BGH,
Urt. v. 12.12.2002 - 4 StR 297/02
4 StR 297/02
StGB §§ 211 Abs. 2, 13 Abs. 1
Hat der Täter das Tatopfer mit (bedingtem)
Tötungsvorsatz mißhandelt und
unterläßt er es anschließend, zur
Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des
(zunächst) überlebenden Opfers einzuleiten, so ist
eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes durch Unterlassen auch dann
nicht gegeben, wenn zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine
zeitliche Zäsur liegt.
BGH, Urteil vom 12. Dezember 2002 - - LG Rostock
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
12. Dezember 2002
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 12.
Dezember 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Dr. Kuckein, Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, Richter
am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter, Bundesanwalt
in der Verhandlung, Staatsanwalt bei er Verkündung als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Vertreter des Nebenklägers, Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt:
1.
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des
Landgerichts Rostock vom 4. März 2002 mit den Feststellungen
aufgehoben; jedoch werden die Feststellungen zum
Tötungsgeschehen (UA 8 Zeile 22 "Gegen ..." bis UA 9 Zeile 22
"... ab.") aufrechterhalten.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Ferner hat es
seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und
bestimmt, daß sieben Jahre der verhängten
Freiheitsstrafe vorweg zu vollstrecken sind.
Mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts
rügt, erstrebt der Nebenkläger die Verurteilung des
Angeklagten wegen eines durch Unterlassen verwirklichten
Verdeckungsmordes. Das zulässige Rechtsmittel führt
zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an
die Vorinstanz.
II.
Nach den Feststellungen mißhandelte der Angeklagte mit
bedingtem Tötungsvorsatz die zur Tatzeit zwei Jahre alte, mit
ihm in Hausgemeinschaft lebende Tochter seiner damaligen
Lebensgefährtin und jetzigen Ehefrau in derart massiver Weise,
daß das Kind später verstarb. Obwohl er erkannt
hatte, daß das schwer verletzte Kind ohne alsbaldige
ärztliche Hilfe sterben würde, unterließ er
jegliche Rettungsbemühungen. Aus Angst vor erneuter
Inhaftierung hielt der Angeklagte auch seine Ehefrau davon ab,
sofortige Rettungsmaßnahmen einzuleiten. Er
überredete sie vielmehr, eine von ihm erfundene Tatversion,
wonach die Tat durch unbekannte Eindringlinge in seiner Abwesenheit
verübt worden sei, zu bestätigen. Da das erfundene
Alibigeschehen nur bei weiterem Zeitablauf plausibel erscheinen konnte,
sahen der Angeklagte und seine Ehefrau auch in der Folge davon ab,
Rettung herbeizurufen. Erst etwa eineinhalb Stunden nach der Tat wurde
der Rettungsdienst verständigt. Ob das Opfer bei
unverzüglicher Verständigung eines Notarztes
hätte gerettet werden können, kann den Feststellungen
nicht entnommen werden.
III.
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten im ersten
(Handlungs-) Abschnitt als Totschlag (§ 212 StGB) bewertet.
Dies läßt für sich gesehen Rechtsfehler
weder zu seinen Gunsten noch zu seinem Nachteil (§ 301 StPO)
erkennen. Einen Verdeckungsmord (durch Unterlassen) hat es mit der
Begründung verneint, daß dem Angeklagten
anderenfalls "zum Vorwurf gemacht würde, nicht
gemäß § 24 StGB strafbefreiend von der
Vortat zurückgetreten zu sein". Soweit der Angeklagte auf die
Kindesmutter eingewirkt habe, um sie von sofortigen
Rettungsmaßnahmen abzuhalten, stelle sich sein Verhalten zwar
als Anstiftungshandlung dar. Diese sei jedoch nicht strafbar, weil der
Angeklagte, der seinen eigenen Angaben zufolge seiner Ehefrau die
Alibiversion "diktiert" habe, die Tatherrschaft gehabt habe. Diese
Ausführungen halten teilweise revisionsrechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
1. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht allerdings eine
Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verdeckungsmordes verneint.
a) Zwar kann der Tatbestand des Verdeckungsmordes auch durch ein
Unterlassen verwirklicht werden (vgl. BGH NJW 2000, 1730, 1732 m.w.N.).
Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht setzt jedoch
gemäß § 211 Abs. 2 StGB voraus,
daß der Täter die Tötungshandlung vornimmt
oder - im Falle des Unterlassens - die ihm zur Abwendung des
Todeseintritts gebotene Handlung unterläßt, um
dadurch eine andere Straftat zu verdecken. Dabei steht der Annahme
eines Verdeckungsmordes nicht bereits entgegen, daß sich
schon die zu verdeckende Vortat gegen die körperliche
Unversehrtheit des Opfers richtet und im unmittelbaren
Anschluß in die Tötung zur Verdeckung des
vorausgegangenen Geschehens übergeht (BGHSt 35, 116; BGH
NStZ-RR 1999, 234; NStZ 2000, 498; 2002, 253). Handelt der
Täter jedoch von Anfang an mit - sei es auch nur bedingtem -
Tötungsvorsatz, so liegt auch dann keine zu verdeckende Vortat
im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB vor, wenn er im Zuge der
Tatausführung die Tötung zusätzlich auch
deshalb herbeiführen will, um seine vorherigen Tathandlungen
zu verdecken. Allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht als
(weiteres) Tötungsmotiv macht die davor begangenen Einzelakte
nicht zu einer "anderen" Tat (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2000, 498, 499;
2002, 253; Senatsurteil vom 10. Oktober 2002 - 4 StR 185/02).
b) Nach diesen Grundsätzen wäre eine Strafbarkeit des
Angeklagten wegen eines durch Unterlassen verwirklichten
Verdeckungsmordes schon deshalb nicht gegeben, weil er nach den
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen das Tatopfer bereits im
vorausgegangenen Handlungsabschnitt mit (bedingtem)
Tötungsvorsatz mißhandelt hat. Allerdings ist nach
der Rechtsprechung die Rechtslage anders zu beurteilen, wenn zwischen
einer (zunächst erfolglosen) Tötungshandlung und der
erneuten mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen zweiten
Tötungshandlung eine deutliche zeitliche Zäsur liegt.
Faßt der Täter dann den Entschluß, das
(zumindest aus seiner Sicht zunächst überlebende)
Opfer nunmehr auch deshalb zu töten, um die Aufdeckung des
versuchten Tötungsdelikts zu verhindern, wird das Mordmerkmal
der Verdeckungsabsicht als erfüllt angesehen, da sich die
Tötungshandlung auf eine zunächst abgeschlossene,
mithin "andere" Tat bezieht (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2
Verdeckung 11; BGH StV 2001, 553; BGH NStZ 2002, 253). Gegenstand
dieser Rechtsprechung waren jedoch ausschließlich
Fälle, in denen das nachfolgende Tötungsgeschehen
durch positives Tun verwirklicht worden war.
c) Ob eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes auch durch Unterlassen
in Betracht kommt, wenn der Täter im vorausgegangenen
Handlungsteil bereits mit (bedingtem) Tötungsvorsatz gehandelt
hat, ist indes - soweit ersichtlich - höchstrichterlich nicht
entschieden.
aa) Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat allerdings in einem
Fall, in dem der Täter - nicht ausschließbar - das
Opfer bereits im ersten Handlungsteil mit (bedingtem)
Tötungsvorsatz mißhandelt hatte und es
anschließend in hilfloser Lage zurückließ,
eine Strafbarkeit wegen Aussetzung (§ 221 Abs. 1 2. Alt. StGB
a.F.) mangels Vorliegens einer Garantenstellung verneint und dies damit
begründet, daß der Täter, der
vorsätzlich oder bedingt vorsätzlich einen Erfolg
anstrebt oder billigend in Kauf nimmt, nicht zugleich verpflichtet sei,
ihn abzuwenden. Bei einem vorsätzlichen Angriff auf
menschliches Leben könne der Täter, wenn er sich
später eines besseren besinne und - erfolgreich - Hilfe
leiste, zwar zurücktreten und insoweit Strafbefreiung
erlangen; eine rechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung bestehe
jedoch nicht (BGHR StGB § 221 Konkurrenzen 1 = NStZ-RR 1996,
131). Übertragen auf den vorliegenden Fall würde dies
bedeuten, daß bereits wegen Fehlens einer Garantenstellung
eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verdeckungsmordes nicht in
Betracht käme.
Demgegenüber wird in Teilen des Schrifttums eine
Garantenstellung auch dann bejaht, wenn der Täter die Gefahr,
um deren Abwendung es geht, zuvor selbst vorsätzlich -
pflichtwidrig herbeigeführt hat (vgl. hierzu
ausführlich Stein JR 1999, 265 ff.). Insoweit wird jedoch
überwiegend die Auffassung vertreten, daß die
anschließende Unterlassenstat hinter der
vorsätzlichen Begehungstat im Wege der Gesetzeskonkurrenz
zurücktritt (Stein aaO S. 267 m.w.N.; vgl. auch Stree in
Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. Vorbem.
§§ 52 ff. Rdn. 107).
bb) Die Frage, ob der Täter nach einer vorsätzlich
begangenen (zunächst erfolglosen) Tötungshandlung
anschließend als Garant verpflichtet sein kann, den
Erfolgseintritt abzuwenden, bedarf jedoch für die hier allein
maßgebliche Frage, ob ein Verdeckungsmord (durch Unterlassen)
vorliegt, keiner Entscheidung, da es in den Fällen
bloßer Untätigkeit jedenfalls an einer für
das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erforderlichen "anderen"
Straftat fehlt. Wer es lediglich unterläßt, eine
durch vorausgegangenes positives Tun in Gang gesetzte Kausalkette zu
unterbrechen, "begeht" keine andere Straftat im Sinne des §
211 Abs. 2 StGB, sondern verfolgt lediglich sein
ursprüngliches Ziel weiter. Ebensowenig wie in den
Fällen einer weiteren Tötungshandlung kann hier
allein das Hinzutreten des weiteren Motivs der Verdeckungsabsicht ein
im übrigen einheitliches Geschehen in zwei Taten aufspalten.
Hierbei kann es - anders als bei aktivem Tun - keinen Unterschied
machen, ob zwischen der Tötungshandlung, dem Erkennen der
Erforderlichkeit einer Hilfeleistung und dem Entschluß, zur
Verdeckung der Tat oder Täterschaft keine Maßnahmen
zur Erfolgsabwendung zu unternehmen, eine zeitliche Zäsur
liegt. Denn der Täter, der - wie hier - nur untätig
bleibt, führt auch bei Vorliegen einer zeitlichen
Zäsur lediglich die ursprünglich gewollte Tat fort,
ohne eine neue Kausalkette in Gang zu setzen, die die Annahme einer
anderen Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB rechtfertigen
könnte. Er unterläßt es vielmehr nur,
worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, von dem
vorausgegangenen (versuchten) Tötungsdelikt
zurückzutreten. Dies vermag jedoch nicht schon eine
Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes zu begründen.
2. Keinen Bestand kann jedoch das Urteil haben, soweit das Landgericht
eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Anstiftung zum Mord bzw. zum
versuchten Mord durch Unterlassen verneint hat. Auf der Grundlage der
bisherigen Feststellungen hat der Angeklagte seine damalige
Lebensgefährtin und jetzige Ehefrau, die als leiblicher und -
offensichtlich - personensorgeberechtigter Elternteil des Opfers eine
Garantenstellung innehatte, dazu veranlaßt, zur Verdeckung
der Tat eines anderen (vgl. BGHSt 9, 180), nämlich seiner
eigenen Täterschaft, von der sofortigen Benachrichtigung eines
Rettungsdienstes abzusehen. Damit hat er - je nach dem, ob das Leben
des Opfers durch die unverzügliche Einleitung von
Rettungsmaßnahmen hätte gerettet werden
können oder nicht - einen anderen vorsätzlich zu
einem Mord oder versuchten Mord im Sinne des § 26 StGB
bestimmt. Daß der Angeklagte seiner Ehefrau die "Alibiversion
diktiert" hat und daher die Tatherrschaft gehabt habe, ändert
entgegen der Auffassung des Landgerichts hieran nichts. Welcher Mittel
sich der Anstiftende bedient, ist gleichgültig; taugliches
Anstiftungsmittel kann etwa auch eine Drohung sein (vgl.
Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 26 Rdn. 4).
3. Die rechtfehlerhafte Verneinung einer Strafbarkeit des Angeklagten
wegen Anstiftung zum Mord bzw. versuchten Mord zwingt auch zur
Aufhebung der für sich gesehen rechtsfehlerfreien Verurteilung
wegen Totschlags, da auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen
in Betracht kommt, daß beide Delikte eine Tat im Sinne einer
natürlichen Handlungseinheit bilden (vgl. hierzu Kuckein in KK
4. Aufl. § 353 Rdnr.12). Die dem Tötungsgeschehen
zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen können
jedoch bestehen bleiben.
Für das weitere Verfahren bemerkt der Senat:
Eine Verurteilung des Angeklagten wegen einer - in Tateinheit zum
Tötungsdelikt stehenden - Straftat nach § 225 StGB
liegt bei der hier gegeben Sachverhaltsgestaltung eher fern.
Hinsichtlich der Anordnung des Vorwegvollzuges von Freiheitsstrafe vor
der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verweist der Senat auf
die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner
Antragsschrift zu der (rechtswirksam zurückgenommenen)
Revision des Angeklagten.
Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanovic Ernemann |