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BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 - 4 StR 488/08


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 12.2.2009 - 4 StR 488/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 488/08
vom
12. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim BGH als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 1. Februar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben,
1. soweit der Angeklagte freigesprochen wurde und
2. im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, diese jeweils in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die die Freisprüche sowie die Rechtsfolgenaussprüche beanstandet. Das Rechtsmittel hat Er-
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folg, soweit es sich gegen die Freisprüche richtet; dies zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
I.
1. Soweit der Angeklagte verurteilt wurde, hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
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Der bereits mehrfach vorbestrafte Angeklagte wurde am 14. Dezember 2004 vom Amtsgericht Dortmund unter anderem wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Diese verbüßte er ab dem 18. Januar 2006 in der Justizvollzugsanstalt Dortmund, wo er mit dem gesondert verfolgten Nunzio D. F. sowie Martin P. und Dietmar L. in einem Haftraum untergebracht war. Der eher schüchterne und zurückhaltende P. , der erstmals eine (Ersatz-)Freiheitsstrafe verbüßte, wurde dort von D. F. und dem Angeklagten in einer „Atmosphäre der Gewalt“ gequält und gedemütigt. Zwischen dem 19. Januar und dem 2. Februar 2006 musste P. , der sich nicht zu widersetzen wagte, unter anderem nach einem verlorenen Kartenspiel auf Verlangen von D. F. und des Angeklagten in der Zelle etwa 20 Purzelbäume schlagen, wobei er sich Prellungen und Rötungen zuzog (abgeurteilt als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und geahndet mit einer Einzelstrafe von neun Monaten). Ferner musste er - obwohl er diese „zutiefst verabscheute“ - eine solche Menge von einer Heringszubereitung essen, dass er sich erbrach (abgeurteilt als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und geahndet mit einer Einzelstrafe von einem Jahr). Schließlich befahl ihm der Angeklagte, seine Hose herunterzuziehen und D. F. forderte ihn auf, sich nach vorne zu beugen, woraufhin er ihm einen Gegenstand an den
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After führte (abgeurteilt als sexuelle Nötigung und geahndet mit einer Einzelstrafe von einem Jahr neun Monaten).
2. Soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, lag ihm zur Last, Martin P. gemeinsam mit D. F. gezwungen zu haben, in der Zelle auf einen Stuhl zu steigen und seinen Hals in eine vom Angeklagten und D. F. an der Decke angebrachte Schlinge zu stecken. Anschließend hätten der Angeklagte und D. F. den Stuhl weggezogen und gewartet, bis P. nahe dem Ersticken gewesen sei, bevor sie ihm erlaubt hätten, wieder auf den Stuhl zu steigen. Ferner wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, gemeinsam mit D. F. in der Zelle P. auf einem Stuhl gefesselt, ihm eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und diese erst entfernt zu haben, als P. zu ersticken drohte.
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Nach den vom Landgericht hierzu getroffenen Feststellungen wurde P. von D. F. gezwungen, auf einen Stuhl zu steigen und seinen Hals in eine zuvor von D. F. an einem Heizungsrohr angebrachte Schlinge zu stecken; als D. F. den Stuhl „Stück für Stück“ wegzog und bevor P. in „Luftnot“ geriet, schritt der bis dahin an dem Geschehen nicht beteiligte Angeklagte mit den Worten „no, no“ ein, woraufhin D. F. von P. abließ. An einem anderen Tag fesselte D. F. ebenfalls in Anwesenheit des Angeklagten dem auf einem Stuhl sitzenden P. die Hände auf den Rücken und zog ihm eine Plastiktüte über den Kopf. P. gelang es in der von ihm als bedrohlich empfundenen Situation - bevor er in „Luftnot“ geriet -, die Fesselung zu lösen und sich die Tüte vom Kopf zu ziehen.
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In beiden Fällen verneinte das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten, weil dieser sich nicht aktiv an den Geschehen beteiligt und ihm keine Garantenstellung oblegen habe; insbesondere reiche weder die „vorherige Be-
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teiligung des Angeklagten an den anderen Taten“ noch die „Schaffung einer allgemeinen Gewaltatmosphäre“ aus, um eine Garantenstellung aus Ingerenz zu begründen. Zudem sei nicht hinreichend sicher festgestellt, dass der Angeklagte den zu verhindernden Erfolg billigend in Kauf genommen habe. Eine Strafbarkeit nach § 323 c StGB scheide aus, weil eine Hilfeleistung des Angeklagten in beiden Fällen nicht erforderlich gewesen sei.
II.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, soweit sie die Freisprüche des Angeklagten beanstandet, da das Landgericht die sich aufdrängende Prüfung unterlassen hat, ob sich der Angeklagte an den von D. F. begangenen Straftaten als Gehilfe beteiligt hat. Im Übrigen ist die Revision der Staatsanwaltschaft dagegen unbegründet.
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1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts traf den Angeklagten eine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun (Ingerenz).
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In einem Zeitraum von nur zwei Wochen hat der Angeklagte gemeinsam mit D. F. nicht nur die abgeurteilten drei Straftaten begangen, sondern P. auch darüber hinaus in vielfältiger Weise gedemütigt und ihn auf seine Bitte, dies zu unterlassen, ebenso wie D. F. mit Fußtritten zu weiterem „Gehorsam“ gezwungen. Damit hat er D. F. zu verstehen gegeben, dass dieser sich bei weiteren Demütigungen und Misshandlungen vergleichbarer Art keine Hemmungen aufzuerlegen brauche, und die Gefahr weiterer Straftaten - zumal angesichts der Zellensituation - für das Opfer deutlich erhöht. Daher traf den Angeklagten grundsätzlich die Pflicht, weitere Straftaten des D. F. zum Nachteil des P. zu verhindern.
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2. Die Strafkammer ist im Ergebnis allerdings rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht Mittäter der von D. F. (zumindest) begangenen Nötigungen war.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe durch Unterlassen zur Tat eines aktiv Handelnden die innere Haltung des Unterlassenden zur Tat bzw. dessen Tatherrschaft maßgebend. War seine aufgrund einer wertenden Betrachtung festzustellende innere Haltung - insbesondere wegen des Interesses am Taterfolg - als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu eigen machenden Täterwillens aufzufassen, so liegt die Annahme von Mittäterschaft nahe. War sie dagegen davon geprägt, dass er sich dem Handelnden - etwa weil er dessen bestimmenden Einfluss unterlag - im Willen unterordnete und ließ er das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg lediglich ablaufen, spricht dies für eine bloße Beteiligung als Gehilfe (BGH NStZ 1992, 31 m.w.N.; weitere Nachweise bei Fischer StGB 56. Aufl. § 13 Rdn. 51a und LK-Weigend StGB 12. Aufl. § 13 Rdn. 83, 93). Zum anderen kommt Mittäterschaft des Unterlassenden in Betracht, wenn dieser - neben dem aktiv Handelnden - „Herr des Geschehens“ war, er also die Tatherrschaft hatte (vgl. BGHSt 11, 268, 272; 37, 289, 293; ähnlich LK-Weigend aaO § 13 Rdn. 94 f.; Hoffmann-Holland ZStW 2006, 620, 623 f, 629 ff. m.w.N.).
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Auf dieser Grundlage und nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen wirkte der Angeklagte an den von D. F. begangenen Taten nicht als Mittäter mit. Zwar konnte der Angeklagte im ersten Fall durch sein Eingreifen zugunsten des Opfers die weitere Tatbegehung durch D. F. und damit ein Tötungsdelikt, mit dem er ersichtlich nicht einverstanden war, ohne weiteres beenden. Maßgeblich gesteuert wurde das Nötigungsgeschehen indes auch in
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diesem Fall von D. F. , der die Tatbestandsverwirklichung in Händen hielt, während der Angeklagte diese bis zu seinem Eingreifen lediglich ablaufen ließ. Auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen Misshandlungen und der von ihm mitgeschaffenen „Atmosphäre der Gewalt“ war der Angeklagte vielmehr nur Randfigur dieser Geschehen, zumal die Strafkammer ein besonderes Tatinteresse oder einen Täterwillen beim Angeklagten nicht festgestellt hat.
3. Jedoch legen die Feststellungen nahe, dass der Angeklagte an den Taten des D. F. als Gehilfe beteiligt war; denn durch sein Vortatverhalten hat der Angeklagte nicht nur - wie vom Landgericht festgestellt - bei P. , sondern nahe liegend auch bei D. F. den Eindruck erweckt, dessen Komplize zu sein. Sein Untätigbleiben bei weiteren vergleichbaren Straftaten des D. F. könnte daher als psychische Beihilfe (durch Unterlassen) zu werten sein.
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Ebenso liegt aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 20. Oktober 2008 aufgeführten Gründen nicht fern, dass der Angeklagte den bei der Beihilfe erforderlichen doppelten Vorsatz hatte. Zwar vermochte die Strafkammer nicht hinreichend sicher festzustellen, dass er „den zu verhindernden Erfolg billigend in Kauf nahm“. Diese auf den Vorsatz eines (Mit-) Täters zielende Feststellung schließt indes nicht aus, dass er den für einen Gehilfen erforderlichen tatbezogenen Vorsatz hatte.
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4. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat dagegen keinen Erfolg, soweit sie die Rechtsfolgenaussprüche in den Fällen beanstandet, in denen der Angeklagte verurteilt wurde.
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Sofern die Staatsanwaltschaft die Auffassung vertritt, das Landgericht hätte bei Anwendung der sog. Vollstreckungslösung auf Einzelstrafen erkannt, die die Verhängung von Sicherungsverwahrung nahe gelegt hätte, verkennt sie, dass die Strafkammer eine auf diese Weise zu kompensierende Verfahrensverzögerung nicht angenommen und deshalb die verhängten Einzelstrafen auch nicht entsprechend der vom Bundesgerichtshof inzwischen aufgegebenen „Strafabschlagslösung“ herabgesetzt hat.
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Auch im Übrigen weisen die Strafaussprüche keinen Rechtsfehler auf. Die Strafkammer hat hinreichend begründet, warum sie im Fall 3 die Strafe dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen hat. Ferner hat sie ausdrücklich die „menschenverachtende und demütigende Vorgehensweise gegenüber einem hoffnungslos unterlegenem Opfer“ strafschärfend berücksichtigt. Deshalb schließt der Senat aus, dass die Strafkammer im Fall der Verurteilung wegen der Taten, in denen ein Freispruch erfolgt ist, bezüglich der bereits abgeurteilten Taten höhere Einzelstrafen verhängt hätte.
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III.
Das Unterlassen der Prüfung einer strafbaren Beihilfe in den zum Freispruch des Angeklagten führenden Fällen hat die Aufhebung dieses Teils des Urteils einschließlich der hierzu getroffenen Feststellungen zur Folge. Eine Schuldspruchänderung ist dem Senat verwehrt, da zum einen die Haupttaten nicht abschließend gewürdigt sind; zum anderen hätte es beim Wechsel von der - angeklagten - Mittäterschaft zur - möglichen - Beihilfe eines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedurft (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 265 Rdn. 14 m.w.N.). Dieser teilweise Erfolg des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
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Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Mutzbauer



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