BGH,
Urt. v. 13.10.2005 - 5 StR 347/05
5 StR 347/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
13.10.2005
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13.
Oktober
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- 3 -
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Dresden vom 30.03.2005 im Strafausspruch mit
den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern in 38 Fällen, davon in zwölf
Fällen in Tateinheit mit
sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe
von drei Jahren verurteilt.
Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte
im Zeitraum von April 1998 bis zum 23. Februar 2001 seine zu den
Tatzeiten zehn- bis 13-jährigen Enkelinnen sexuell. Mit seiner
Revision wendet
sich der Angeklagte gegen den Rechtsfolgenausspruch. Mit einer
Verfahrensrüge
und der allgemeinen Sachrüge greift er die
Nichtberücksichtigung
von Strafmilderungsgründen an. Die Revision des Angeklagten
hat Erfolg.
- 4 -
2. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 15. August
2005 ausgeführt:
„Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben, da das
Landgericht
seinem Urteil ohne jegliche Erörterung die Annahme
uneingeschränkter
Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten
zugrunde gelegt
hat.
Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung
entschieden,
dass bei Ersttätern im vorgerückten Alter im Bereich
des Sexualstrafrechts
die Frage der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit
(§ 21 StGB) infolge
altersbedingter psychischer Veränderungen zu erörtern
ist (vgl. u. a. BGH
NJW 1964, 2213; BGHR StGB § 21 Sachmangel 1, 2, 3;
Sachverständiger 5;
Senat, Urteil vom 25. April 1995 - 5 StR 148/95 -; Beschluss vom 12.
Juli
1995 - 5 StR 297/95 -; Beschluss vom 6. September 1995
- 3 StR 339/95 -; Beschluss vom 11.01.2005 - 3 StR 450/04; s. a.
BGHR StGB § 21 Sachverständiger 6; StPO §
244 Abs. 2 Sachverständiger
8; BGH NStZ 1983, 34).
So liegt der Fall auch hier. Der nicht vorbestrafte Angeklagte war zu
Beginn der Missbrauchsfälle 63 Jahre alt. Im sexuellen Bereich
sind zuvor
keine Auffälligkeiten festgestellt worden. Die Kammer hat zur
gesundheitlichen
Situation angeführt, dass der Angeklagte seit etwa 1987 an
Depressionen
leide, welche mit Medikamenten behandelt werden.
Über den Strafausspruch ist daher insgesamt neu zu entscheiden.
Nach den getroffenen Feststellungen ist auszuschließen, dass
der Angeklagte
bei Begehung der Taten schuldunfähig war.
Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben, ob zur Beurteilung der
Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des
Angeklagten
ein Sachverständiger mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiete
des Alters-
5 -
abbaus in Anspruch zu nehmen sein wird (vgl. u. a. BGH StV 1989, 102;
1994, 14; Kröber, NStZ 1999, 298, 299).“
Der Senat vermag sich diesen Ausführungen nicht zu
verschließen.
3. Danach kommt es auf die Verfahrensrüge, mit der geltend
gemacht
wird, die Strafkammer habe eine Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzende
rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in den
Urteilsgründen nicht erörtert
und bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt, nicht mehr
an. Sollte
die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer insgesamt eine von
Justizorganen
zu vertretende schwerwiegende Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes
feststellen, läge ein weiterer selbständiger
Strafmilderungsgrund
vor. In diesem Fall wäre das Maß der Kompensation
durch Vergleich der an
sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe
ausdrücklich und konkret
zu bestimmen (st. Rspr., vgl. zusammenfassend BGHR StGB § 46
Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13 m.w.N.).
Harms Basdorf Gerhardt
Raum Schaal |