BGH,
Urt. v. 13.1.2010 - 2 StR 428/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 428/09
vom
13. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13.
Januar 2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Rissing-van Saan,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Appl,
Cierniak,
Prof. Dr. Krehl,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 10. Juni 2009 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt,
zugleich seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und
bestimmt, dass ein Jahr der Strafe vor der Maßregel zu
vollziehen ist. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom
Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die
sich vor allem gegen die Ablehnung eines (bedingten)
Tötungsvorsatzes wendet, hat mit der Sachrüge Erfolg.
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I.
1. Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer hielt sich der
Angeklagte, bei dem schon im Grundschulalter ein (nicht erfolgreich
behandel-
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tes) Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom
festgestellt worden war, am 4. Oktober 2008 zwischen 1.00 Uhr und 1.30
Uhr im Bereich der P. schule in F. auf. Auf einem zum Teil
unbeleuchteten Verbindungsweg, der zu Sportplätzen und einem
Kleingartengelände führt, traf er auf das Tatopfer,
einen ihm vom Sehen her bekannten Obdachlosen. Aus nicht näher
zu klärenden Gründen gerieten dieser und der
Angeklagte, der seiner Gewohnheit entsprechend im Laufe des Tages in
größeren Mengen alkoholische Getränke zu
sich genommen und mehrere Joints Marihuana geraucht hatte, in einen
Streit, der in eine heftige Schlägerei überging. Im
Zuge der gewalttätigen, etwa 30 Minuten dauernden
Auseinandersetzung, deren Ablauf im Einzelnen nicht geklärt
werden konnte, brachte der Angeklagte, der selbst unverletzt blieb,
seinem Opfer - u.a. durch Faustschläge und Fußtritte
- zahlreiche schwerwiegende Verletzungen bei. Anschließend
zerrte er den Schwerverletzten - mit dem Rücken auf dem Boden
schleifend - über den Weg, ließ ihn
schließlich dort liegen und entfernte sich sodann vom Tatort.
Er ging zum in der Nähe gelegenen Wohnhaus eines Freundes,
berichtete diesem, er habe sich mit jemandem geschlagen, der "irgendwo
da hinten" liege, und veranlasste ihn, mit ihm in Richtung Tatort zu
laufen. Als es diesem aber mulmig wurde, weigerte er sich, weiter mit
dem Angeklagten ins Dunkle zu gehen, und lief nach Hause
zurück. Er ging dabei davon aus, dass der Angeklagte ihm
ohnehin eine Lügengeschichte erzählt und niemanden
geschlagen habe.
Das Tatopfer wurde am frühen Morgen des 4. Oktober 2008 tot
auf dem Verbindungsweg aufgefunden. Es wies zahlreiche Verletzungen am
gesamten Körper auf, insbesondere im Gesicht und im
Bauchbereich, u.a. eine Mittelgesichtstrümmerfraktur und eine
Einblutung in das große Netz mit Rippenserienbrüchen
auf beiden Seiten. Ursache des binnen 30 Minuten eingetretenen Todes
waren durch einen Jochbeinbruch eingetretene Verletzungen arterieller
Ge-
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fäße und/oder venöser Geflechte, die zu
starker Blutung und schneller Einatmung des Blutes geführt
hatten.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung
mit Todesfolge verurteilt, sich aber an einer Verurteilung wegen
Totschlags, auch in Form eines Unterlassens, gehindert gesehen, weil
ein (bedingter) Tötungsvorsatz dem Angeklagten, der sein Opfer
erheblich verletzen wollte, nicht nachweisbar gewesen sei. Zwar
könnten massive Verletzungen, wie der Angeklagte sie seinem
Opfer zugefügt habe, den Schluss auf einen bedingten
Tötungsvorsatz nahe legen. Angesichts der Besonderheiten in
der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten, seiner
alkohol- und drogenbedingten Enthemmung zur Tatzeit und des Umstandes,
dass die konkrete Ursache der letztlich zum Tode führenden
Gesichtsverletzung nicht zu klären gewesen sei, könne
nicht ausgeschlossen werden, dass dem Angeklagten das Ausmaß
der Gefährlichkeit seines Handelns nicht bewusst gewesen sei
und er den tödlichen Ausgang auch nicht gebilligt habe. Dies
gelte auch, soweit der Angeklagte das Tatopfer liegen gelassen habe,
ohne Hilfe zu holen. Ob ihm zu diesem Zeitpunkt bewusst gewesen sei,
dass dieses unversorgt sterben könnte, und ob ihm dies
gegebenenfalls gleichgültig gewesen sei, müsse offen
bleiben. Angesichts der persönlichkeitsbedingten
Unfähigkeit des Angeklagten, Verantwortung zu empfinden und
Konsequenzen seines Handelns zu bedenken, könne nicht
ausgeschlossen werden, dass er darauf vertraut habe, das Opfer werde
die Verletzungen überleben (UA S. 18).
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II.
Die Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes durch das
Landgericht hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht
stand.
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1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei oder sieht er von
einer weiter reichenden Verurteilung ab, weil er Zweifel nicht zu
überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in
der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem
Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen
sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung
widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen
Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze
verstößt oder wenn an die zur Verurteilung
erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt
worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2004, 238; 2005, 147).
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2. Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht einen
Tötungsvorsatz hinsichtlich der aktiven Verletzungshandlung
des Angeklagten verneint hat, ist rechtsfehlerhaft.
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a) Das Landgericht hat bereits das Wissenselement eines bedingten
Tötungsvorsatzes nicht feststellen können (UA S. 18).
Die Beweiswürdigung hierzu ist lückenhaft. Keiner der
drei zum Ausschluss des Wissenselementes vorgebrachten
Umstände vermag dieses Ergebnis ohne nähere
Erläuterung zu tragen. Die "Besonderheiten in der
Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten" beschreiben
Verhaltensauffälligkeiten und Eigenschaften, die im Laufe der
Zeit - ausgehend von einer hyperkinetischen Störung (ICD-10
F90.1) - zu einer dissozialen Entwicklung des Angeklagten (F60.2)
geführt haben (UA S. 3 f., 16). Anhaltspunkte dafür,
dass sich das dem Angeklagten nach diesem Befund eigene
Verhaltensmuster auf seine Erkenntnisfähigkeit ausgewirkt
haben könnte, teilt das Urteil nicht mit. So lässt
sich für das Revisionsgericht nicht nachvollziehen, ob der
beschriebenen Persönlichkeitsentwicklung überhaupt
Einfluss auf das Wissenselement beim Vorsatz zukommen kann.
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Auch die "alkohol- und drogenbedingte Enthemmung des Angeklagten" zur
Tatzeit ergibt nicht ohne Weiteres einen Anhalt dafür, dass
ihm das Ausmaß der Gefährlichkeit seines Handelns
nicht bewusst gewesen sein könnte. Nur in Fällen
außergewöhnlich hoher Alkohol- und
Drogenintoxikation liegt es auf der Hand, dass es neben der
Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens auch zu einer
Einschränkung der Wahrnehmungsfähigkeit kommen kann.
Insoweit wäre das Landgericht gehalten gewesen, näher
darzulegen, dass beim Angeklagten - trotz des Umstands, dass man seinen
übertriebenen Trinkmengenangaben keinen Glauben geschenkt hat
(UA S. 16) - ein solcher auch die Erkenntnisfähigkeit
beeinträchtigender Zustand vorgelegen haben könnte.
Dabei hätte es sich auch damit auseinandersetzen
müssen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
jedenfalls bei schweren und lang andauernden Gewalthandlungen die
Erkenntnisfähigkeit trotz alkoholbedingter
Bewusstseinstrübung kaum fraglich sein kann (vgl. BGH NStZ-RR
1997, 296).
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Auch erlaubt der Umstand, dass das Landgericht eine konkrete Ursache
für die zum Tode führenden Gesichtsverletzungen nicht
feststellen konnte, einen Rückschluss darauf nicht, der
Angeklagte habe die Gefährlichkeit der beim Tatopfer
eingetretenen, zum Tode führenden Gesichtsverletzungen nicht
wahrgenommen. Das Landgericht hat - sachverständig beraten -
ausgeschlossen, dass das Opfer ohne Zutun des Angeklagten mehrmals
hintereinander mit dem Gesicht auf das Geländer
gestürzt sein und sich dadurch verletzt haben könnte.
Es ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die
Gesichtsverletzungen dem Opfer durch mehrfache Gewalteinwirkung seitens
des Angeklagten beigebracht worden sind, wobei die konkrete Art der
Verursachung offen geblieben ist (UA S. 15). Warum der Angeklagte trotz
der Feststellung, dass die Verletzungen jedenfalls auf konkreten,
jeweils für sich lebensgefährlichen
Gewalttätigkeiten des Angeklagten beruhen, gleichwohl die
Gefährlichkeit seines Handelns nicht erkannt haben soll,
erschließt sich deshalb nicht.
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Schließlich ergibt sich auch unter zusammenfassender
Betrachtung aller Gesichtspunkte keine tragfähige Grundlage
für die Ablehnung des kognitiven Vorsatzelements. Auch soweit
das Landgericht letztlich lediglich nicht ausgeschlossen hat, dass dem
Angeklagten das Ausmaß der Gefährlichkeit seines
Handelns nicht bewusst gewesen sei, fehlt es an der erforderlichen
umfassenden Würdigung aller subjektiven und objektiven
Tatumstände (vgl. dazu Fischer, StGB, 57. Aufl., 2010,
§ 212, Rdn. 7 m.w.N.). Das Landgericht hätte
zusätzlich etwa den Umstand erörtern müssen,
dass der Angeklagte nach Verlassen des Tatortes einen Freund aufgesucht
hat und mit diesem zu dem am Boden liegend zurückgelassenen
Tatopfer zurückkehren wollte. Mit der sich danach
aufdrängenden Überlegung, der Angeklagte habe erkannt
oder zumindest mit der Möglichkeit gerechnet, dass sich das
Opfer in einer hilfsbedürftigen, lebensbedrohlichen Lage
befand, hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.
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b) Das Schwurgericht hat aufgrund der genannten Umstände auch
nicht ausschließen können, dass der Angeklagte den
tatsächlichen Ausgang seines Handelns nicht gebilligt habe.
Auch hinsichtlich dieser (wohl zusätzlich für den
Fall des Vorliegens des Wissenselements angestellten) Erwägung
fehlt es an der gebotenen umfassenden Abwägung
sämtlicher die Tat und die Persönlichkeit des
Angeklagten betreffender Umstände.
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3. Die fehlerhafte Beweiswürdigung zum bedingten Vorsatz
hinsichtlich der gegen das Tatopfer gerichteten Gewalthandlung des
Angeklagten führt zur Aufhebung und Zurückverweisung,
ohne dass es noch auf die weiter erhobenen Einwände gegen die
Ablehnung eines versuchten Totschlags durch Unterlassen und die
unterlassene Prüfung einer Strafbarkeit nach § 221
StGB ankommt.
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Rissing-van Saan Fischer Appl
Cierniak Krehl |