BGH,
Urt. v. 12.1.2010 - 1 StR 272/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 272/09
vom
12. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
12. Januar 2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
und Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger
1.
2.
3.
4.
5.
- 3 -
6.
7.
8.
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin ,
Herr
als gesetzlicher Vertreter der Nebenklägerin ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger
1. und
2.
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der
Nebenkläger D. S. , R. S. , M. , H. , B. und Z. wird das
Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. November 2008, soweit es den
Angeklagten Sp. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung - auch über die Kosten dieser Rechtsmittel - an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten - in einem Verfahren gegen
insgesamt drei Angeklagte - von dem Vorwurf der fahrlässigen
Tötung in 15 tateinheitlichen Fällen rechtlich
zusammentreffend mit fahrlässiger Körperverletzung in
sechs tateinheitlichen Fällen aus tatsächlichen
Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die
Staatsanwaltschaft und sechs Nebenkläger mit ihren Revisionen,
mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen. Die
Rechtsmittel führen zur Aufhebung des Urteils, soweit es
diesen Angeklagten betrifft.
1
- 5 -
I.
2
Das angefochtene Urteil betrifft den Einsturz des Daches der von der
Stadt Bad Reichenhall betriebenen Eissporthalle am 2. Januar 2006. 15
Besucher fanden dabei den Tod, sechs weitere wurden schwer verletzt.
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten, einem Diplomingenieur (FH),
Fachbereich Ingenieurbau, zur Last gelegt, er habe den Tod und die
Verletzung dieser Besucher durch unzureichende
Überprüfung der Dachkonstruktion der Eishalle im
Rahmen eines ihm von der Stadt Bad Reichenhall erteilten Auftrags zur
Ermittlung des Sanierungsaufwands fahrlässig verursacht. Unter
Verletzung der gebotenen Sorgfalt habe er es unterlassen, die
Träger des Daches umfassend aus nächster
Nähe - „handnah“ - zu betrachten. Risse
und weitere Schäden seien so unentdeckt geblieben. Auf diese
mit dem gebotenen Nachdruck hingewiesen, hätten die
Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall tiefer gehende
Untersuchungen veranlasst und schließlich Maßnahmen
ergriffen, um der Gefahr, die von der eingeschränkten
Tragfähigkeit der Dachkonstruktion der Eishalle ausging, zu
begegnen, etwa durch Schließung der Halle oder zumindest
durch Begrenzung der Schneelast.
3
Das Landgericht hat die vorgeworfene Pflichtverletzung zwar
festgestellt. Es sah es jedoch nicht mit dem erforderlichen
Maß an Sicherheit für erwiesen an, dass das
Fehlverhalten des Angeklagten für das Unglück
ursächlich war. Denn es bestünden erhebliche Zweifel,
dass die Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall die Befunde,
wären sie denn vom Angeklagten erhoben und mitgeteilt worden,
zum Anlass für weitere Maßnahmen genommen
hätten.
4
- 6 -
II.
5
Das Landgericht hat dazu folgende Feststellungen getroffen:
6
1. Planung und Bau des Hallenkomplexes.
Die Stadt Bad Reichenhall betrieb seit dem Jahr 1973 auf dem
Gelände Münchner Allee 18 eine Schwimm- und
Eissporthalle. Die Eissporthalle wurde während der
Sommermonate als Tennishalle genutzt. Es handelte sich um zwei
eigenständige, von einander getrennte Gebäudeteile,
die durch einen Mitteltrakt verbunden waren. Die Dächer der
beiden Hallen waren jeweils als Flachdachkonstruktion in
Holz-Leim-Bauweise ausgeführt. Die Eissporthalle wurde
zunächst in einer zweiseitig offenen Bauweise hergestellt. Von
vorneherein war die Erstellung einer rundum geschlossenen Halle ins
Auge gefasst und beim Bau planerisch zu berücksichtigen. Die
Verglasung der zunächst noch offenen Seiten erfolgte dann im
Jahre 1977.
7
Die Planung der Eissporthalle war hinsichtlich der
Tragfähigkeit der aus geleimten Holzteilen gebildeten
Überdachung, einer sogenannten
Kämpferträgerkonstruktion, von vorneherein mit
Mängeln behaftet. Auch die Errichtung verlief nicht fehlerfrei.
8
Für die Kämpferträgerkonstruktion gab es
eine allgemeine baurechtliche Zulassung. Diese erstreckte sich aber nur
auf eine Ausführung der Kämpferträger als
Doppel-T-Träger bis zu einer maximalen Höhe von 1,20
m. Wegen der großen Spannweite (ca. 40 m) erhielten die (ca.
48 m langen) Träger jedoch eine Höhe von 2,87 m.
Außerdem entschieden sich die Planer für
Hohlkastenträ-
9
- 7 -
ger. Eine baurechtliche Zulassung im Einzelfall wurde nicht eingeholt.
Ob diese hätte erteilt werden können, ist offen.
Jedenfalls hätte die dann zuständige oberste
bayerische Baubehörde besondere und erhöhte
Anforderungen bezüglich der Güteklasse der
Holzauswahl (ausschließlich Güteklasse I) und des
verwendeten Leims (ausschließlich feuchtigkeitsunempfindliche
Resorcinharzprodukte) gestellt, Auflagen hinsichtlich der Ebenheit der
Kämpferstegplatten vor der Verklebung erteilt und Hinweise auf
die mindere Belastbarkeit bei der Verwendung von
Generalkeilzinkenstößen sowie zur Holzfeuchte bei
der Herstellung der Bauteile gegeben.
Tatsächlich wurde dann Holz der Güteklasse II und
überwiegend feuchtigkeitsempfindlicher
Formaldehydharnstoffleim (Harnstoffharzleim) verwendet.
10
Die gewählte Konstruktion bewirkte, dass die Biege-, Druck-
und Zugspannungen die nach der entsprechenden DIN-Norm maximal
zulässigen Werte um 42 % überschritten. Dies blieb
verborgen, da der zuständige Bauingenieur die erforderlichen
statischen Nachweise nicht oder unzutreffend erbrachte.
11
Die Überschreitung der zulässigen Belastungswerte
führte dazu, dass statt des vorgeschriebenen statischen
Sicherheitswerts von mindestens 2,1 von vorneherein nur der Faktor 1,5
erreicht wurde. Aufgrund des üblichen Alterungsprozesses war
bis zum Tag des Einsturzes - ca. 33 Jahre nach der Errichtung der
Eissporthalle - mit einer Minderung des Sicherheitswertes um den Faktor
0,5 - 0,6 zu rechnen, bei ordnungsgemäßer Bauweise
also mit einem verbleibenden Sicherheitsfaktor von mindestens 1,5.
Wegen des tatsächlich geringeren Ausgangswerts verblieb am
Einsturztag rechnerisch nur noch ein Sicherheitsfaktor „unter
1“.
12
- 8 -
Hinsichtlich der Schneelast war zum Zeitpunkt der Errichtung der
Eisspothalle - ordnungsgemäße Planung und
mängelfreier Bau vorausgesetzt - 150 kg/m² der
richtige Bemessungswert. In einem handschriftlichen Zettel aus der
Statik wurde der Wert der maximal zulässigen Schneelast sogar
mit 175 kg/m² beziffert.
13
Die Verwendung des wasserlöslichen Harnstoffharzleims
hätte aufgrund dreier Aspekte keine Verwendung finden
dürfen:
14
- Zum einen schon wegen der großen Spannweite und der damit
bedingten hohen Belastung der Konstruktion.
15
- Weiter wegen der erhöhten Feuchtigkeit (Kondenswasser) in
geschlossenen Hallen. Hierauf hatte der Architekt der Halle schon in
seinem Schreiben vom 22. Juli 1971 an die Stadt Bad Reichenhall
hingewiesen.
16
- Schließlich wegen der sogenannten Blockverklebung der
vorgefertigten Stege auf die vorgefertigten Gurte statt der Verbindung
der einzelnen Brettlagen durch Nagelpressklebung. Die Blockverklebung -
sie war nicht Stand der Technik - hatte zur Folge, dass die Klebefugen
häufig größer als ein Millimeter waren.
Dann ist Harnstoffharzleim nicht mehr geeignet.
17
Statt des Harnstoffharzleims hätten in allen Bereichen
Resorcinharzprodukte als Klebstoff verwendet werden müssen.
Die Mehrkosten bezifferte der Architekt seinerzeit auf 25.000,-- DM.
18
Über die Planungsfehler hinaus war der Herstellungsprozess
mangelhaft, da die Zinkenprofile der
Generalzinkenstöße der Stegplatten und die
Generalkeilzinkenstöße der Gurte unterschiedliche
Profile aufwiesen, so dass die Verklebungen nicht durchgehend
gleichmäßig waren, und da zwischen der
Fräsung der Kämpferstegplatten und deren Verklebung
zur fertigen Trägerlänge
19
- 9 -
beim Transport mehr als die nach DIN zulässige Maximalzeit von
24 Stunden verstrichen war.
20
2. Die Betriebszeit.
21
Die ständige Feuchtigkeit als Folge bauphysikalisch bedingter
Kondenswasserbildung löste den Harnstoffleim im Laufe der Zeit
immer weiter auf. Dies schwächte die - ohnehin vermindert
tragfähige - Dachträgerkonstruktion bis sie
schließlich nicht mehr in der Lage war, die - bei starkem
Schneefall - erforderlichen Lasten zu tragen.
Hinzu kam Folgendes, wenn dies auch - wie die Untersuchungen nach dem
Unglück am 2. Januar 2006 ergaben - für den Einsturz
der Halle nicht ursächlich war:
22
- Wegen Mängeln in der Dacheindeckung (zu geringe Neigung) und
zu gering bemessener Regenablaufrohre kam es während der
gesamten Betriebsdauer der Eissporthalle immer wieder zu
größeren Wassereinbrüchen, woran auch
Nachbesserungsarbeiten im Jahre 1975 nichts änderten. Seit
Ende der siebziger Jahre wurden an den Hohlkastenträgern
deutliche Wasserablaufspuren und Wasserflecken erkennbar.
23
- Mit der Verglasung der Eissporthalle im Jahr 1977 erfolgte der Einbau
von vier Abluftanlagen auf die Dachfläche mit einem Gewicht
von jeweils 575 kg. Dies erfolgte ohne Baugenehmigungsverfahren und
ohne statische Überprüfung.
24
Bei einer Untersuchung der Sekundärkonstruktion über
dem Dach der Schwimmhalle hatte der Angeklagte schon im Jahre 2001 in
einem Kurzgutachten in diesem Bereich starke Beschädigungen
und fehlende Standfestigkeit die-
25
- 1 0 -
ses Teils festgestellt, die er auf die besonderen klimatischen
Verhältnisse in der Schwimmhalle
zurückführte. Dem Tragwerk des Daches der
Schwimmhalle attestierte er in einem weiteren Kurzgutachten vom Mai
2002 zwar uneingeschränkte Tragfähigkeit. Er wies
aber darauf hin, dass die Rohrleitungssysteme in diesem Bereich in
äußerst bedenklichem Zustand seien. Die in Folge
drohender Undichtigkeiten eintretenden Durchnässungen
hätten dann negativen Einfluss auf die gesamte
Holzkonstruktion mit möglichen Schäden, die nicht
ohne weiteres erkannt werden könnten.
Außerdem weise - so der Angeklagte schon im Jahre 2001 - die
frei tragende Vordachkonstruktion über dem Eingangsbereich der
Hallen erhebliche Schäden auf. „Die
Tragfähigkeit der Holzleimbinder scheint nicht mehr gegeben,
da sich die einzelnen Leimverbindungen bereits lösen. ... Eine
Sanierung kann nur durch Ersatz des gesamten Vordachs
erfolgen.“
26
Der Angeklagte wiederholte diese Hinweise auf Mängel bei der
Schwimmhalle und am Vordach in der hier maßgeblichen Studie
für die Sanierung des Gesamtkomplexes im März 2003.
27
Die Stadt Bad Reichenhall sah sich zunächst nicht veranlasst,
bezüglich der im Jahr 2001 festgestellten Mängel
irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Erst als im Jahr 2005
ein Bauteil des Vordachs heruntergefallen war, wurde die Stadt
tätig, indem sie das Vordach abstützte und
später abriss.
28
Die Strafkammer „ist der Überzeugung“,
dass die Stadt möglichst wenig Geld in den Hallenkomplex
investieren wollte. Insbesondere ab dem Jahr 2000 wurde seitens der
Stadt nur mehr das unbedingt Nötigste veranlasst aufgrund
29
- 1 1 -
finanzieller Probleme und der Unschlüssigkeit
darüber, was mit der Halle geschehen sollte.
30
Seit dem Jahr 2001 stellte die Stadt Bad Reichenhall - allgemeine -
Überlegungen an, was mit dem Gebäudekomplex Eislauf-
und Schwimmhalle in Zukunft geschehen solle, da die Technik
insbesondere der Schwimmhalle veraltet und der Betrieb unwirtschaftlich
war. Dabei war für die Stadt auch eine Option, den
Gebäudekomplex vollständig abzureißen. In
diesem Zusammenhang sollte vorab der im Falle einer Sanierung
erforderliche Aufwand ermittelt werden.
Dazu trat die Stadt zunächst an den Architekten J. heran.
Dieser sollte die Schwimm- und Eissporthalle begutachten, um
erforderliche Sanierungskosten zu ermitteln und die Frage zu
klären, ob sich eine Sanierung bei der vorhandenen Bausubstanz
überhaupt lohne. Bei einem deshalb anberaumten Ortstermin
fielen dem Zeugen in der Eishalle Betonschäden und an den
Nebenträgern des Dachtragewerks Wasserspuren auf. Aufgrund des
„augenfälligen Zustands des gesamten
Gebäudekomplexes“ teilte der Zeuge mündlich
und zudem mit Schreiben vom 9. Juli 2002 den Verantwortlichen der Stadt
mit, dass, bevor ein Sanierungsplan mit Kostenschätzung
gemacht werden könne, Spezialfachleute das Gebäude
genauer, d.h. in ausreichender Tiefe untersuchen müssten.
Nachdem der Zeuge dann wochenlang nichts mehr von der Stadt
gehört hatte, rief er dort an. Er bekam die Auskunft, dass man
es sich anders überlegt habe.
31
Nach den Darlegungen eines von der Strafkammer gehörten
Sachverständigen hätte eine umfassende und
tiefgehende Untersuchung, insbesondere eine
ordnungsgemäße und fachgerechte
Standsicherheitsprüfung mindestens 30.000,-- €
gekostet.
32
- 1 2 -
33
3. Der dem strafrechtlichen Vorwurf zugrunde liegende Vorgang.
34
Statt des Architekten J. wurde nunmehr der Angeklagte am 27. Januar
2003 mit der Abgabe des hier maßgeblichen Bestandsgutachtens
- später auch Studie genannt - gegen eine
Pauschalvergütung in Höhe von 3.000,-- €
einschließlich Mehrwertsteuer, beauftragt.
Gefordert waren in einem „Gesamtgutachten“ - so die
Strafkammer - mit den „technischen
Erläuterungen“ die Kostenschätzungen
für die als notwendig erkannten Sanierungsmaßnahmen
für folgende Bauteile: Dachhaut, Dachkonstruktion,
Dachentwässerung, Abdichtungen, Stahlbetonkonstruktion und
Fassadenkonstruktion der Schwimm- und der Eislaufhalle,
Sekundärdachkonstruktion und Wärmedämmung
der Schwimmhalle, Abdichtungen und Stahlbetonkonstruktion der
Tiefgarage sowie Bodenaufbau, Dämmung und Estrich der
Eislaufhalle. „Die Erstellung eines
Standsicherheitsgutachtens war seitens der Stadt Bad Reichenhall nicht
in Auftrag gegeben worden und auch nicht gewollt“. Der
Angeklagte war deshalb auch nicht verpflichtet, die statischen
Unterlagen anzusehen und zu überprüfen.
35
Dagegen war eine „handnahe“ Untersuchung, so die
Feststellung der sachverständig beratenen Strafkammer, also
eine Betrachtung der gesamten Dachkonstruktion aus nächster
Nähe vom Auftrag umfasst.
36
Der Angeklagte überprüfte den Gebäudekomplex
bei Ortsterminen, nachdem ihm verschiedene Unterlagen hierzu
übergeben worden waren. Eine (geprüfte) Statik
über die Dachkonstruktion befand sich nicht darunter.
37
- 1 3 -
Die gebotene „handnahe“ Untersuchung der
Dachkonstruktion, insbesondere aller Leimbinder, nahm der Angeklagte
dabei nicht vor. Vielmehr untersuchte er lediglich den ersten
Leimbinder genauer, der einen deutlich sichtbaren Wasserfleck aufwies,
ohne hier jedoch Schäden festzustellen. Die übrigen
Leimbinder begutachtete er nur mit einem Teleobjektiv im Bereich der
Auflager der Träger auf den Betonpfeilern. Bei einer
„handnahen“ Überprüfung
hätte der Angeklagte offene Fugen zwischen der Verleimung der
Untergurte und den seitlichen Stegplatten und Verfärbungen an
den Kleinfugen der Holzkonstruktion vorgefunden. In den Fugen
hätte man feststellen können, dass hier
brüchige Leimverbindungen vorliegen. Die Verfärbungen
wären Hinweise auf das Eindringen von Feuchtigkeit in die
Holzkonstruktion gewesen.
38
Unter dem Datum des 13. Februar 2003 erstellte der Angeklagte eine
Grobgliederung für einen Maßnahmenkatalog, die er
dem Bauamt der Stadt Bad Reichenhall übergab. Darin
führte er aus, die Dachkonstruktion der Eishalle sei in
Ordnung. Anschließend fand ein weiterer Ortstermin statt.
39
Das Ergebnis seiner Untersuchungen fasste der Angeklagte dann in seiner
„Studie für die Sanierung des Bauvorhabens Eislauf-
und Schwimmhalle, Münchner Allee 18 in 83435 Bad
Reichenhall“ vom 21. März 2003 zusammen. Darin
führte er unter anderem aus:
40
„… baulicher Zustand der Eislaufhalle:
Die Tragkonstruktionen - sowohl Holz- als auch Stahlbetonkonstruktion
der gesamten Eissporthalle - befinden sich in einem allgemein als gut
zu bezeichnenden Zustand. In der Holzkonstruktion sind lediglich
Wasserflecken aufgrund von
Unregelmäßigkeiten/Wassereinbrüchen aus
- 1 4 -
der Dachentwässerung festzustellen. Diese haben jedoch weder
auf die Qualität noch auf die Tragfähigkeit des
Tragwerks Einfluss. Schäden sind aufgrund der aufgetretenen
Durchfeuchtung nicht erkennbar.
…
Fazit: Abschließend ist festzustellen, dass die Gesamtanlage
aus tragwerkplanerischer Sicht einen guten Eindruck macht.“
Der Angeklagte schrieb ergänzend, dass aufgrund der
Lebensdauer der Anlage verschiedene Bauteile nunmehr sanierungs- bzw.
erneuerungsbedürftig seien. Insbesondere gelte dies
für die Dachkonstruktion der Schwimmhalle mit ihren
untergeordneten Bauteilen, die umlaufende Attikaverkleidung in der
Schwimm- sowie in der Eislaufhalle, Betonsanierungsarbeiten in der
Eislaufhalle, sowie die Kompletterneuerung des Eingangsbereichs. Einen
Sanierungs- oder Erneuerungsbedarf hinsichtlich der Dachkonstruktion
der Eissporthalle erwähnte der Angeklagte nicht.
41
4. Weiteres zur Betriebszeit.
42
Im März 2004 erstellte der Architekt L. , Referent
für Bäderbau des Bayerischen Schwimmverbands, im
Auftrag der Stadt Bad Reichenhall nach einer Ortsbesichtigung eine
Stellungnahme, in der er betonte, dass jedenfalls bezüglich
der Dachkonstruktion der Schwimmhalle genauere Untersuchungen
nötig seien. Eine Reaktion seitens der Stadt erfolgte hierauf
nicht.
43
Während der gesamten Dauer der Betriebszeit der Eislaufhalle
erfolgte keine Behandlung der Dachträger, wie z.B. das
Aufbringen eines Schutzan-
44
- 1 5 -
strichs. Genauso wenig sah sich die Stadt Bad Reichenhall veranlasst,
zu irgend einem Zeitpunkt eine Überprüfung der
Leimhölzer durch einen Sachverständigen auf ihre
Tragfähigkeit vorzunehmen, obwohl aufgrund der
häufigen Wassereinbrüche und der sichtbaren
Wasserablaufbahnen an den Trägern hierzu Anlass bestanden
hätte. Bis zum Zeitpunkt des Einsturzes am 2. Januar 2006
hatte die Stadt Bad Reichenhall auch keine konkreten
Maßnahmen für eine Sanierung oder Erneuerung des
Gebäudekomplexes in die Wege geleitet. Im städtischen
Bauamt bestanden bei den Verantwortlichen bis dahin keine Bedenken
hinsichtlich der Standsicherheit der Dachkonstruktion.
Tatsächlich bestand trotz aller Mängel keine akute
Gefahr des Einsturzes der Eissporthalle, sofern nicht
zusätzliche Belastungen, etwa durch Schnee, hinzukamen.
5. Der Einsturz der Halle.
45
Bedingt durch Schneefälle vor und am 2. Januar 2006 befand
sich auf dem Dach der Eissporthalle eine hohe Schneedecke. Am Vormittag
des 2. Januar 2006 ermittelte der Betriebsleiter um 10.00 Uhr eine
Schneelast von 166 kg/m². Dies empfand er im Hinblick auf den
ihm vorliegenden oben genannten Zettel aus einer Statik mit dem darauf
vermerkten Belastungsgrenzwert von 175 kg/m² als
unproblematisch. Möglicherweise betrug die Schneelast zu dem
genannten Zeitpunkt sogar nur 146 kg/m² und lag damit unter
dem zur Bauzeit als statisch richtig angesehenen Höchstwert
von 150 kg/m². Deshalb entschloss sich das Betriebspersonal, -
erst - nachdem vom Deutschen Wetterdienst eine Warnung vor weiteren
starken Schneefällen ab 15.00 Uhr herausgegeben worden war,
die Eissporthalle ab 16.00 Uhr nach Beendigung des Publikumslaufs zu
sperren, um das Dach am nächsten Tag vom Schnee
räumen zu lassen, wie dies in früheren Jahren schon
geschehen war. Nicht berücksichtigt waren bei
46
- 1 6 -
diesen Werten, die das Betriebspersonal zum Maßstab nahm, die
konstruktiven und baulichen Mängel und die alterungsbedingte
Schwächung der Dachkonstruktion, die deshalb
tatsächlich nicht mehr in der Lage war, die Lasten zu tragen.
47
Um 15.55 Uhr stürzte das Dach der Eissporthalle ein. 15
Menschen wurden durch herabfallende Teile getötet, sechs
weitere wurden schwer verletzt.
III.
1. Das Landgericht hat die Pflichtverletzung des Angeklagten in der
Unterlassung der „handnahen“ Untersuchung der
Dachkonstruktion gesehen, also in der fehlenden Begutachtung der
Dachträger aus nächster Nähe. Ohne diese
hätte er in seiner Bestandsstudie vom 21. März 2003
den guten Zustand der Dachkonstruktion nicht bescheinigen
dürfen.
48
Bei einer „handnahen“ Untersuchung hätte
der Angeklagte die oben genannten Schäden (offene Fugen
zwischen der Verleimung der Untergurte und den seitlichen Stegplatten,
Verfärbungen an den Kleinfugen der Holzkonstruktion,
brüchige Leimverbindungen, mit den Verfärbungen
Hinweise auf das Eindringen von Feuchtigkeit in die Holzkonstruktion)
feststellen können. Dies hätte ihn dann veranlassen
müssen, der Stadt eine aufwändigere und tiefergehende
Untersuchung vorzuschlagen. In Betracht gekommen wäre die
Erweiterung seines Auftrags oder die Hinzuziehung weiterer
Spezialsachverständiger. Dies hätte der Angeklagte
nachdrücklich empfehlen sowie eine statische
Standsicherheitsprüfung anraten müssen.
49
- 1 7 -
50
Den Schwerpunkt der Pflichtverletzung des Angeklagten hat die
Strafkammer im Unterlassen der „handnahen“
Untersuchung gesehen und nicht in der Bescheinigung des guten Zustandes
der Tragekonstruktion in seiner in Schriftform übersandten
Studie.
2. Die Strafkammer hat allerdings nicht mit dem erforderlichen
Maß an Sicherheit festzustellen vermocht, dass das
Fehlverhalten des Angeklagten für den Einsturz der Halle am 2.
Januar 2006 ursächlich war. Die Kammer hat sich nicht davon
überzeugen können, dass der tatsächlich
eingetretene Erfolg bei pflichtgemäßem Handeln des
Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden
worden wäre.
51
Aufgrund der pflichtgemäßen Untersuchungen
wäre kein Zustand festgestellt worden, der ein sofortiges
Handeln unbedingt erfordert hätte, weil etwa akute
Einsturzgefahr bestanden hätte.
52
Aufgrund dessen, dass die oben geschilderten Vorgänge, die
schon genügend Anlass zu tiefergehenden Untersuchungen
hätten geben müssen, nicht fruchteten, hat es die
Strafkammer sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass
entsprechende Vorschläge des Angeklagten zu weitergehenden
Untersuchungen bei den Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall
Gehör gefunden hätten. Darauf weise insbesondere hin,
dass die entsprechenden Forderungen der Architekten J. im Juli 2002 und
L. im März 2004 zu genaueren Untersuchungen unbeachtet blieben.
53
- 1 8 -
IV.
Der Freispruch des Angeklagten hält revisionsrechtlicher
Überprüfung nicht stand, da die
Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern ist.
54
1. Die Strafkammer ist von zutreffenden rechtlichen
Überlegungen ausgegangen.
55
a) Der Angeklagte hatte im Rahmen des ihm von der Stadt Bad Reichenhall
erteilten Prüfungsauftrags zur Feststellung des
Sanierungsbedarfs der Eishalle eine von der Stadt übernommene
- abgeleitete - Garantenstellung gegenüber der Allgemeinheit.
Im Rahmen des Umfangs seines Prüfungsauftrags hatte er alles
zu tun, um mögliche Gefahren für Leib und Leben der
Besucher der Eissporthalle zu vermeiden.
56
aa) Begehen durch Unterlassen ist nach § 13 Abs. 1 StGB nur
dann strafbar, wenn der Täter rechtlich dafür
einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das
Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein
Tun entspricht. Bei den unechten Unterlassungsdelikten muss ein
besonderer Rechtsgrund nachgewiesen werden, wenn jemand ausnahmsweise
dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass er es
unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter positiv
tätig zu werden. Die Gleichstellung des Unterlassens mit dem
aktiven Tun setzt deshalb voraus, dass der Täter als Garant
für die Abwendung des Erfolgs einzustehen hat (BGH, Urt. vom
25. Juli 2000 - 1 StR 162/00 - [BGHR StGB § 263 Abs. 1
Täuschung 16] m.w.N.).
57
- 1 9 -
bb) Ob eine solche Garantenstellung besteht, die es rechtfertigt, das
Unterlassen der Schadensabwendung dem Herbeiführen des
Schadens gleichzustellen, ist nicht nach abstrakten
Maßstäben zu bestimmen. Vielmehr hängt die
Entscheidung letztlich von den Umständen des konkreten
Einzelfalles ab; dabei bedarf es einer Abwägung der
Interessenlage und des Verantwortungsbereichs der Beteiligten.
Vertragliche Pflichten aus gegenseitigen Rechtsgeschäften
reichen demgemäß nicht ohne weiteres zur
Begründung einer strafbewehrten Garantenpflicht aus. Eine
strafrechtlich relevante Hinweis- und Aufklärungspflicht im
Rahmen vertraglicher Beziehungen setzt deshalb voraus, dass besondere
Umstände - wie etwa ein besonderes
Vertrauensverhältnis, eine ständige
Geschäftsverbindung, überlegenes Fachwissen oder
generell Situationen, in denen der eine darauf angewiesen ist, dass ihm
der andere die für seine Entschließung
maßgebenden Umstände offenbart - vorliegen (vgl.
BGH, Urt. vom 25. Juli 2000 - 1 StR 162/00 - [BGHR StGB § 263
Abs. 1 Täuschung 16]; Beschl. vom 22. März 1988 - 1
StR 106/88; Urt. vom 15. Juni 1954 - 1 StR 526/53 - [BGHSt 6, 198,
199]; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27.
Aufl. § 263 Rdn. 22 f.).
58
cc) Nach diesen Maßstäben oblag es dem Angeklagten -
der auch bereits zuvor für die Stadt Bad Reichenhall
Begutachtungen in Bezug auf etwaige Bauwerksmängel der Eis-
und Schwimmhalle vorgenommen hatte und der als Bauingenieur
über entsprechendes Fachwissen verfügte -, die im
Rahmen des ihm erteilten Auftrags erforderlichen Untersuchungen der
Eishalle auf bauliche Mängel ordnungsgemäß
vorzunehmen. Dazu gehörte auch, die Stadt Bad Reichenhall bei
der Schätzung des Sanierungsbedarfs über die im
Rahmen seines Prüfungsauftrags erkennbaren Hinweise auf
gravierende Mängel zu unterrichten. Nur so konnte die Stadt
gegebenenfalls Maßnahmen zur Abwendung der davon ausgehenden
Gefahren für Leib und Leben der Besucher der Eissport-
59
- 2 0 -
halle veranlassen. Diese - neben die Verantwortlichkeit der Stadt Bad
Reichenhall als Betreiberin der Eissporthalle tretende -
Garantenstellung des Angeklagten erwuchs aus seiner Übernahme
der Feststellung von Bauwerksmängeln im Rahmen des
Gutachtensauftrags. Sie bezog sich auch auf die Beseitigung der von
diesen Mängeln für die Allgemeinheit ausgehenden
Gefahren. Denn die vertragliche Übernahme der Feststellung
sanierungsbedürftiger Bauwerksmängel
begründete zugleich eine Schutzfunktion gegenüber der
Allgemeinheit, die in den durch eine unzureichende
Mängelfeststellung und -beseitigung geschaffenen
Gefahrenbereich geraten würde.
b) Der sachkundige Angeklagte, ein Bauingenieur, musste auch wissen,
dass - selbst nur pauschale - Aussagen zum Sanierungsbedarf der
Dachkonstruktion nicht verlässlich gemacht werden
können, ohne die Leimbinder aus nächster
Nähe auf Risse und Fugen hin zu überprüfen.
Die möglichen Konsequenzen unzureichender Prüfung und
damit weiterhin verborgen gebliebener Mängel in der
Dachkonstruktion eines in die Jahre gekommenen Hallenkomplexes mit
großer Spannweite, bei der er selbst schon - gerade an
Leimverbindungen - erhebliche Schäden festgestellt hatte,
waren für ihn vorhersehbar.
60
c) Fahrlässige Tötung und fahrlässige
Körperverletzung sind Erfolgsdelikte. Strafbarkeit liegt bei
diesen nur dann vor, wenn das tatbestandsrelevante Verhalten den Erfolg
verursacht, wenn der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht.
Folgenlose Fahrlässigkeit ist nur bei fahrlässigen
Tätigkeitsdelikten (z.B. § 316 Abs. 2 StGB) strafbar
und kann gegebenenfalls als Gefährdungsdelikt erfasst werden.
„Fahrlässiger Versuch“ ist straflos (vgl.
Vogel in LK 12. Aufl. § 15 Rdn. 179).
61
- 2 1 -
Zur Beurteilung der Kausalität bei den (unechten)
Unterlassungsdelikten ist auf die hypothetische Kausalität,
die so genannte „Quasi-Kausalität“
abzustellen. Danach ist ein Unterlassen dann mit dem
tatbestandsmäßigen Erfolg als
„quasi-ursächlich“ in
Zurechnungsverbindung zu setzen, wenn dieser beim Hinzudenken der
gebotenen Handlung entfiele, wenn also die gebotene Handlung den Erfolg
verhindert hätte (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. vom 4.
März 1954 - 3 StR 281/53 - [BGHSt 6, 1, 2]; Urt. vom 19.
Dezember 1997 - 5 StR 569/96 - [BGHSt 43, 381, 397]; Urt. vom 26. Juni
1990 - 2 StR 549/89 [BGHSt 37, 106, 126]; Urt. vom 6. November 2002 - 5
StR 281/01 - [BGHSt 48, 77, 93]; Weigend in LK 12. Aufl. § 13
Rdn. 70; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl.
§ 13 Rdn. 61; Kudlich in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB
§ 13 Rdn. 10; Fischer, StGB 57. Aufl. Vor § 13 Rdn.
39 jew. m.w.N.).
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Als ursächlich für einen schädlichen Erfolg
darf ein verkehrswidriges Verhalten also nur dann angenommen werden,
wenn davon auszugehen ist, dass es bei verkehrsgerechtem Verhalten
nicht dazu gekommen wäre, wenn der Erfolg nicht
unabhängig davon eingetreten wäre. Dabei streitet
für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo.
Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die
bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs
auch bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht entgegen. Vielmehr muss
sich dies aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichten, dass die
Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist (BGH,
Beschl. vom 25. September 1957 - 4 StR 354/57 - [BGHSt 11, 1]; Beschl.
vom 29. November 1985 - 2 StR 596/85 -; Urt. vom 26. Juni 1990 - 2 StR
549/89 - [BGHSt 37, 106, 126 f.]; Urt. vom 19. April 2000 - 3 StR
442/99 - [BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 1];
Beschl. vom 6. März 2008 - 4 StR 669/07 - [BGHSt 52, 159,
164]).
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- 2 2 -
Es genügt nicht, dass ein Unterlassen der gebotenen Handlung
das Risiko erhöht (zur Risikoerhöhungstheorie vgl.
Vogel in LK 12. Aufl. § 15 Rdn. 193). Es kann hier
dahinstehen, ob Ursächlichkeit angenommen werden kann, wenn
bei Vornahme der Handlung der Erfolg zwar nicht vermieden, aber mit
Sicherheit die dem Erfolg zugrunde liegende Gefahrensituation durch
Beeinflussung des Kausalverlaufs verändert worden
wäre (so Roxin, Kausalität und Garantenstellung bei
den unechten Unterlassungen, GA 2009, 73, 76 f.).
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Die nach den bisherigen Feststellungen vorliegende Situation
nacheinander erfolgter Unterlassungen ist nicht mit der auf gleicher
Ebene angesiedelten Entscheidung von Kollektivorganen vergleichbar,
nichts zu veranlassen, (vgl. dazu BGH, Urt. vom 26. Juni 1990 - 2 StR
549/89 - [BGHSt 37, 106] - Lederspray-Fall) bzw. mit kollektivem
Untätigbleiben der Mitglieder entsprechender Gremien (vgl.
dazu BGH, Urt. vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01 - [BGHSt 48, 77] -
Politbüro-Fall). Beschließen etwa die
Geschäftsführer einer GmbH einstimmig, eine gebotene
Handlung zu unterlassen, so liegt - nur - hinsichtlich dieser
Entscheidung selbst mittäterschaftliches Handeln vor. Keiner
der Beteiligten kann dann seinen Beitrag zu dieser Pflichtverletzung
damit in Frage stellen, dass er sich darauf beruft, im Falle seines
Widerspruchs wäre er überstimmt worden (BGHSt 37,
106, 129). Entsprechendes gilt beim stillschweigenden Konsens der
Angehörigen eines Gremiums, dem die Schadensabwendungspflicht
als Ganzes obliegt, nichts zu tun. Auch dann kann sich keines der -
parallel - schweigenden Mitglieder darauf berufen, sein Widerspruch
hätte ohnehin kein Gehör gefunden. Die Frage, ob die
so getroffene Kollegialentscheidung - das kollektive Unterlassen, die
kollektive Pflichtwidrigkeit - für den Erfolg kausal war,
beantwortet sich auch dann nach den Regeln der hypothetischen
Kausalität (vgl. BGHSt 37, 106, 126 f.).
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- 2 3 -
2. Allerdings ist die Beweiswürdigung, aufgrund derer die
Strafkammer zum Ergebnis fehlender Ursächlichkeit des
Pflichtenverstoßes für den Tod und die Verletzung
der Besucher der Eishalle am 2. Januar 2006 kommt, nicht frei von
Rechtsfehlern.
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67
a) Die Formulierung, „mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit“ müsse die
Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den
Taterfolg feststehen, besagt nicht, dass höhere Anforderungen
an das erforderliche Maß an Gewissheit von der
Kausalität als sonst gestellt werden müssen.
„Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“
ist nichts anderes als die überkommene Beschreibung des
für die richterliche Überzeugung erforderlichen
Beweismaßes (vgl. BGH, Urt. vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89
- [BGHSt 37, 106, 127]). Da es sich nicht um die Feststellung realer
Kausalzusammenhänge handelt, muss das Gericht eine
hypothetische Erwägung anstellen und sich auf deren Grundlage
eine Überzeugung bilden. Hierbei „nach
höherer oder geringerer Wahrscheinlichkeit abzustufen, trifft
die Art und Weise der Überzeugungsbildung nicht“
(Weigend in LK 12. Aufl. § 13 Rdn. 72).
b) Die Strafkammer hat für ihre Bewertung, die
Verantwortlichen der Stadt wären entsprechend ihrer bisherigen
Handhabung auf jeden Fall untätig geblieben, insbesondere
darauf abgestellt, dass auch der Architekt J. im Jahre 2002 - wie
später auch noch der Architekt L. im Jahre 2004 - vergebens
vertiefte Untersuchungen anregten. Dabei hat sich die Strafkammer nicht
damit auseinandergesetzt, dass sich die Entscheidungsgrundlage
für die Verantwortlichen der Stadt bei
pflichtgemäßer „handnaher“
Untersuchung der Deckenkonstruktion der Eissporthallendecke durch den
Angeklagten nicht vergleichbar dargestellt hätte. Der
Architekt J. hatte zwar - bei oberflächlicher Betrachtung zur
Abklärung der Frage, ob er einen Prüfungsauftrag
über-
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- 2 4 -
haupt übernimmt - Mängel erkannt, wie
Betonschäden und Wasserspuren sowie einen - gemeint ist wohl:
schlechten - Allgemeinzustand. Dies führte dann bei ihm, wie
im Jahre 2004 beim Architekten L. , - nur - zur Einsicht, ohne
vertiefte Untersuchungen sei der Sanierungsbedarf nicht zu ermitteln.
Auf konkrete Schäden, die erhöhte Risiken unmittelbar
hätten signalisieren können, haben beide nicht
hingewiesen. Das konnten und mussten sie auch nicht.
Demgegenüber hätte der Angeklagte bei
„handnaher“ Untersuchung im Februar/März
2003 signifikante, konkret auf Gefahr hindeutende Erscheinungen an
Trägerelementen der Dachkonstruktion der Eissporthalle
entdeckt und diese Information an die Stadt weitergegeben. Insbesondere
Hinweise auf die brüchigen Leimverbindungen wären
Alarmsignale gewesen, selbst wenn bei der Stadt Unkenntnis
darüber geherrscht haben sollte, dass weitgehend
wasserlöslicher Klebstoff verwendet worden war. Das
Ausmaß der Schäden und der Umfang der
tatsächlichen Gefahr wären zwar erst bei
weitergehenden Untersuchungen zutage getreten. Dass das Aufdecken
konkreter auf eine mögliche Gefahrenlage hindeutender
Schäden an der Tragkonstruktion bei den Verantwortlichen der
Stadt überhaupt keine Reaktion ausgelöst
hätte, hätte jedenfalls der Erörterung
bedurft.
c) Als durchgreifender Darstellungsmangel (Lücke) erweist sich
in diesem Zusammenhang insbesondere, dass sich die Strafkammer nicht
damit auseinandergesetzt hat, ob die Stadt bei einer Mitteilung der
oben genannten, konkreten auf eine potentielle Gefahrenlage
hinweisenden Mängel im Tragwerk des Daches der Eissporthalle
nicht wenigstens für den Fall höherer Schneelasten
vorsorglich mit einer Begrenzung des Betriebs bzw. der Veranlassung
früherer Räumung des Daches reagiert hätte.
Im Hinblick auf das Alter der Halle und in Kenntnis der
früheren Warnhinweise (Mängel an der Dachkonstruktion
der Schwimmhalle, Auflösung der Leimverbindungen am Vordach,
herabstür-
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- 2 5 -
zende Teile) hätte es sich den zuständigen
Mitarbeitern im Bauamt der Stadt Bad Reichenhall dann
aufdrängen können, dass nicht mehr ohne weiteres von
der zum Zeitpunkt der Erbauung des Hallenkomplexes statisch maximal
zulässigen Schneelast ausgegangen werden darf. Zumal die Stadt
nach den bisherigen Feststellungen den Kostenaufwand für eine
vertiefte Untersuchung scheute, hätte es
möglicherweise nahe gelegen, dass sie dann zunächst
die kostengünstigere Variante gewählt hätte
und dem Betriebspersonal neue Anweisungen für die
während des Betriebs der Halle maximal zulässige
Belastung des Daches mit Schnee gegeben hätte. Auch dies
hätte jedenfalls der Erörterung bedurft.
d) Vor allem aber hätte sich die Strafkammer mit folgender
Frage auseinandersetzen müssen, die sich ihr nach den
bisherigen Feststellungen hätte aufdrängen
müssen:
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Es liegt nicht fern, dass der Angeklagte mit seiner positiven
Äußerung in seiner Studie vom 21. März 2003
zur Tragkonstruktion - auch des Daches der Eissporthalle - der
Erwartungshaltung seitens der Verantwortlichen der Stadt entsprechen
wollte. Diese waren möglicherweise erkennbar an einer solchen
kostengünstigen - scheinbar - zweifelsfreien
sachverständigen Äußerung interessiert.
Denkbar ist dann, dass ihnen eine solche Information willkommen war, um
teure tiefergehende Untersuchungen zu vermeiden und eine Entscheidung
über das weitere Vorgehen vordergründig risikolos
hinausschieben zu können.
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Folgende Punkte könnten hierauf hindeuten:
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Nach den bisherigen Feststellungen bestand keine Pflicht des
Angeklagten zur Überprüfung der Standsicherheit der
Hallen. Er ermittelte deren Stand-
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- 2 6 -
festigkeit und die Tragkraft der Dachkonstruktion auch nicht. Er
äußerte sich in seiner „Studie“
vom 21. März 2003 gleichwohl - zwar vorsichtig (guter
Eindruck, allgemein als gut zu bezeichnender Zustand) - aber letztlich
ausdrücklich positiv zur Tragfähigkeit sowohl der
Stahlbeton- wie auch der Holzkonstruktion. Dies lag außerhalb
des Auftrags. Und er äußerte sich zudem zur
Tragkonstruktion der Eissporthalle, ohne sich hierzu eine ausreichende
Erkenntnisgrundlage verschafft zu haben. Dessen dürfte er sich
als Fachmann auch bewusst gewesen sein. Hierbei wäre auch zu
berücksichtigen gewesen, dass er selbst bereits im Jahre 2001
am Vordach des Eingangsbereichs beschädigte Leimverbindungen
festgestellt hatte. Außerdem wies der Angeklagte im
Zusammenhang mit seiner Äußerung zur
Sekundärkonstruktion des Daches der Schwimmhalle und zum
dortigen Rohrsystem selbst darauf hin, dass eindringendes Wasser zu
Schäden führt, die nicht leicht von außen
erkennbar sind. Trotz allem stellte er seine positiven
Äußerungen nicht unter den Vorbehalt vertiefter
Überprüfungen. Der allgemeine Hinweis, dass Teile der
in die Jahre gekommenen Hallenkomplexe einer Sanierung
bedürften, beinhaltet dies jedenfalls nicht, zumal das Dach
der Eissporthalle dabei gerade nicht genannt wird.
Auch den Verantwortlichen der Stadt waren nach den bisherigen
Feststellungen die genannten früheren Warnhinweise (Vordach
und Schwimmhalle) und das Alter der Halle bekannt. Sie hätten
wohl auch erkannt haben können, dass der Auftragsumfang (kein
Gutachten zur Standfestigkeit) und das Auftragsvolumen (3.000,--
€) im Widerspruch standen zu der uneingeschränkt
positiven Aussage des Angeklagten zum Tragwerk - auch des Daches - der
Eissporthalle ohne jeden Vorbehalt vertiefter Prüfungen. Denn
auch im zuständigen Amt der Stadt dürften Fachleute
mitgewirkt haben. Die Verantwortlichen der Stadt könnten die
positive Aussage zum Tragwerk der Halle in der
„Studie“ des Angeklagten als willkommenen - nur
scheinbar - tragfähigen und bewusst
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- 2 7 -
nicht hinterfragten Freibrief dafür genommen haben, weiterhin
keine ernsthaften Aktivitäten zur Abwehr von Gefahren zu
entfalten, die bei einer 33 Jahre alten, möglicherweise in
einem ersichtlich schlechten Zustand befindlichen und nie auf ihre
Standfestigkeit überprüften Halle dieser Bauweise
nicht völlig auszuschließen waren.
Dies hätte jedenfalls der Erörterung bedurft.
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Denn damit könnte sich die Auswirkung der - nach den
bisherigen Feststellungen vorwerfbar - auf unzureichender Grundlage
erstellten „Studie“ des Angeklagten auf das
Verhalten der Verantwortlichen der Stadt Bad Reichenhall anders, als
bisher festgestellt, darstellen. Der Schwerpunkt könnte dann
beim positiven Tun, der Abgabe dieser Erklärung liegen. Dessen
Ursächlichkeit für die Untätigkeit der Stadt
und in der Folge für den Einsturz und für den Tod
sowie die Verletzungen der Besucher am 2. Januar 2006 könnte
sich bei entsprechenden Feststellungen dann geradezu
aufdrängen.
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Sollte sich das Verhalten der Verantwortlichen der Stadt in diesem
Zusammenhang ebenfalls als pflichtwidrig herausstellen, könnte
Nebentäterschaft mit einer Fahrlässigkeitstat des
Angeklagten vorliegen. Zwar kann die Zurechnung eines Erfolgs nicht
allein auf ein bloßes objektives Ineinandergreifen jeweils
individuell fahrlässigen Verhaltens gestützt werden.
Denn bei fahrlässigen Delikten entfällt die bei
Vorsatztaten begrenzende Funktion der Zurechnung des Tatplans (vgl.
Fischer, StGB 57. Aufl. § 25 Rdn. 26). Wenn sich jedoch in der
Pflichtwidrigkeit des einen auch die Pflichtwidrigkeit des anderen
verwirklicht, kann Nebentäterschaft gegeben sein (vgl. Fischer
aaO § 15 Rdn. 16c, vgl. auch BGH, Urt. vom 22. Januar 1953 - 4
StR 417/52 - [BGHSt 4, 20, 21]). Da die Mitursächlichkeit
jedes Tatbeitrags auch in diesen Fällen erwiesen sein muss,
wird
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der Begriff der Nebentäterschaft zwar heute vielfach als
überflüssig angesehen (vgl. etwa Schünemann
in LK 12. Aufl. § 25 Rdn. 222). In Fällen der
vorliegenden Art könnte dies die gemeinsame Verursachung -
ohne dass Mittäterschaft vorliegt - jedoch treffend
kennzeichnen, zumal in derartigen Fällen hinsichtlich der
Zurechnung des Erfolgs auch normative Gesichtspunkte von Bedeutung sein
könnten (vgl. Murmann in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB
§ 25 Rdn. 3; Kudlich aaO Vor § 13 Rdn. 38, 48 ff.).
Mittäterschaftliche Verursachung läge vor, wenn
zwischen dem Angeklagten und den Verantwortlichen der Stadt gar -
ausdrücklich oder stillschweigend - bewusstes Zusammenwirken
festzustellen wäre.
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3. Nach allem bedarf die Sache daher - diesen Angeklagten betreffend -
der erneuten Verhandlung und Entscheidung.
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Nack Rothfuß Hebenstreit
Elf Jäger |