BGH,
Urt. v. 13.8.2008 - 2 StR 240/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 240/08
vom
13.8.2008
Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja
§ 106 Abs. 3 Satz 2 JGG
Zu den Voraussetzungen des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach
§ 106 Abs. 3 Satz 2 JGG.
BGH, Urteil vom 13.8.2008 - 2 StR 240/08 - Landgericht Bonn
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
13.8.2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Prof. Dr. Schmitt,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Bonn vom 4. Oktober 2007, soweit es den Angeklagten I.
betrifft, im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen Mordes, im
Gesamtstrafenausspruch und soweit es das Landgericht unterlassen hat,
über den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung zu entscheiden,
jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den zur Tatzeit 19 Jahre und zwei Monate alten
Angeklagten I. unter Annahme der Mordmerkmale grausam, um eine andere
Straftat zu verdecken sowie aus sonstigen niedrigen
Beweggründen wegen Mordes, gefährlicher
Körperverletzung in fünf Fällen,
Vergewaltigung in zwei Fällen sowie besonders schwerer
Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
fünfzehn Jahren verurteilt.
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Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge dagegen,
dass das Landgericht nicht auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt
sowie die Anordnung des Vorbehalts der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung nicht geprüft hat. Das vom
Generalbundesanwalt teilweise vertretene Rechtsmittel hat in vollem
Umfang Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Angeklagte I.
sowie zwei 17 und 20 Jahre alte Mitangeklagte und das spätere
Tatopfer, das von den anderen als Außenseiter und
„Opfertyp“ betrachtet wurde, gemeinsam in einer
Zelle in der Justizvollzugsanstalt S. inhaftiert. Zu einem nicht genau
feststellbaren Zeitpunkt nach 12.00 Uhr am 11. November 2006 schlugen
die Angeklagten, einer Idee des Angeklagten I. folgend, abwechselnd auf
den Geschädigten mit in Handtüchern gewickelten
Seifenstücken ein, die sie wie peitschenartige
Schlaginstrumente benutzten. Diese ersten Schläge waren der
Auslöser für weitere Misshandlungen, Erniedrigungen
und Quälereien, die sich über den gesamten Tag
erstreckten. Unter anderem brachten die Angeklagten ihren Mitgefangenen
zum Erbrechen und zwangen ihn, von dem Erbrochenen zu essen.
Außerdem musste er Speichel des Angeklagten I. vom
Toilettenrand ablecken und Urin sowie Speichel der Angeklagten trinken.
Darüber hinaus musste er bei dem Angeklagten I. mindestens
zwei Mal den Oralverkehr ausführen. Dabei ging es dem
Angeklagten nicht um sexuelle Befriedigung, sondern um die
Demütigung des Opfers. Im Anschluss an den Oralverkehr
führten die Angeklagten K. und I. einen Handfeger mit einem am
Ende spitz zulaufenden und rissigen Holzgriff mindestens 6 cm tief in
den After des Opfers ein, was zu massiven und stark blutenden
Verletzungen führte. Den Stiel des Handfegers musste der
Geschädigte ablecken. Im weiteren Verlauf überlegten
die Angeklagten, ob sie ihn töten sollten. Dazu erstellten sie
eine Liste, auf der sie das Für und Wider der Tötung
notierten. Als Nachteile wurden
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u.a. vermerkt, dass man bei vier Leuten mehr Einkauf beziehen
könne und es für Körperverletzung eine
geringere Strafe als für Mord gebe. Als Vorteile wurden vor
allem die Möglichkeit einer schnelleren Entlassung sowie der
Umstand gesehen, dass der Geschädigte dann nichts mehr von
seinen Misshandlungen berichten könne. Ergebnis der
„Fürund-Wider-Liste“ war, dass aus Sicht
der Angeklagten mehr Argumente für eine Tötung
sprachen. Es wurde durch Abstimmen per Handzeichen beschlossen, den
Geschädigten „wegzuhängen“. Die
Tötung sollte als Selbstmord getarnt werden, um einen
Haftschaden in Form eines Schocks bzw. einer psychischen
Traumatisierung simulieren zu können und auf diese Weise eine
vorzeitige Haftentlassung zu erreichen. Die Gespräche der
Angeklagten hierüber sowie das Erstellen der
„Fürund-Wider-Liste“ verfolgte der
Geschädigte von seinem Bett aus. Um im Falle seines
angeblichen Suizides die auf Grund der vorangegangenen Misshandlungen
bereits zu diesem Zeitpunkt bei dem Geschädigten deutlich
erkennbaren Verletzungen an Körper und Gesicht
erklären zu können, ersannen die Angeklagten einen
Vorwand, ihn verprügeln zu können. Sie zwangen ihn,
aus dem Fenster heraus ausländische Mitgefangene zu
beleidigen, wobei sie ihm den Wortlaut der Beschimpfungen vorgaben. Wie
von den Angeklagten erwartet wurden sie als Zellengenossen von den
ausländischen Mitgefangenen aufgefordert, den
Geschädigten durch Schläge für seine
Beschimpfungen zu bestrafen. Die Angeklagten kamen dieser Aufforderung
nach, indem sie ihre Fäuste mit Handtüchern
umwickelten und dem Geschädigten mehrere Faustschläge
ins Gesicht versetzten. Die sich daran anschließenden
Versuche, ihn zu erhängen, wurden dadurch eingeleitet, dass
ihm die Angeklagten A. und I. im Einzelnen nicht mehr nachvollziehbare
Passagen aus der Bibel vorlasen. Mehrere Erhängungsversuche
mit einem Antennenkabel und einem Stromkabel scheiterten. Die
Angeklagten befragten den durch den Sauerstoffentzug benommenen und
torkelnden Geschädigten nach dessen Nahtoderfahrungen.
Schließlich erhängten sie
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ihn mit einem aus einem Bettlaken gefertigten mehrfach verknoteten
Strick an der Tür zum Toilettenraum, den sie an dessen Ende
gemeinsam ergriffen und festhielten, bis der Tod durch Erdrosseln
eingetreten war. Am darauf folgenden Morgen meldeten sie den Tod ihres
Mitgefangenen und gaben vor, dieser habe sich das Leben genommen.
Der Angeklagte I. weist neun Vorverurteilungen auf. Unter anderem wurde
er durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 10. Januar 2003 wegen
Raubes und räuberischer Erpressung mit einem Dauerarrest von
drei Wochen belegt. Außerdem verurteilte ihn das Amtsgericht
Bottrop am 16. Juni 2006 wegen Diebstahls in fünf
Fällen, Hehlerei, Beförderungserschleichung in 15
Fällen, unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in
sechs Fällen, gefährlicher Körperverletzung,
räuberischer Erpressung sowie versuchter Nötigung,
unter Einbeziehung eines Urteils desselben Gerichtes vom 29. November
2005 zu Jugendstrafe von acht Monaten auf Bewährung, zu einer
Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten.
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2. Die Jugendkammer, die auf den Angeklagten Erwachsenenstrafrecht
anwendet, hat hinsichtlich des verwirklichten Mordes
gemäß § 106 Abs. 1 JGG an Stelle von
lebenslanger Freiheitsstrafe auf eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren
erkannt. Die dafür gegebene Begründung hält
rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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Dem Tatrichter steht bei der gebotenen Abwägung allerdings ein
weiter Ermessensspielraum zu. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs darf dabei der Sühnezweck nicht
überbewertet werden. Vielmehr steht im Vordergrund, ob eine
spätere Wiedereingliederung des Täters erwartet
werden kann (vgl. BGH NStZ 2005, 166, 167). Dem liegt der Gedanke zu
Grunde, dass
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auch bei altersgemäß entwickelten Heranwachsenden
die Reifeentwicklung noch nicht so hoffnungslos abgeschlossen sein
muss, dass bei entsprechenden erzieherischen Bemühungen eine
spätere Wiedereingliederung nicht mehr möglich
wäre (vgl. BGHSt 31, 189, 191; BGH StV 1994, 609; NStZ 1988,
498; BGHR JGG § 106 Abs. 1 Strafmilderung 1).
Diesen Grundsätzen genügt das angefochtene Urteil
nicht. Der Annahme einer günstigen Prognose im Sinne des
§ 106 Abs. 1 JGG steht zwar nicht ohne Weiteres entgegen, dass
der Angeklagte über eine weitgehend ausgereifte dissoziale
Persönlichkeitsstruktur verfügt. Auch beurteilt sich
die Frage nach der Wiedereingliederungsfähigkeit eines
Heranwachsenden nicht allein mit Rücksicht auf
vergangenheitsbezogene Umstände und die gegenwärtige
Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, sondern vor allem mit
Blick auf eine mögliche zukünftige Entwicklung auf
Grund der Einwirkungen des langjährigen Strafvollzuges (vgl.
BGH NStZ 1988, 498). Jedoch muss sich die Ermessensentscheidung im
Sinne einer günstigen Prognose auf eine tragfähige
Tatsachengrundlage stützen können, die geeignet ist,
der weitgehend gefestigten dissozialen Persönlichkeitsstruktur
gewichtige Argumente entgegen zu setzen.
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Dem werden die von der Strafkammer angeführten Gründe
nicht gerecht. So ist der Umstand, dass der Angeklagte sich in der
Justizvollzugsanstalt zu einem Anti-Aggressions-Training angemeldet
hat, nicht geeignet, die Erwartung einer Resozialisierung zu
begründen, da das abgeurteilte Tatgeschehen danach stattfand,
was den vom Landgericht gesehenen Ansatz zu einem Pro- blembewusstsein
gerade widerlegt. Dass der Angeklagte in der Untersuchungshaft Kontakt
zur Bewährungshilfe aufgenommen und erste Schritte einer
Arbeitsplatzsuche unternommen hat, stellt angesichts der Verurteilung
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren ebenfalls kein
tragfähiges Argument für
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eine Wiedereingliederungsfähigkeit dar. Darüber
hinaus rügt die Revision zu Recht, dass das Landgericht bei
der gebotenen Abwägung die konkreten Tatumstände
nicht berücksichtigt hat und nicht ausdrücklich auf
den Sühnegedanken eingegangen ist. Zwar darf nach der
Rechtsprechung der Sühnezweck bei der Entscheidung nach
§ 106 Abs. 1 JGG nicht überbewertet werden. Dies
bedeutet jedoch nicht, dass er völlig außer Betracht
bleiben darf, wenn die Feststellungen - wie hier - entsprechende
Erwägungen nahe legen. Soweit die Kammer schließlich
ihrer Hoffnung Ausdruck verleiht, dass der Angeklagte unter der
Einwirkung der künftigen Strafvollstreckung gegebenenfalls
durch Ausbildung und Therapie als in die Gesellschaft wieder
eingliederbar angesehen werden kann, stellt dies eine bloße
Vermutung dar. Dies reicht für die Annahme einer positiven
Prognose, welche die durch Tatsachen begründete Erwartung der
Wiedereingliederungsfähigkeit erfordert, nicht aus.
Der neue Tatrichter wird deshalb neu zu prüfen haben, ob eine
Milderung nach § 106 Abs. 1 JGG in Betracht kommt.
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3. Die insoweit vom Generalbundesanwalt vertretene Revision beanstandet
ferner zu Recht, dass das Landgericht die Möglichkeit des
Vorbehalts der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
gemäß § 106 Abs. 3 Satz 2 JGG nicht
erörtert hat. Die Anordnung liegt nach dieser Vorschrift zwar
im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Das
Tatgericht ist aber unter den übrigen Voraussetzungen des
§ 66 StGB aus sachlich-rechtlichen Gründen
verpflichtet, sich mit der Anordnung des Vorbehalts der
Sicherungsverwahrung gegen einen Heranwachsenden in den
Urteilsgründen auseinanderzusetzen, wenn die nach §
106 Abs. 3 Satz 2 JGG erforderlichen formellen Voraussetzungen gegeben
sind und die Feststellung eines Hangs im Sinne von § 106 Abs.
3 Nr. 3 JGG nahe liegt. So verhält es sich hier.
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a) Der durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften
über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und
zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl
I 3007) neu eingeführte § 106 Abs. 3 Satz 2 JGG
erweitert den Anwendungsbereich des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung
auf nach allgemeinem Strafrecht abgeurteilte Heranwachsende, von denen
erhebliche Straftaten und eine fortbestehende Gefahr für die
Allgemeinheit ausgehen. Um die Maßregel der Besserung und
Sicherung entsprechend ihrem Charakter als ultima ratio des
strafrechtlichen Sanktionensystems nur den Fällen
vorzubehalten, in denen dies zum Schutz der Allgemeinheit
unerlässlich erscheint (vgl. BT-Drucksache 15/13111 vom 1.
Juli 2003, Seite 26), stellt die Vorschrift in ihren Nr. 1 bis Nr. 3
für diese Personengruppe spezielle Voraussetzungen auf, die
auf Grund des Verweises auf "die übrigen Voraussetzungen des
§ 66 des Strafgesetzbuches" zusätzlich zu denen
vorliegen müssen, die dort für die jeweiligen
Fallgruppen der Sicherungsverwahrung bei Erwachsenen normiert sind. Die
Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 106
Abs. 3 Satz 2 JGG kommt dabei nach Maßgabe der formellen
Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB oder des § 66
Abs. 3 Satz 2 StGB auch ohne Vorverurteilungen in Betracht, wenn der
Heranwachsende gemäß § 106 Abs. 3 Satz 2
Nr. 1 und 3 JGG wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1
StGB bezeichneten Art, durch welche das Opfer seelisch oder
körperlich schwer geschädigt oder einer solchen
Gefahr ausgesetzt worden ist, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens
fünf Jahren verurteilt wurde und die Gesamtwürdigung
des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines
Hangs zu solchen Straftaten für die Allgemeinheit
gefährlich ist. Dies ist hier der Fall.
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b) Die formellen Voraussetzungen für eine Anordnung des
Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 106 Abs. 3 Satz 2
JGG liegen vor. Der Angeklagte I. wurde durch das Landgericht wegen
zweier Vergewaltigungen zu
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jeweils zwei Jahren und sechs Monaten, wegen einer weiteren
Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und wegen
Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Damit sind
sowohl die allgemeinen formellen Voraussetzungen für eine
Anordnung der Sicherungsverwahrung bei erstmaliger Verurteilung
gemäß § 66 Abs. 2 StGB sowie
gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB als auch -
auf Grund der Verurteilungen wegen Mordes zu einer Einzelstrafe von 13
Jahren und wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs
Jahren - die zusätzlichen formellen Voraussetzungen des
§ 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG erfüllt. Dass die Taten
das Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt
haben, bedarf angesichts des festgestellten Geschehens keiner
näheren Begründung.
Vortaten im Sinne von § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 JGG bedarf es
hier nicht. Zwar verlangt die Vorschrift, dass es sich "auch bei den
nach den allgemeinen Vorschriften maßgeblichen
früheren Taten um solche der in Nummer 1 bezeichneten Art"
handeln muss. Daraus ist jedoch nicht abzuleiten, dass die Anordnung
des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nur bei Vorliegen
entsprechender Vorverurteilungen möglich ist. § 106
Abs. 3 Satz 2 JGG verweist mit der einleitenden Formulierung "unter den
übrigen Voraussetzungen des § 66 des
Strafgesetzbuches" ohne Einschränkung auf § 66 StGB.
Das bedeutet, dass - anders als im Falle des § 66a Abs. 1
StGB, der für den Vorbehalt der Unterbringung bei Erwachsenen
nur auf § 66 Abs. 3 StGB abstellt - alle in § 66 StGB
geregelten Anordnungsfallgruppen für die Sicherungsverwahrung
in Bezug genommen werden und bei Vorliegen ihrer formellen
Voraussetzungen die Grundlage für die Anordnung des Vorbehalts
der Sicherungsverwahrung bei Heranwachsenden bilden können.
Der in § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 JGG enthaltene Verweis auf
die "nach den allgemeinen Vorschriften maßgeblichen
früheren Taten" greift somit nur ein, wenn für die
Anordnung nach der allgemeinen
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Vorschrift des § 66 StGB solche Vortaten erforderlich sind.
Dies ist unter den hier gegebenen Voraussetzungen des § 66
Abs. 2 StGB und des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht der Fall.
c) Schließlich lag nach den Feststellungen des Landgerichts
auch nahe, dass der Angeklagte I. gemäß §
106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 JGG infolge eines Hanges zu Straftaten der in
Nr. 1 der Vorschrift bezeichneten Art für die Allgemeinheit
gefährlich ist. Die Kammer folgt dem Gutachten des
Sachverständigen, der unter Hinweis auf die zahlreichen und in
der Gewaltkomponente intensiven Vortaten bei dem Angeklagten I. auf
eine bereits gefestigte kriminelle Persönlichkeit geschlossen
hat. Diese Einschätzung wird durch das festgestellte
Gesamtgeschehen und die Rolle, die der Angeklagte dabei eingenommen
hat, gestützt. Es drängte sich danach jedenfalls die
Prüfung auf, ob der Angeklagte auf Grund einer fest
eingewurzelten Neigung immer wieder im Sinne von Taten der in
§ 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG bezeichneten Art
straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (vgl.
BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1).
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Das Vorliegen eines Hangs im Sinne von § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr.
3 JGG wird der neue Tatrichter - nach Anhörung eines
Sachverständigen gemäß § 246a StPO
- unter sorgfältiger Gesamtwürdigung des Angeklagten
und seiner Taten zu prüfen haben.
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