BGH,
Urt. v. 12.6.2001 - 1 StR 574/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 574/00
vom
12. Juni 2001
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12.
Juni 2001, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof Nack
als Vorsitzender und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl,
Schluckebier, Hebenstreit, Schaal, Staatsanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Traunstein vom 10. August 2000 insoweit mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben, als die Aussetzung der Vollstreckung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur
Bewährung versagt worden ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63
StGB angeordnet. Anlaßtaten sind zwei Fälle der
Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von
Straftaten (§ 126 Abs. 1 Nr. 6 StGB). Die Revision der
Beschuldigten rügt die Verletzung förmlichen und
sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist im wesentlichen
unbegründet. Jedoch kann das angefochtene Urteil insoweit
keinen Bestand haben, als die Strafkammer davon abgesehen hat, die
Vollstreckung der Maßregel gemäß
§ 67b StGB zur Bewährung auszusetzen.
I. Verfahrensrügen
1. Das Landgericht hat den gegen die Sachverständige F.
gerichteten Befangenheitsantrag ohne Rechtsfehler abgelehnt.
a) Daß die Sachverständige bereits in der
Vergangenheit mehrere für die Beschuldigte ungünstige
Gutachten über die Frage der Schuldfähigkeit erstellt
hatte, schafft für sich genommen keinen Ablehnungsgrund (vgl.
dazu BGHSt 8, 226, 232; 41, 206, 212;
Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 74 Rdn. 7).
b) Auf die Behauptung, die Sachverständige habe bereits vor
der Hauptverhandlung gegenüber der Beschuldigten
geäußert, sie müsse sich auf eine sehr
lange Zeit in der Psychiatrie einstellen, kann die
Revisionsrüge nicht gestützt werden. Wenn es um die
Beurteilung der Ablehnung von Sachverständigen geht, ist das
Revisionsgericht an die Tatsachen gebunden, die der Tatrichter seiner
Entscheidung zugrunde gelegt hat. Eigene Ermittlungen kommen - anders
als bei der Richterablehnung - nicht in Betracht. Das Revisionsgericht
entscheidet als Rechtsfrage, ob das Landgericht über das
Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit ausreichender
Begründung befunden hat (BGHR StPO § 74 I 1
Befangenheit 4 = NStZ 1999, 632). Dieses ist in seinem
Beschluß aber rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, die
Sachverständige habe zutreffend erklärt, die
behauptete Äußerung nicht abgegeben zu haben.
c) Soweit die Sachverständige sowohl bei der schriftlichen als
auch bei der mündlichen Erstattung des Gutachtens zu Unrecht
davon ausgegangen sein soll, die Beschuldigte habe eine
Mituntergebrachte mit einem Messer angegriffen, kann das
Ablehnungsgesuch auf diesen Sachverhalt schon deshalb nicht
gestützt werden, weil er erstmals mit der
Revisionsbegründung vorgetragen worden ist.
2. Die Rüge, § 244 Abs. 4 StPO sei verletzt, bleibt
erfolglos. Das Landgericht hat den Beweisantrag der Beschuldigten,
einen weiteren Sachverständigen zum Beweis der Tatsache
anzuhören, daß von ihr keine weiteren erheblichen
Taten zu befürchten und die Voraussetzungen für die
Aussetzung einer Maßregel nach § 67b StGB gegeben
seien, mit der Begründung abgelehnt, das Gegenteil der
behaupteten Tatsache sei durch das Gutachten der gehörten
Sachverständigen bereits erwiesen. Die Revision ist der
Auffassung, daß ein weiterer Sachverständiger
hätte vernommen werden müssen, weil die
Sachverständige F. lediglich schematisch ihre
früheren Gutachten wiederholt und zu den Voraussetzungen einer
Aussetzung nach § 67b StGB keinerlei Ausführungen
gemacht habe und weil die Frage der Unterbringung in einer
psychiatrischen Anstalt besonders schwierig sei und die
Anhörung eines weiteren Sachverständigen gebiete.
a) Die Rüge ist insoweit unzulässig, als der
vollständige Inhalt der schriftlichen
Sachverständigengutachten nicht mitgeteilt wird, obwohl diese
lediglich schematisch wiederholt worden sein sollen.
b) Fehl geht auch der Hinweis, die Sachverständige habe sich
nicht zu einer Aussetzung der Unterbringung nach § 67b StGB
geäußert. Was die Sachverständige hierzu
bekundet hat, steht nicht fest. Die Rekonstruktion der Beweisaufnahme
ist dem Revisionsgericht grundsätzlich versagt.
c) Ein Ausnahmefall, in dem § 244 Abs. 2 StPO die Hinzuziehung
eines zusätzlichen Gutachters erfordert, ist hier nicht
gegeben.
II. Sachrüge
Die Revision hat mit der Sachrüge lediglich teilweise Erfolg.
1. Die Feststellungen zu den Anlaßtaten weisen keinen
Rechtsfehler auf.
2. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen,
daß im Sinne der §§ 20, 21 StGB die
Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der
Anlaßtaten mit Sicherheit aufgehoben war, weil bei ihr eine
paranoid-halluzinatorische Schizophrenie vorlag.
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
hält rechtlicher Überprüfung stand.
a) Die Ausführungen der Strafkammer verdeutlichen hinreichend,
daß die Einschränkung der Schuldfähigkeit
auf einem länger andauernden, nicht nur
vorübergehenden Defekt beruht. Die Schizophrenie der
Beschuldigten ist seit 1989 deutlich erkennbar. Es "bestehen
ausgeprägte inhaltliche Denkstörungen in Form von
Verfolgungsideen, etwa ... abgehört und verfolgt zu werden.
Desweiteren bestehen psychotische Ich-Störungen in Form von
Fremdbeeinflussungserleben und Wahnideen etwa des Inhalts, sie handle
im Auftrag von prominenten Politikern". Daneben berichtet die
Beschuldigte "über akustische Halluzinationen in Form von
Stimmenhören und die Entgegennahme von Botschaften
über eine Piepsanlage". Das Wahnsystem "war im April 2000 noch
deutlich".
b) Bei der Gefährlichkeitsprognose hat die Kammer in dem
fortbestehenden Wahn der Beschuldigten ein gewichtiges Indiz
dafür gesehen, daß ohne eine weitere effektive
Behandlung jederzeit wieder mit erheblichen rechtswidrigen Taten der
Beschuldigten zu rechnen ist. Damit ist das Landgericht von einem
zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen (vgl. BGH NStZ
2000, 470). In tatsächlicher Hinsicht ist die Erwartung
künftiger erheblicher rechtswidriger Taten ausreichend belegt.
Die Einnahme des Medikaments Risperidon, das die Beschuldigte
während ihres jetzigen stationären Aufenthalts
erhält, hat zu einer Besserung ihres Zustands
geführt; aber "unbehandelt geht von der Beschuldigten
weiterhin die Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten aus".
c) Die aufgeworfene Frage, ob das Fehlen von Darlegungen zu den
Äußerungen eines Sachverständigen im
Hinblick auf die zwingende Verfahrensvorschrift des § 415 Abs.
5 StPO (BGH StV 1999, 470; vgl. zur vergleichbaren Vorschrift des
§ 246a StPO: BGHR StPO § 246a Satz 1
Sicherungsverwahrung 2; BGH bei Holtz MDR 1990, 97; NStZ-RR 1998, 206)
einen auf die Sachrüge zu beachtenden
Begründungsmangel darstellt, kann hier dahinstehen. Der Senat
vermag den Urteilsgründen noch ausreichend zu entnehmen,
daß die Sachverständige angehört worden ist
und die Beschuldigte maßnahmespezifisch untersucht hat. So
hat die Beschuldigte "der Sachverständigen F.
gegenüber ... eine Bombendrohung eingeräumt" (UA S.
20) und es wird festgestellt, daß ein im schriftlichen
Gutachten wiedergegebener Vorfall nicht zum Nachteil der Beschuldigten
berücksichtigt wurde, weil "ihn die Beschuldigte bestreitet
und die Sachverständige (bei dem Vorfall) nicht zugegen war"
(UA S. 26).
Auch genügen die Ausführungen hier noch der
tatrichterlichen Begründungspflicht. Schließt sich
der Tatrichter der Beurteilung eines Sachverständigen an,
muß er entweder die eigenen Erwägungen oder aber die
Anknüpfungstatsachen und die Ausführungen des
Sachverständigen in einer Weise wiedergeben, die dem
Revisionsgericht die rechtliche Nachprüfung
ermöglicht (vgl. KK-Engelhardt StPO 4. Aufl. § 267
Rdn. 16 m.w.N.). Dieser Darlegungspflicht ist die Kammer noch
ausreichend nachgekommen.
4. Die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach
§ 67b Abs. 1 StGB hat das Landgericht insbesondere wegen
fehlender Therapiemotivation abgelehnt. Die Beschuldigte habe sich
bisher geweigert, sich die erforderlichen Medikamente verabreichen zu
lassen. Diese Erwägungen sind lückenhaft. Nicht
erörtert wurde nämlich, ob der Zweck der
Maßregel nicht auch dadurch erreicht werden kann,
daß der Beschuldigten zugleich mit dem Urteil (§
268a Abs. 2 StPO) die Weisung erteilt wird, sich der -
erfolgversprechenden - medikamentösen Behandlung zu
unterziehen.
Weiterhin erörtert das Landgericht selbst, daß im
Rahmen eines "betreuten Wohnens" oder einer "Nachsorgeeinrichtung" die
ambulante Behandlung der Beschuldigten ausreichend sichergestellt
werden könnte, verdeutlicht aber nicht hinreichend, weshalb
diese Möglichkeiten hier nicht ergriffen werden
können.
Es war auch zu beachten, daß nach § 67b Abs. 2 StGB
mit der Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung
Führungsaufsicht eintritt und die Beschuldigte einen
Bewährungshelfer erhält (§ 68a StGB). Wenn
dies auch für sich allein kein besonderer Umstand im Sinne des
§ 67b Abs. 1 StGB ist (BGH, Urteil vom 16.03.93 - 1 StR 888/92
- in NStZ 1993, 395 nicht abgedruckt), so war doch zu prüfen,
ob nicht die damit gegebenen
Überwachungsmöglichkeiten und das der Beschuldigten
zu verdeutlichende Risiko, daß sie bei
Nichterfüllung anzuordnender Weisungen (§ 68b StGB)
mit dem Vollzug der Unterbringung zu rechnen habe, eine hinreichende
Gewähr dafür bieten, daß die Beschuldigte
sich einer (soweit notwendig) ambulanten medikamentösen
Behandlung unterzieht, und ob damit nicht die Erwartung gerechtfertigt
ist, daß der Zweck der Maßregel auch ohne Vollzug
der Unterbringung erreicht werden kann (BGHR StGB § 67b
Gesamtwürdigung 1 = StV 1988, 104 m.w.N.; BGHR StGB §
67b I Besondere Umstände 2 = NStZ 1988, 309; vgl. auch
Tröndle/-
Fischer 50. Aufl. StGB § 67b Rdn. 3; Stree in
Schönke/Schröder 26. Aufl. StGB § 67b Rdn.
6).
Der Senat kann - zumal im Hinblick auf die Art der zu erwartenden
rechtswidrigen Taten - deshalb nicht sicher ausschließen,
daß bei Beachtung dieser Umstände die Unterbringung
zur Bewährung ausgesetzt worden wäre.
Nack Wahl Schluckebier Hebenstreit Schaal
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