BGH,
Urt. v. 12.6.2008 - 3 StR 84/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 84/08
vom
12. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12.
Juni 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin K.
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kiel vom 26. November 2007 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung
wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels und die den
Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub
mit Todesfolge (Fall 4 der Urteilsgründe) sowie wegen
gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen
(Fälle 1 bis 3) zur lebenslangen Freiheitsstrafe als
Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Angeklagte wendet sich mit seiner
auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts
gestützten Revision gegen den Schuldspruch im Fall 4 der
Urteilsgründe sowie den gesamten Rechtsfolgenausspruch.
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Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Revisionsrechtfertigung hat zum angefochtenen Teil des Schuldspruchs
aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
ergeben. Der Rechtsfolgenausspruch hat hingegen insgesamt keinen
Bestand.
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I. Nach den Feststellungen zu den Fällen 1 bis 3 verletzte der
jeweils erheblich alkoholisierte Angeklagte im Zeitraum zwischen ca.
Mitte September und dem 20. Oktober 2006 aus Verärgerung den
neun Jahre alten Sohn seiner Lebensgefährtin in drei
Fällen schwer. Im ersten Fall schlug er mit einer
Baseballkeule gezielt auf dessen linken Oberarm im Bereich des
Ellenbogengelenks, wodurch er eine Fraktur verursachte. In den zwei
weiteren Fällen warf er u. a. Messer auf den
Geschädigten, die teilweise im Körper stecken blieben.
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1. In diesen Fällen ist das sachverständig beratene
Landgericht auf der Grundlage der festgestellten Trinkgewohnheiten des
Angeklagten - Konsum von täglich vier bis sechs Litern Bier
sowie einer halben bis dreiviertel Flasche Rum - und seiner Einlassung
zu den Taten davon ausgegangen, eine erhebliche alkoholbedingte
Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit sei nicht
sicher auszuschließen. Die fakultative
Strafrahmenverschiebung gemäß §§
21, 49 Abs. 1 StGB hat es abgelehnt, weil der Angeklagte gewusst habe,
dass er unter Alkoholeinfluss zu Gewalttätigkeiten neige.
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2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht
stand.
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a) Zwar können Umstände, welche die Schuld
erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenmilderung
gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies
kann bei einer alkoholbedingten Verminderung der
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Schuldfähigkeit dann der Fall sein, wenn sie auf einer selbst
zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem
Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist; dabei ist es
regelmäßig auch ohne Belang, ob dieser schon
früher unter Alkoholeinfluss vergleichbare Straftaten begangen
hat (vgl. BGH NStZ 2003, 480, 481; Fischer, StGB 55. Aufl. §
21 Rdn. 20, 25 ff.). Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich
beeinträchtigender Alkoholrausch ist aber dann nicht
verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder
alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der
schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender
Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn
der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder
ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine
Fähigkeit, der Versuchung zum
übermäßigen Alkohol-konsum zu widerstehen,
einschränkt (st. Rspr.; vgl. Fischer aaO § 21 Rdn. 26
m. w. N.).
b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen lassen es als
möglich erscheinen, dass der Angeklagte im dargestellten Sinne
alkoholkrank war. Zwar ist es bei seinen Erwägungen lediglich
von einer massiven Alkoholgewöhnung ausgegangen, die ebenso
wie ein Hang im Sinne des § 64 StGB für sich allein
grundsätzlich nicht ausreicht, um den Alkoholkonsum als
unverschuldet einzustufen. Indessen hätte das Landgericht
wegen des Vorlebens des Angeklagten, das von einem bereits
während der Schulzeit begonnenen Alkoholkonsum und einem
langjährigen Alkoholmissbrauch gekennzeichnet war, seiner
schweren Persönlichkeitsstörung, die in
Konfliktsituationen regelmäßig zu einem
Suchtmittelkonsum führt, der
außergewöhnlich hohen täglichen
Alkoholmengen, und wegen des Umstandes, dass er bei allen
verfahrensgegenständlichen Taten und bei weiteren
festgestellten, nicht abgeurteilten Straftaten jeweils erheblich
alkoholisiert war, mit der Frage einer krankhaften Alkoholsucht
näher auseinandersetzen müssen (vgl. BGH NStZ 2008,
330).
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II. Nach den getroffenen Feststellungen zum Fall 4 beabsichtigte der
Angeklagte am 15. Januar 2007 unter dem Vorwand, in eine von ihm unter
einem falschen Namen angemietete Ferienwohnung einziehen zu wollen, die
Vermieterin auszurauben. Nachdem es zwischen ihm und der Frau zu
Unstimmigkeiten über die Hausordnung gekommen war und diese
ihn zum Verlassen des Hauses aufgefordert hatte, tötete der
unter Alkoholeinfluss stehende Angeklagte aus Wut die arg- und wehrlose
Frau durch eine Vielzahl von Messerstichen. Anschließend
entwendeten er und seine ihn begleitende Lebensgefährtin
verschiedene Wertgegenstände.
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1. Zur Beurteilung der Schuldfähigkeit hat der psychiatrische
Sachverständige in seinem Gutachten im Wesentlichen
ausgeführt: Für eine andere schwere seelische
Abartigkeit gebe es keine Anhaltspunkte. Der Angeklagte weise zwar eine
schwere Persönlichkeitsstörung mit vor allem
emotional-instabilen, narzisstischen und dissozialen Zügen
auf, die sich aus einer hochgradig unreifen Emotionalität
herleite. Er komme mit sich und seiner Umwelt nur zurecht, solange er
Macht ausübe und Gutes tue, könne indes dann, wenn er
in Frage gestellt werde, die daraus resultierenden Konflikte nicht
lösen. Jedes Scheitern, jede Frustration und jeder Verlust
seien für ihn Anlass für einen depressiven
Rückzug und Suchtmittelkonsum, wobei der Alkoholkonsum zwar
förderlich, aber nicht notwendig sei, um bei ihm aus banalen
Anlässen sehr schnelle Stimmungsumschwünge und
Aggressionsausbrüche zu erzeugen. Diese
Persönlichkeitsstörung erreiche aber insgesamt kein
Ausmaß, welches den Angeklagten in seiner Einsichts- oder
Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtige. Auch
eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung zum Tatzeitpunkt sei zu
verneinen. Zwar sei das Tatgeschehen - wie die Vielzahl der
Messerstiche zeige - in hohem Maße affektiv besetzt gewesen,
jedoch habe sich die affektive
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Aufladung nicht zu einem die Steuerungsfähigkeit tangierenden
Affekt verdichtet.
Diesen Ausführungen des Sachverständigen hat sich die
Strafkammer pauschal "aus eigener Überzeugung" angeschlossen.
Eine die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigende
Alkoholisierung zur Tatzeit hat sie verneint. Dem Gutachten des
Sachverständigen folgend hat die Strafkammer die Unterbringung
des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß
§ 66 Abs. 2 StGB angeordnet, weil die Gefahr bestehe, dieser
werde als Folge seines persönlichkeitsbedingten
Unvermögens, Konflikte zu lösen und Beziehungen zu
gestalten, weitere schwere Straftaten begehen. Die schwere
Persönlichkeitsstörung mit ihren Begleiterscheinungen
begründe einen inneren Hang des Angeklagten, in Situationen,
in denen andere Personen dem Reiz zur Aggressionstat widerstehen
könnten, auf ihn frustrierende und herausfordernde
Anstöße mit Gewalttaten zu reagieren.
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2. Gegen die Begründung, mit der das Landgericht eine
erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit abgelehnt hat,
bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
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Aufgrund der Urteilsausführungen lässt sich schon
nicht zweifelsfrei beurteilen, ob die Bewertung der Strafkammer
rechtsfehlerfrei ist, dass die festgestellte schwere
Persönlichkeitsstörung des Angeklagten - isoliert
betrachtet - das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen
Abartigkeit nicht erfüllt. Zwar führen gravierende
Persönlichkeitsdefizite, die bei Straftätern
häufig vorliegen, nicht notwendig zu Handlungsweisen, die sich
außerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll
schuldfähiger Menschen bewegen. Jedoch ist bei einer nicht
pathologisch bedingten schweren
Persönlichkeitsstörung das Eingangsmerkmal dann
gegeben, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften
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seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in
ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und
mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen.
Zur Beurteilung ihres Schweregrades bedarf es einer - hier nur
unvollständig vorgenommenen - Gesamtschau der
Persönlichkeit des Angeklagten und deren Entwicklung, der
Tatvorgeschichte, dem unmittelbaren Anlass und der Ausführung
der Tat sowie des Verhaltens nach der Tat (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37,
397, 401; 49, 45, 52 f.; BGHR StGB § 63 Zustand 24; BGH NStZ
2000, 585 f.; 2005, 326, 327). Die beschriebenen
Persönlichkeitsdefizite - wie die stark
eingeschränkte Affektregulation mit der Folge
häufiger massiver Konflikte mit anderen Menschen, die
Unfähigkeit zur Gestaltung von Beziehungen, das
Unvermögen, Lehr- oder Arbeitsstellen über
längere Zeit zu halten, sowie die deutliche Störung
des Selbstwertgefühls (vgl. Boetticher/
Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57, 60) - könnten
möglicherweise darauf hindeuten, dass sie das Leben des
Angeklagten mit ähnlichen Folgen stören, belasten und
einengen wie eine krankhafte seelische Störung.
Vor allem hat das Landgericht im Rahmen der erforderlichen
Gesamtbetrachtung nicht erkennbar die sich aufdrängende Frage
geprüft, ob die schwere
Persönlichkeitsstörung, die Alkoholisierung und die
affektive Aufladung, die nach seiner Überzeugung jeweils
für sich betrachtet noch keine erhebliche
Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit
herbeiführten, durch ihr Zusammenwirken die Fähigkeit
des Angeklagten, sich normgerecht zu verhalten, im Vergleich zu einem
voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße
einschränkten (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere
3, 5).
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III. Wegen der dargestellten Rechtsfehler waren die verhängten
Einzelstrafen und die Gesamtstrafe aufzuheben. Damit kann auch die
gemäß § 66 Abs. 2 StGB angeordnete
Sicherungsverwahrung nicht bestehen bleiben. Der
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Schuldspruch wird indes nicht berührt. Der Senat kann
ausschließen, dass der Angeklagte bei einer der Taten
schuldunfähig (§ 20 StGB) war.
IV. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf
Folgendes hin:
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1. Bei der Prüfung des § 21 StGB ist nicht
entscheidend, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
generell erheblich eingeschränkt war. Maßgeblich
kommt es vielmehr auf den Zustand bei Begehung der konkreten Tat an.
Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage überprüft der
Tatrichter die vom Sachverständigen gestellte Diagnose, den
Schweregrad der Störung und deren innere Beziehung zur Tat
aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Ob eine psychische
Störung ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21
StGB erfüllt, entscheidet er nach sachverständiger
Beratung in eigener Verantwortung. Gleiches gilt für die sich
daran anschließende Frage, ob das Eingangsmerkmal zu einer
erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit
führte. Denn hierbei spielen normative Gesichtspunkte eine
Rolle, weil die Anforderungen entscheidend sind, welche die
Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese Anforderungen sind umso
höher, je schwerwiegender das zu beurteilende Delikt ist (vgl.
BGHSt 49, 45, 52 f.; BGH NStZ 2005, 326, 327;
Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57, 58).
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2. Der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang zum
übermäßigen Alkoholkonsum einerseits und
den begangenen sowie künftig zu befürchtenden
Straftaten andererseits ist schon dann zu bejahen, wenn der Hang neben
anderen Umständen mit dazu beitrug, dass der Angeklagte die
erheblichen rechtswidrigen Taten beging und dies bei einem
unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu
besorgen ist. Er kann daher grundsätzlich nicht allein deshalb
verneint werden, weil neben dem Alkoholmissbrauch
Persönlichkeitsmängel eine Disposition für
die Begehung von Straftaten begründen (vgl.
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BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 2; BGH NStZ 2004,
681; NStZ-RR 2004, 78; Fischer aaO § 64 Rdn. 12). Die
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kann
neben der Anordnung von Sicherungsverwahrung (vgl. Fischer aaO
§ 72 Rdn. 2 a) oder der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus (BGH StV 1998, 72) in Betracht kommen. Liegen die
Voraussetzungen sowohl des § 63 StGB als auch des §
66 StGB vor, kann - nach der Regelung des § 72 StGB - die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus die Anordnung von
Sicherungsverwahrung entbehrlich machen (vgl. Fischer aaO § 72
Rdn. 2 a m. w. N.).
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer |