BGH,
Urt. v. 13.1.2006 - 2 StR 463/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 463/05
vom 13.1.2006
in der Strafsache
gegen 1. 2.
wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der
Hauptverhandlung vom 11.01.2006, in der Sitzung am 13.01.2006, an denen
teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Dr.
Rissing-van Saan und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten,
Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß, Richterin am
Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Verteidigerin für die Angeklagte
Gabriele N. - in der Verhandlung -, Rechtsanwalt als Verteidiger
für den Angeklagten Pedro N. - in der Verhandlung -,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Aachen vom 17. September 2004 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte Pedro N. wegen
vorsätzlicher Körperverletzung (Fälle 3 und
6 der Anklage) und wegen fahrlässiger
Körperverletzung (Fall 5 der Anklage) verurteilt ist sowie im
ersten Gesamtstrafenausspruch (drei Jahre fünf Monate). Im
Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2.
Die weitergehende Revision hinsichtlich dieses Angeklagten und die die
Angeklagte Gabriele N. betreffende Revision werden verworfen. 3. Die
Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft
hinsichtlich der Angeklagten Gabriele N. und die der Angeklagten
hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen
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Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten Pedro N. wegen
sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, wegen
vorsätzlicher und wegen fahrlässiger
Körperverletzung unter Einbeziehung von Einzelgeldstrafen aus
einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
und fünf Monaten sowie wegen fahrlässiger
Körperverletzung unter Einbeziehung von Einzelfreiheitsstrafen
aus einer weiteren Vorverurteilung zu einer zweiten
Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und wegen vorsätzlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten
verurteilt. Gegen die Angeklagte Gabriele N. hat es wegen sexuellen
Missbrauchs von Schutzbefohlenen eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren
und zehn Monaten verhängt. Dagegen wenden sich die vom
Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft mit
der Rüge materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hinsichtlich des
Angeklagten Pedro N. hat in den Fällen 3, 5 und 6 der Anklage
Erfolg, das Rechtsmittel hinsichtlich der Angeklagten Gabriele N. ist
unbegründet. 1 Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: 2
Die Angeklagten lebten seit 2001 - mit Unterbrechungen - zusammen, seit
2004 sind sie verheiratet. Der Angeklagte Pedro N. brachte vier Kinder
aus erster Ehe mit, die Angeklagte Gabriele N. zog mit dreien ihrer
Kinder aus verschiedenen Ehen bzw. Beziehungen in das gemeinsam
bewohnte Haus ein. Der Angeklagte Pedro N. trat auch hinsichtlich der
Kinder der Angeklagten Gabriele N. als Erziehungsberechtigter auf. Der
1,90 m große, dickleibige Angeklagte reagierte
häufig aus nichtigen Anlässen aggressiv, er war sehr
streng, schlug die Kinder, insbesondere die Jungen häufiger
und rationierte das Essen und Trinken. Im Übrigen
kümmerten sich beide Angeklagte wenig um die Kinder, die 3
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ältere Tochter der Angeklagten Gabriele N., Diana, wurde
angehalten, den Haushalt zu führen und dafür
häufiger der Schule fern zu bleiben. Zwischen 2001 und 2003
kam es zu verschiedenen Straftaten zu Lasten der Kinder. 4 Im
Einzelnen: 5 1. - Fall 3 der Anklage - 6 Im Juni 2001 schlug der
Angeklagte aus Wut darüber, dass der 15-jährige Sohn
der Mitangeklagten von einem Gummischlauch eines Hochdruckreinigers ein
Stück abgetrennt hatte, diesen mit dem abgetrennten
Stück mehrfach auf den Rücken. 7 2. - Fall 2 der
Anklage - 8 Am 10. November 2001 wurde die am 14. Oktober 1987 geborene
Tochter Diana der Angeklagten Gabriele N. veranlasst, mit in das
Schlafzimmer der beiden Angeklagten zu kommen, sich zwischen die beiden
zu legen, ihre Mutter an der Scheide zu streicheln, sie zu
küssen und mit einem Vibrator zu befriedigen.
Anschließend vollzog der Angeklagte mit ihr den
Geschlechtsverkehr. Diana wagte sich aus Angst nicht zu wehren. Schon
vor diesem Vorfall war Diana zu einem nicht zu klärenden
Zeitpunkt von beiden Angeklagten angewiesen worden, sich zwischen sie
zu legen und das Glied des Angeklagten anzufassen. Als sie weinte,
haben die Angeklagten von ihr abgelassen, aber in ihrer Gegenwart den
Geschlechtsverkehr vollzogen. 9
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3. - Fall 5 der Anklage - 10 Im Winter 2001 schlug der Angeklagte den
16-jährigen Sohn der Mitangeklagten mit einem Kabel. Als
dieser weglief, wurde er aufgefordert zurückzukommen,
anschließend von dem Angeklagten geschlagen und getreten. Als
er, um den Schlägen zu entkommen, auf Strümpfen aus
dem Haus lief, warf der Angeklagte einen Kerzenleuchter nach ihm, der
den Jungen an der Ferse traf und verletzte, so dass diese stark
blutete. 11 4. - Fall 4 der Anklage - 12 Am 18. Mai 2002
schüttete der Angeklagte auf ein Feuer zur Verbrennung von
Gartenabfällen Benzin, obwohl sich die
zwölfjährige Tochter der Mitangeklagten am Feuer
aufhielt. Sie wurde vom Feuer erfasst und erlitt schwere Verbrennungen
an den Beinen. 13 5. - Fall 6 der Anklage - 14 Am 3. Februar 2003
alberte der Angeklagte mit seinem siebenjährigen Sohn Miguel
herum. Als dieser zu Fall kam, stützte er sich mit seinem
Unterschenkel auf den Brustkorb des Kindes, so dass es keine Luft mehr
bekam und rot und blau anlief. 15 Das Landgericht hat die dem
Angeklagten Pedro N. allein angelasteten Fälle 3 und 6 der
Anklage als vorsätzliche Körperverletzungen und die
Fälle 5 und 4 der Anklage als fahrlässige
Körperverletzungen gewertet. Im Fall 2 der Anklage hat es
beide Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen
für schuldig befunden. 16
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Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wenden sich insbesondere gegen
die rechtliche Würdigung in den Fällen 3, 2 und 5 der
Anklage sowie gegen die Gesamtstrafenzumessung. 17 I. - betreffend den
Angeklagten Pedro N. - 1. - Fall 3 der Anklage - 18 a) Das Landgericht
hat die Bewertung der Schläge mit dem Schlauchstück
als gefährliche Körperverletzung nach § 224
Abs. 1 Nr. 2 StGB abgelehnt, weil nach dem konkreten Einsatz des
Schlauchs nicht mit erheblichen Verletzungen zu rechnen gewesen sei,
"zumal keine Feststellungen getroffen werden konnten zur konkreten
Beschaffenheit des Schlauches nach Material, Länge und
Handhabung." Dies begegnet durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht
hat selbst festgestellt, dass das Schlauchstück von einem
Hochdruckreiniger stammte. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass
derartige Schläuche, wie allgemein bekannt, mit einem
Metallgewebe ausgekleidet sind, um dem hohen Druck standzuhalten. Dass
es bei Schlägen mit einem solchen festen
Schlauchstück zu erheblichen Verletzungen kommen kann, liegt
auf der Hand. Schon deshalb ist die Wertung des Landgerichts nicht
rechtsfehlerfrei, aber auch soweit das Landgericht auf die konkrete
Benutzung - keine Schläge auf empfindliche
Körperteile - abstellt, hat es wesentliche Umstände
außer Acht gelassen: Der 15-jährige Junge verhielt
sich ersichtlich nicht still, sondern versuchte - letztlich erfolgreich
- zu entfliehen. Danach lag es nahe, dass auch andere,
möglicherweise empfindlichere Körperteile getroffen
werden konnten. 19
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b) Auch soweit das Landgericht eine Würdigung des
Tatgeschehens als rohe Misshandlung im Sinne von § 225 Abs. 1
StGB abgelehnt hat, begegnet dies Bedenken. Der neue Tatrichter wird
dies unter Beachtung der Einwendungen der Staatsanwaltschaft neu zu
prüfen haben. 20 2. - Fall 5 der Anklage - 21 Die Annahme
einer lediglich fahrlässigen Körperverletzung hat das
Landgericht nicht tragfähig begründet. Der
Generalbundesanwalt hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das
Landgericht lediglich den Wurf mit dem Kerzenleuchter auf das fliehende
Kind gewürdigt, fehlerhaft hingegen nicht auch die unmittelbar
vorangegangenen Schläge und Tritte im Haus zum Gegenstand
seiner Aburteilung gemacht hat. Denn Gegenstand der Urteilsfindung ist
die in der Anklage bezeichnete Tat. Zu ihr gehört nicht nur
das tatsächliche Geschehen, wie es Anklage und
Eröffnungsbeschluss beschreiben, sondern auch das gesamte
Verhalten der Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage
bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens
einen einheitlichen Vorgang bildet (RGSt 62, 112; BGHSt 13, 320; 23,
141, 145). Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt, denn das
Nachwerfen des Kerzenleuchters stand im unmittelbaren zeitlichen,
örtlichen und motivatorischen Zusammenhang mit den
Schlägen und Tritten, die der Anlass waren, dass das Kind vor
dem Angeklagten davonlief. Der Kognitionspflicht des Landgerichts
unterlagen daher auch die festgestellten Schläge und Tritte,
die mit dem nachfolgenden Geschehen schon materiell-rechtlich eine Tat
bilden. 22 Im Übrigen begegnet aber auch die Annahme einer
lediglich fahrlässigen Körperverletzung
durchgreifenden Bedenken. Denn auch für die Frage, ob der
Angeklagte mit bedingtem Verletzungsvorsatz handelte, als er den
Kerzen-23
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leuchter warf, hätte sich das Landgericht nicht mit einer
isolierten Betrachtung dieses Vorgangs begnügen
dürfen, sondern in seine Würdigung das unmittelbar
vorangegangene Geschehen sowie die Gewalttätigkeiten des
Angeklagten auch bei anderen Gelegenheiten einbeziehen müssen.
Danach lag es nahe, dass der Angeklagte eine Verletzung des Kindes und
zwar mittels eines gefährlichen Werkzeugs, des
Kerzenleuchters, billigend in Kauf genommen hat. 3. - Fall 6 der
Anklage - 24 Rechtlich fehlerhaft ist schließlich die
unterlassene Prüfung im Fall 6 der Anklage - worauf der
Generalbundesanwalt zu Recht hinweist - ob der Angeklagte Pedro N.
statt - wie ausgeurteilt lediglich wegen vorsätzlicher
Körperverletzung - wegen gefährlicher
Körperverletzung, nämlich mittels einer das Leben
gefährdenden Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr.
5 StGB zu verurteilen war. Dafür ist nicht erforderlich, dass
das Leben des Tatopfers konkret gefährdet wird. Die Einwirkung
des Angeklagten auf den Brustkorb des siebenjährigen Kindes
war nach Dauer und Stärke jedenfalls abstrakt geeignet, das
Leben des Kindes zu gefährden. Der 1,90 m große,
massige Angeklagte kniete so lange auf dem Brustkorb des am Boden
liegenden Kindes, bis dieses keine Luft mehr bekam und erst rot dann
blau - deutliche Zeichen für Sauerstoffmangel - angelaufen
war. 25 II. Im Übrigen weist das Urteil keinen die Angeklagten
begünstigenden Rechtsfehler auf. 26
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1. Das Landgericht hat beide Angeklagte zu Recht eines sexuellen
Missbrauchs einer Schutzbefohlenen für schuldig befunden,
jedoch eine damit tateinheitlich verwirklichte Vergewaltigung nach
§ 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB im Ergebnis in
revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt. 27
Allerdings kann dahinstehen, ob das Landgericht eine objektiv
schutzlose Lage Dianas zu Recht verneint hat. Jedenfalls ist seine
Würdigung, auf Grund der gesamten Umstände der Tat
und der Tatvorgeschichte könne ein vorsätzliches
Handeln der Angeklagten nicht festgestellt werden, weil diese nicht
erkannt hätten, dass Diana sich aus Angst vor
körperlichen Misshandlungen gegen die ihr zugemuteten
sexuellen Handlungen nicht gewehrt habe, revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden. Da die Angeklagten schon zuvor versucht hatten, das
Mädchen in sexuelle Handlungen der Angeklagten einzubeziehen,
und, als dieses nicht wollte und deshalb weinte, von ihr
abließen, ist die Würdigung des Landgerichts, die
Angeklagten hätten Diana zu den sexuellen Handlungen
überreden und nicht eine durch Einschüchterung
geschaffene Lage ausnutzen wollen, revisionsrechtlich hinzunehmen, auch
wenn eine andere Würdigung möglich gewesen
wäre. 28 2. Soweit das Landgericht auch die Voraussetzungen
des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB verneint hat, verkennt es zwar,
dass eine Zwangslage in diesem Sinne nicht ohne Weiteres mit einer
schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB
gleichzusetzen ist. Der Senat schließt jedoch aus, dass sich
eine mögliche nicht rechtsfehlerfreie Behandlung des
§ 182 StGB auf die Höhe der aus dem Strafrahmen des
§ 174 StGB zu entnehmenden Einzelstrafe ausgewirkt hat. 29
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III. Danach war das Urteil in den Fällen 3, 5 und 6 der
Anklage aufzuheben. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den
Fällen 3 und 5 der Anklage zieht die Aufhebung der ersten
Gesamtstrafe, in die diese Einzelstrafen einbezogen waren, nach sich.
Die Einzelstrafaussprüche in den Fällen 2 und 4 der
Anklage und die zweite Gesamtstrafe sind rechtsfehlerfrei bemessen und
haben Bestand. 30
Rissing-van Saan Otten Rothfuß Roggenbuck Appl |