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BGH, Urteil vom 12. Mai 2005 - 5 StR 36/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 12.5.2005 - 5 StR 36/05
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
UStG § 4 Nr. 1 lit. b; § 6a Abs. 3
AO § 370 Abs. 1
Das Fehlen eines Nachweises einer innergemeinschaftlichen
Lieferung führt jedenfalls dann nicht zu einer Steuerbefreiung,
wenn dadurch das Steueraufkommen in einem
anderen Mitgliedstaat der EU gefährdet wird.
BGH, Urteil vom 12.05.2005 - 5 StR 36/05
LG Stuttgart -
5 StR 36/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 12.05.2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Steuerhinterziehung
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 10. und 12.05.2005, an der teilgenommen haben:
Richter Häger
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K
als Verteidiger für die Angeklagte S R ,
Rechtsanwalt Ro
als Verteidiger für den Angeklagten P R ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- 3 -
am 12.05.2005 für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten S R und P
R sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil
des Landgerichts Stuttgart vom 30. September 2004
werden verworfen.
Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel, die
Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft
sowie die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
der Angeklagten.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagten S und P R
wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt
worden ist. Die hiergegen gerichteten, auf die Verletzung materiellen
Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben ebenso ohne Erfolg
wie die zum Nachteil der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft,
die sich gegen die jeweiligen Rechtsfolgenaussprüche wenden.
I.
Nach den Feststellungen betrieben die beiden Angeklagten seit Beginn
des Jahres 2000 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen Kraftfahrzeughandel.
Sie erwarben im Inland gegen Rechnung mit offen ausgewiese-
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ner Umsatzsteuer hochwertige Personenkraftwagen, die sie sodann an ihre
gewerblich tätigen Kunden in Italien verkauften. Ihre Ausgangsrechnungen
stellten sie - in Absprache mit ihren Abnehmern - auf italienische Scheinkäufer
aus, damit die in Italien anfallende Erwerbsumsatzsteuer verkürzt werden
konnte.
In ihren eigenen monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen bis
Juli 2003 und den Umsatzsteuerjahreserklärungen für 2000 bis 2002 erklärten
die Angeklagten die entsprechenden Umsätze als steuerfreie innergemeinschaftliche
Lieferungen im Sinne von § 4 Nr. 1 lit. b, § 6a UStG. Die ihnen
bei Ankauf der PKW in Rechnung gestellte Umsatzsteuer machten sie
jeweils als Vorsteuer geltend und verkürzten auf diese Weise Umsatzsteuer
in Höhe von insgesamt rund 1,7 Millionen €.
II.
Sämtliche Revisionen bleiben erfolglos.
1. Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
a) Angesichts der in der Hauptverhandlung abgelegten umfassenden
Geständnisse der Angeklagten, die sie anhand von Urkunden und Schriftstücken
erläutert haben, bedurfte es keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen
in den Urteilsgründen. Insbesondere hat das Landgericht ausdrücklich
festgestellt, daß die Angeklagten eingeräumt haben, ihnen sei „vor diesem
Hintergrund auch klar gewesen, daß die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung
der Lieferungen nach Italien nicht vorlagen und ihre diese Umsätze
betreffenden Steuererklärungen und Voranmeldungen insoweit falsch waren“.
Auch die Berechungsgrundlagen für den Hinterziehungsschaden sind
im Urteil ausreichend dargetan.
- 5 -
b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht den festgestellten Sachverhalt
als gemeinschaftlich begangene Steuerhinterziehung in zehn Fällen
gewürdigt.
aa) Ohne Rechtsverstoß hat der Tatrichter wegen der unzutreffenden
Angaben der Angeklagten über die Empfänger der nach Italien verkauften
Fahrzeuge keine innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des § 6a UStG
angenommen, die zur Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 lit. b UStG geführt hätte.
Für die Steuerbefreiung der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen
Gemeinschaft ist nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG erforderlich, daß
die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nachgewiesen sind. Dies muß
durch entsprechende Belege buchmäßig leicht nachzuprüfen sein (§ 17a
Abs. 1 Satz 2 UStDV). Zu den unabdingbaren Anforderungen, die nach der
ständigen Rechtsprechung der Bundesfinanzhofs materiellrechtliche Voraussetzungen
der Steuerbefreiung sind, zählen nach § 17c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
UStDV auch der buchmäßige Nachweis des wirklichen Abnehmers und dessen
richtige Umsatzsteueridentifikationsnummer (BFH/NV 2004, 988, 989).
Macht der Steuerpflichtige insoweit unzutreffende Angaben über den Abnehmer,
ist schon allein deshalb keine steuerbefreite innergemeinschaftliche
Lieferung gegeben (vgl. BFHE 199, 80, 83 f.; BFH/NV 2004, 988, 989).
bb) Mit der inhaltlich falschen Angabe des Abnehmers ist der Nachweis
für eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht geführt. Damit liegen die
Voraussetzungen für eine steuerfreie Lieferung im vorliegenden Fall nicht
vor. Es kann daher dahinstehen, ob die Lieferung der Fahrzeuge nach ihrem
materiellen Gehalt die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung
erfüllen könnte.
(1) Die hier zu beurteilende Fallkonstellation unterscheidet sich dabei
ganz wesentlich von der Sachverhaltsgestaltung, die dem Bundesfinanzhof
Anlaß gegeben hat, durch Beschluß vom 10.02.2005 (DStR 2005, 646)
dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EGV die Fragen vorzu-
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legen, ob - erstens - die Finanzverwaltung die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen
Lieferung, die zweifelsfrei vorliegt, allein mit der Begründung
versagen darf, der Steuerpflichtige habe den dafür vorgeschriebenen
Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt, und es - zweitens - hierbei darauf
ankommt, ob der Steuerpflichtige zunächst bewußt das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen
Lieferung verschleiert hat.
(2) Die dort für die Vorlage maßgebliche Frage war, inwieweit aus
Gründen der Verhältnismäßigkeit allein der fehlende Nachweis nach § 4
Abs. 1 lit. b i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG der Steuerbefreiung entgegenstehen
dürfe. Dabei war aber entscheidend, daß das Gesamtgeschäft an
sich steuerehrlich aufgebaut war, weil lediglich aus Gründen des Gebietsschutzes
formal ein Strohmann zwischengeschaltet wurde. Im vorliegenden
Fall hingegen waren die falschen Angaben über den Abnehmer gerade darauf
gerichtet, dem tatsächlichen Abnehmer eine Besteuerung der angekauften
Fahrzeuge zu ersparen. Die insoweit unzutreffenden Angaben sollten
den tatsächlichen Abnehmer verdecken und ihm so ermöglichen, die von ihm
geschuldete Erwerbsumsatzsteuer hinterziehen zu können.
Entgegen der Auffassung der Verteidigung wird damit den Angeklagten
nicht der Vorwurf einer Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung
in Italien gemacht, weshalb auch dahinstehen kann, ob eine Hinterziehung
italienischer Umsatzsteuer nach § 370 Abs. 6 AO in Deutschland strafbar
und von der Anklage im hiesigen Verfahren überhaupt umfaßt ist. Ein Bezug
zur italienischen Umsatzsteuer entsteht im vorliegenden Fall allein dadurch,
daß eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in Deutschland nur
dann vorliegt, wenn die tatsächliche Lieferung nach Italien ordnungsgemäß
belegt ist. Die Nachweispflichten schützen nämlich nicht nur das Umsatzsteueraufkommen
des Mitgliedstaats, aus dem ausgeführt wird, sondern
auch das Umsatzsteueraufkommen des Mitgliedstaats, in den eingeführt
wird. Durch entsprechende gemäß § 18a UStG im Inland gesammelte Mitteilungen
ist aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 des Rates vom
- 7 -
27. Januar 1992 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf
dem Gebiet der indirekten Besteuerung (ABl. EG Nr. L 24 S. 1) eine Kontrollmöglichkeit
geschaffen worden, die den italienischen Finanzbehörden die
Durchsetzung der Umsatzsteuerpflicht bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
gegenüber dem Abnehmer erleichtert (vgl. FG Rheinland-Pfalz
DStRE 2005, 212, 213). Dies ist erforderlich, weil nur so die durch den dritten
Erwägungsgrund der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern (ABl. EG Nr. L 145 S. 1; im folgenden: Sechste
Richtlinie) geforderte Neutralität des gemeinsamen Umsatzsteuersystems
gewahrt werden kann, denn anderenfalls hätten Abnehmer in ihrem Staat
durch faktisch umsatzsteuerfreie Fahrzeuge erhebliche Wettbewerbsvorteile.
Insoweit dient die Nachweispflicht - neben der Sicherung des Umsatzsteueraufkommens
in dem anderen Mitgliedstaat - auch der Gewährleistung gleicher
Wettbewerbsbedingungen auf den nationalen Teilmärkten des gemeinsamen
Marktes. Deshalb soll der Lieferant jedenfalls dann nicht in den Genuß
der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 4
Nr. 1 lit. b i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG kommen, wenn er seine steuerlichen
Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt, weil dann auch die Besteuerung in
dem anderen Mitgliedstaat nicht gesichert ist. Dem Schutzgut der (umsatzsteuerneutralen)
gleichen Wettbewerbschancen entspricht es, den Lieferanten
jedenfalls dann zu belasten, wenn die Besteuerung des Abnehmers
durch einen unzureichenden buchmäßigen Nachweis gefährdet erscheint.
cc) Vor diesem Hintergrund sind auch die Verhältnismäßigkeitsüberlegungen
zu sehen, die den Bundesfinanzhof im Anschluß an eine Entscheidung
des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 12. Dezember
2003 (ÖStZB 2004, S. 547) zu der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof
veranlaßt haben. In den dort entschiedenen Fällen stand die ordnungsgemäße
Besteuerung der materiell innergemeinschaftlichen Lieferung
- ungeachtet der Mängel in der Nachweisführung - nicht in Frage. Dagegen
war im hier zu beurteilenden Fall der Fehler in den buchmäßigen Aufzeich-
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nungen beabsichtigt und das Mittel, eine den innergemeinschaftlichen Wettbewerb
verzerrende Steuerverkürzung im Mitgliedstaat des Abnehmers herbeizuführen.
Es besteht deshalb kein Anlaß für die hier zu beurteilende Fallkonstellation
von dem Grundsatz abzuweichen, daß ein in der Falschbezeichnung
des Abnehmers liegendes Fehlen des Nachweises einer innergemeinschaftlichen
Lieferung nicht zur Steuerbefreiung führt. Die Bestimmungen
in Art. 28c Abschnitt A und B der Sechsten Richtlinie geben den Mitgliedstaaten
ausdrücklich auf, Regelungen zu treffen, die der Verhütung von
Steuerhinterziehungen dienen. Die Nachweispflichten des nationalen Umsatzsteuerrechts
füllen diesen Regelungszweck aus. Da sich eine Gefährdung
des Umsatzsteueraufkommens innerhalb der Europäischen Gemeinschaft
tatsächlich auch realisiert hat, besteht im Hinblick auf den auch gemeinschaftsrechtlich
zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kein
Raum für eine einschränkende Auslegung der Nachweispflichten für innergemeinschaftliche
Lieferungen. Insoweit ist die Rechtslage eindeutig. Deshalb
scheidet eine - von der Verteidigung hilfsweise beantragte - Vorlage an
den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EGV aus, weil keine klärungsbedürftige
Rechtsfrage vorliegt.
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind ebenfalls unbegründet.
Die Strafzumessung weist keinen Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil
der Angeklagten auf, der das Revisionsgericht nötigen könnte, die rechtsfehlerfrei
begründeten, wenngleich milden Strafen zu beanstanden. Der Generalbundesanwalt,
der die Revisionen der Staatsanwaltschaft nicht vertritt, hat
in seinem Terminsantrag im einzelnen zutreffend darauf hingewiesen, daß
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die Rechtsfolgenaussprüche sich insgesamt im Rahmen des dem Tatrichter
zustehenden Beurteilungsspielraums halten.
Häger Gerhardt Raum
Brause Schaal



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