BGH,
Urt. v. 12.7.2000 - 2 StR 161/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 161/00
vom
12. Juli 2000
in der Strafsache gegen
wegen schwerer Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12.
Juli 2000, an der teilgenommen haben: Vizepräsident des
Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender, der Richter
am Bundesgerichtshof Niemöller, die Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Otten, die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß, Prof. Dr. Fischer als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Köln vom 27. Januar 2000 wird verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten und gerichtlichen
Auslagen des Rechtsmittels aufzuerlegen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren
verurteilt.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die
Verletzung materiellen Rechtes gerügt wird. Der
Beschwerdeführer wendet sich mit seinen Ausführungen
insbesondere gegen den Rechtsfolgenausspruch.
Einer Erörterung bedarf nur die vom Generalbundesanwalt
aufgeworfene Frage, ob einzelne strafschärfende
Erwägungen des Tatrichters durchgreifenden rechtlichen
Bedenken begegnen. Dies ist im Ergebnis nicht der Fall. Die Revision
hat daher keinen Erfolg.
II.
Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der am 26. Mai 1999
geborene Sohn E. des Angeklagten im Juli 1999 ins Krankenhaus
eingeliefert, wo neben blauen Flecken auf dem Bauch des Kindes auch
kleine Blutungen im Augenhintergrund rechts und links festgestellt
wurden. Da eine Ursache für derartige Netzhautblutungen darin
liegen kann, daß ein Säugling geschüttelt
worden ist, suchte ein Sozialarbeiter den Angeklagten und die
Kindesmutter auf und wies beide ausdrücklich darauf hin,
daß der Kopf eines Säuglings immer fixiert sein
müsse und daß das Kind keinesfalls
geschüttelt werden dürfe, anderenfalls
könnten lebensgefährliche Blutungen im Gehirn
entstehen.
Am 10. August 1999 versorgte der Angeklagte das Kind allein. Das Kind
wurde unruhig, begann zu schreien und hörte nicht mehr auf.
Als der Angeklagte das Kind nicht beruhigen konnte und nicht mehr
wußte, was er tun sollte, wurde er sehr wütend. Er
nahm den Säugling mit beiden Händen unter dessen
Armen hoch, hielt ihn senkrecht vor sich, schüttelte ihn
heftig und sagte aufgebracht: "Nun sei doch endlich still!".
Während des Schüttelns hielt er den Kopf seines
Sohnes nicht fest, vielmehr schleuderte das Köpfchen heftig
hin und her. Vor Wut und Hilflosigkeit dachte der Angeklagte in diesem
Moment nicht mehr an die möglichen Folgen einer solchen
Mißhandlung, wie sie ihm der Sozialarbeiter klargemacht
hatte. Wegen einige Zeit später eintretender
Auffälligkeiten des Kindes wurde dieses zur
ärztlichen Behandlung gebracht. Nachdem die Atmung des Kindes
aussetzte, wurde es intubiert und fiel in ein tiefes Koma. Eine in
derselben Nacht vorgenommene computertomographische Untersuchung ergab,
daß Grund für das Koma Hirnblutungen waren, die ein
erhebliches Hirnödem und somit Sauerstoffmangel im Gehirn
hervorgerufen hatten. Auch waren jetzt ausgeprägte
Netzhautblutungen erkennbar. Ferner stellte sich bei
Röntgenuntersuchungen heraus, daß der
Säugling insgesamt neun Rippenbrüche hatte, davon
sechs, die bereits im Stadium der Abheilung und somit älteren
Datums waren und drei frische.
Auch auf gezieltes Nachfragen der Ärzte lieferten ihnen jedoch
der Angeklagte und seine Lebensgefährtin zunächst
keine Erklärung für den Zustand E. s. Als am 13.
August 1999 im Krankenhaus durch den Zeugen Dr. S. explizit der
Verdacht geäußert wurde, jemand habe das Kind heftig
geschüttelt, reagierte die Familie des Angeklagten und der
Angeklagte selbst ungehalten. Im Rahmen dieses Gespräches
wurde der Angeklagte ausfallend gegenüber dem Arzt, der die
Unterredung deshalb abbrach. Nachdem aufgrund des Verdachts der
Kindesmißhandlung ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt
eröffnet worden war, entzog sich der Angeklagte aus Angst vor
den auf ihn zukommenden Schwierigkeiten ca. ein bis zwei Tage lang den
Versuchen der Polizei, ihn zu vernehmen, indem er sich nicht mehr zu
Hause, sondern an einem unbekannten Ort aufhielt. Er stellte sich
schließlich am 14. August 1999 der Polizei und berichtete,
was am Nachmittag des 10. August 1999 vorgefallen war.
Der Säugling wurde noch bis zum 23. August 1999 maschinell
beatmet. Es zeigte sich eine zunehmende Auflösung der
Hirnsubstanz. Daraus resultiert eine schwere Schädigung
motorischer Funktionen, die über die Hirnrinde gesteuert
werden. Bereits im September 1999 stellten die Ärzte die
Entwicklung einer Tetraspastik fest, die sich in der Folgezeit
manifestiert hat und dazu führen wird, daß E. kaum
motorische und intellektuelle Fähigkeiten entwickeln wird.
Darüber hinaus wird E. aufgrund der irreparablen schweren
Hirnschäden nicht mehr sehen und hören
können.
Die Hirnblutungen, die zu dem schweren Hirnödem und letzten
Endes zu den schweren Schäden im Gehirn des E.
führten, und die drei frischen Rippenbrüche wurden
durch das heftige Schütteln des Säuglings durch den
Angeklagten am Nachmittag des 10. August 1999 verursacht.
Es ist nicht auszuschließen, daß die
Fähigkeit des Angeklagten, sein Verhalten am Nachmittag des
10. August 1999 entsprechend einer vorhandenen Einsicht in das Unrecht
der Tat zu steuern, erheblich vermindert war.
Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß der Angeklagte die
Körperverletzung vorsätzlich und die schweren Folgen
der Tat grob fahrlässig verursacht hat und hat ihn
gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StGB der
schweren Körperverletzung schuldig gesprochen. Es hat auf den
zur Tatzeit 20 Jahre und sieben Monate alten Angeklagten Jugendrecht
angewandt und wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe
verhängt. Der Tatrichter hat bei seiner Parallelwertung nach
Erwachsenenrecht einen minder schweren Fall (§ 226 Abs. 3
StGB) verneint, aber festgestellt, "daß im
Erwachsenenstrafrecht eine Milderung nach §§ 21, 49
StGB erfolgt wäre". Maßgebend für die
Bemessung der Strafe war für den Tatrichter, welche Dauer eine
erzieherische Einwirkung unbedingt erfordert.
Die vom Generalbundesanwalt beanstandeten Erwägungen in der
Rechtsfolgenentscheidung lauten: "Strafschärfend war ferner
das Verhalten des Angeklagten in den Tagen nach der Tat zu
berücksichtigen. Zwar hat er noch am Tatabend festgestellt,
daß es dem Kind nicht gut geht und die entsprechenden
Maßnahmen unternommen, indem er das Ehepaar E. und seine
Lebensgefährtin unmittelbar unterrichtete. Jedoch hat er im
Krankenhaus auch auf gezielte Nachfrage nicht von dem Vorfall
berichtet. Selbst wenn er, wie er behauptet hat, sich zunächst
nicht vorstellen konnte, daß die Ursache für das
Koma des Kindes seine Tat war, hätte er von der Handlung
berichten müssen, da die Ärzte sämtliche nur
in Frage kommenden Vorfälle als Ursachen
überprüfen wollten. Zudem hätte er
angesichts der Vorgeschichte schon ahnen können, daß
das Schütteln Verletzungen hervorgerufen hat. Daß er
aber, statt von den Vorkommnissen am Nachmittag des Tattages zu
berichten, auch noch ausfällig gegenüber dem Zeugen
Dr. S. geworden ist, legte die Strafkammer, ebenso wie die Tatsache,
daß er die ersten zwei bis drei Tage des
Ermittlungsverfahrens, während sein Opfer im Koma lag,
untergetaucht ist, dem Angeklagten zur Last."
III.
Die Revision des Angeklagten war zu verwerfen. Der Schuldspruch
läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die
Anwendung von Jugendstrafrecht und die Erforderlichkeit der
Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld
(§ 17 Abs. 2 JGG) weisen keinen Rechtsfehler auf.
Der Senat läßt offen, ob die vom Generalbundesanwalt
beanstandeten Erwägungen des Tatrichters rechtsfehlerhaft
sind. Dem könnte entgegenstehen, daß der Angeklagte
aufgrund seiner Garantenstellung sowohl als Vater des Kindes als auch
aus Ingerenz verpflichtet war, trotz der damit verbundenen
Selbstbelastung, den Ärzten umfassend die Vorgeschichte der
Verletzungen zu berichten, um eine optimale Hilfe für das Kind
zu ermöglichen. Die Ausfälligkeit gegenüber
dem Arzt ging über ein zulässiges
Verteidigungsverhalten hinaus. Der - vom Generalbundesanwalt in der
Verhandlung vor dem Senat angesprochene - Gedanke, es dürfe
dem Täter nicht angelastet werden, daß er von seinem
Vorhaben nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten
ist, greift hier nicht. Denn die schweren Folgen der Tat waren vom
Angeklagten nicht beabsichtigt, sondern wurden von ihm nur
fahrlässig verursacht. Schon deshalb darf ihm angelastet
werden, nicht alles ihm Zumutbare zur - möglichen -
Verhinderung der schweren Folgen getan zu haben. Hinsichtlich des
Untertauchens wird nicht auf das Verteidigungsverhalten des in der
Hauptverhandlung in vollem Umfang geständigen Angeklagten
abgestellt. Es wird vielmehr auf den im Hinblick auf den
Erziehungsgedanken maßgeblichen Umstand seiner
ausgeprägten Tendenz, sich Konflikten zu entziehen,
zurückgegriffen. Der Senat braucht diese Fragen hier jedoch
nicht zu entscheiden. Er schließt aus, daß der
Rechtsfolgenausspruch im Ergebnis auf den rechtlich
möglicherweise bedenklichen Erwägungen beruht. Bei
einer noch niedrigeren Strafe wäre bei dem vorliegenden Tat-
und Täterbild die erforderliche erzieherische Einwirkung nicht
mehr möglich (vgl. § 18 Abs. 2 JGG).
Auch ansonsten ist kein Rechtsfehler im Rechtsfolgenausspruch zu
erkennen. Die Annahme eines minder schweren Falles (§ 226 Abs.
3 StGB) lag hier im Hinblick auf die grobe Fahrlässigkeit des
Angeklagten und die besonders schweren Folgen seiner Tat so fern,
daß der Tatrichter bei seiner Parallelwertung nach
Erwachsenenrecht nicht gehalten war, auch noch ausdrücklich zu
erörtern, ob der vertypte Milderungsgrund des § 21
StGB zur Annahme eines minder schweren Falles führen
könnte. Die Versagung einer Strafaussetzung zur
Bewährung wurde vom Tatrichter rechtsfehlerfrei
begründet.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf den
§§ 74, 109 Abs. 2 JGG.
Jähnke Niemöller Otten
Rothfuß Fischer |