BGH,
Urt. v. 13.6.2001 - 3 StR 126/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 126/01
vom
13. Juni 2001
in der Strafsache gegen
wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13.
Juni 2001, an der teilgenommen haben: Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach, Winkler, von Lienen, Schaal als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 18. September 2000 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens von
Arbeitsentgelt in 36 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt worden ist. Seine auf die Verletzung sachlichen Rechts
gestützte Revision ist unbegründet, da die
Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben hat.
1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte im Tatzeitraum Inhaber
der Einzelfirma S. und Geschäftsführer der S. Wild-
und Geflügelzerlege GmbH sowie der SU. Wild- und
Geflügelzerlege GmbH. Über diese Firmen setzte er in
den Jahren 1989 bis 1991 in großer Zahl
"selbständige" Lohnschlachter in Zerlegebetrieben ein, davon
einzelne auch als sogenannte Subunternehmer, welche nach den
getroffenen Vereinbarungen eigene Beschäftigte entweder als
selbständige Unternehmer beauftragen oder als Arbeitnehmer
bzw. geringfügig Beschäftigte anstellen und
für alle gesetzlichen Pflichten selber haften sollten. Die
"Subunternehmer" meldeten zum Teil auch Arbeitnehmer bei den
zuständigen Kassen an, in der Regel "auf
wöchentlicher 15-Stunden-Basis" und einem Monatseinkommen von
650 DM, wobei die tatsächliche Arbeitsleistung jedoch
wesentlich höher lag.
Tatsächlich waren sämtliche eingesetzten Zerleger
nach den dem Angeklagten bekannten tatsächlichen
Verhältnissen zu keiner Zeit selbständig, sondern
Arbeitnehmer in einem sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsverhältnis. Unter Vorarbeitern in Kolonnen
zusammengefaßt, hatten sie sich nach der Arbeitszeit des
Zerlegebetriebes zu richten und waren den Weisungen ihres Vorarbeiters
oder auch eines Angestellten des Zerlegebetriebes unterworfen. Als
Vergütung war ein fester Stundenlohn vereinbart, wobei nur die
tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden entlohnt wurden.
Für die zwölf Monate von September 1990 bis August
1991 kam der Angeklagte der ihm als dem Verantwortlichen seiner drei
Firmen obliegenden Verpflichtung nicht nach, spätestens bis
zum 15. des auf die Entstehung des Lohnanspruchs folgenden Monats
Arbeitnehmerbeiträge an die drei zuständigen
Einzugsstellen AOK C. , AOK O. und AOK V. abzuführen. Die
vorenthaltenen Beiträge hat das Landgericht wie folgt
ermittelt: Pro Monat wurde die Summe der S. -Ausgangsrechnungen an alle
von ihm betreuten Zerlegebetriebe im Bundesgebiet im einzelnen
erfaßt und die prozentuale Beteiligung eines jeden
Zerlegebetriebes bestimmt. Die Löhne der
"Selbständigen" (einschließlich der
"Subunternehmer") wurden monatlich zusammengefaßt, so
daß sich eine Gesamtlohnsumme ergab. Diese Gesamtlohnsumme
hat es monatlich mit der pro Zerlegebetrieb ermittelten monatlichen
Prozentzahl multipliziert. Dadurch ergab sich für jeden
Zweigbetrieb eine monatliche Lohnsumme. Die so ermittelten Lohnsummen
pro Zerlegebetrieb hat es innerhalb eines AOK-Bezirks addiert. Nach dem
jeweils gültigen AOK-Beitragssatz hat es den
Gesamtsozialversicherungsbeitrag ermittelt. Das ist nach der Wertung
des Landgerichts die Summe der Arbeitnehmerbeiträge, welche
der jeweils zuständigen Einzugsstelle zum
Fälligkeitstermin vorenthalten wurden (vgl. UA S. 10). Um
Fehlerquellen etwa im Hinblick auf die Beitragsbemessungsgrenzen
auszugleichen, hat das Landgericht von den als vorenthalten
angenommenen Beiträgen einen Sicherheitsabschlag von 20 %
vorgenommen und die so gewonnenen Beträge zwischen 1.156 DM
und 53.670 DM (UA S. 104 f.) in den abgeurteilten 36 Fällen
seiner Strafzumessung zugrundegelegt.
2. Die getroffenen Feststellungen tragen die rechtliche Wertung des
Landgerichts, daß der Angeklagte als Arbeitgeber in 36
Fällen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung
und zur Bundesanstalt für Arbeit der jeweils
zuständigen Einzugsstelle vorenthalten hat.
Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen eine Arbeitgeberstellung des
Angeklagten im Sinne von § 266 a Abs. 1 StGB. Die zwischen den
Firmen des Angeklagten und den Zerlegebetrieben abgeschlossenen
"Werkverträge" hatten jeweils die Überlassung von
Arbeitnehmern zur Arbeitsleistung zum Gegenstand. Denn
sämtliche vom Angeklagten in der beschriebenen Weise
eingesetzten "Selbständigen" einschließlich der
"Subunternehmer" waren nach den allein maßgeblichen
tatsächlichen Verhältnissen - umfassende
Weisungsgebundenheit, Entlohnung nach festen Stundensätzen,
Einbindung in den Betriebsablauf des jeweiligen Zerlegebetriebes, kein
eigenes unternehmerisches Risiko - Arbeitnehmer in einem
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis. Trotz der
unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung gilt der Angeklagte als
lohnzahlender Verleiher gemäß § 10 Abs. 3
AÜG, § 28 e Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB IV
gegenüber der Einzugsstelle als Arbeitgeber und hat neben dem
Entleiher für den auf das Arbeitsentgelt entfallenden
Gesamtsozialversicherungsbeitrag einzutreten (vgl. Gribbohm in LK 11.
Aufl. § 266 a Rdn. 16 m.w. Nachw.).
3. Auch die Bedenken gegen die vom Landgericht vorgenommene Berechnung
der vorenthaltenen Arbeitnehmerbeiträge greifen im Ergebnis
nicht durch.
Die Höhe der geschuldeten Beiträge bestimmt sich auf
der Grundlage des nach § 14 SGB IV zu berechnenden
Arbeitsentgelts nach den gesetzlich oder durch Satzung der jeweiligen
Krankenkasse festgelegten Beitragssätzen (vgl. § 241
SGB V). Deshalb sind grundsätzlich bei der Feststellung der
monatlich vorenthaltenen Beiträge für jeden
Fälligkeitszeitpunkt gesondert die genaue Anzahl der
Arbeitnehmer, ihre Beschäftigungszeiten und Löhne
sowie die Höhe des Beitragssatzes der örtlich
zuständigen AOK festzustellen (BGHR StGB § 266 a
Sozialabgaben 3 und 4 m.w.Nachw.).
Das Landgericht hat jedoch mangels entsprechender Buchführung
des Angeklagten keine Berechnung vorgenommen, sondern auf der Grundlage
der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der
für § 266 a StGB rechtlich erheblichen
tatsächlichen Umstände die Höhe der jeweils
vorenthaltenen So-
zialbeiträge geschätzt. Eine solche Vorgehensweise
ist unter den hier gegebenen Umständen zulässig (vgl.
BGHSt 38, 186, 193). Dabei hat sich das Landgericht zwar nicht
ausdrücklich damit auseinandergesetzt, ob und gegebenenfalls
in welchem Umfang die Beitragsschuld des Angeklagten durch Zahlungen
seiner "Subunternehmer" erfüllt wurde, obwohl nach den
Feststellungen zumindest einzelne "Subunternehmer" - ihre Gesamtzahl
wird im Urteil nicht mitgeteilt - entsprechend einer mit dem
Angeklagten getroffenen Vereinbarung tatsächlich Arbeitnehmer
bei den zuständigen Kassen angemeldet (UA S. 5) und - was
nicht fernliegt - auch Beiträge für sie entrichtet
hatten. Die Subunternehmer sind nicht als Arbeitgeber anzusehen; soweit
sie für Arbeitnehmer des Angeklagten fristgerecht
Beiträge an die zuständige Einzugsstelle
abgeführt haben, können ihre Zahlungen dem
Angeklagten jedoch zugute kommen mit der Folge, daß
hinsichtlich der von den "Subunternehmern" gezahlten Beträge
bereits der objektive Tatbestand des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt
in der Person des Angeklagten nicht erfüllt sein
könnte. Dem wollte das Landgericht aber ersichtlich dadurch
Rechnung tragen, daß es bei der tabellarischen Auflistung der
ausgezahlten Nettolöhne "die den zuständigen AOKs -
zumeist als geringfügig Beschäftigte - gemeldeten
Arbeitnehmer und deren Löhne unberücksichtigt"
gelassen hat (vgl. UA S. 11).
Rissing-van Saan Miebach Winkler von Lienen Schaal
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