BGH,
Urt. v. 12.1.2000 - 3 StR 363/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 363/99
vom
12. Januar 2000
in der Strafsache gegen
wegen sexueller Nötigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12.
Januar 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Kutzer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr.
Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach,
Pfister, von Lienen als beisitzende Richter, Oberstaatsanwalt beim
Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt
als Verteidiger, Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Lübeck vom 17. Mai 1999 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung
zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Die vom Generalbundesanwalt vertretene, wirksam auf den Strafausspruch
beschränkte, zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision
der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen hatte Frau
F. dem Angeklagten, ihrem Ehemann, mitgeteilt, daß sie sich
von ihm trennen und mit ihm nicht mehr geschlechtlich verkehren wolle.
In der Nacht zum 21. November 1998 beschloß der Angeklagte,
sich an seiner Ehefrau zu rächen und sie zu vergewaltigen.
Nachdem Frau F. um ca. 7.00 Uhr von der Nachtarbeit
zurückgekehrt war, zwang der Angeklagte sie, sich auszuziehen,
indem er sie mit einem Messer bedrohte und ihr mit der Hand ins Gesicht
schlug. Anschließend führte er mit ihr gegen ihren
Willen den Vaginalverkehr bis zum Samenerguß durch, wobei er
das Messer in der rechten Hand hielt. Danach mußte sie den
Angeklagten oral befriedigen. Beim
Oralverkehr strich der Angeklagte ihr mit dem Messer über den
Rücken. Daraufhin drehte er sie auf den Bauch, und versuchte,
mit ihr anal zu verkehren. Da ihm dies nicht gelang, führte er
wieder den Vaginalverkehr aus. Während dieser Zeit lag das
Messer griffbereit auf dem Fußboden neben dem Bett. Diese
sexuellen Handlungen zeichnete der Angeklagte mit einer Videokamera
auf. In der Folgezeit führte er mit seiner Ehefrau sowohl im
Kinderzimmer als auch im Bad gegen deren Willen jeweils den
Vaginalverkehr bis zum Samenerguß aus. Im Bad versuchte er
auch noch den Analverkehr mit ihr durchzuführen.
2. Die Strafkammer hat die Voraussetzungen des § 177 Abs. 4
Nr. 1 StGB (Verwenden einer Waffe oder eines anderen
gefährlichen Werkzeugs bei der Tat) als erfüllt
angesehen und die Tat als einen minder schweren Fall i. S. des
§ 177 Abs. 5 Halbs. 2 StGB gewertet. Die Gründe, mit
denen sie einen minder schweren Fall bejaht hat, halten rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
a) Für die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall
angenommen werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs maßgebend, ob das gesamte Tatbild
einschließlich aller subjektiven Momente und der
Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der
gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht,
daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint.
Hierzu ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle
Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die
für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht
kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie
begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGHSt 26, 97, 98 f. = NJW
1975, 1174; BGHR StGB vor § 177 II Strafrahmenwahl 1, 5, 6, 8,
10).
Die rechtliche Begründung in dem angefochtenen Urteil
für die Annahme eines minder schweren Falles wird diesen
Anforderungen nicht gerecht, weil sie einseitig auf die Angabe der
Milderungsgründe begrenzt ist und die erforderliche umfassende
Darstellung und Gesamtabwägung der für die
Strafrahmenwahl maßgeblichen Umstände vermissen
läßt (BGHR StGB vor § 1/minder schwerer
Fall Gesamtwürdigung, unvollständige 6). Die
Strafkammer hat die objektiven Tatumstände wie die
sorgfältige Planung und die erhebliche Dauer der Tat sowie die
mehrfache Verwirklichung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2
Satz 2 Nr. 1 StGB (vierfacher Vaginal-, einmaliger Oral- und zweifacher
versuchter Analverkehr) nicht erkennbar berücksichtigt, obwohl
es sich für die Prüfung eines minder schweren Falls
insoweit um wesentliche Strafzumessungserwägungen handelt, die
bei der Strafrahmenwahl die Milderungsgründe relativieren
können (BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall
Gesamtwürdigung, unvollständige 6; vgl. auch BGHR
StGB § 177 II Strafzumessung 1). Da nicht
auszuschließen ist, daß das Landgericht bei einer
Würdigung auch der erschwerenden objektiven
Tatumstände einen minder schweren Fall verneint und deshalb
auf eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren
gemäß § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB erkannt
hätte, hat der Strafausspruch keinen Bestand.
b) Darüber hinaus ist zu besorgen, daß die
Strafkammer den dargestellten Milderungsgründen ein zu
großes Gewicht beigemessen hat, soweit sie einen minder
schweren Fall der Vergewaltigung mit der Eifersucht des Angeklagten und
dem erzwungenen Geschlechtsverkehr mit einem "vertrauten Partner"
begründet hat. Die Eifersucht des Angeklagten war nach den
Urteilsfeststellungen grundlos. Dem Geschlechtsverkehr mit einem
"vertrauten Partner" kommt wegen der Erklärung der Ehefrau,
sie wolle sich von dem Angeklagten trennen und mit ihm nicht mehr
geschlechtlich verkehren, sowie wegen des Bestrafungscharakters der Tat
keine entscheidende Bedeutung zu (vgl. Tröndle/Fischer, StGB
49. Aufl. § 177 Rdn. 33).
3. Im übrigen weist der Senat auf folgendes hin:
Im Hinblick auf die gesetzliche Deliktsüberschrift und die
Legaldefinition des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB ergeht der
Schuldspruch nicht wegen sexueller Nötigung, sondern wegen
Vergewaltigung, wenn das Regelbeispiel erfüllt ist (vgl. BGH
NStZ 1998, 510; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 177
Rdn. 20). Der Schuldspruch ist durch Beschluß des Senats vom
heutigen Tage in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1
StPO (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl.
§ 354 Rdn. 12 ff.) auf die auch ihn erfassende Revision des
Angeklagten berichtigt worden.
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
Pfister von Lienen |