansprechbar.
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Die Mutter des Kindes informierte die Sanitäter und den
Notarzt über den Hundebiss an der Hand des Kindes; man ging
daher von einem möglichen septischen Geschehen als Ursache der
Bewusstseinstrübung aus. Das Kind wurde schließlich
im Rettungswagen narkotisiert und intubiert. Der Angeklagte
klärte weder seine Lebensgefährtin noch das
Rettungspersonal über das Sturzgeschehen auf. Hierbei handelte
er "aus Scham und in der Annahme, dass das Kind nunmehr medizinisch
ausreichend und umfassend versorgt" sei (UA S. 10).
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Um 22.53 Uhr wurde das geschädigte Kind in der Intensivstation
der Universitäts-Kinderklinik aufgenommen; dort verstarb es
etwa zwei Stunden später. Ursache hierfür waren die
inneren Verletzungen, die das Kind durch den Aufprall im Bauchraum
erlitten hatte, insbesondere eine Leberruptur sowie eine
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Perforation des Zwölffingerdarms. Bei sofortigem Hinweis des
Angeklagten an die eintreffenden Rettungskräfte hätte
das Kind signifikant länger gelebt; durch eine sofortige
Operation hätte sein Leben wahrscheinlich gerettet werden
können.
Das Landgericht hat das Geschehen beim Sturz als fahrlässige
Körperverletzung, das Verhalten des Angeklagten nach
Eintreffen der Rettungskräfte als in Tatmehrheit hierzu
stehende fahrlässige Tötung durch Unterlassen
angesehen. Einen Tötungsvorsatz oder einen
Körperverletzungsvorsatz des Angeklagten hat es als nicht
nachgewiesen, seine den Feststellungen entsprechende Darstellung des
Sturzgeschehens als nicht widerlegbar angesehen.
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2. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der
Staatsanwaltschaft ist begründet. Die Beweiswürdigung
des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht ankommt.
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a) Soweit sich das Landgericht bei seiner Bewertung auf die Gutachten
der verschiedenen medizinischen Sachverständigen
stützt, lässt sich nach den Urteilsgründen
nicht ausschließen, dass es den Ergebnissen dieser Gutachten,
soweit sie einzelne Elemente der Einlassungen des Angeklagten zum
Geschehensablauf und dessen unmittelbaren Folgen als medizinisch nicht
ausgeschlossen bezeichnet haben, unzutreffend hohes Gewicht beigemessen
hat. So sagt namentlich der Umstand, dass sich Bauchverletzungen wie
die von dem Geschädigten erlittene grundsätzlich
durch einen wuchtigen Aufprall auf die Kniespitze des Angeklagten
erklären lassen, nichts über die Wahrscheinlichkeit
eines solchen Geschehensablaufs aus. Zutreffend hat der
Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass der vom Angeklagten
geschilderte Ablauf, wonach der Angeklagte, um einen Sturz des Kindes
zu "verhindern", das er "nicht mehr würde auffangen
können" (UA S. 8), sein Knie "ruckartig" so weit nach
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oben zog, dass die Kniespitze nach oben zeigte - also
annähernd bis zur Kinnhöhe -, und dann trotz (oder
wegen) des Aufpralls des Kindes dieses auffing, in sich eher
lebensfremd und fern liegend erscheint. Insoweit hätte das
wechselnde Einlassungsverhalten des Angeklagten (UA S. 21),
insbesondere im Hinblick auf eine Anpassung an die gutachterlichen
Erkenntnisse, im Einzelnen erörtert und kritisch
geprüft werden müssen. Die Erwägung,
für die (angepasste) Einlassung des Angeklagten spreche, dass
sie mit der Einschätzung des Sachverständigen Prof.
Dr. E. übereinstimme (UA S. 21), übersieht, dass die
Einlassung erst in Kenntnis des und im Hinblick auf das
Sachverständigengutachten korrigiert wurde.
Im Hinblick auf die problematische Beweislage hätte das
Landgericht zudem eine kritische Gesamtabwägung aller Indizien
vornehmen und in den Urteilsgründen umfassend und
nachprüfbar darstellen müssen. Dabei war auch zu
berücksichtigen, dass trotz der naturwissenschaftlichen
"Möglichkeit" einzelner vom Angeklagten behaupteter Tatsachen
sich aus der Zusammenfassung einer Mehrzahl jeweils als
"äußerst unwahrscheinlich" festgestellter
Umstände ein Gesamtbild ergeben kann, welches der Annahme von
"Unwiderlegbarkeit" entgegensteht.
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b) Rechtsfehlerhaft ist auch die Beweiswürdigung zum Geschehen
nach Eintreffen der Rettungskräfte. Aus den
Urteilsgründen ergibt sich nicht, aus welchen Gründen
der Angeklagte davon, dass das Kind zu diesem Zeitpunkt erneut
über Schmerzen im Bauch klagte, nicht Kenntnis genommen haben
sollte.
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Unklar bleibt in den Urteilsgründen auch, worauf sich die
Feststellung stützt, der Angeklagte habe eine ausreichende
Versorgung des Kindes für gesichert und eine
wahrheitsgemäße Information daher für nicht
erforderlich gehal-
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ten. Vielmehr drängte sich das Gegenteil dieser Annahme nach
den festgestellten sonstigen Umständen ersichtlich auf. Selbst
wenn der Angeklagte von den Äußerungen des
verletzten Kindes gegenüber den Sanitätern keine
Kenntnis erlangt hätte, war für ihn doch offenkundig,
dass die Hinweise seiner Lebensgefährtin auf den (harmlosen)
Hundebiss geeignet waren, die Aufmerksamkeit des Notarztes vom
eigentlichen Verletzungsbild abzulenken. Es musste sich ihm
offensichtlich aufdrängen, dass eine
wahrheitsgemäße Information der
Rettungskräfte über das - angebliche -
Unfallgeschehen dringend erforderlich war, um eine alsbaldige
umfassende Versorgung des augenscheinlich schwer verletzten oder
erkrankten Kindes sicherzustellen.
Die Ablehnung nicht nur der Feststellung eines (bedingten)
Tötungsvorsatzes, sondern auch der Feststellung eines
Vorsatzes der Körperverletzung durch Verlängerung
oder Intensivierung der Gesundheitsbeschädigung und des
Leidens des Kindes wird von den bisherigen Feststellungen daher nicht
getragen. Das Urteil war daher insgesamt aufzuheben.
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3. Der neue Tatrichter wird auch der Frage des
Konkurrenzverhältnisses zwischen den Geschehensabschnitten
genauere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Das vom Landgericht
angenommene Verhältnis der Tatmehrheit zwischen zwei
Fahrlässigkeitstaten nach § 229 und § 222
StGB erscheint problematisch, da der Ursachen- und
Zurechnungszusammenhang zwischen der durch aktives Tun
herbeigeführten Verletzung und dem Tod des Kindes fortbestand;
für eine tatmehrheitliche Unterlassungstat fehlt es dann an
einer Grundlage.
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Anders wäre dies, wenn die neue Hauptverhandlung den Nachweis
eines (neuen) Tatentschlusses nach zunächst
fahrlässiger Körperverletzung und daher eines
zumindest bedingt vorsätzlichen Tötungsdelikts
(§§ 211, 212 StGB)
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oder Körperverletzungsdelikts (§§ 223, 227
StGB) durch Unterlassen ergäbe. Wieder anders wäre es
schließlich, wenn sich ein (bedingter) Vorsatz schon bei dem
Verletzungsgeschehen oder in der Zeitspanne zwischen Verletzung und
Herbeirufen des Rettungsdienstes (nach Eintreffen der Mutter) erweise.
All dies bedarf sorgfältiger neuer Prüfung.
Rissing-van Saan Rothfuß Fischer
Roggenbuck Schmitt |