BGH,
Urt. v. 13.7.2005 - 2 StR 236/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 236/05
vom
13.07.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
13.07.2005,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts
Koblenz vom 13. Dezember 2004 mit den Feststellungen
aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe
von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet
sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der
Staatsanwaltschaft
mit der Sachrüge. Sie erstrebt in erster Linie eine
Verurteilung des Angeklagten
wegen Mordes und greift daneben die Strafzumessung an.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der Angeklagte in einem
Waldstück auf die ihm unbekannte Frau S., die dort ihr
Lauftraining absolvierte.
Er tötete sie mit mehreren wuchtigen Messerstichen in die
linke Brustseite und
in den Rücken, an denen Frau S. unmittelbar danach verstarb.
Das Landgericht
hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das (allein
erörterte) Mord-
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merkmal der Heimtücke sei nicht gegeben, weil nicht zu
klären sei, ob der Angeklagte
dem Tatopfer die ersten Stiche in den Rücken versetzt habe.
1. Die Begründung, mit der das Landgericht eine
heimtückische Begehungsweise
verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie
läßt besorgen, daß das Landgericht von
einem zu engen Begriff der Heimtücke
ausgegangen ist:
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die
Arg- und
Wehrlosigkeit des Tatopfers bewußt zur Tötung
ausnutzt. Wesentlich ist, daß
der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also
arglos ist, in einer hilflosen
Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf
sein Leben
zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 32, 382, 383 ff.;
39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2
m.w.N.). Heimtückisches
Handeln erfordert jedoch kein "heimliches" Vorgehen. Nach
ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs kann das Opfer auch dann arglos sein,
wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die
Zeitspanne zwischen
dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz
ist, daß keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff
irgendwie zu begegnen (BGHR
StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15). Dies verkennt das
Landgericht, wenn es
allein darauf abstellt, daß ein von hinten erfolgter Angriff
des Angeklagten auf
das Tatopfer nicht nachzuweisen ist. Nach den
Urteilsausführungen liegt es
nahe, daß dem Tatopfer hier - auch bei ein einem Angriff von
vorn - eine Gegenwehr
nicht mehr möglich war. Zwar verhält sich das Urteil
nicht dazu, wie
sich die Verhältnisse am Tatort darstellten. Spuren, die auf
ein längeres
Kampfgeschehen hindeuteten, waren aber offenbar nicht vorhanden. Das
Landgericht geht vielmehr davon aus, daß dem Tatopfer die
Stiche in "einem
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schnellen Handlungsablauf", im Verlauf eines "schnellen
plötzlichen Angriffs"
versetzt wurden, bei dem es keine Chance hatte, "den Angriff abzuwehren
und
zu überleben". Bei dieser Sachlage bedarf es erneuter
Prüfung, ob das Mordmerkmal
der Heimtücke gegeben war.
2. Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß das Urteil an
einem weiteren
Mangel leidet, weil es eine Tötung aus niedrigen
Beweggründen nicht
erörtert hat.
Das Landgericht hat nicht feststellen können, ob und
gegebenenfalls
welches - möglicherweise sexuelle - Motiv den Angeklagten zur
Tötung der
Frau S. bewogen hat, und ersichtlich deshalb von einer Prüfung
der Mordmerkmale
abgesehen, die auf der Verwerflichkeit des Beweggrundes beruhen.
Damit hat es verkannt, daß ein niedriger Beweggrund auch dann
gegeben sein
kann, wenn der Täter in dem Bewußtsein handelt,
keinen Grund für eine Tötung
zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstellung, bei der der
Täter
meint, nach eigenem Gutdünken über das Leben des
Opfers verfügen zu können,
steht auf sittlich tiefster Stufe und ist besonders verachtenswert
(BGHSt
47, 128, 132 m.w.N.; vgl. auch BGH NStZ 1981, 100, 101; BGH, Urteil vom
26. Juli 1979 - 4 StR 298/79). Für die Frage, ob bei dem
Angeklagten in diesem
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Sinne niedrige Beweggründe vorlagen, bedarf es einer
Gesamtwürdigung, welche
die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des
Täters und seine Persönlichkeit
einschließen muß. Da das Landgericht den
Sachverhalt unter diesem
Gesichtspunkt nicht geprüft hat, kann das Urteil auch deshalb
keinen Bestand
haben.
Rissing-van Saan Bode Otten
Fischer Roggenbuck |