BGH,
Urt. v. 12.6.2008 - 3 StR 154/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 154/08
vom
12. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12.
Juni 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Osnabrück vom 16. Januar 2008
a) im Schuldspruch dahin berichtigt, dass der Angeklagte der besonders
schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Vergewaltigung in Tateinheit
mit gefährlicher Körperverletzung" zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt. Die zum Nachteil des Angeklagten
eingelegte, wirksam auf den Strafausspruch beschränkte
Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet die Verletzung materiellen
Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
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I. Das Landgericht ist von der Verwirklichung des
Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB
ausgegangen. Es hat die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr.
1, 2 und 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB bejaht und die Tat als minder
schweren Fall gemäß § 177 Abs. 5 2. Halbs.
StGB gewertet. Den sich aus dieser Vorschrift unmittelbar ergebenden
Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe hat es
gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
gemildert und die konkrete Strafe einem Strafrahmen von drei Monaten
bis zu sieben Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe entnommen.
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Dies begegnet mehreren durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken:
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1. Bereits die Bestimmung der Untergrenze des Strafrahmens an sich ist
rechtsfehlerhaft.
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Da der Angeklagte das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2
Nr. 1 StGB verwirklicht hat, wäre die Strafe, wenn die Tat
nicht nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB qualifiziert wäre,
grundsätzlich dem Strafrahmen dieser Vorschrift zu entnehmen
gewesen. Dessen Untergrenze von zwei Jahren hat der Tatrichter bei der
Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 2.
Halbs. StGB zu beachten, wenn die Regelwirkung des § 177 Abs.
2 Satz 1 StGB nicht ausnahmsweise aufgrund ganz
außergewöhnlich mildernder - im vorliegenden Fall
indes vom Landgericht nicht erörterter und in der Sache fern
liegender - Umstände entfällt (vgl. BGH NStZ 2004,
32, 33). Andernfalls entstünde ein Wertungswiderspruch, weil
derjenige Täter, der neben einem Regelbeispiel einen
Qualifikationstatbestand erfüllt, günstiger gestellt
wäre als derjenige, der kein Qualifikationsmerkmal
verwirklicht (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 2,
3). Bei einer Milderung gemäß §§
21, 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB liegt die Untergrenze des Strafrahmens danach
nicht wie vom Landgericht angenommen bei drei sondern bei sechs Monaten.
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2. Die Ausführungen des Landgerichts zur erheblichen
Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten belegen die
Voraussetzungen des § 21 StGB nicht; sie lassen insbesondere
besorgen, die Strafkammer habe die Aufgabenverteilung zwischen Gericht
und Sachverständigem verkannt.
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Die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des
Angeklagten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht
zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten
Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert ist, erfolgt
in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. im
Einzelnen BGH NStZ-RR 2007, 74;
Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57).
Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem
Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die unter eines
der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu
subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der
Störung und deren Einfluss auf die soziale
Anpassungsfähigkeit des Angeklagten zu untersuchen; es ist
festzustellen, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang sie sich auf
dessen Tatverhalten ausgewirkt hat. Hierzu wird der Richter
häufig auf die Hilfe eines Sachverständigen
angewiesen sein und von diesem Ausführungen zur Diagnose einer
psychischen Störung, zu deren Schweregrad und deren innerer
Beziehung zur Tat erwarten. Gleichwohl handelt es sich bei der Bejahung
eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und bei der Annahme
eingeschränkter Schuldfähigkeit - insbesondere der
auch normativ geprägten Beurteilung der Erheblichkeit der
Einschränkung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit
- um Rechtsfragen. Der Tatrichter hat die Darlegungen des
Sachverständigen daher zu überprüfen und
rechtlich zu bewerten. Außerdem ist er verpflichtet, seine
Entscheidung in einer für das Revisi-onsgericht
nachprüfbaren Weise zu begründen.
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Daran mangelt es hier. Das angefochtene Urteil beschränkt sich
im Wesentlichen darauf, das Ergebnis des
Sachverständigengutachtens zu referieren
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und sich diesem pauschal anzuschließen. Die
Urteilsgründe enthalten schon keine Ausführungen
dazu, welches Eingangsmerkmal des § 20 StGB die Strafkammer
als gegeben ansieht. Die psychiatrische Diagnose eines
Störungsbildes ist jedoch nicht mit einem solchen Merkmal
gleichzusetzen. Dies gilt insbesondere, wenn der Befund wie im
vorliegenden Fall auf eine "emotional instabile
Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus" lautet;
denn dieses Krankheitsbild lässt für sich genommen
eine Aussage über die Schuldfähigkeit des
Täters nicht zu (vgl. etwa BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB
§ 21 Seelische Abartigkeit 36; Fischer, StGB 55. Aufl.
§ 20 Rdn. 41 m. w. N.). Für die sich an die
Subsumtion unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB
anschließende Frage, ob die Schuldfähigkeit des
Angeklagten im Sinne des § 21 StGB erheblich
eingeschränkt ist, lassen sich den Urteilsgründen
ebenfalls keine eigenen Erwägungen der Strafkammer entnehmen;
auch solche wären erforderlich gewesen (vgl. BGHR StGB
§ 21 Seelische Abartigkeit 40).
Die Strafe muss daher neu zugemessen werden.
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II. Der Senat hat den Tenor des landgerichtlichen Urteils den
Urteilsgründen entsprechend dahin neu gefasst, dass der
Angeklagte der besonders schweren Vergewaltigung schuldig ist (vgl.
BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4). Dieser
bloßen Berichtigung eines offensichtlichen Fassungsversehens
steht die aufgrund der Beschränkung der Revision auf den
Strafausspruch eingetretene Rechtskraft des Schuldspruchs nicht
entgegen (vgl. Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl.
§ 354 Rdn. 47; Schoreit in KK 5. Aufl. § 260 Rdn. 14).
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III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf
Folgendes hin:
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Zwar ist ein minder schwerer Fall nach § 177 Abs. 5 StGB auch
dann nicht ausgeschlossen, wenn der Täter den
Qualifikationstatbestand des § 177
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Abs. 4 StGB und ein Regelbeispiel nach § 177 Abs. 2 Satz 2
StGB verwirklicht (vgl. BGH NStZ 2004, 32, 33). Jedoch ist bei der
erforderlichen Gesamtbetrachtung, ob das gesamte Tatbild vom
Durchschnitt der gewöhnlich vorhandenen Fälle so sehr
abweicht, dass die Anwendung des milderen Ausnahmestrafrahmens geboten
erscheint, im vorliegenden Fall über die vom Landgericht
herangezogenen Umstände hinaus auch zu würdigen, dass
der Angeklagte mit der gefährlichen Körperverletzung
nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB einen weiteren Straftatbestand
verwirklicht hat. Hierauf ist bei der Zumessung der konkreten Strafe
ebenfalls Bedacht zu nehmen.
Stellt der Tatrichter zur Begründung eines minder schweren
Falles und bei der konkreten Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten
auf den "Beziehungshintergrund" der Tat und darauf ab, dass die bei
dieser durchgeführten Sexualpraktiken in der Beziehung zu der
Geschädigten üblich gewesen seien, ist dies
jedenfalls dann bedenklich, wenn die Tat im Wesentlichen Ausdruck des
Unwillens des Angeklagten war, nach der Beendigung der Beziehung durch
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die Geschädigte "alte Rechte" aufzugeben, oder einen
bestrafenden Charakter hatte (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 2
Strafrahmenwahl 19; BGH NStZ 2000, 254; Fischer aaO § 177 Rdn.
91 m. w. N.). Beide Alternativen liegen nach den Feststellungen nicht
fern.
RiBGH von Lienen befindet sich
im Urlaub und ist daher gehindert
zu unterschreiben.
Becker Miebach Becker
RiBGH Hubert befindet sich im
Urlaub und ist daher gehindert
zu unterschreiben.
Becker Schäfer |