BGH,
Urt. v. 13.9.2000 - 3 StR 347/00
StGB § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a
Eine schwere körperliche Mißhandlung liegt nicht
bereits dann vor, wenn die sexuelle Nötigung mit einer
besonderen Herabwürdigung des Opfers verbunden ist.
BGH, Urt. vom 13. September 2000 - 3 StR 347/00 - LG Düsseldorf
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 347/00
vom
13. September 2000
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13.
September 2000, an der teilgenommen haben: Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Pfister, von Lienen, Becker als
beisitzende Richter, Staatsanwältin als Vertreterin der
Bundesanwaltschaft, Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf von 25. November 1999 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem
Angeklagten dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen werden der
Staatskasse auferlegt.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung (§
177 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) in zwei Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit
ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten Revision erstrebt die
Staatsanwaltschaft eine Verurteilung des Angeklagten nach §
177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB. Das vom Generalbundesanwalt nicht
vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
§ 177 Abs. 4 StGB ist eine durch das 6. StrRG geschaffene
Qualifikation der sexuellen Nötigung bzw. (bei
Erfüllung des Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Satz 2
Nr. 1 StGB) der Vergewaltigung. § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a
StGB setzt voraus, daß der Täter das Opfer bei der
Tat körperlich schwer mißhandelt. Dieses Merkmal ist
im Rahmen der Vorschriften über die sexuelle
Nötigung/Vergewaltigung bereits durch das 33. StrÄndG
eingefügt worden, war damals allerdings noch ein Regelbeispiel
für das Vorliegen eines besonders schweren Falles der
sexuellen Nötigung. Es hatte schon vorher in den Vorschriften
über den sexuellen Mißbrauch von Kindern Verwendung
gefunden: Hier war es nach altem Recht Regelbeispiel (§ 176
Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB a.F.) und ist durch das 6. StRG zur
Qualifikation geworden (§ 176 a Abs. 4 Nr. 1 StGB). Zur
Auslegung des Qualifikationstatbestandes kann deshalb an die
für das Merkmal bislang erarbeiteten Grundsätze
angeknüpft werden (so auch BGHR StGB § 250 II Nr. 3
a, Mißhandlung, körperlich schwere 1 für
die Auslegung des Merkmals im Rahmen der ebenfalls neu
gefaßten Raubvorschriften; so auch die Begründung
des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 13/7324 S. 6).
Danach genügt für die schwere körperliche
Mißhandlung jede schwere Beeinträchtigung des
körperlichen Wohlbefindens; ein Erfolg im Sinne der schweren
Körperverletzung gemäß § 224 Abs.
1 StGB a.F. (= § 226 Abs. 1 StGB i. d. F. des 6. StrRG)
braucht nicht einzutreten; andererseits reicht eine rohe
Mißhandlung i. S. von § 223 b Abs. 1 StGB a.F. (=
§ 225 Abs. 1 StGB i. d. F. des 6. StrRG) oder eine "nicht nur
unerhebliche" Beeinträchtigung der körperlichen
Unversehrtheit nicht aus (vgl. BGH bei Miebach NStZ 1994, 223; Lenckner
in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 176
Rdn. 13; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 177 Rdn. 12,
§ 250 Rdn. 4). Vielmehr muß die körperliche
Integrität des Opfers schwer, das heißt in einer
Weise, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist,
beeinträchtigt sein. Streitig ist, ob auch eine
Beeinträchtigung, die nur mit erheblichen Folgen für
die Gesundheit verbunden ist, allein für die Annahme einer
schweren körperlichen Mißhandlung ausreicht (so BGHR
StGB § 250 II Nr. 3 a, Mißhandlung,
körperlich schwere 1 = NStZ 1998, 461; Laufhütte in
LK 11. Aufl. § 176 Rdn. 24; Lackner/Kühl, StGB 23.
Aufl. § 250 Rdn. 4; a. A. wegen der Unterscheidung zur
schweren Gesundheitsschädigung nach § 176 a Abs. 1
Nr. 3 StGB: Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 177
Rdn. 30, § 176 a Rdn. 11). Der Senat neigt dazu, wegen des
Wortlauts der Vorschrift allein auf die Tathandlung abzustellen. Eine
schwere Gesundheitsschädigung kann auch ohne schwere
Mißhandlung verursacht werden. Ein Zusammenhang beider
Elemente besteht zumindest insoweit, als daß eingetretene
erhebliche Folgen für die Gesundheit ein Indiz dafür
sein können, daß auch die vorangegangene
Verletzungshandlung erheblich und deshalb mit erheblichen Schmerzen
verbunden war. Der Senat braucht die Frage indes nicht zu entscheiden,
denn im vorliegenden Fall sind weder erhebliche Schmerzen noch
erhebliche Gesundheitsfolgen beim Opfer durch das Landgericht
festgestellt worden.
Der Angeklagte hat die Nebenklägerin aus der
Straßenbahn auf die Straße und in den Hinterhof
eines Hauses gezerrt, sie auf den Boden gedrückt und sie, als
sie sich nach einer ersten Vergewaltigung hatte entfernen
können und auf die Straße zurückgerannt
war, erneut mit einfacher körperlicher Gewalt
zurückgezerrt. Weitere Gewalthandlungen zur Beugung des
Willens hat der Angeklagte nicht begangen. Die danach vom Angeklagten
erzwungenen sexuellen Handlungen gehen über ein rohes
Mißhandeln des Opfers nicht hinaus. Dies gilt auch
für die Feststellung, der Angeklagte habe bei der
Nebenklägerin "selbst - für sie
äußerst schmerzhaft - den Oralverkehr"
ausgeübt. Auch bei den Tatfolgen - sofern es auf sie
für die Qualifikation nach § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst.
b StGB ankommen sollte - sind erhebliche Gesundheitsfolgen nicht
festgestellt. Sowohl die Spuren am Körper als auch die
Angstzustände des Opfers gehen nicht derart erheblich
über das bei Sexualdelikten oft anzutreffende Maß
hinaus, daß die Anwendung der mit einer mehr als doppelt so
hohen Mindeststrafe bewehrten Qualifikation gerechtfertigt
wäre. Dabei besteht kein Zweifel daran, daß der
Angeklagte bei der Gewaltanwendung zur Durchsetzung der sexuellen
Handlungen jeweils eine (einfache) Körperverletzung nach
§ 223 StGB begangen hat. Er hat seinem Opfer durch die beiden
Taten Rötungen am Hals, Druckmarken am Rücken und
Schürfungen am Ellenbogen zugefügt. Diese
Tatbestände hätten als in Tateinheit zu den
Vergewaltigungen stehend abgeurteilt und auch straferschwerend gewertet
werden können. Stattdessen hat die Staatsanwaltschaft in der
Hauptverhandlung zugestimmt, daß die Verfolgung auf die
Vorwürfe der Vergewaltigung beschränkt wurde
(§ 154 a Abs. 2 StPO), und so die Voraussetzung geschaffen,
daß diese Delikte, die Gegenstand der Anklage gewesen waren,
nicht zur Aburteilung gelangen konnten. Von daher erscheint das
Begehren der Beschwerdeführerin, den Angeklagten wegen
schwerer körperlicher Mißhandlung zu verurteilen,
widersprüchlich.
Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß eine
körperlich schwere Mißhandlung nicht allein deshalb
vorliegen kann, weil sie mit einer besonderen Herabwürdigung
des Opfers verbunden ist (so aber Horn in SK-StGB 42. Lfg. §
177 Rdn. 33). Die besondere Erniedrigung des Opfers, insbesondere
diejenige, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden
ist, ist nach der Neufassung des § 177 StGB durch das 33.
StrÄndG die regelmäßige Voraussetzung
für die Annahme eines besonders schweren Falles der sexuellen
Nötigung (Vergewaltigung) mit einer Mindeststrafe von zwei
Jahren. Sie kann deshalb für sich genommen nicht die Anwendung
des erheblich höheren Strafrahmens nach § 177 Abs. 4
StGB rechtfertigen.
Daß der Angeklagte im Verlauf des mehrteiligen Geschehens
verschiedene, das Opfer jeweils besonders erniedrigende Sexualpraktiken
erzwungen hat, und dies strafschärfend gewertet werden kann
(BGHR StGB § 177 II Strafzumessung 1), hat der Tatrichter
nicht übersehen.
Rissing-van Saan Miebach Pfister von Lienen Becker |