BGH,
Urt. v. 14.1.2009 - 1 StR 158/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 158/08
vom
14. Januar 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
WStG § 30 Abs. 1
WStG § 31 Abs. 1
WStG § 5 Abs. 1
1. Wesen des militärischen Dienstes und sozialwidrige
Behandlungen von Untergebenen in der Bundeswehr.
- 2 -
2. Entwürdigende Behandlung von Untergebenen in der Bundeswehr
bei „Geiselnahmeübungen“.
3. Der Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr, sein Verhalten sei
durch gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften oder einen
rechtmäßigen Befehl gerechtfertigt,
unterfällt dem besonderen Schuldausschließungsgrund
des § 5 Abs. 1 WStG.
BGH, Urt. vom 14. Januar 2009, 1 StR 158/08 - LG Münster
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen zu 1., 3. und 4.: gefährlicher Körperverletzung
u.a.
zu 2.: entwürdigender Behandlung
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14.
Januar 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
und Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt
und Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten F. ,
Rechtsanwalt
und Rechtsanwältin
als Verteidiger des Angeklagten He. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten H. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Die Revisionen der Angeklagten F. und H. gegen das Urteil des
Landgerichts Münster vom 27. August 2007 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete
Urteil, soweit es die Angeklagten K. , F. und He. betrifft, mit den
Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum
äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung - auch über die Kosten dieser Rechtsmittel - an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung (§ 30
Abs. 1 WStG) und entwürdigender Behandlung (§ 31 Abs.
1 WStG) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten
verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt
hat. Den Angeklagten F. hat es der entwürdigenden Behandlung
für schuldig befunden und gegen ihn eine Geldstrafe von 60
Tagessätzen zu je
1
- 5 -
40,-- Euro verhängt. Die Angeklagten K. und He. hat es von den
Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung
in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung
freigesprochen.
2
Die Angeklagten F. und H. wenden sich mit ihren jeweils auf die
näher ausgeführte Sachbeschwerde gestützten
Revisionen gegen ihre Verurteilung. Mit den zu Ungunsten der
Angeklagten K. , F. und He. eingelegten Revisionen der
Staatsanwaltschaft wird ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts
gerügt. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft werden vom
Generalbundesanwalt vertreten und richten sich gegen den Freispruch der
Angeklagten K. und He. . Betreffend den Angeklagten F. beanstandet die
Beschwerdeführerin insbesondere die fehlende Verurteilung
wegen tateinheitlich begangener gefährlicher
Körperverletzung und Misshandlung. Während die
Rechtsmittel der Angeklagten F. und H. keinen Erfolg haben, ist das
Urteil, soweit es die Angeklagten K. , F. und He. betrifft, auf die
Revisionen der Staatsanwaltschaft mit den Feststellungen - ausgenommen
diejenigen zum äußeren Tatgeschehen - aufzuheben.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Die Angeklagten - Stabsunteroffiziere beziehungsweise Oberfeldwebel
(Angeklagter K. ) - waren in Coesfeld in der 7. Kompanie des 7.
Instandsetzungsbataillons der Bundeswehr tätig. Bei dieser
Kompanie, die in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne stationiert war und die
vom früheren Mitangeklag-
4
- 6 -
ten Hauptmann S. geführt wurde, handelte es sich um eine reine
Ausbildungskompanie, der jeweils zu Quartalsbeginn neue Rekruten zur
dreimonatigen Grundausbildung zugewiesen wurden. Die Angeklagten F. ,
K. und H. waren als Gruppenführer und Ausbilder eingesetzt,
der Angeklagte He. als Schirrmeister.
2. Zur Tatzeit - im zweiten Quartal 2004 - galt für die
Ausbildung der Rekruten die „Anweisung für die
Truppenausbildung Nummer 1“ (AnTrA1), Stand Juni 2001. Sie
regelte Ziele und Inhalte der Allgemeinen Grundausbildung und sah
für die dreimonatige Grundausbildung der Rekruten eine
Ausbildung „Geiselnahme/Verhalten in Geiselhaft“
nicht vor. Am 8. Juli 2004 wurde nach längeren
Überlegungen im Bundesministerium der Verteidigung eine
geänderte AnTrA1 herausgegeben, die zum 1. Oktober 2004 in
Kraft trat. Diese enthielt einen neuen Teil „Basisausbildung
EAKK“ (Einsatzvorbereitende Ausbildung für
Krisenbewältigung und Konfliktverhütung) mit dem
Ziel, bereits in der Grundausbildung die für einen
Auslandseinsatz im Rahmen der Konfliktverhütung und
Krisenbewältigung erforderlichen Grundkenntnisse und
Grundfertigkeiten zu erlernen. Dieser neue Ausbildungsteil sah eine
zweistündige, vom Kompaniechef durchgeführte
Unterrichtseinheit - jedoch keine praktische Übung -
über Geiselhaft, Entführung und Gefangenschaft bei
Einsätzen sowie über die Konfrontation mit Verwundung
und Tod und deren Bewältigung vor.
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Die Übung „Geiselnahme/Verhalten in
Gefangenschaft“ ist ein Abschnitt der
„Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“, die von der
Bundeswehr für diejenigen Soldaten auf Zeit, freiwillig
länger dienende Soldaten oder Berufssoldaten vorgesehen ist,
die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen und den Befehl bekommen
haben, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen. Diese Übung
wurde von der Bundeswehr nur an drei Standorten im Bundesgebiet
durchgeführt, wo-
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- 7 -
zu die Freiherr-vom-Stein-Kaserne aber nicht gehörte. Sie
wurde zudem zuvor im Unterricht mit allen Teilnehmern besprochen und
von Psychologen begleitet. Die Übung lief dergestalt ab, dass
die auszubildenden Soldaten eine Busfahrt unternahmen, während
derer sie überfallen wurden. Ihnen wurden die Augen verbunden
und sie wurden aufgefordert, ihre Hände in den Nacken, auf die
Knie oder die Sitzbank vor ihnen zu legen. Anschließend
wurden sie an einen Ort verbracht, an dem eine
„Befragung“ stattfand. Hierbei wurden die Soldaten,
deren Augen nach wie vor verbunden waren, physischen und psychischen
Belastungen ausgesetzt, um bei ihnen Stress zu erzeugen. Sie wurden
lautstark befragt und mussten körperliche Übungen wie
Liegestütze oder Kniebeugen machen. Zudem wurde ihnen gedroht,
Kameraden zu schlagen oder zu erschießen, wenn sie nicht die
gewünschten Antworten gaben. Zur möglichst
realistischen Untermalung wurden die entsprechenden Geräusche
(Schläge und Schüsse) simuliert. Während der
Übung hatten die Soldaten - wie ihnen beim vorhergehenden
Unterricht gesagt worden war - jederzeit die Möglichkeit,
durch ein Handzeichen aus der Übung auszusteigen. Die
Angeklagten K. und H. hatten eine solche „Einsatzbezogene
Zusatzausbildung“ bereits absolviert.
3. Nachdem in der Vergangenheit auch außerhalb der drei
festgelegten Standorte eine Ausbildung
„Geiselnahme/Geiselhaft“ durchgeführt
worden war, die nicht derjenigen in den drei Ausbildungszentren
entsprach und die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer
Traumatisierung geführt hatte, wies das
Heeresführerkommando der Bundeswehr in einem als „VS
- nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichneten
Schreiben vom 26. Februar 2004 darauf hin, dass diese Ausbildung
ausschließlich im Rahmen der „Einsatzbezogenen
Zusatzausbildung“ in den drei Ausbildungs- beziehungsweise
Gefechtsübungszentren durchgeführt werden
dürfe, da sie dort unter Anleitung des dafür speziell
ge-
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schulten Personals erfolgen könne. Empfänger dieses
Schreibens war auch die 7. Ausbildungskompanie in Coesfeld.
Außerdem war in dem „Befehl 38/10“ vom
12. April 2004 die Ausbildung über das Thema
„Verhalten in Geiselhaft“ ausschließlich
dem VereinteNationen-Ausbildungszentrum zugewiesen worden. Dass die
Angeklagten - auch nicht die Ausbilder - dieses Schreiben oder den
Befehl kannten, vermochte die Kammer nicht festzustellen.
4. Anfang April 2004 begannen in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne etwa 80
Rekruten, von denen zirka die Hälfte Wehrdienstleistende
waren, ihre drei-monatige Grundausbildung. Es wurden zwei
Ausbildungszüge gebildet, deren Zugführer die
ehemaligen Mitangeklagten Hauptfeldwebel D. und Ho. waren.
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Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Verlauf des
zweiten Quartals 2004 kamen die beiden Zugführer auf die Idee,
in der „Allgemeinen Grundausbildung“ in Coesfeld
eine Geiselnahmeübung einzuführen. Vor dem 8. Juni
2004 fand auf deren Anordnung eine Ausbilderbesprechung statt, an der
auch die vier Angeklagten teilnahmen. Dabei wurde der grobe Ablauf der
Geiselnahmeübung erörtert. Die beiden
Zugführer D. und Ho. beabsichtigten, die Rekruten nach der
dienstplanmäßigen
Nachtschießübung am 8. Juni 2004 gruppenweise auf
einen nächtlichen Orientierungsmarsch zu schicken, bei dem zum
Schluss die „Geiselnahme“ mit
anschließendem „Verhör“ erfolgen
sollte. Weder der Orientierungsmarsch noch die
Geiselnahmeübung standen auf dem für die Rekruten
einsehbaren Dienstplan und waren diesen somit nicht bekannt.
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Die beiden Zugführer D. und Ho. teilten neben drei (weiteren)
Ausbildern die Angeklagten K. , F. und He. für das
„Überfall-
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- 9 -
kommando“ ein. Sie sollten die Rekruten in den
frühen Morgenstunden des 9. Juni 2004 überfallen,
entwaffnen, fesseln und ihnen die Augen verbinden.
Anschließend sollten die Rekruten mit einem Pritschenwagen
zum Standortübungsplatz gefahren werden, um in einer dortigen
Sandgrube ihr „Verhör“
durchzuführen. Für dieses Verhör teilten die
beiden Zugführer den Angeklagten H. ein. Diesem sagte D. , das
„Verhör“ solle „etwa so wie in
Hammelburg“, im Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum,
ablaufen, wo der Angeklagte H. eine Geiselnahmeübung
absolviert hatte.
Das Landgericht sah sich nicht in der Lage aufzuklären, ob bei
dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der
Geiselnahmeübung erörtert wurden. Die beiden
Zugführer D. und Ho. teilten den Anwesenden mit, die geplante
Geiselnahmeübung sei vom Kompaniechef „abgesegnet
worden“. Tatsächlich hatte Hauptmann S. eine solche
Übung auch genehmigt.
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5. Gegen Ende der Nachtschießübung am 8. Juni 2004
erklärten die beiden Zugführer D. und Ho. den
angetretenen Rekruten, im Raum Coesfeld seien Terroristen gesichtet
worden, das Gebiet müsse bestreift und sämtliche
Auffälligkeiten müssten dokumentiert werden. Die
Rekruten, die ihr gesamtes Marschgepäck und ihr Gewehr bei
sich hatten, machten sich gruppenweise auf den Weg. Dabei marschierten
die einzelnen Gruppen zeitlich versetzt ohne ihren
planmäßigen Gruppenführer los. Die Rolle
des Gruppenführers musste jeweils ein Rekrut
übernehmen. Es gab keinen ausdrücklichen Hinweis
darauf, dass etwas Besonderes passieren könnte. Ein Kennwort,
mit dem die Rekruten die Übung hätten beenden
können, wurde ihnen nicht mitgeteilt. Lediglich manchen
Rekruten war während ihres späteren Verhörs
gesagt worden, um die Übung zu beenden, müssten sie
nur das Wort „Tiffy“ nennen, das in der
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- 10 -
Grundausbildung als Synonym für
„Schwächling“ oder
„Weichei“ verwendet wurde und durchaus negativ
behaftet war.
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6. Die sechs Beteiligten des
„Überfallkommandos“ hatten einen
Hinterhalt im Gelände eingerichtet. Sie trugen
Bundeswehrkleidung, hatten aber teilweise ihre Dienstgradabzeichen und
Namensschilder entfernt. Ihre Gesichter waren vermummt, um nicht auf
den ersten Blick erkannt zu werden. Sie hatten Gewehre mit geladenen
Manöverpatronengeräten dabei, teilweise auch
ungeladene Pistolen und mehrere Übungsgranaten. Es waren auch
Kabelbinder vor Ort. Spätestens jetzt besprachen die sechs,
den Rekruten damit die Hände auf den Rücken zu
fesseln, wobei vermieden werden sollte, dass die Kabelbinder in die
Haut schnitten.
Die erste Gruppe traf verspätet erst in den Morgenstunden des
9. Juni 2004 ein. Das „Überfallkommando“
lenkte die Rekruten zuerst ab und griff sie dann schreiend und
schießend an. Die Rekruten waren im Allgemeinen zu
überrascht und - nach rund 24 Stunden Dienst und dem
mehrstündigen Orientierungsmarsch - zumeist auch zu
erschöpft, um noch größere Gegenwehr zu
leisten. Sie gingen durchweg davon aus, dass es sich bei den maskierten
Angreifern um Bundeswehrangehörige handelte. In aller Regel
kamen die Rekruten der Aufforderung, sich zu ergeben und sich auf den
Boden zu legen, letztlich freiwillig nach. Bei manchen Rekruten halfen
die Angreifer mit körperlichem Druck nach. Allerdings
leisteten andere Rekruten auch Widerstand. So wurde der Zeuge L. von
einem der Angreifer zu Boden gerissen, wo er auf dem Bauch zum Liegen
kam. Damit er nicht wieder aufstehen konnte, drückte einer aus
dem „Überfallkommando“ ein Knie auf seinen
Hals. Anschließend wurden L. s Hände mit den
Kabelbindern auf den Rücken gefesselt und zusätzlich
mit der Splitterschutzweste oder dem Koppeltragegestell ver-
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- 11 -
bunden, wodurch seine Arme nach oben gezogen wurden und er
schmerzhaften Druck auf seinen Schultern verspürte. Als er
sich gegen die Fesselung wehrte, nahm einer der Angreifer das Knie des
Zeugen L. in einen Haltegriff, so dass dessen Bein verdreht wurde und
er Schmerzen erlitt. Auch mit dem Zeugen R. gab es bei der Entwaffnung
eine „kleine Rangelei“, bei der er aber nicht
verletzt wurde. Der Zeuge Kl. wurde bei dem Überfall von
hinten in einen Würgegriff genommen und zu Boden gebracht.
Alle Rekruten mussten sich nach ihrer Entwaffnung hinknien oder auf den
Bauch legen. Ihnen wurden die Hände mit Kabelbindern auf den
Rücken gefesselt, wobei größtenteils darauf
geachtet wurde, dass sie nicht zu stramm anlagen. Bei den meisten
Soldaten hinterließen die Kabelbinder keine Spuren. Sechs
Rekruten trugen jedoch Druckstellen an den Handgelenken davon; zwei
erlitten Kratzer beziehungsweise kleine Schnittwunden an den Armen. Die
Augen der Rekruten wurden mit einem Dreiecktuch verbunden;
möglicherweise wurde einzelnen auch ein Wäschesack
über den Kopf gezogen.
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7. Nach dem Überfall auf eine der Gruppen stellte der
Angeklagte F. einem Rekruten, der mit gefesselten Händen und
verbundenen Augen auf dem Bauch auf der Straße lag, seinen
rechten Fuß auf den Rücken. In der rechten Hand
hielt er sein Gewehr, die linke Faust reckte er in die Höhe.
In dieser Pose - „vergleichbar einem Jäger, der
seine Beute präsentiert“ - ließ er sich
fotografieren. Deswegen wurde der Angeklagte F. wegen
entwürdigender Behandlung (§ 31 Abs. 1 WStG)
verurteilt.
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8. Nachdem sämtliche Rekruten einer Gruppe wie geschildert
außer Gefecht gesetzt worden waren, was zwischen
fünf und zehn Minuten dauerte, wurden sie auf die
Ladefläche eines Pritschenwagens verladen. Dabei wurde
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- 12 -
ein Rekrut „in den Lkw hineingezogen oder unsanft
hineingeschoben“. Ein anderer kam nach dem Einladen auf einem
Kameraden zu liegen und wieder ein anderer wurde auf den Lkw geschubst,
wobei er sich das Knie schmerzhaft anstieß. Während
der langsamen Fahrt zur etwa zwei Kilometer entfernten Sandgrube war
einer der Angreifer auf dem Lkw dabei, um für Ruhe zu sorgen
und zu verhindern, dass die Rekruten miteinander redeten. Kam ein
Rekrut einer Anweisung nicht nach, so erhielt er einen leichten Schlag
- zumeist auf den Helm. Dies war - mit Ausnahme der Schläge,
die der Zeuge L. bezog - nicht schmerzhaft. Jedoch bekam ein Rekrut
während der Fahrt aufgrund der beengten
Platzverhältnisse einen schmerzhaften Krampf in den Beinen.
9. Nach etwa fünf bis zehn Minuten Fahrt an der Sandgrube
angekommen, wurden die Rekruten einzeln von der Ladefläche
geholt, wobei darauf geachtet wurde, dass sie sich nicht verletzten.
Fünf Rekruten fielen beim „Abladen“
allerdings auf den Sandboden. Der Pritschenwagen fuhr mit dem Angreifer
zurück zum Überfallort, um auf die nächste
Gruppe zu warten.
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Die Rekruten mussten sich in einem von dem Angeklagten H. und den ihm
zur Unterstützung zugeteilten drei Hilfsausbildern mit
Stacheldraht abgetrennten Bereich zunächst hinknien. Einige
wurden angewiesen, sich mit ihrem Kopf an eine steile Sandwand
anzulehnen. Es begann dann das vom Angeklagten H. geleitete
„Verhör“. Dabei befragte er die Rekruten
zuerst ganz allgemein in gebrochenem Englisch. Die Reaktionen waren
unterschiedlich. Die Rekruten waren auf eine solche Übung
nicht vorbereitet worden, so dass sie nicht wussten, wie sie sich
richtig zu verhalten hatten. Die schweigenden Rekruten und diejenigen,
die unpassende Antworten gaben, unterzog der Angeklagte H.
unterschiedlichen „Behandlungen“, die er sich
ausgedacht hatte. Deswegen wurde der Angeklagte H. wegen
gefährlicher Körperverletzung
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(§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) in Tateinheit mit Misshandlung
(§ 30 Abs. 1 WStG) und entwürdigender Behandlung
(§ 31 Abs. 1 WStG) verurteilt.
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So mussten sich einige Rekruten - mit nach wie vor auf dem
Rücken gefesselten Händen - in einer Entfernung von
etwa einem Meter einem Kameraden gegenüber hinknien. Beiden
wurde dann der Oberkörper so weit nach vorne gezogen, bis sie
sich mit ihren Helmen gegenseitig stützten. Dies
führte dazu, dass beide in den Sand fielen, sobald einer von
ihnen die Position nicht mehr halten konnte. Teilweise mussten sich die
gefesselten Rekruten an einen Baum stellen und sich mit dem behelmten
Kopf daran anlehnen. Ihnen wurden die Füße ebenfalls
so weit zurückgezogen, bis sie nur mehr mit Mühe ihre
Position halten konnten. Wäre ein Rekrut abgerutscht,
wäre er ohne die Möglichkeit des Abfangens
umgefallen. Andere Rekruten wurden von den Kabelbindern befreit und
mussten mit verbundenen Augen Liegestütze oder Kniebeugen
machen. Den Zeugen B. fasste der Angeklagte H. dabei am Kragen und
drückte ihn nach unten, wodurch die Ausführung der
Liegestütze erheblich erschwert wurde und der Zeuge mit dem
Kopf auf den Sandboden aufschlug. Wieder andere mussten allein oder zu
zweit mit verbundenen Augen einen Baumstamm vor dem Körper
oder über dem Kopf halten.
Für den Fall, dass Rekruten Aufgaben nicht erfüllten
oder Fragen des Angeklagten H. nicht beantworteten, gab es simulierte
Erschießungen dergestalt, dass zunächst die
Erschießung des Rekruten oder eines Kameraden angedroht und
schließlich ein Feuerstoß aus dem Maschinengewehr
abgegeben wurde.
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Aus einer mitgebrachten Kübelspritze wurden zahlreiche
Rekruten mit Wasser bespritzt. Dem Zeugen L. wurde, während er
von oben herab
22
- 14 -
nass gespritzt wurde, gesagt, es werde auf ihn und seine Gruppe
uriniert. Einigen Rekruten wurde Sand unter die Kleidung geworfen und
wieder andere wurden mit beidem - Sand und Wasser -
„traktiert“. Da der nasse Sand an der Kleidung
haftete und auf der Haut rieb, führte dies bei zwei Rekruten
dazu, dass sie sich beim anschließenden Marsch in die Kaserne
die Oberschenkel wund liefen beziehungsweise sich ihre bereits
vorhandenen wunden Stellen verschlimmerten.
Einem anderen Teil der Rekruten pumpten der Angeklagte H. und ein
Hilfsausbilder mit der Kübelspritze Wasser auch in den Mund,
wobei ein anderer den Rekruten festhielt. Der Zeuge L. wurde im Laufe
seiner Befragung auf den Rücken gelegt, was die Schmerzen in
seinen Schultern verschlimmerte; dabei wurde er festgehalten.
Zusätzlich wurde sein Mund gewaltsam geöffnet, indem
der Angeklagte H. oder in dessen Beisein ein Hilfsausbilder mit der
Hand Druck auf den Unterkiefer ausübte. In den
geöffneten Mund wurde sodann mehrmals Wasser hineingepumpt, so
dass der Zeuge L. keine Luft mehr bekam. Schließlich wurde
ihm der Reißverschluss seiner Hose geöffnet, der
Schlauch hineingesteckt und Wasser in die Hose gepumpt. Der Angeklagte
H. verhöhnte ihn anschließend als
„Bettnässer“. Als der Zeuge L. daraufhin
seinerseits den Angeklagten H. beleidigte, bekam er, nachdem er gefragt
worden war, ob er sterben wolle, einen metallischen Gegenstand an den
Kopf gehalten und hörte einen Maschinengewehrverschluss
einrasten. Dadurch geriet er in Panik, weil er dachte, ein echtes
Maschinengewehr werde ihm an den Kopf gehalten, und er wusste, welche
Verletzungen auch Platzpatronen in solchen Waffen verursachen
können, wenn sie in unmittelbarer Nähe eines Menschen
abgefeuert werden. Es fielen sodann tatsächlich auch mehrere
Schüsse, wobei sich das Maschinengewehr aber in einiger
Entfernung befand.
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- 15 -
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Auch weiteren Rekruten wurde, während sie mit auf dem
Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen auf
dem Boden knieten oder lagen, Wasser in den Mund und/oder in die Nase
gepumpt. Teilweise wurde ihnen dabei der Mund gewaltsam
geöffnet oder die Nase zugehalten, damit sie den Mund
öffneten. Einige Rekruten konnten dadurch nicht mehr richtig
atmen oder verschluckten sich. Einem dieser Rekruten wurde zudem
ebenfalls Wasser in die Hose gepumpt.
10. Das „Verhör“ einer Gruppe dauerte
jeweils etwa 30 Minuten. Danach wurden die Rekruten, soweit noch nicht
geschehen, von Kabelbindern und Augenbinden befreit, bevor sie den
Befehl erhielten, zur Kaserne zurück zu marschieren. Der Zeuge
L. konnte, weil seine Schultern aufgrund der Fesselung derart stark
schmerzten, nicht allein aufstehen, sondern musste von zwei
Hilfsausbildern unterstützt werden.
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Die Kammer sah sich nicht in der Lage festzustellen, ob die Angeklagten
K. , F. und He. wussten, was der Angeklagte H. und die diesem
zugewiesenen Hilfsausbilder in der Sandgrube im Einzelnen taten.
26
II.
Den Revisionen der Angeklagten F. und H. bleibt aus den vom
Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften vom 16. Juli 2008 und in
der Revisionshauptverhandlung dargelegten Gründen der Erfolg
versagt, da eine Überprüfung des Urteils weder im
Schuld- noch im Strafausspruch einen diese Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler ergeben hat.
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- 16 -
III.
28
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, mit denen sie eine Verurteilung
der Angeklagten K. , F. und He. wegen gefährlicher
Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und
entwürdigender Behandlung erstrebt, haben Erfolg.
1. Schon die Annahme der Kammer, dass sich die am Überfall
beteiligten Angeklagten K. , F. und He. das, „was
später in der Sandgrube passiert ist“ (UA S. 38),
nicht zurechnen lassen müssten, da es keinen gemeinsamen
Tatplan gegeben habe, wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen
und ist rechtsfehlerhaft.
29
a) Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Mittäter begeht, ist
nach den gesamten Umständen des konkreten Falles in wertender
Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür
sind der Grad des eigenen Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung
sowie die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille hierzu, so dass
Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von
seinem Willen abhängen (st. Rspr. - vgl. nur BGHR StGB
§ 25 Abs. 2 Mittäter 13 m.w.N.). Zwar haftet jeder
Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen
seines - zumindest bedingten - Vorsatzes, ist also für den
Erfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm
ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt. Jedoch werden
Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den
Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen
des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders
vorgestellt hat. Ebenso ist er für jede
Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat
verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seiner Tatgenossen
gleichgültig ist (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2
Mittäter 32 m.w.N.). Dabei kann bei einem mehrakti-
30
- 17 -
gen Geschehen Täter auch derjenige sein, welcher nicht
sämtliche Akte selbst erfüllt. Es genügt,
wenn er auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die
Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet (vgl.
BGHR StGB § 25 Abs. 2 Willensübereinstimmung 3).
Diese Maßstäbe hat die Strafkammer ihrer rechtlichen
Beurteilung nicht hinreichend zu Grunde gelegt.
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts wussten die Angeklagten K.
, F. und He. aufgrund der vorangegangenen Ausbilderbesprechung, dass
die unter anderem von ihnen ausgeführten
Überfälle der Ermöglichung der nachfolgenden
Befragungen dienten, die „etwa so wie in Hammelburg
… ablaufen“ (vgl. UA S. 12/13) sollten. Diese Art
und Weise der Durchführung der Verhöre teilte der
Zugführer D. ausweislich der Urteilsgründe dem
Angeklagten H. bei dieser Besprechung mit. Der Senat muss die
Urteilsausführungen („in der Besprechung“)
dahin verstehen, dass dies für alle an der
Ausbilderbesprechung Beteiligten hörbar war. Die
Urteilsausführungen belegen zudem, dass sämtlichen
Beteiligten - insbesondere aufgrund ihrer eigenen Ausbildung bei der
Bundeswehr und wie das Fehlen einer Nachfrage zeigt - bewusst war, dass
die Verhöre - wie auch bei den Geiselnahmeübungen im
Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ -
jeweils unter psychischen und physischen Belastungen erfolgen sollten,
um bei den Rekruten Stress zu erzeugen. Auch wenn - was das Landgericht
nicht zu klären vermochte - weitere Einzelheiten dazu von den
Beteiligten nicht erörtert wurden und die Angeklagten K. , F.
und He. nicht wussten, was in der Sandgrube letztlich im Einzelnen
geschah, liegt es aufgrund der sonstigen Feststellungen nahe, dass es
zu erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen
Unversehrtheit der Rekruten (dazu näher unten Ziffer III.3.b)
kommen würde. Jedenfalls legt die gemeinsame
Erörterung der Geiselnahmeübung ohne weitere
Nachfrage zu den Einzelheiten im Zusammenhang mit der nachfolgenden
aktiven Be-
31
- 18 -
teiligung der Angeklagten K. , F. und He. an dieser Übung
nahe, dass ihnen die genaue Vorgehensweise bei den Verhören in
der Sandgrube zumindest gleichgültig war.
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Absprachegemäß haben die Angeklagten K. , F. und He.
die Verhöre und auch die damit einhergehenden erheblichen
Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit
der Rekruten dadurch ermöglicht, dass sie diese
überfallen, entwaffnet, gefesselt und zur Sandgrube verbracht
haben. Dabei hatten sie bezüglich der konkreten Ausgestaltung
dieses Teils der Übung freie Hand. Die Beiträge des
„Überfallkommandos“ und derjenigen, die
das Verhör durchführten, ergänzten sich -
dem Tatplan entsprechend - arbeitsteilig. Die Feststellungen
drängen zu der Annahme, dass die Angeklagten K. , F. und He.
bei ihrem eigenen Handeln bei den Überfällen -
insbesondere aufgrund der im Rahmen der Ausbildung ansonsten
unüblichen nicht nur kurzzeitigen Fesselung mit Kabelbindern
und der teils gewaltsamen Überwältigungen - die
erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen
Wohlbefindens der Rekruten zumindest billigend in Kauf genommen haben.
Die in diesem Zusammenhang festgestellte körperliche
Misshandlung der Rekruten wäre dann von ihrem Willen umfasst.
Die Vorgehensweise bei den Überfällen und die damit
zusammenhängenden Beeinträchtigungen für die
Rekruten unterschieden sich nicht wesentlich von denjenigen bei den
Geschehnissen bei den späteren Befragungen. Allein die
Steigerung der Intensität einzelner Handlungen bei den
Verhören - wie etwa dem Pumpen von Wasser in Mund und Nase bis
zur Atemnot - bewirkt nicht, dass die Geiselnahmeübung
insgesamt eine andere, von diesen Angeklagten nicht mehr vorgestellte
Qualität der Beeinträchtigung der
körperlichen Unversehrtheit gehabt hätte.
Aufgetretene Exzesse sind lediglich im Rahmen des Schuldumfangs der
einzelnen Beteiligten von Bedeutung.
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c) Der vom Landgericht vorgenommenen Differenzierung zwischen dem
Überfall einerseits und dem Verhör andererseits kann
daher nicht gefolgt werden. Das Überwältigen der
Rekruten ermöglichte erst das anschließende
Verhör und bildete einen unverzichtbaren Bestandteil der
insgesamt unzulässigen (dazu unten Ziffer III.3.c)
Geiselnahmeübung. Die an dieser Übung beteiligten
Angeklagten K. , F. und He. müssen sich deshalb die
Geschehnisse der gesamten Übung zurechnen lassen, soweit sie
von dem gemeinsam gefassten Tatplan gedeckt sind und es sich nicht um
einzelne Exzesse handelte. Jedenfalls die von den Rekruten in der
Sandgrube auszuführenden Zwangshaltungen, Kniebeugen,
Liegestütze, das Haltenmüssen von
Baumstämmen und die Scheinerschießungen stimmen nach
den Urteilsfeststellungen nach Art und Intensität der
Beeinträchtigung mit den Vorgehensweisen bei den
zulässigen Geiselnahmeübungen, die unter anderem in
Hammelburg durchgeführt werden, überein, so dass dies
nahe liegend vom gemeinsamen Tatplan gedeckt und somit den Angeklagten
K. , F. und He. zurechenbar war.
33
2. Nicht frei von Rechtsfehlern sind auch die Ausführungen der
Kammer, wonach sie im Hinblick auf das Geschehen bei den
Überfällen „nach dem Grundsatz im Zweifel
für den Angeklagten nur von dem ausgehen“
könne, „was den Rekruten im Regelfall
passiert“ sei „und woran die Angeklagten auch nach
ihrer eigenen Einlassung beteiligt waren“ (UA S. 39). Auch
insofern sind die Grundsätze der mittäterschaftlichen
Begehungsweise unzulänglich angewendet.
34
Wie bereits dargelegt, haftet jeder Mittäter im Rahmen seines
- zumindest bedingten - Vorsatzes für das Handeln der anderen.
Dabei werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach
den Umständen des Ein-
35
- 20 -
zelfalles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters
umfasst, auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat. So
verhält es sich hier. Vereinbarungsgemäß
„überfielen“, entwaffneten und fesselten
die Angeklagten K. , F. und He. mit drei (weiteren) Ausbildern die
unvorbereiteten Rekruten. Bei einem - schon aufgrund der nicht
vorhersehbaren Reaktionen der Soldaten - derart unkontrollierbaren
Geschehen liegt es gleichfalls nahe, dass die Beteiligten - entgegen
der Auffassung des Landgerichts, das insofern von
„Ausnahmen“ ausgeht (UA S. 39) -
selbstverständlich damit rechneten, dass sich Soldaten zur
Wehr setzen und es zu tätlichen, auch schmerzhaften
Auseinandersetzungen - wie etwa mit dem Zeugen L. - kommt. In diesem
Fall hätten die Angeklagten K. , F. und He. nach den
Feststellungen insofern jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt und
müssten sich damit diese Geschehnisse zurechnen lassen. Dabei
kommt es nicht darauf an, dass sie selbst an der konkreten
Auseinandersetzung mit dem einzelnen, betroffenen Rekruten nicht
beteiligt waren.
3. Die Beteiligung an der gegenständlichen
Geiselnahmeübung durch die Angeklagten K. , F. und He. stellt
entgegen der Ansicht des Landgerichts eine körperliche
Misshandlung i.S.d. § 30 Abs. 1 WStG, §§ 223
Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar. Der Begriff der Misshandlung des
§ 30 WStG setzt ebenso wie der Tatbestand des § 223
Abs. 1 StGB eine üble und unangemessene Einwirkung auf den
Körper des Verletzten voraus, die dessen körperliches
Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich
beeinträchtigt (BGHSt 14, 269, 271). Die Beurteilung der
Erheblichkeit bestimmt sich dabei nach der Sicht eines objektiven
Betrachters - nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen -
und richtet sich insbesondere nach Dauer und Intensität der
störenden Beeinträchtigung (vgl. Eser in
Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 223 Rdn.
4a m.w.N.).
36
- 21 -
37
a) An diesen Maßstäben gemessen stellen - wovon auch
die Kammer im Ansatz zutreffend ausgeht (vgl. UA S. 39) - bereits das
Überfallen und Überwältigen der Rekruten,
ihre Fesselung mit Kabelbindern über einen erheblichen
Zeitraum, das Verbinden ihrer Augen, ihr Verladen auf die
Ladefläche eines Pritschenwagens und der
anschließende unzulässige Transport zur Sandgrube,
bei dem die nach wie vor gefesselten Soldaten mit verbundenen Augen
teils übereinander lagen und in keiner Weise während
der Fahrt gesichert waren, sowie die hierbei teilweise verabreichten
Schläge jeweils für sich genommen eine erhebliche
Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens dar.
Dies gilt umso mehr, als die Rekruten nach rund 24 Stunden Dienst und
einem mehrstündigen Orientierungsmarsch mit ihrem gesamten
Marschgepäck und ihrem Gewehr zumeist ohnehin
erschöpft waren.
b) Erst recht beeinträchtigte die Geiselnahmeübung in
ihrer Gesamtheit - sprich der Überfall und das sich
anschließende Verhör der Rekruten -, worauf
maßgeblich abzustellen ist (vgl. oben Ziffer III.1.c), das
körperliche Wohlbefinden der Rekruten mehr als bloß
unerheblich. Die Rekruten wurden dieser
„Behandlung“ über einen Zeitraum von
jedenfalls 30 Minuten unterzogen. Zum Teil waren sie während
der gesamten Zeit mit den Kabelbindern gefesselt. Teilweise mussten sie
zusätzlich über erhebliche Zeiträume in
anstrengenden Zwangspositionen (etwa mit weit vorgebeugtem
Oberkörper einem Kameraden gegenüber kniend)
verharren (vgl. zur körperlichen Misshandlung durch
Zwangshaltungen bereits RMG 3, 119, 121) oder kräftezehrende
Übungen (Liegestütze, Kniebeugen, Halten von
Baumstämmen) absolvieren, obwohl sie - wie dargestellt -
überwiegend aufgrund der vorangegangenen körperlichen
Anstrengungen sowieso bereits am Ende ihrer körperlichen
Möglichkeiten waren
38
- 22 -
und damit die auferlegten Aufgaben und die übrige Behandlung
als bloße Quälerei empfinden mussten.
39
c) Die Geiselnahmeübung ist auch eine üble und
unangemessene Einwirkung auf den Körper der betroffenen
Rekruten, da sie offensichtlich den geltenden Dienstvorschriften
zuwiderlief und es an einem rechtmäßigen Befehl
fehlte.
aa) Ob eine üble, unangemessene, sozialwidrige Behandlung
gegeben ist, entscheidet sich nach dem Wesen des militärischen
Dienstes, der seiner Natur nach hohe körperliche Anforderungen
an den Soldaten stellt. Mutet ein Vorgesetzter im Rahmen seiner
allgemeinen Befugnisse und zu Zwecken der Ausbildung einem Soldaten
besondere Anstrengungen zu und verstößt er dabei
nicht offensichtlich gegen gesetzliche Bestimmungen,
rechtmäßige Dienstvorschriften und Befehle, so fehlt
es an einer Misshandlung (BGHSt 14, 269, 271).
40
Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller
staatlichen Gewalt. Dies gilt auch für die
Gewährleistung des Grundrechts auf körperliche
Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese
Gebote bilden die Grundlage der Wehrverfassung der Bundesrepublik
Deutschland (vgl. § 10 Abs. 4 SG) und bedürfen im
militärischen Bereich besonderer Beachtung. Nach der
eindeutigen Regelung des § 6 Satz 1 SG hat der Soldat die
gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere
Staatsbürger. Gemäß § 6 Satz 2 SG
werden die grundrechtlichen Garantien lediglich im Rahmen der
Erfordernisse des militärischen Dienstes durch seine
gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt. Die
körperliche Integrität der Untergebenen innerhalb der
Bundeswehr genießt einen hohen Stellenwert. Es gilt der
Grundsatz, dass ein Vorgesetzter seine Untergebenen niemals
41
- 23 -
anfassen darf, außer es steht zur unmittelbaren Durchsetzung
eines rechtmäßigen Befehls kein anderes Mittel zur
Verfügung (vgl. BVerwG NVwZ-RR 1999, 321, 322 m.w.N.).
42
bb) Vorliegend stellt die Durchführung der
Geiselnahmeübung einen klaren Verstoß gegen die
geltenden Vorschriften der Bundeswehr und die Grundrechte der
betroffenen Rekruten dar. Eine praktische Übung
„Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ ist und
war auch zur Tatzeit nach den geltenden Ausbildungsregeln der
Bundeswehr für die dreimonatige Grundausbildung der Rekruten
nicht vorgesehen und damit mangels gesetzlicher
Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig. Eine derartige
Übung kam ausschließlich im Rahmen der
„Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ für
diejenigen Soldaten auf Zeit, freiwillig länger Dienende oder
Berufssoldaten, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen hatten und
vor einem Auslandseinsatz standen, in Betracht. Selbst diese
Spezialübung darf ausschließlich an drei besonderen
Bundeswehrstandorten durchgeführt werden.
Vorschriftsgemäß hat dem praktischen Teil eine
Unterrichtseinheit mit psychologischer Betreuung vorauszugehen. Eine
tätliche Konfrontation mit den Soldaten oder gar eine
Fesselung findet nicht statt. Zudem können die Soldaten die
Übung, auf die sie vorbereitet worden sind, durch ein
Handzeichen jederzeit beenden.
Obgleich unzulässig, wurden aber nicht einmal diese Standards
für die Durchführung derartiger
Spezialübungen beachtet. Eine vorbereitende Unterrichtseinheit
fand nicht statt. Die ohnehin zumeist erschöpften Rekruten
wurden nach rund 24-stündigem Dienst und einem
kräftezehrenden nächtlichen Orientierungsmarsch
außergewöhnlichen, bei solchen
Spezialübungen nicht zulässigen zusätzlichen
physischen Belastungen (etwa in Form des gewaltsamen
Überwältigens mit tätlichen
Auseinandersetzungen, der Fesselung oder des
43
- 24 -
ungesicherten Transports auf einem Pritschenwagen), aber auch
psychischen Belastungen ausgesetzt und damit in ihrem Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit verletzt. Dies verstieß
evident gegen gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften und Befehle,
§ 10 Abs. 4 SG.
44
4. Rechtsfehlerhaft ist aber auch die Annahme des Landgerichts, die
Angeklagten K. , F. und He. hätten sich in einem den Vorsatz
ausschließenden Tatbestandsirrtum gemäß
§ 16 Abs. 1 StGB befunden, weil sie von der
Rechtmäßigkeit der Übung ausgegangen seien.
Denn der Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr, sein Verhalten
sei durch gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften oder einen
rechtmäßigen Befehl gerechtfertigt,
unterfällt dem besonderen Schuldausschließungsgrund
des § 5 Abs. 1 WStG.
a) § 11 Abs. 2 Satz 1 SG verbietet den Gehorsam
gegenüber einem Befehl, wenn der Untergebene dadurch eine
Straftat begeht. Ein solcher strafrechtswidriger Befehl ist
unverbindlich (vgl. BGHSt 19, 231, 232; Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg.
§ 5 WStG Rdn. 2). Ein Befehl, dem die Verbindlichkeit fehlt,
kommt lediglich als Entschuldigungsgrund in Betracht. Der Untergebene,
der eine strafrechtswidrige Weisung ausführt, handelt
tatbestandsmäßig und rechtswidrig, selbst wenn er an
die Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der Anordnung
glaubt (vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts - AT 5. Aufl.
§ 46 I.2 m.w.N.). Gemäß § 11 Abs.
2 Satz 2 SG und § 5 Abs. 1 WStG trifft einen Untergebenen, der
auf Befehl eine rechtswidrige Tat begeht, die den Tatbestand eines
Strafgesetzes verwirklicht, eine Schuld aber nur dann, wenn er erkennt,
dass es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, oder dies nach den ihm
bekannten Umständen offensichtlich ist (vgl. BGHSt 19, 231,
232).
45
- 25 -
b) Erkennen verlangt hierbei positive Kenntnis, sicheres Wissen (vgl.
BGHSt 22, 223, 225 [zu § 47 MStGB]). Erkennt der Untergebene
die Strafrechtswidrigkeit des Befehls nicht, beurteilt er sie
unzutreffend oder hat er insoweit Zweifel, so handelt er nur dann
schuldhaft, wenn die Strafrechtswidrigkeit nach den ihm bekannten
Umständen offensichtlich ist. § 17 StGB ist im Rahmen
des § 5 WStG angesichts der ausdrücklichen Regelung
der militärischen Befehlsverhältnisse nicht anwendbar
(BGHSt 5, 239, 244; 22, 223, 225 [zu § 47 MStGB]).
46
Der Begriff „offensichtlich“ ist objektiv zu
verstehen. Er umfasst das, was jedermann ohne weiteres Nachdenken
erkennt, was jenseits aller Zweifel liegt (vgl. BGHR WStG § 5
Abs. 1 Schuld 2). Abzustellen ist damit auf die
Erkenntnisfähigkeit eines gewissenhaften, pflichtbewussten
Durchschnittssoldaten. Beurteilungsgrundlage für diesen sind
allerdings die dem Täter subjektiv bekannten Umstände
- und zwar nicht nur die allgemeinen Tatumstände, sondern alle
für die Beurteilung des Sachverhalts bedeutsamen
Umstände - wie etwa die Kenntnis von vorangegangenen
Ereignissen, von Befehlen, Belehrungen, Dienstvorschriften und
dergleichen (Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl.
§ 5 Rdn. 13; Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 5 WStG
Rdn. 10). Auch wenn einem Untergebenen regelmäßig
keine Sachverhaltsprüfungspflicht obliegt (vgl. BGHR WStG
§ 5 Abs. 1 Schuld 2) und er grundsätzlich zu
unverzüglichem Gehorsam verpflichtet ist, so muss er dennoch
Gegenvorstellung erheben oder den Gehorsam verweigern, wenn er aufgrund
der ihm bekannten Umstände der Überzeugung ist oder
er ohne den berechtigten Vorwurf der Rechtsblindheit die
Überzeugung haben müsste, dass der Befehl
strafrechtswidrig ist (vgl. Stauf in Nomos - Erläuterungen zum
Deutschen Bundesrecht § 5 WStG; BGHSt 19, 231, 233).
47
- 26 -
c) Dies hat das Landgericht nicht in ausreichendem Maße
bedacht. Sollte sich das nun zur Entscheidung berufene Tatgericht
aufgrund der neu durchzuführenden Beweisaufnahme die
Überzeugung davon verschaffen können, dass die
Angeklagten K. , F. und He. die zum Tatzeitpunkt geltende AnTrA1
und/oder das Schreiben des Heeresführerkommandos vom 26.
Februar 2004 beziehungsweise den „Befehl 38/10“ vom
12. April 2004 gekannt oder aufgrund anderer Umstände um die
Unzulässigkeit einer Übung
„Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ in der
„Allgemeinen Grundausbildung“ gewusst haben,
wofür die Diskussion über die Frage der Genehmigung
durch den Kompaniechef spricht, so sind sie für ihre
Beteiligung an der Übung am 8./9. Juni 2004 strafrechtlich
verantwortlich.
48
Im Übrigen legen bereits die bisherigen Feststellungen -
insbesondere die Diskussion unter den Ausbildern über eine
Änderung der AnTrA1 in Bezug auf eine künftige
Zulässigkeit von Geiselnahmeübungen in der
Grundausbildung - den Schluss nahe, dass die Strafrechtswidrigkeit der
Übung und der diesbezüglichen
„Genehmigung“ des Kompaniechefs für die
Beteiligten jedenfalls offensichtlich im Sinne des § 5 Abs. 1
WStG war. Dies gilt umso mehr, als Art und Weise der
Durchführung von den der bei der „Einsatzbezogenen
Zusatzausbildung“ geltenden Standards abwichen, was die
Beteiligten aufgrund ihrer eigenen Ausbildung wussten. Für
diesen Fall hätten die Angeklagten K. , F. und He. den
strafrechtswidrigen, unverbindlichen Befehl nicht ausführen
dürfen.
49
5. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung einer etwaigen
Fehlvorstellung hält aber auch die Beweiswürdigung
des Landgerichts hinsichtlich der subjektiven Tatseite
sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Zum einen legt die
Strafkammer entlastende Einlassungen der Angeklagten K. , F. und
50
- 27 -
He. , für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine
Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar
zugrunde. Zum anderen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts
insofern auch lückenhaft.
51
a) Die Feststellung der Strafkammer, die Angeklagten K. , F. und He.
seien von einem im Rahmen der militärischen Ausbildung sozial
adäquaten Tun und von keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen
Ausbildung ausgegangen, beruht auf den Einlassungen dieser Angeklagten,
die die Kammer, ohne dass es dafür tatsächliche,
objektive Anhaltspunkte gegeben hätte, als unwiderlegt
angesehen hat. Da an die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten
aber die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an die Beurteilung
von Beweismitteln, darf der Tatrichter diese seiner Entscheidung nur
dann zu Grunde legen, wenn er in seine Überzeugungsbildung
auch die Beweisergebnisse einbezogen hat, die gegen die Richtigkeit der
Einlassung sprechen können (vgl. BGH NJW 2006, 522, 527 -
insofern nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331 ff.). Dies hat die Kammer
nicht getan.
b) Sie hat zwar die zu Gunsten der Angeklagten K. , F. und He.
sprechenden Umstände wie die Anordnung der Übung
durch ihre Zugführer, die beiden ehemaligen Mitangeklagten D.
und Ho. , sowie deren Mitteilung über die Genehmigung durch
den Kompaniechef, den früheren Mitangeklagten S. ,
berücksichtigt. Belastende Indizien, die jedenfalls in ihrer
Gesamtheit Zweifel an einem Irrtum aufkommen lassen und darauf
hindeuten, dass den Angeklagten - ebenso wie den übrigen
Beteiligten an dieser Übung - der Verstoß gegen die
geltenden, ihnen bekannten Ausbildungsvorschriften der Bundeswehr
bewusst und ihnen daher die Rechtmäßigkeit ihres
Handelns zumindest gleichgültig war, hat sie aber nicht
erkennbar in die Beweiswürdigung eingestellt.
52
- 28 -
53
aa) So setzt sich die Strafkammer nicht mit dem nahe liegenden
Gesichtspunkt auseinander, dass sämtliche Angeklagte selbst
die Ausbildung bei der Bundeswehr durchlaufen haben und sie daher
wissen mussten, dass eine praktische Übung
„Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ nicht
Bestandteil der „Allgemeinen Grundausbildung“ war
und es dazu deshalb auch keine Ausbildungsvorschriften für die
Grundausbildung von Soldaten gab. Gleichfalls unerörtert
bleibt die Tatsache, dass jedenfalls die Angeklagten K. , F. und H. als
Ausbilder eine zusätzliche, weitergehende Ausbildung erhalten
hatten und ihnen in diesem Zusammenhang die Ausbildungsziele und die
Bestandteile der „Allgemeinen Grundausbildung“ von
Rekruten bekannt gemacht sein mussten. Das Urteil erörtert
auch nicht, dass zudem der Angeklagter K. selbst schon eine
„Einsatzbezogene Zusatzausbildung“ absolviert hatte
und ihm somit der ordnungsgemäße Ablauf einer
derartigen Übung bekannt war. Nahe liegend musste er die davon
abweichenden und die im Umfang stärkeren Belastungen, zumal
für Rekruten, mit sich bringende Durchführung der
gegenständlichen Übung erkennen.
bb) Das Landgericht geht außerdem nicht darauf ein, dass bei
der Ausbilderbesprechung von den beiden Zugführern D. und Ho.
mitgeteilt worden war, die Geiselnahmeübung sei vom
Kompaniechef abgesegnet worden. Dies könnte dafür
sprechen, dass die Frage der Rechtmäßigkeit des
Vorhabens Gegenstand der Diskussion war; wenn es hierfür eine
allgemein gültige Dienstanweisung gegeben hätte,
wäre diese Frage kaum aufgetaucht, sondern einfach hierauf
verwiesen worden.
54
cc) Gleiches gilt für die nicht näher geschilderte
Nachbesprechung der Geiselnahmeübung. Hier wäre zu
erwarten gewesen, dass diejenigen Beteilig-
55
- 29 -
ten, deren Vorstellung vom Übungsablauf die
tatsächliche Durchführung widersprach, Verwunderung
oder Ablehnung im Hinblick auf die erfolgte Behandlung der Rekruten
äußerten und sich von diesem Geschehen
distanzierten. Auch damit hat sich das Landgericht nicht
auseinandergesetzt.
56
dd) Schließlich findet auch Folgendes keine
Erwähnung: Nach den Feststellungen der Kammer war
„auch in den Kreisen der Ausbilder seinerzeit …
davon die Rede …, dass die AnTrA1 den geänderten
Verhältnissen … angepasst werden sollte“
(UA S. 40). Demnach liegt das Wissen der Beteiligten - insbesondere
auch vor dem Hintergrund, dass die AnTrA1 nach den
Urteilsfeststellungen im Intranet der Bundeswehr abrufbar und damit
für sie jederzeit zugänglich war - um die zum
Tatzeitpunkt gerade noch nicht erfolgte Änderung und um die
nach wie vor bestehende Unzulässigkeit von
Geiselnahmeübungen in der „Allgemeinen
Grundausbildung“ nahe. Denn wenn einerseits über
eine erst zukünftige Änderung der Ausbildungsregeln
diskutiert wurde, konnte schwerlich angenommen werden, die damals
gültigen Regeln seien bereits ohne Geltung gewesen.
Außerdem war es nach den landgerichtlichen Feststellungen
„in der Bundeswehr vorgekommen, dass auch außerhalb
(der) drei benannten Ausbildungszentren eine Ausbildung
'Geiselnahme/Geiselhaft' durchgeführt worden war, die nicht
der Ausbildung in den Ausbildungszentren der Bundeswehr entsprach und
die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer Traumatisierung
geführt hatte“. Deshalb war in einem entsprechenden
Schreiben des Heeresführerkommandos sowie in dem
„Befehl 38/10“ auf die Unzulässigkeit
derartiger Übungen in der „Allgemeinen
Grundausbildung“ und außerhalb der vorgesehenen
Ausbildungszentren hingewiesen worden (UA S. 11). Angesichts dessen
erscheint es auch im Hinblick auf die vorgenannten Gespräche
der Ausbilder zu diesem Thema fern liegend, dass gerade
darüber inner-
- 30 -
halb der Kompanie der Angeklagten nicht gesprochen wurde
beziehungsweise dies unerwähnt blieb.
57
ee) Letztlich gibt die Kammer auch nicht zu erkennen, worauf sie ihre
Auffassung stützt, dass nicht festzustellen war, dass die
Angeklagten K. , F. und He. das Schreiben des
Heeresführungskommandos vom 26. Februar 2004 beziehungsweise
den „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 kannten.
Soweit das Tatgericht lediglich darauf verweist, dass selbst der
ehemalige Mitangeklagte Hauptmann S. erklärt habe, dass ihm -
obwohl Kompaniechef - beide Schreiben nicht bekannt gewesen seien,
genügt dies nicht. Die Kammer hat sich mit der Glaubhaftigkeit
dieser Einlassung nicht auseinandergesetzt, obwohl sich die Frage
aufdrängen musste, ob dieser frühere Mitangeklagte
nicht ein gewisses Eigeninteresse verfolgt. Unberücksichtigt
gelassen wird auch die in Behörden und staatlichen
Einrichtungen, vor allem aber auch in der Bundeswehr, übliche
Bekanntmachung derart wichtiger Anweisungen -
regelmäßig durch unterschriftliche
Bestätigung der einzelnen Empfänger oder
Protokollierung der Bekanntgabe unter Mitteilung der hierbei anwesenden
Soldaten. Gerade deshalb erscheint es eher fern liegend und mit einem
ordnungsgemäßen Verwaltungsablauf unvereinbar, dass
beide Schriftstücke in dieser Ausbildungseinheit praktisch
nicht zur Kenntnis gelangt sein sollen.
Dies alles hat das Landgericht nicht erkennbar in seine
Beweiswürdigung eingestellt.
58
c) Unter diesen Umständen war das Tatgericht nicht gehalten,
auch entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren
Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den
Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde zu
legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung viel-
59
- 31 -
mehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses zu entscheiden,
ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung
zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NJW 2007, 2274; Senat, Urt.
vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07). Die vom Landgericht als unwiderlegbar
hingenommene Einlassung, die Angeklagten seien von keiner vorschrifts-
oder befehlswidrigen Ausbildung ausgegangen, stellt sich unter
Berücksichtigung der zuvor dargelegten Gesichtspunkte als eine
eher denktheoretische Möglichkeit dar, die
beweiskräftiger Anknüpfungspunkte entbehrt. Es ist
weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten
eines Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren
Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur
BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003,
371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008 -
1 StR 654/07).
6. Schließlich hält die Auffassung des Landgerichts,
der Überfall, das Verbinden der Augen, die Fesselung und das
Verladen der Rekruten auf den Pritschenwagen stellten keine
entwürdigende Behandlung nach § 31 Abs. 1 WStG dar,
sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
60
a) Entwürdigende Behandlung ist jedes Verhalten eines
Vorgesetzten gegenüber einem Untergebenen, das dessen Stellung
als freie Persönlichkeit nicht unerheblich in Frage stellt,
das die Achtung nicht unerheblich beeinträchtigt, auf die der
Untergebene allgemein als Mensch in der sozialen Gesellschaft und im
besonderen als Soldat innerhalb der soldatischen Gemeinschaft Anspruch
hat. Der Untergebene darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihn
zum bloßen Objekt degradiert und seine
Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (BayObLG NJW 1970,
769, 770; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. §
31 Rdn. 3; Stauf in Nomos - Erläuterungen zum Deutschen
Bundesrecht § 31
61
- 32 -
WStG jeweils m.w.N.). Ob eine entwürdigende Behandlung
vorliegt, beurteilt sich, wenn die Handlung nicht bereits wegen ihres
absolut entwürdigenden Charakters unter § 31 Abs. 1
WStG fällt, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller
Tatumstände (BayObLG NJW 1970, 769, 770; Dau in Erbs/Kohlhaas
172. Lfg. § 31 WStG Rdn. 3; Schölz/Lingens,
Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 4).
b) Daran gemessen unterfällt jedenfalls die
Geiselnahmeübung in ihrer Gesamtheit dem Tatbestand des
§ 31 Abs. 1 WStG. Insbesondere die Fesselung der Rekruten
(vgl. dazu Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. §
31 Rdn. 5), das Verbinden ihrer Augen, das Verladen der Rekruten
„wie Ware“ auf die Ladefläche eines
Pritschenwagens, die auf den Helm verabreichten Schläge, um
für Ruhe zu sorgen, das Hinknienlassen sowie die
schikanösen Zwangshaltungen und Ausdauerübungen, die
den nach fast 24-stündigem Dienst und einem anstrengenden
Nachtmarsch ohnehin zumeist erschöpften Rekruten befohlen
wurden, schließlich die angedrohten (teils mit angesetzter
Waffe) und vorgetäuschten Erschießungen (vgl. dazu
Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 31 WStG Rdn. 4 m.w.N.)
stellen entwürdigende Behandlungen dar, welche zumindest bei
einem Soldaten auch zu einer nahezu panischen Angst führten.
Dies alles erniedrigte die Rekruten zum bloßen Objekt.
62
IV.
Die Sache bedarf daher für die Angeklagten K. , F. und He. der
erneuten Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen
können aufrechterhalten bleiben. Ergänzende, hierzu
nicht in Widerspruch stehende Feststellungen sind zulässig.
63
- 33 -
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den
Kostenausspruch des angefochtenen Urteils, soweit es die Angeklagten K.
, F. und He. betrifft, ist durch die insoweit erfolgte Urteilsaufhebung
gegenstandslos (vgl. BGH StV 2006, 687, 688).
64
V.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes
hin:
65
1. Selbst wenn das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der
Feststellung gelangen sollte, die betroffenen Rekruten hätten
ausdrücklich oder konkludent in die gegenständliche
unzulässige Geiselnahmeübung eingewilligt, so
hätte dies keine rechtfertigende Wirkung. §§
30, 31 WStG schützen nicht allein das Rechtsgut der
körperlichen Unversehrtheit beziehungsweise der Würde
des Untergebenen, sondern auch die Disziplin und Ordnung in der
Bundeswehr. Die ehr- und körperverletzende Behandlung durch
Vorgesetzte stellt einen Verstoß gegen die in Art. 1 Abs. 1
Satz 2 GG normierte Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zum Schutze
der Menschenwürde und der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
gewährleisteten körperlichen Unversehrtheit dar. Von
dieser Verpflichtung kann der für den Staat handelnde
Amtsträger oder Bedienstete durch das subjektive
Einverständnis des Individualgrundrechtsträgers nicht
freigestellt werden (vgl. BVerwG NJW 2001, 2343, 2344; Dau in
Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 30 WStG Rdn. 10 m.w.N.).
66
2. § 30 WStG kann mit § 224 StGB - wie vom
Landgericht betreffend den Angeklagten H. zutreffend angenommen - in
Tateinheit (§ 52 StGB) stehen. § 30 WStG geht nur
§ 223 StGB vor, enthält aber keine alle
Körperverletzungsdelikte ausschließende
Sonderregelung. Dies folgt schon daraus, dass das all-
67
- 34 -
gemeine Strafrecht gerade in den schwereren Fällen der
Untergebenenmisshandlung nicht durch das WStG gemildert werden darf
(vgl. BGH NJW 1970, 1332 [zu § 226 StGB aF];
Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 30 Rdn.
28; a.A. Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 30 WStG Rdn. 18;
Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts 2. Aufl. S. 218).
3. Sollte das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der
Auffassung gelangen, eine Strafbarkeit gemäß
§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB,
§§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 WStG liege nicht vor, so wird
es aufgrund der Fesselung der Rekruten für teilweise mehr als
30 Minuten, deren Verbringens mit verbundenen Augen auf die
Ladefläche des Pritschenwagens und deren begleiteten
Abtransports den Straftatbestand der Freiheitsberaubung
gemäß § 239 Abs. 1 StGB oder jedenfalls der
Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB in den Blick zu
nehmen haben.
68
Nack Wahl Elf
Graf Sander |