BGH,
Urt. v. 14.1.2009 - 1 StR 554/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 554/08
vom
14. Januar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14.
Januar 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
und Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Münster vom 26. November 2007 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete
Urteil mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die
Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen
aufrechterhalten.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten dieses Rechtsmittels - an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht waren zwei Taten, welche
dem Angeklagten zur Last gelegt wurden. Dabei hat das Landgericht den
Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe
(Geiselnahmeübung im zweiten Quartal 2004) wegen Misshandlung
gemäß § 30 Abs. 1 WStG zu einer Geldstrafe
von 60 Tagessätzen zu je 40,-- Euro verurteilt. Im Fall II.2
der Urteilsgründe (Geiselnahmeübung im dritten
Quartal 2004) hat es ihn dagegen von dem Vorwurf der
gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit
Misshandlung und mit entwürdigender Behandlung (§ 31
Abs. 1 WStG) freigesprochen.
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Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die näher
ausgeführte Sachbeschwerde gestützten Revision gegen
seine Verurteilung. Mit der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten
Revision der Staatsanwaltschaft wird ebenfalls die Verletzung
materiellen Rechts gerügt. Die Revision der Staatsanwaltschaft
wird vom Generalbundesanwalt vertreten und richtet sich gegen den
Freispruch des Angeklagten im Fall II.2 der Urteilsgründe
(Geiselnahmeübung im dritten Quartal 2004). Betreffend den
Fall II.1 der Urteilsgründe (Geiselnahmeübung im
zweiten Quartal 2004) beanstandet die Beschwerdeführerin die
fehlende Verurteilung wegen tateinheitlich begangener
gefährlicher Körperverletzung und
entwürdigender Behandlung. Während das Rechtsmittel
des Angeklagten keinen Erfolg hat, ist das Urteil auf die Revision der
Staatsanwaltschaft mit den Feststellungen - ausgenommen diejenigen zum
äußeren Tatgeschehen - aufzuheben.
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I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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1. Der Angeklagte - Stabsunteroffizier - war in Coesfeld in der 7.
Kompanie des 7. Instandsetzungsbataillons der Bundeswehr als
Hilfsausbilder tätig. Bei dieser Kompanie, die in der
Freiherr-vom-Stein-Kaserne stationiert war und die vom
früheren Mitangeklagten Hauptmann S. geführt wurde,
handelte es sich um eine reine Ausbildungskompanie, der jeweils zu
Quartalsbeginn neue Rekruten zur dreimonatigen Grundausbildung
zugewiesen wurden.
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2. Zur Tatzeit - im zweiten und dritten Quartal 2004 - galt
für die Ausbildung der Rekruten die „Anweisung
für die Truppenausbildung Nummer 1“ (AnTrA1), Stand
Juni 2001. Sie regelte Ziele und Inhalte der Allgemeinen
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Grundausbildung und sah für die dreimonatige Grundausbildung
der Rekruten eine Ausbildung „Geiselnahme/Verhalten in
Geiselhaft“ nicht vor. Am 8. Juli 2004 wurde nach
längeren Überlegungen im Bundesministerium der
Verteidigung eine geänderte AnTrA1 herausgegeben, die zum 1.
Oktober 2004 in Kraft trat. Diese enthielt einen neuen Teil
„Basisausbildung EAKK“ (Einsatzvorbereitende
Ausbildung für Krisenbewältigung und
Konfliktverhütung) mit dem Ziel, bereits in der
Grundausbildung die für einen Auslandseinsatz im Rahmen der
Konfliktverhütung und Krisenbewältigung
erforderlichen Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten zu erlernen.
Dieser neue Ausbildungsteil sah eine zweistündige, vom
Kompaniechef durchgeführte Unterrichtseinheit - jedoch keine
praktische Übung - über Geiselhaft,
Entführung und Gefangenschaft bei Einsätzen sowie
über die Konfrontation mit Verwundung und Tod und deren
Bewältigung vor. Diese geänderte AnTrA1 war seit 19.
Juli 2004 im Intranet der Bundeswehr abrufbar. Bereits zuvor fanden im
Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum in Hammelburg Lehrgänge
statt, in denen Zugführer von Ausbildungskompanien
für die Ausbildung nach der neuen AnTrA1 geschult wurden, um
als Multiplikatoren für die übrigen Ausbilder zu
fungieren.
Die Übung „Geiselnahme/Verhalten in
Gefangenschaft“ ist ein Abschnitt der
„Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“, die von der
Bundeswehr für diejenigen Soldaten auf Zeit, freiwillig
länger dienende Soldaten oder Berufssoldaten vorgesehen ist,
die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen und den Befehl bekommen
haben, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen. Diese Übung
wurde von der Bundeswehr nur an drei Standorten im Bundesgebiet
durchgeführt, wozu die Freiherr-vom-Stein-Kaserne aber nicht
gehörte. Sie wurde zudem zuvor im Unterricht mit allen
Teilnehmern besprochen und von Psychologen begleitet. Die
Übung lief dergestalt ab, dass die auszubildenden Soldaten
eine Busfahrt unternahmen, während derer sie
überfallen wurden. Ihnen wurden die Augen
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verbunden und sie wurden aufgefordert, ihre Hände in den
Nacken, auf die Knie oder die Sitzbank vor ihnen zu legen.
Anschließend wurden sie an einen Ort verbracht, an dem eine
„Befragung“ stattfand. Hierbei wurden die Soldaten,
deren Augen nach wie vor verbunden waren, physischen und psychischen
Belastungen ausgesetzt, um bei ihnen Stress zu erzeugen. Sie wurden
lautstark befragt und mussten körperliche Übungen wie
Liegestütze oder Kniebeugen machen. Zudem wurde ihnen gedroht,
Kameraden zu schlagen oder zu erschießen, wenn sie nicht die
gewünschten Antworten gaben. Zur möglichst
realistischen Untermalung wurden die entsprechenden Geräusche
(Schläge und Schüsse) simuliert. Während der
Übung hatten die Soldaten - wie ihnen beim vorhergehenden
Unterricht gesagt worden war - jederzeit die Möglichkeit,
durch ein Handzeichen aus der Übung auszusteigen. Die
früheren Mitangeklagten K. und H. hatten eine solche
„Einsatzbezogene Zusatzausbildung“ bereits
absolviert.
3. Nachdem in der Vergangenheit auch außerhalb der drei
festgelegten Standorte eine Ausbildung
„Geiselnahme/Geiselhaft“ durchgeführt
worden war, die nicht derjenigen in den drei Ausbildungszentren
entsprach und die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer
Traumatisierung geführt hatte, wies das
Heeresführerkommando der Bundeswehr in einem als „VS
- nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichneten
Schreiben vom 26. Februar 2004 darauf hin, dass diese Ausbildung
ausschließlich im Rahmen der „Einsatzbezogenen
Zusatzausbildung“ in den drei Ausbildungs- beziehungsweise
Gefechtsübungszentren durchgeführt werden
dürfe, da sie dort unter Anleitung des dafür speziell
geschulten Personals erfolgen könne. Empfänger dieses
Schreibens war auch die 7. Ausbildungskompanie in Coesfeld.
Außerdem war in dem „Befehl 38/10“ vom
12. April 2004 die Ausbildung über das Thema
„Verhalten in Geiselhaft“ ausschließlich
dem Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum zugewiesen worden.
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Dass der Angeklagte dieses Schreiben oder den Befehl kannte, vermochte
die Kammer nicht festzustellen.
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4. Anfang April 2004 begannen in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne etwa 80
Rekruten, von denen zirka die Hälfte Wehrdienstleistende
waren, ihre dreimonatige Grundausbildung. Es wurden zwei
Ausbildungszüge gebildet, deren Zugführer die
ehemaligen Mitangeklagten Hauptfeldwebel D. und Ho. waren.
a) Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Verlauf des
zweiten Quartals 2004 kamen die beiden Zugführer auf die Idee,
in der „Allgemeinen Grundausbildung“ in Coesfeld
eine Geiselnahmeübung einzuführen. Vor dem 8. Juni
2004 fand auf deren Anordnung eine Ausbilderbesprechung statt, an der
auch der Angeklagte teilnahm. Dabei wurde der grobe Ablauf der
Geiselnahmeübung erörtert. Die beiden
Zugführer D. und Ho. beabsichtigten, die Rekruten nach der
dienstplanmäßigen
Nachtschießübung am 8. Juni 2004 gruppenweise auf
einen nächtlichen Orientierungsmarsch zu schicken, bei dem zum
Schluss die „Geiselnahme“ mit
anschließendem „Verhör“ erfolgen
sollte. Weder der Orientierungsmarsch noch die
Geiselnahmeübung standen auf dem für die Rekruten
einsehbaren Dienstplan und waren diesen somit nicht bekannt.
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Die beiden Zugführer D. und Ho. teilten neben fünf
weiteren Ausbildern den Angeklagten für das
„Überfallkommando“ ein. Sie sollten die
Rekruten in den frühen Morgenstunden des 9. Juni 2004
überfallen, entwaffnen, fesseln und ihnen die Augen verbinden.
Anschließend sollten die Rekruten auf der Ladefläche
eines Pritschenwagens zum Standortübungsplatz gefahren werden,
um in einer dortigen Sandgrube ihr
„Verhör“ durchzuführen.
Für dieses
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Verhör teilten die beiden Zugführer den
früheren Mitangeklagten H. ein. Diesem sagte D. , das
„Verhör“ solle „etwa so wie in
Hammelburg“, im Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum,
ablaufen, wo der frühere Mitangeklagte H. eine
Geiselnahmeübung absolviert hatte.
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Das Landgericht sah sich nach „der bisherigen
Beweisaufnahme“ nicht in der Lage aufzuklären, ob
bei dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der
Geiselnahmeübung erörtert wurden. Die beiden
Zugführer D. und Ho. teilten den Anwesenden mit, die geplante
Geiselnahmeübung sei vom Kompaniechef „abgesegnet
worden“. Tatsächlich hatte Hauptmann S. eine solche
Übung auch genehmigt.
b) Gegen Ende der Nachtschießübung am 8. Juni 2004
erklärten die beiden Zugführer D. und Ho. den
angetretenen Rekruten, im Raum Coesfeld seien Terroristen gesichtet
worden, das Gebiet müsse bestreift und sämtliche
Auffälligkeiten müssten dokumentiert werden. Die
Rekruten, die ihr gesamtes Marschgepäck und ihr Gewehr bei
sich hatten, machten sich gruppenweise auf den Weg. Dabei marschierten
die einzelnen Gruppen zeitlich versetzt ohne ihren
planmäßigen Gruppenführer los. Die Rolle
des Gruppenführers musste jeweils ein Rekrut
übernehmen. Es gab keinen ausdrücklichen Hinweis
darauf, dass etwas Besonderes passieren könnte. Ein Kennwort,
mit dem die Rekruten die Übung hätten beenden
können, wurde ihnen nicht mitgeteilt. Lediglich manchen
Rekruten war während ihres späteren Verhörs
gesagt worden, um die Übung zu beenden, müssten sie
nur das Wort „Tiffy“ nennen, das in der
Grundausbildung als Synonym für
„Schwächling“ oder
„Weichei“ verwendet wurde und durchaus negativ
behaftet war.
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c) Die sechs Beteiligten des
„Überfallkommandos“ hatten einen
Hinterhalt im Gelände eingerichtet. Sie trugen
Bundeswehrkleidung, hatten aber teilweise ihre Dienstgradabzeichen und
Namensschilder entfernt. Ihre Gesichter waren vermummt, um nicht auf
den ersten Blick erkannt zu werden. Sie hatten Gewehre mit geladenen
Manöverpatronengeräten dabei, teilweise auch
ungeladene Pistolen und mehrere Übungsgranaten. Es waren auch
Kabelbinder vor Ort. Spätestens jetzt besprachen die sechs
Ausbilder, den Rekruten damit die Hände auf den
Rücken zu fesseln, wobei vermieden werden sollte, dass die
Kabelbinder in die Haut schnitten.
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Die erste Gruppe traf verspätet erst in den Morgenstunden des
9. Juni 2004 ein. Das „Überfallkommando“
lenkte die Rekruten zuerst ab und griff sie dann schreiend und
schießend an. Die Rekruten waren im Allgemeinen zu
überrascht und - nach rund 24 Stunden Dienst und dem
mehrstündigen Orientierungsmarsch - zumeist auch zu
erschöpft, um noch größere Gegenwehr zu
leisten. Sie gingen durchweg davon aus, dass es sich bei den maskierten
Angreifern um Bundeswehrangehörige handelte. In aller Regel
kamen die Rekruten der Aufforderung, sich zu ergeben und sich auf den
Boden zu legen, letztlich freiwillig nach. Bei manchen Rekruten halfen
die Angreifer mit körperlichem Druck nach. Allerdings
leisteten andere Rekruten auch Widerstand. So wurde der Zeuge L. von
einem der Angreifer zu Boden gerissen, wo er auf dem Bauch zum Liegen
kam. Damit er nicht wieder aufstehen konnte, drückte einer der
Ausbilder ein Knie auf seinen Hals. Anschließend wurden L. s
Hände mit den Kabelbindern auf den Rücken gefesselt
und zusätzlich mit der Splitterschutzweste oder dem
Koppeltragegestell verbunden, wodurch seine Arme nach oben gezogen
wurden und er schmerzhaften Druck auf seinen Schultern
verspürte. Als er sich gegen die Fesselung wehrte, nahm einer
der Angreifer das Knie des Zeugen L. in einen Haltegriff, so dass dessen
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Bein verdreht wurde und er Schmerzen erlitt. Auch mit dem Zeugen R. gab
es bei der Entwaffnung eine „kleine Rangelei“, bei
der er aber nicht verletzt wurde. Der Zeuge Kl. wurde bei dem
Überfall von hinten in einen Würgegriff genommen und
zu Boden gebracht.
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Alle Rekruten mussten sich nach ihrer Entwaffnung hinknien oder auf den
Bauch legen. Ihnen wurden die Hände mit Kabelbindern auf den
Rücken gefesselt, wobei größtenteils darauf
geachtet wurde, dass sie nicht zu stramm anlagen. Der Zeuge Sc. wurde
vom Angeklagten gefesselt. Als der Zeuge auf Frage erklärte,
der Sitz der Kabelbinder sei „o.k.“, zog der
Angeklagte die Kabelbinder bewusst noch fester zu, so dass sie nunmehr
zu stramm saßen, dem Zeugen Schmerzen verursachten und es
später Schwierigkeiten bereitete, ihn davon zu befreien.
Deswegen wurde der Angeklagte wegen Misshandlung (§ 30 Abs. 1
WStG) verurteilt. Bei dem Versuch eines Ausbilders, sie mit einem
Taschenmesser zu durchtrennen, trug der Zeuge Sc. eine leichte
Schnittverletzung davon. Bei den meisten Soldaten
hinterließen die Kabelbinder keine Spuren. Sechs Rekruten
trugen jedoch Druckstellen an den Handgelenken davon; zwei erlitten
Kratzer beziehungsweise kleine Schnittwunden an den Armen. Die Augen
der Rekruten wurden mit einem Dreiecktuch verbunden;
möglicherweise wurde einzelnen auch ein Wäschesack
über den Kopf gezogen.
d) Nachdem sämtliche Rekruten einer Gruppe wie geschildert
außer Gefecht gesetzt worden waren, was zwischen
fünf und zehn Minuten dauerte, wurden sie auf die
Ladefläche eines Pritschenwagens verladen. Dabei wurde ein
Rekrut „in den Lkw hineingezogen oder unsanft
hineingeschoben“. Ein anderer kam nach dem Einladen auf einem
Kameraden zu liegen und wieder ein anderer wurde auf den Lkw geschubst,
wobei er sich das Knie schmerzhaft anstieß. Während
der langsamen Fahrt zur etwa zwei Kilometer entfernten Sand-
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grube war einer der Angreifer - bei einer Fahrt auch der Angeklagte -
auf dem Lkw dabei, um für Ruhe zu sorgen und zu verhindern,
dass die Rekruten miteinander redeten. Kam ein Rekrut einer Anweisung
nicht nach, so erhielt er einen leichten Schlag - zumeist auf den Helm.
Dies war - mit Ausnahme der Schläge, die der Zeuge L. bezog -
nicht schmerzhaft. Jedoch bekam ein Rekrut während der Fahrt
aufgrund der beengten Platzverhältnisse einen schmerzhaften
Krampf in den Beinen.
e) Nach etwa fünf bis zehn Minuten Fahrt an der Sandgrube
angekommen, wurden die Rekruten einzeln von der Ladefläche
geholt, wobei darauf geachtet wurde, dass sie sich nicht verletzten.
Fünf Rekruten fielen beim „Abladen“
allerdings auf den Sandboden. Der Pritschenwagen fuhr mit dem Ausbilder
zurück zum Überfallort, um auf die nächste
Gruppe zu warten.
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Die Rekruten mussten sich in einem von dem Angeklagten H. und den ihm
zur Unterstützung zugeteilten drei Hilfsausbildern mit
Stacheldraht abgetrennten Bereich zunächst hinknien. Einige
wurden angewiesen, sich mit ihrem Kopf an eine steile Sandwand
anzulehnen. Es begann dann das vom Angeklagten H. geleitete
„Verhör“. Dabei befragte er die Rekruten
zuerst ganz allgemein in gebrochenem Englisch. Die Reaktionen waren
unterschiedlich. Die Rekruten waren auf eine solche Übung
nicht vorbereitet worden, so dass sie nicht wussten, wie sie sich
richtig zu verhalten hatten. Die schweigenden Rekruten und diejenigen,
die unpassende Antworten gaben, unterzog der Angeklagte H.
unterschiedlichen „Behandlungen“, die er sich
ausgedacht hatte.
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So mussten sich einige Rekruten - mit nach wie vor auf dem
Rücken ge-fesselten Händen - in einer Entfernung von
etwa einem Meter einem Kameraden gegenüber hinknien. Beiden
wurde dann der Oberkörper so weit nach vor-
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ne gezogen, bis sie sich mit ihren Helmen gegenseitig
stützten. Dies führte dazu, dass beide in den Sand
fielen, sobald einer von ihnen die Position nicht mehr halten konnte.
Teilweise mussten sich die gefesselten Rekruten an einen Baum stellen
und sich mit dem behelmten Kopf daran anlehnen. Ihnen wurden die
Füße ebenfalls so weit zurückgezogen, bis
sie ihre Stellung nur mit Mühe halten konnten. Wäre
ein Rekrut abgerutscht, wäre er ohne die Möglichkeit
des Abfangens umgefallen. Andere Rekruten wurden von den Kabelbindern
befreit und mussten mit verbundenen Augen Liegestütze oder
Kniebeugen machen. Den Zeugen B. fasste der Angeklagte H. dabei am
Kragen und drückte ihn nach unten, wodurch die
Ausführung der Liegestütze erheblich erschwert wurde
und der Zeuge mit dem Kopf auf den Sandboden aufschlug. Wieder andere
mussten allein oder zu zweit mit verbundenen Augen einen Baumstamm vor
dem Körper oder über dem Kopf halten.
Für den Fall, dass Rekruten Aufgaben nicht erfüllten
oder Fragen des Angeklagten H. nicht beantworteten, gab es simulierte
Erschießungen dergestalt, dass zunächst die
Erschießung des Rekruten oder eines Kameraden angedroht und
schließlich ein Feuerstoß aus dem Maschinengewehr
abgegeben wurde.
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Aus einer mitgebrachten Kübelspritze wurden zahlreiche
Rekruten mit Wasser bespritzt. Dem Zeugen L. wurde, während er
von oben herab nass gespritzt wurde, gesagt, es werde auf ihn und seine
Gruppe uriniert. Einigen Rekruten wurde Sand unter die Kleidung
geworfen und wieder andere wurden mit beidem - Sand und Wasser -
„traktiert“. Da der nasse Sand an der Kleidung
haftete und auf der Haut rieb, führte dies bei zwei Rekruten
dazu, dass sie sich beim anschließenden Marsch in die Kaserne
die Oberschenkel wund liefen
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beziehungsweise sich ihre bereits vorhandenen wunden Stellen
verschlimmerten.
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Einem anderen Teil der Rekruten pumpten der Angeklagte H. und ein
Hilfsausbilder mit der Kübelspritze Wasser auch in den Mund,
wobei ein anderer den Rekruten festhielt. Der Zeuge L. wurde im Laufe
seiner Befragung auf den Rücken gelegt, was die Schmerzen in
seinen Schultern verschlimmerte; dabei wurde er festgehalten.
Zusätzlich wurde sein Mund gewaltsam geöffnet, indem
der Angeklagte H. oder in dessen Beisein ein Hilfsausbilder mit der
Hand Druck auf den Unterkiefer ausübte. In den
geöffneten Mund wurde sodann mehrmals Wasser hineingepumpt, so
dass der Zeuge L. keine Luft mehr bekam. Schließlich wurde
ihm der Reißverschluss seiner Hose geöffnet, der
Schlauch hineingesteckt und Wasser in die Hose gepumpt. Der Angeklagte
H. verhöhnte ihn anschließend als
„Bettnässer“. Als der Zeuge L. daraufhin
seinerseits den Angeklagten H. beleidigte, bekam er, nachdem er gefragt
worden war, ob er sterben wolle, einen metallischen Gegenstand an den
Kopf gehalten und hörte einen Maschinengewehrverschluss
einrasten. Dadurch geriet er in Panik, weil er dachte, ein echtes
Maschinengewehr werde ihm an den Kopf gehalten, und er wusste, welche
Verletzungen auch Platzpatronen in solchen Waffen verursachen
können, wenn sie in unmittelbarer Nähe eines Menschen
abgefeuert werden. Es fielen sodann tatsächlich auch mehrere
Schüsse, wobei sich das Maschinengewehr aber in einiger
Entfernung befand.
Auch weiteren Rekruten wurde, während sie mit auf dem
Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen auf
dem Boden knieten oder lagen, Wasser in den Mund und/oder in die Nase
gepumpt. Teilweise wurde ihnen dabei der Mund gewaltsam
geöffnet oder die Nase zugehalten, damit sie den
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Mund öffneten. Einige Rekruten konnten dadurch nicht mehr
richtig atmen oder verschluckten sich. Einem dieser Rekruten wurde
zudem ebenfalls Wasser in die Hose gepumpt.
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f) Als der Angeklagte eine der Gruppen auf dem Pritschenwagen zur
Sandgrube begleitet hatte, hatte er gesehen, wie Rekruten - noch immer
gefesselt und mit verbundenen Augen - im Sand knieten oder auf ihren
Fersen hockten. Der Zeuge Sc. wurde von dem früheren
Mitangeklagten H. und dessen Hilfsausbildern mit der
Kübelspritze nass gemacht und ihm wurde Sand unter die
Kleidung geworfen. Anschließend wurde er von seinen Fesseln
befreit und musste zusammen mit einem Kameraden einen Baumstamm halten.
Da dieser zu schwer war, ließen sie ihn fallen, woraufhin
ihnen ein leichterer gegeben wurde, den sie vor dem Körper
halten mussten. Währenddessen befragte der Angeklagte, der in
der Sandgrube verblieben war, den Zeugen Sc. nach dem Kompaniechef. Als
dieser antwortete, er wisse das nicht, beschimpfte ihn der Angeklagte
als „Motherfucker“. Als der Zeuge Sc. den
Angeklagten daraufhin ebenfalls beleidigte und den Baumstamm fallen
ließ, fasste ihn der Angeklagte an den Haaren, zog seinen
Kopf nach hinten und sagte „Shoot him!“. Ob der
Angeklagte davor wusste, was mit den Rekruten in der Sandgrube im
Einzelnen geschah, konnte die Kammer nicht feststellen.
g) Das „Verhör“ einer Gruppe dauerte
jeweils etwa 30 Minuten. Danach wurden die Rekruten, soweit noch nicht
geschehen, von Kabelbindern und Augenbinden befreit, bevor sie den
Befehl erhielten, zur Kaserne zurück zu marschieren. Der Zeuge
L. konnte, weil seine Schultern aufgrund der Fesselung derart stark
schmerzten, nicht allein aufstehen, sondern musste von zwei
Hilfsausbildern unterstützt werden. Im Anschluss an die
Übung fand eine Nachbesprechung statt.
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5. Im dritten Quartal 2004 begannen etwa 160 Rekruten ihre Allgemeine
Grundausbildung in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld, die auf
drei Ausbildungszüge verteilt wurden. Zugführer waren
unter anderem die beiden Hauptfeldwebel D. und Ho. . Der Angeklagte war
als Gruppenführer im dritten Zug eingesetzt. Nach den
Planungen der Zugführer D. und Ho. sollten auch in diesem
Quartal Geiselnahmeübungen stattfinden - dieses Mal jedoch
für jeden Zug gesondert. Zunächst sollte der dritte,
von Hauptfeldwebel Ho. geführte Zug die Übung
absolvieren.
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a) Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Tag vor dem 24. August 2004
fand deshalb wiederum eine Ausbilderbesprechung statt, an der auch der
Angeklagte teilnahm. Dabei wurde erneut der grobe Ablauf der
Geiselnahmeübung erörtert. Die beiden
Zugführer D. und Ho. beabsichtigten, die Rekruten nach der
dienstplanmäßigen Schießübung des
dritten Zuges am 24. August 2004, die sich bis in den späten
Abend ziehen sollte, auf einen zuvor nicht angekündigten
nächtlichen Orientierungsmarsch zu schicken, bei dem sie zum
Schluss überfallen, entwaffnet und gefesselt werden sollten.
Anschließend sollten sie mit einem Fahrzeug zum
„Verhör“ gebracht werden, das dieses Mal
im Keller des Kasernenblocks 6, in dem der dritte Zug untergebracht
war, stattfinden sollte.
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Der Angeklagte sollte seine Gruppe auf dem Marsch begleiten, damit sich
die Gruppe nicht verläuft; er sollte also weder am
Überfall noch am Verhör teilnehmen. Ob bei dieser
Ausbilderbesprechung bereits Einzelheiten der Stationen
„Überfall“ und
„Verhör“ erörtert wurden, konnte
das Landgericht nicht feststellen. Allerdings wurde zu der Station
„Verhör“ gesagt, dass sich die
entsprechenden Ausbilder am Vorgehen in der Sandgrube orientieren
sollten.
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b) Nachdem die Rekruten des dritten Zuges am 24. August 2004 die
dienstplanmäßige Schießübung
absolviert hatten, kehrten sie gegen 0.00 Uhr zur Kaserne
zurück. Von dem Zugführer Ho. wurde ihnen mitgeteilt,
im Raum Coesfeld habe es terroristische Anschläge gegeben und
die Bahnstrecke müsse gesichert werden. Die geplante
Geiselnahme erwähnte er nicht. Allerdings erklärte er
den Rekruten, dass sie die Übung jederzeit durch Nennung des
Wortes „Tiffy“ beenden könnten. Nur wenige
der Rekruten verstanden dieses Wort als Synonym für
„Weichei“; für die meisten hatte es keine
spezielle Bedeutung. Die Rekruten wurden auf vier Gruppen aufgeteilt
und marschierten zeitlich versetzt begleitet von ihrem jeweiligen
Gruppenführer los.
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c) Währenddessen bereitete sich das
„Überfallkommando“ - wie bereits bei der
Übung im Juni 2004 - vor. Vor Ort wurden die daran Beteiligten
von den Zugführern D. und Ho. eingewiesen. Die Rekruten
sollten nach dem Überfall wiederum entwaffnet und gefesselt
werden. Außerdem sollte ihnen ein Wäschebeutel
über den Kopf gezogen werden. Beim Anlegen der Kabelbinder
sollte erneut darauf geachtet werden, dass sie nicht in die Haut
schnitten. Da sich der Angeklagte bei der Übung im zweiten
Quartal im Überfallkommando befunden hatte, wusste er in etwa,
was auf die Rekruten zukommen würde.
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In den frühen Morgenstunden des 25. August 2004 waren die
Rekruten, auch die Gruppe des Angeklagten, die er begeleitete, nach
einem etwa 20 Kilometer langen Marsch auf dem Rückweg zur
Kaserne. Als sie an den Überfallort gelangten, verwirrten die
Ausbilder die Rekruten durch den lauten Knall eines gezündeten
Bodensprengsimulators und kamen laut schreiend aus ihrer Deckung. Auch
hier waren die Rekruten aufgrund des langen Marsches und nach fast 24
Stunden Dienst zu erschöpft und auch zu überrascht,
um noch größeren Widerstand zu leisten. Nach einem
Schusswechsel leisteten die Re-
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kruten der Aufforderung, die Waffe abzulegen und sich hinzulegen,
Folge. Einige Rekruten wurden von den Ausbildern zu Boden
gedrückt oder gerissen. Als sich der Zeuge P. verteidigen
wollte, rammte ihm einer der Ausbilder die Schulterstütze
eines Gewehres in den Rücken.
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Nachdem die Rekruten entwaffnet worden waren, wurden ihnen die
Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt,
wobei größtenteils darauf geachtet wurde, dass sie
nicht zu stramm anlagen. Bei dem Zeugen Be. saßen sie aber so
eng, dass er Druckspuren auf der Haut davontrug. Der Zeuge La. erlitt
durch die Fesselung Schürfwunden und bei dem Zeugen P. , dem
zusätzlich auch die Füße gefesselt wurden,
schnitten die Kabelbinder in das Fleisch, so dass Abdrücke auf
der Haut zu sehen waren. Allen Rekruten wurde zudem ein
Wäschebeutel über den Kopf gezogen oder ihnen wurden
die Augen mit einem Dreiecktuch verbunden. Neben dem Kopf des Zeugen
La. wurde eine Pistole durchgeladen und ihm an die Schläfe
gehalten.
d) Anschließend wurden die Rekruten auf die
Ladefläche eines herangefahrenen Mercedes Sprinters gesetzt
und in das Fahrzeug hineingeschoben. Der Zeuge P. , der an
Händen und Füßen gefesselt war, wurde zum
Fahrzeug getragen und auf die Ladefläche gelegt. Auf der
folgenden Fahrt zur Kaserne fuhren zwei Ausbilder auf der
Ladefläche mit, um die Rekruten zu befragen und um
für Ruhe zu sorgen. Als der Zeuge P. , der mit seinem Bauch
auf dem Knie eines Kameraden lag und deshalb schlecht Luft bekam,
versuchte, sich aufzurichten, wurde er von einem der Ausbilder
niedergedrückt und geschlagen, wodurch er Schmerzen erlitt.
Der Zeuge N. wurde mit der Schulterstütze eines Gewehrs
angestoßen, was „nicht übertrieben weh
tat, aber auch nicht angenehm“ war. Dem Zeugen M. wurde, wenn
er eine Frage falsch
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beantwortet hatte, der Mündungsfeuerdämpfer eines
Gewehres in seine Oberschenkelregion gedrückt, was Schmerzen
verursachte.
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Auch der Angeklagte fuhr mit dem Sprinter zurück zur Kaserne.
Für die Kammer blieb jedoch offen, ob er sich dabei auf der
Ladefläche oder in dem abgetrennten Führerhaus befand.
e) Nach kurzer Fahrt in der Kaserne angekommen fuhr das Fahrzeug
rückwärts an eine auf dem Boden ausgelegte, etwa 40
cm dicke Hochsprungmatte heran. Zum „Abladen“
wurden die Rekruten bis an die Ladekante des Sprinters gezogen und sie
wurden dann entweder zum Springen aufgefordert oder hinunter
gestoßen. Dadurch sollte bei den Rekruten, die nichts sehen
konnten, Angst und Unsicherheit erzeugt werden. Daran beteiligte sich
auch der Angeklagte, indem er die Rekruten zum Springen aufforderte.
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f) Sodann wurden die Rekruten in den Keller des Kasernenblocks 6
gebracht. Die Rekruten sollten sich zunächst in einem
Kellerraum hinknien und wurden weiterhin befragt. Dann wurden sie
nacheinander in einen anderen Raum gebracht und dort weiter
verhört. Als der Zeuge P. als einziger im ersten Raum war und
versuchte die Tür zuzuschlagen, um sich zu befreien,
stieß ihn ein Ausbilder in eine Ecke, wo er mit dem Kopf
gegen die Wand prallte. Der Zeuge P. wurde anschließend in
einem anderen Raum auf einen Stuhl gesetzt und weiter befragt. Als er
weiterhin nicht antwortete, wurde er mit einem harten,
länglichen Gegenstand fest auf Arme, Beine und Rücken
geschlagen. Dies bereitete ihm Schmerzen. Nachfolgend wurde er in einen
anderen Raum gebracht, wo seine Kleidung mit Wasser durchnässt
wurde, während er weiterhin befragt wurde.
Schließlich wurde er in den Kellerflur hinausgebracht, wo er
36
- 19 -
sich hinknien musste. Dort blies ihm ein Ausbilder Rauch unter das
Dreiecktuch und es wurde ihm ein heißer Gegenstand an seinen
Nacken gedrückt.
37
Dem Zeugen La. wurde während der Befragung mit einer Lampe ins
Gesicht gestrahlt. Danach musste er sich in einem anderen Raum hinknien
und mit dem Kopf auf einem Waschbecken abstützen. Nachdem er
in dieser Stellung einige Zeit ausgeharrt hatte, wurde seine Feldbluse
aufgeknöpft und er wurde - ebenso wie drei weitere Rekruten -
mit Wasser nass gemacht. Der Zeuge Bä. musste sich hinknien
und seinen Kopf an die Wand anlehnen. In dieser Haltung wurde er dann
befragt. Gab er keine Antworten, bekam er einen Schlag auf den Helm.
Der Zeuge Be. wurde im Keller herum und gegen die gepolsterten
Wände geschubst. Auch dem Zeugen Ha. wurde Zigarettenrauch ins
Gesicht geblasen. Außerdem wurde er mit einem Eimer Wasser
übergossen und ihm der leere Eimer auf den Kopf gestellt,
wodurch er sich gedemütigt fühlte.
g) Nach etwa 30 bis 45 Minuten war die Übung für die
Gruppe des Angeklagten beendet. Die Rekruten wurden von den
Kabelbindern befreit und konnten auf ihre Stube gehen. Bei dem Zeugen
P. saßen die Kabelbinder allerdings so streng, dass sie
zunächst nicht gelöst werden konnten und erst von
einem Kameraden mit einem Messer durchtrennt werden mussten.
38
Für die Kammer ließ sich in der Beweisaufnahme nicht
klären, wo sich der Angeklagte während des gesamten
Verhörs seiner Gruppe im Keller aufhielt. Der Angeklagte hatte
zwar gesehen, wie der Zeuge Be. in einem Vernehmungsraum auf einem
Stuhl saß. Ob er auch mitbekommen hat, was im Keller mit den
anderen Rekruten geschehen war, konnte die Kammer nicht klären.
39
- 20 -
h) Auch die übrigen Gruppen des dritten Zuges wurden im Laufe
der Nacht überfallen, gefesselt und in dem Keller
verhört. Aufgrund der Beweisaufnahme steht für die
Kammer jedoch nicht fest, dass der Angeklagte daran beteiligt war.
40
41
Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte der
Zugführer Ho. den Rekruten des dritten Zuges, wie sie sich bei
einer Geiselnahme richtig zu verhalten hätten.
II.
Der Revision des Angeklagten bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in
seiner Antragsschrift vom 9. Oktober 2008 und in der
Revisionshauptverhandlung dargelegten Gründen der Erfolg
versagt, da eine Überprüfung des Urteils weder im
Schuld- noch im Strafausspruch einen den Angeklagten be-schwerenden
Rechtsfehler ergeben hat.
42
III.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Verurteilung des
Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in
Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung in
zwei tatmehrheitlichen Fällen erstrebt, hat Erfolg.
43
1. Das Landgericht hat den Angeklagten lediglich im Fall II.1 der
Urteilsgründe wegen der strengen Fesselung des Zeugen Sc. mit
den Kabelbindern einer Misshandlung nach § 30 Abs. 1 WStG
für schuldig befunden. Bezüglich der weiteren
Geschehnisse bei dieser Übung sowie im Hinblick auf den
44
- 21 -
Vorfall am 24./25. August 2004 hat es eine Strafbarkeit hingegen
verneint. Jedoch wird schon die Annahme der Kammer, dass sich der
Angeklagte im Fall II.1 der Urteilsgründe bezüglich
des Geschehens in der Sandgrube nicht strafbar gemacht habe, da er sich
das, was „später der frühere Mitangeklagte
H. in der Sandgrube mit den Rekruten angestellt hat“ (UA S.
42), nicht zurechnen lassen müsse, weil es keinen gemeinsamen
Tatplan gegeben habe, von den Urteilsfeststellungen nicht getragen und
ist rechtsfehlerhaft.
a) Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Mittäter begeht, ist
nach den gesamten Umständen des konkreten Falles in wertender
Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür
sind der Grad des eigenen Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung
sowie die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille hierzu, so dass
Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von
seinem Willen abhängen (st. Rspr. - vgl. nur BGHR StGB
§ 25 Abs. 2 Mittäter 13 m.w.N.). Zwar haftet jeder
Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen
seines - zumindest bedingten - Vorsatzes, ist also für den
Erfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm
ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt. Jedoch werden
Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den
Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen
des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders
vorgestellt hat. Ebenso ist er für jede
Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat
verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seiner Tatgenossen
gleichgültig ist (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2
Mittäter 32 m.w.N.). Dabei kann bei einem mehraktigen
Geschehen Täter auch derjenige sein, welcher nicht
sämtliche Akte selbst erfüllt. Es genügt,
wenn er auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die
Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet (vgl.
BGHR StGB § 25 Abs. 2 Willensübereinstimmung 3).
Diese Maßstäbe hat die Strafkammer ihrer rechtlichen
Beurteilung nicht hinreichend zu Grunde gelegt.
45
- 22 -
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts wusste der Angeklagte
aufgrund der vorangegangenen Ausbilderbesprechung, dass die unter
anderem von ihm ausgeführten Überfälle der
Ermöglichung der nachfolgenden Befragungen dienten, die
„etwa so wie in Hammelburg … ablaufen“
(vgl. UA S. 9) sollten. Diese Art und Weise der Durchführung
der Verhöre teilte der Zugführer D. ausweislich der
Urteilsgründe dem früheren Mitangeklagten H. bei
dieser Besprechung mit. Der Senat muss diese
Urteilsausführungen („in der Besprechung“)
dahin verstehen, dass dies für alle an der
Ausbilderbesprechung Beteiligten hörbar war. Die
Urteilsausführungen belegen zudem, dass sämtlichen
Beteiligten - insbesondere aufgrund ihrer eigenen Ausbildung bei der
Bundeswehr und wie das Fehlen einer Nachfrage zeigt - bewusst war, dass
das Verhör - wie auch bei den Geiselnahmeübungen im
Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ -
jeweils unter psychischen und physischen Belastungen erfolgen sollte,
um bei den Rekruten Stress zu erzeugen. Auch wenn - was das Landgericht
„aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme“ nicht zu
klären vermochte - weitere Einzelheiten dazu von den
Beteiligten nicht erörtert wurden und der Angeklagte nicht
wusste, was in der Sandgrube letztlich im Einzelnen geschah, liegt es
aufgrund der sonstigen Feststellungen nahe, dass es zu erheblichen
Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit
der Rekruten (dazu näher unten Ziffer III.4.b) kommen
würde. Hinzukommt, dass sich der Angeklagte selbst jedenfalls
zeitweilig in der Sandgrube aufhielt und sich aktiv an der Befragung
des Zeugen Sc. beteiligte. Hierbei ging er sogar soweit, dass er den
Rekruten, nachdem dieser einen Baumstamm, den er zusammen mit einem
Kameraden vor seinem Körper hätte halten sollen,
fallen gelassen hatte, beleidigte, an den Haaren fasste und seinen Kopf
nach hinten zog. Jedenfalls legen die gemeinsame Erörterung
der Geiselnahmeübung ohne weitere Nachfrage zu den
Einzelheiten im Zusammenhang mit der nachfolgenden aktiven Beteiligung
des Angeklagten an dieser Übung nahe, dass ihm die ge-
46
- 23 -
naue Vorgehensweise bei den Verhören in der Sandgrube
zumindest gleichgültig war.
47
Absprachegemäß hat der Angeklagte die
Verhöre und auch die damit einhergehenden erheblichen
Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit
der Rekruten dadurch ermöglicht, dass er diese gemeinsam mit
weiteren Ausbildern überfallen, entwaffnet, gefesselt und zur
Sandgrube verbracht hat. Dabei hatten sie bezüglich der
konkreten Ausgestaltung dieses Teils der Übung freie Hand. Die
Beiträge des „Überfallkommandos“
und derjenigen, die das Verhör durchführten,
ergänzten sich - dem Tatplan entsprechend - arbeitsteilig. Die
Feststellungen lassen keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte bei
seinem eigenen Handeln bei den Überfällen und bei der
Befragung des Zeugen Sc. in der Sandgrube - insbesondere aufgrund der
im Rahmen der Ausbildung ansonsten unüblichen nicht nur
kurzzeitigen Fesselung mit Kabelbindern, der teils gewaltsamen
Überwältigungen und der Behandlung des Zeugen Sc. -
die erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen
Wohlbefindens der Rekruten zumindest billigend in Kauf genommen hat.
Die in diesem Zusammenhang festgestellte körperliche
Misshandlung der Rekruten wäre dann von seinem Willen umfasst.
Die Vorgehensweise bei den Überfällen und der
Befragung durch den Angeklagten selbst und die damit
zusammenhängenden Beeinträchtigungen für die
Rekruten unterschieden sich nicht wesentlich von denjenigen bei den
Geschehnissen bei den übrigen Befragungen. Allein die
Steigerung der Intensität einzelner Handlungen bei den
Verhören - wie etwa dem Pumpen von Wasser in Mund und Nase bis
zur Atemnot - bewirkt nicht, dass die Geiselnahmeübung
insgesamt eine andere, von dem Angeklagten nicht mehr vorgestellte
Qualität der Beeinträchtigung der
körperlichen Unversehrtheit gehabt hätte.
Aufgetretene Exzesse sind lediglich im Rahmen des Schuldumfangs der
einzelnen Beteiligten von Bedeutung.
- 24 -
c) Der vom Landgericht vorgenommenen Differenzierung zwischen dem
Überfall einerseits und dem Verhör andererseits kann
daher nicht gefolgt werden. Das Überwältigen der
Rekruten ermöglichte erst das anschließende
Verhör und bildete einen unverzichtbaren Bestandteil der
insgesamt unzulässigen (dazu unten Ziffer III.4.c)
Geiselnahmeübung. Der an dieser Übung beteiligte
Angeklagte muss sich deshalb die Geschehnisse der gesamten
Übung zurechnen lassen, soweit sie von dem gemeinsam gefassten
Tatplan gedeckt sind und es sich nicht um einzelne Exzesse handelte.
Jedenfalls die von den Rekruten in der Sandgrube
auszuführenden Zwangshaltungen, Kniebeugen,
Liegestütze, das Haltenmüssen von
Baumstämmen und die Scheinerschießungen stimmen nach
den Urteilsfeststellungen nach Art und Intensität der
Beeinträchtigung mit den Vorgehensweisen bei den
zulässigen Geiselnahmeübungen, die unter anderem in
Hammelburg durchgeführt werden, überein, so dass dies
nahe liegend von dem gemeinsamen Tatplan umfasst und somit dem
Angeklagten zurechenbar war.
48
d) Unabhängig davon erfüllt entgegen der Auffassung
des Landgerichts bereits der Umstand, dass der Angeklagte im Rahmen der
Befragung des Zeugen Sc. in der Sandgrube dessen Kopf an den Haaren
nach hinten gezogen hat, nachdem dieser zuvor - wie der Angeklagte
mitbekommen hatte - in gefesseltem Zustand mit Wasser nass gemacht und
ihm Sand unter die Kleidung geworfen worden war, bevor er bis zur
Erschöpfung einen Baumstamm halten musste, den Tatbestand der
§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB,
§§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 WStG (zu § 31 WStG
vgl. unten Ziffer III.7). Insofern bedarf es auch keiner weiteren
Erörterung, dass diese Vorgehensweise selbstredend nicht von
der Anordnung einer vermeintlich rechtmäßigen
Übung gedeckt war.
49
- 25 -
2. Auch im Fall II.2 der Urteilsgründe nimmt die Kammer bei
der Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten wegen seiner
Beteiligung an der Geiselnahmeübung vom 25. August 2004
rechtsfehlerhaft eine Aufspaltung der Geschehnisse vor und bewertet
deren einzelne Abschnitte jeweils isoliert. Der Angeklagte leistete
auch in diesem Fall einen notwendigen Beitrag zur Durchführung
der Geiselnahmeübung, indem er seine Gruppe - offensichtlich
um Verspätungen wie beim ersten Mal zu vermeiden - zum
Überfallort und nach dem Überfall den Transport der
Rekruten begleitete sowie bei deren „Abladen“
tätig war. Dafür, dass dem Angeklagten zudem hier die
vom gemeinsamen Tatplan gedeckte Geiselnahmeübung schon
deshalb in ihrer Gesamtheit zurechenbar ist, soweit nicht einzelne
Exzesse vorlagen, spricht, dass er die vorangegangenen
Vorgänge in der Sandgrube teilweise miterlebt hatte und daher
nahe liegend wissen musste, was die Rekruten zu erwarten hatten.
50
Der Senat kann daher offen lassen, ob der
„Abladevorgang“, durch den ein Gefühl von
Angst und Unsicherheit bei den Rekruten erzeugt werden sollte,
für sich genommen eine nicht nur unerhebliche
Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit
darstellt.
51
3. Nicht frei von Rechtsfehlern sind auch die Ausführungen der
Kammer, wonach sie im Fall II.1 der Urteilsgründe im Hinblick
auf das Geschehen bei den Überfällen „nach
dem Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten nur von dem
ausgehen“ könne, „was den Rekruten im
Regelfall passiert“ sei „und woran der Angeklagte
auch nach seiner eigenen Einlassung beteiligt war“ (UA S.
44). Auch insofern sind die Grundsätze der
mittäterschaftlichen Begehungsweise unzulänglich
angewendet.
52
- 26 -
Wie bereits dargelegt, haftet jeder Mittäter im Rahmen seines
- zumindest bedingten - Vorsatzes für das Handeln der anderen.
Dabei werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach
den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom
Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sie sich nicht
besonders vorgestellt hat. So verhält es sich hier.
Vereinbarungsgemäß
„überfiel“, entwaffnete und fesselte der
Angeklagte gemeinsam mit weiteren Ausbildern die unvorbereiteten
Rekruten. Bei einem - schon aufgrund der nicht vorhersehbaren
Reaktionen der Soldaten - derart unkontrollierbaren Geschehen liegt es
gleichfalls nahe, dass die Beteiligten - entgegen der Auffassung des
Landgerichts, das insofern von „Ausnahmen“ ausgeht
(UA S. 43) - selbstverständlich damit rechneten, dass sich
Soldaten zur Wehr setzen und es zu tätlichen, auch
schmerzhaften Auseinandersetzungen - wie etwa mit dem Zeugen L. -
kommt. In diesem Fall hätte der Angeklagte nach den
Feststellungen insofern jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt und
müsste sich damit diese Geschehnisse zurechnen lassen. Dabei
kommt es nicht darauf an, dass er selbst an der konkreten
Auseinandersetzung mit dem einzelnen, betroffenen Rekruten nicht
beteiligt war.
53
4. Die Beteiligung des Angeklagten an der gegenständlichen
Geiselnahmeübung in den Fällen II.1 und 2 der
Urteilsgründe stellt entgegen der Ansicht des Landgerichts
jeweils eine körperliche Misshandlung i.S.d. § 30
Abs. 1 WStG, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB
dar. Der Begriff der Misshandlung des § 30 WStG setzt ebenso
wie der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB eine üble
und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten
voraus, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als
bloß unerheblich beeinträchtigt (BGHSt 14, 269,
271). Die Beurteilung der Erheblichkeit bestimmt sich dabei nach der
Sicht eines objektiven Betrachters - nicht nach dem subjektiven
Empfinden des Betroffenen - und richtet sich insbesondere nach Dauer
und Intensi-
54
- 27 -
tät der störenden Beeinträchtigung (vgl.
Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. §
223 Rdn. 4a m.w.N.).
55
a) An diesen Maßstäben gemessen stellen - wovon auch
die Kammer im Ansatz zutreffend ausgeht (vgl. UA S. 44) - bereits das
Überfallen und Überwältigen der Rekruten,
ihre Fesselung mit Kabelbindern - erst recht die Fesselung an
Händen und Füßen in einem Fall -
über einen erheblichen Zeitraum, das Verbinden ihrer Augen,
ihr Verladen auf die Ladefläche eines Tranporters und der
anschließende unzulässige Transport, bei dem die
nach wie vor gefesselten Soldaten mit verbundenen Augen teils
übereinander lagen und in keiner Weise während der
Fahrt gesichert waren, sowie die hierbei teilweise verabreichten
Schläge jeweils für sich genommen eine erhebliche
Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens dar.
Dies gilt umso mehr, als die Rekruten nach rund 24 Stunden Dienst und
dem mehrstündigen Orientierungsmarsch mit ihrem gesamten
Marschgepäck und ihrem Gewehr zumeist ohnehin
erschöpft waren.
b) Zudem beeinträchtigte die Geiselnahmeübung in
ihrer Gesamtheit - sprich die Überfälle und die sich
anschließenden Verhöre der Rekruten -, worauf
maßgeblich abzustellen ist (vgl. oben Ziffer III.1.c), das
körperliche Wohlbefinden der Rekruten mehr als bloß
unerheblich. Die Rekruten wurden dieser
„Behandlung“ über einen Zeitraum von
jedenfalls 30 Minuten unterzogen. Zum Teil waren sie während
der gesamten Zeit mit den Kabelbindern gefesselt. Teilweise mussten sie
zusätzlich über erhebliche Zeiträume in
anstrengenden Zwangspositionen (etwa mit weit vorgebeugtem
Oberkörper einem Kameraden gegenüber kniend)
verharren (vgl. zur körperlichen Misshandlung durch
Zwangshaltungen bereits RMG 3, 119, 121) oder kräftezehrende
Übungen (Liegestütze, Kniebeugen, Halten von
Baumstämmen) absolvieren, obwohl sie - wie dargestellt -
überwiegend aufgrund der vorangegangenen körperlichen
56
- 28 -
Anstrengungen sowieso bereits am Ende ihrer körperlichen
Möglichkeiten waren und damit die auferlegten Aufgaben und die
übrige Behandlung als bloße Quälerei
empfinden mussten.
57
c) Die Geiselnahmeübung ist auch eine üble und
unangemessene Einwirkung auf den Körper der betroffenen
Rekruten, da sie offensichtlich den geltenden Dienstvorschriften
zuwiderlief und es an einem rechtmäßigen Befehl
fehlte.
aa) Ob eine üble, unangemessene, sozialwidrige Behandlung
gegeben ist, entscheidet sich nach dem Wesen des militärischen
Dienstes, der seiner Natur nach hohe körperliche Anforderungen
an den Soldaten stellt. Mutet ein Vorgesetzter im Rahmen seiner
allgemeinen Befugnisse und zu Zwecken der Ausbildung einem Soldaten
besondere Anstrengungen zu und verstößt er dabei
nicht offensichtlich gegen gesetzliche Bestimmungen,
rechtmäßige Dienstvorschriften und Befehle, so fehlt
es an einer Misshandlung (BGHSt 14, 269, 271).
58
Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller
staatlichen Gewalt. Dies gilt auch für die
Gewährleistung des Grundrechts auf körperliche
Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese
Gebote bilden die Grundlage der Wehrverfassung der Bundesrepublik
Deutschland (vgl. § 10 Abs. 4 SG) und bedürfen im
militärischen Bereich besonderer Beachtung. Nach der
eindeutigen Regelung des § 6 Satz 1 SG hat der Soldat die
gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere
Staatsbürger. Gemäß § 6 Satz 2 SG
werden die grundrechtlichen Garantien lediglich im Rahmen der
Erfordernisse des militärischen Dienstes durch seine
gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt. Die
körperliche Integrität der Untergebenen innerhalb der
Bundeswehr genießt einen hohen Stellen-
59
- 29 -
wert. Es gilt der Grundsatz, dass ein Vorgesetzter seine Untergebenen
niemals anfassen darf, außer es steht zur unmittelbaren
Durchsetzung eines rechtmäßigen Befehls kein anderes
Mittel zur Verfügung (vgl. BVerwG NVwZ-RR 1999, 321, 322
m.w.N.).
60
bb) Vorliegend stellt die Durchführung der
Geiselnahmeübungen jeweils einen klaren Verstoß
gegen die geltenden Vorschriften der Bundeswehr und die Grundrechte der
betroffenen Rekruten dar. Eine praktische Übung
„Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ ist und
war auch zur Tatzeit nach den geltenden Ausbildungsregeln der
Bundeswehr für die dreimonatige Grundausbildung der Rekruten
nicht vorgesehen und damit mangels gesetzlicher
Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig. Eine derartige
Übung kam ausschließlich im Rahmen der
„Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ für
diejenigen Soldaten auf Zeit, freiwillig länger Dienende oder
Berufssoldaten, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen hatten und
vor einem Auslandseinsatz standen, in Betracht. Selbst diese
Spezialübung darf ausschließlich an drei besonderen
Bundeswehrstandorten durchgeführt werden.
Vorschriftsgemäß hat dem praktischen Teil eine
Unterrichtseinheit mit psychologischer Betreuung vorauszugehen. Eine
tätliche Konfrontation mit den Soldaten oder gar eine
Fesselung findet nicht statt. Zudem können die Soldaten die
Übung, auf die sie vorbereitet worden sind, durch ein
Handzeichen jederzeit beenden.
Obgleich unzulässig, wurden aber nicht einmal diese Standards
für die Durchführung derartiger
Spezialübungen beachtet. Eine vorbereitende Unterrichtseinheit
fand nicht statt. Die ohnehin zumeist erschöpften Rekruten
wurden nach rund 24-stündigem Dienst und einem
kräftezehrenden nächtlichen Orientierungsmarsch
außergewöhnlichen, bei solchen
Spezialübungen nicht zulässigen zusätzlichen
physischen Belastungen (etwa in Form des gewaltsamen
61
- 30 -
Überwältigens mit tätlichen
Auseinandersetzungen, der Fesselung oder des ungesicherten Transports
auf einem Transporter), aber auch psychischen Belastungen ausgesetzt
und damit in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit
verletzt. Dies verstieß evident gegen gesetzliche
Bestimmungen, Dienstvorschriften und Befehle, § 10 Abs. 4 SG.
5. Rechtsfehlerhaft ist aber auch die Annahme des Landgerichts, der
Angeklagte hätte sich in einem den Vorsatz
ausschließenden Tatbestandsirrtum gemäß
§ 16 Abs. 1 StGB befunden, weil er von der
Rechtmäßigkeit der Übung ausgegangen sei.
Denn der Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr, sein Verhalten
sei durch gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften oder einen
rechtmäßigen Befehl gerechtfertigt,
unterfällt dem besonderen Schuldausschließungsgrund
des § 5 Abs. 1 WStG.
62
a) § 11 Abs. 2 Satz 1 SG verbietet den Gehorsam
gegenüber einem Befehl, wenn der Untergebene dadurch eine
Straftat begeht. Ein solcher strafrechtswidriger Befehl ist
unverbindlich (vgl. BGHSt 19, 231, 232; Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg.
§ 5 WStG Rdn. 2). Ein Befehl, dem die Verbindlichkeit fehlt,
kommt lediglich als Entschuldigungsgrund in Betracht. Der Untergebene,
der eine strafrechtswidrige Weisung ausführt, handelt
tatbestandsmäßig und rechtswidrig, selbst wenn er an
die Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der Anordnung
glaubt (vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts - AT 5. Aufl.
§ 46 I.2 m.w.N.). Gemäß § 11 Abs.
2 Satz 2 SG und § 5 Abs. 1 WStG trifft einen Untergebenen, der
auf Befehl eine rechtswidrige Tat begeht, die den Tatbestand eines
Strafgesetzes verwirklicht, eine Schuld aber nur dann, wenn er erkennt,
dass es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, oder dies nach den ihm
bekannten Umständen offensichtlich ist (vgl. BGHSt 19, 231,
232).
63
- 31 -
b) Erkennen verlangt hierbei positive Kenntnis, sicheres Wissen (vgl.
BGHSt 22, 223, 225 zu § 47 MStGB). Erkennt der Untergebene die
Strafrechtswidrigkeit des Befehls nicht, beurteilt er sie unzutreffend
oder hat er insoweit Zweifel, so handelt er nur dann schuldhaft, wenn
die Strafrechtswidrigkeit nach den ihm bekannten Umständen
offensichtlich ist. § 17 StGB ist im Rahmen des § 5
WStG angesichts der ausdrücklichen Regelung der
militärischen Befehlsverhältnisse nicht anwendbar
(BGHSt 5, 239, 244; 22, 223, 225 zu § 47 MStGB).
64
Der Begriff „offensichtlich“ ist objektiv zu
verstehen. Er umfasst das, was jedermann ohne weiteres Nachdenken
erkennt, was jenseits aller Zweifel liegt (vgl. BGHR WStG § 5
Abs. 1 Schuld 2). Abzustellen ist damit auf die
Erkenntnisfähigkeit eines gewissenhaften, pflichtbewussten
Durchschnittssoldaten. Beurteilungsgrundlage für diesen sind
allerdings die dem Täter subjektiv bekannten Umstände
- und zwar nicht nur die allgemeinen Tatumstände, sondern alle
für die Beurteilung des Sachverhalts bedeutsamen
Umstände - wie etwa die Kenntnis von vorangegangenen
Ereignissen, von Befehlen, Belehrungen, Dienstvorschriften und
dergleichen (Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl.
§ 5 Rdn. 13; Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 5 WStG
Rdn. 10). Auch wenn einem Untergebenen regelmäßig
keine Sachverhaltsprüfungspflicht obliegt (vgl. BGHR WStG
§ 5 Abs. 1 Schuld 2) und er grundsätzlich zu
unverzüglichem Gehorsam verpflichtet ist, so muss er dennoch
Gegenvorstellung erheben oder den Gehorsam verweigern, wenn er aufgrund
der ihm bekannten Umstände der Überzeugung ist oder
er ohne den berechtigten Vorwurf der Rechtsblindheit die
Überzeugung haben müsste, dass der Befehl
strafrechtswidrig ist (vgl. Stauf in Nomos - Erläuterungen zum
Deutschen Bundesrecht § 5 WStG; BGHSt 19, 231, 233).
65
- 32 -
c) Dies hat das Landgericht nicht in ausreichendem Maße
bedacht. Sollte sich das nun zur Entscheidung berufene Tatgericht
aufgrund der neu durchzuführenden Beweisaufnahme die
Überzeugung davon verschaffen können, dass der
Angeklagte die zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltende AnTrA1 und/oder das
Schreiben des Heeresführerkommandos vom 26. Februar 2004
beziehungsweise den „Befehl 38/10“ vom 12. April
2004 gekannt oder aufgrund anderer Umstände um die
Unzulässigkeit einer Übung
„Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ in der
„Allgemeinen Grundausbildung“ gewusst hat,
wofür die Diskussion über die Frage der Genehmigung
durch den Kompaniechef spricht, so ist er - unabhängig von
seinen persönlichen Beiträgen - insgesamt
für seine Beteiligung an den beiden Übungen
strafrechtlich verantwortlich.
66
Im Übrigen legen bereits die bisherigen Feststellungen -
insbesondere die Diskussion unter den Ausbildern über eine
Änderung der AnTrA1 in Bezug auf eine künftige
Zulässigkeit von Geiselnahmeübungen in der
Grundausbildung - den Schluss nahe, dass die Strafrechtswidrigkeit der
Übung und der diesbezüglichen
„Genehmigung“ des Kompaniechefs für die
Beteiligten jedenfalls offensichtlich im Sinne des § 5 Abs. 1
WStG war. Dies gilt umso mehr, als Art und Weise der
Durchführung der Übung von den bei der
„Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ geltenden
Standards abwichen, was die Beteiligten aufgrund ihrer eigenen
Ausbildung wussten. Für diesen Fall hätte der
Angeklagte den strafrechtswidrigen, unverbindlichen Befehl nicht
ausführen dürfen.
67
6. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung einer etwaigen
Fehlvorstellung hält die Beweiswürdigung des
Landgerichts hinsichtlich der subjektiven Tatseite sachlichrechtlicher
Prüfung nicht stand. Zum einen legt die Strafkammer eine
entlastende Einlassung des Angeklagten, für deren Richtigkeit
oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen
ohne weiteres als
68
- 33 -
unwiderlegbar zugrunde. Zum anderen ist die Beweiswürdigung
des Landgerichts insofern lückenhaft und
widersprüchlich.
69
a) Die Feststellung der Strafkammer, der Angeklagte sei jeweils von
einem im Rahmen der militärischen Ausbildung sozial
adäquaten Tun und von keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen
Ausbildung ausgegangen, beruht auf dessen Einlassung, die die Kammer,
ohne dass es dafür tatsächliche, objektive
Anhaltspunkte gegeben hätte, als unwiderlegt angesehen hat. Da
an die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten aber die gleichen
Anforderungen zu stellen sind wie an die Beurteilung von Beweismitteln,
darf der Tatrichter diese seiner Entscheidung nur dann zu Grunde legen,
wenn er in seine Überzeugungsbildung auch die Beweisergebnisse
einbezogen hat, die gegen die Richtigkeit der Einlassung sprechen
können (vgl. BGH NJW 2006, 522, 527 - insofern nicht
abgedruckt in BGHSt 50, 331 ff.). Dies hat die Kammer nicht getan.
b) Sie hat zwar die zu Gunsten des Angeklagten sprechenden
Umstände wie die Anordnung der Übung durch die
Zugführer sowie deren Mitteilung über die Genehmigung
durch den Kompaniechef, den früheren Mitangeklagten S. ,
berücksichtigt. Belastende Indizien, die jedenfalls in ihrer
Gesamtheit Zweifel an einem Irrtum aufkommen lassen und darauf
hindeuten, dass dem Angeklagten - ebenso wie den übrigen
Beteiligten an dieser Übung - der Verstoß gegen die
geltenden, ihm bekannten Ausbildungsvorschriften der Bundeswehr bewusst
und ihm daher die Rechtmäßigkeit seines Handelns
zumindest gleichgültig war, hat sie aber nicht erkennbar in
die Beweiswürdigung eingestellt.
70
aa) So setzt sich die Strafkammer nicht mit der Tatsache auseinander,
dass der Angeklagte als Hilfsausbilder eine zusätzliche,
weitergehende Ausbil-
71
- 34 -
dung erhalten hatte und ihm in diesem Zusammenhang die Ausbildungsziele
und die Bestandteile der „Allgemeinen
Grundausbildung“ von Rekruten bekannt gemacht sein mussten.
72
bb) Das Landgericht geht außerdem nicht auf die sich
aufdrängende Frage nach dem Grund für die Mitteilung
der beiden Zugführer D. und Ho. bei der Ausbilderbesprechung
über die „Absegnung“ der Übung
durch den Kompaniechef ein. Dies könnte dafür
sprechen, dass die Rechtmäßigkeit des Vorhabens
Gegenstand der Diskussion war; wenn es hierfür eine allgemein
gültige Dienstanweisung gegeben hätte, wäre
diese Frage kaum aufgetaucht, sondern einfach hierauf verwiesen worden.
cc) Unerwähnt lässt die Kammer zudem Folgendes: Nach
den Urteilsfeststellungen war es „in der Bundeswehr
vorgekommen, dass auch außerhalb (der) drei benannten
Ausbildungszentren eine Ausbildung
„Geiselnahme/Geiselhaft“ durchgeführt
worden war, die nicht der Ausbildung in den Ausbildungszentren der
Bundeswehr entsprach und die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer
Traumatisierung geführt hatte“. Deshalb war in einem
entsprechenden Schreiben des Heeresführerkommandos sowie in
dem „Befehl 38/10“ auf die Unzulässigkeit
derartiger Übungen in der „Allgemeinen
Grundausbildung“ und außerhalb der vorgesehenen
Ausbildungszentren hingewiesen worden (UA S. 7/8). Angesichts dessen
erscheint es auch im Hinblick auf die Gespräche der Ausbilder
über eine künftige Änderung der AnTrA1 eher
abwegig, dass gerade darüber innerhalb der Kompanie des
Angeklagten nicht gesprochen wurde beziehungsweise dies
unerwähnt blieb.
73
dd) Letztlich gibt die Kammer auch nicht zu erkennen, worauf sie ihre
Auffassung stützt, dass nicht festzustellen war, dass der
Angeklagte das
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- 35 -
Schreiben des Heeresführungskommandos vom 26. Februar 2004
beziehungsweise den „Befehl 38/10“ vom 12. April
2004 kannte. Soweit das Tatgericht lediglich darauf verweist, dass
selbst der ehemalige Mitangeklagte Hauptmann S. erklärt habe,
dass ihm - obwohl Kompaniechef - beide Schreiben nicht bekannt gewesen
seien, genügt dies nicht. Die Kammer hat sich mit der
Glaubhaftigkeit dieser Einlassung nicht auseinandergesetzt, obwohl sich
die Frage aufdrängen musste, ob dieser frühere
Mitangeklagte nicht ein gewisses Eigeninteresse verfolgt.
Unberücksichtigt gelassen wird auch die in Behörden
und staatlichen Einrichtungen übliche Bekanntmachung derart
wichtiger Anweisungen - regelmäßig durch
unterschriftliche Bestätigung der einzelnen Empfänger
oder Protokollierung der Bekanntgabe unter Mitteilung der hierbei
anwesenden Soldaten. Gerade deshalb erscheint es eher fern liegend und
mit einem ordnungsgemäßen Verwaltungsablauf
unvereinbar, dass beide Schriftstücke in dieser
Ausbildungseinheit praktisch nicht zur Kenntnis gelangt sein sollen.
ee) Im Hinblick auf die Geiselnahmeübung vom 24./25. August
2004 findet außerdem keine Erwähnung, dass nach
Durchführung der ersten Übung, an der der Angeklagte
ebenfalls beteiligt war, eine - nicht näher geschilderte -
Nachbesprechung stattgefunden hatte und das Geschehen fotografisch
dokumentiert worden war. Hier wäre zu erwarten gewesen, dass
diejenigen Beteiligten, deren Vorstellung vom Übungsablauf die
tatsächliche Durchführung widersprach, Verwunderung
oder Ablehnung im Hinblick auf die erfolgte Behandlung der Rekruten
äußerten und sich von diesem Geschehen
distanzierten. Jedenfalls liegt es aufgrund dieser Nachbesprechung
nahe, dass der Angeklagte zumindest bei seiner Teilnahme an der zweiten
Übung sehr wohl wusste, was mit den Rekruten im Einzelnen
geschehen wird. Dann musste sich ihm auch mindestens
aufdrängen, dass sich jedenfalls einzelne Vorgänge
(etwa die Behandlung des Zeugen L. ) nicht im Rahmen einer
zulässigen Übung zu
75
- 36 -
Ausbildungszwecken bewegten. Nachdem die zweite Übung - wie
dem Angeklagten bekannt war - vergleichbar ablaufen und sich
insbesondere das Verhör am Vorgehen in der Sandgrube
orientieren sollte, spricht wenig dafür, dass der Angeklagte
jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch von einer insgesamt
zulässigen Übung ausgehen konnte.
Dies alles hat das Landgericht nicht erkennbar in seine
Beweiswürdigung eingestellt.
76
c) Zudem weist die Beweiswürdigung einen Widerspruch auf. Das
Landgericht führt aus, auch der Umstand, dass eine derartige
Übung bisher nicht durchgeführt worden war, habe dem
Angeklagten keinen Grund für weitere Nachfragen geboten. Denn
ihm könne nicht widerlegt werden, dass „seinerzeit
… in den Kreisen der Ausbilder bereits davon die Rede war,
dass die AnTrA1 den geänderten Verhältnissen
… angepasst werden sollte. Auch in der Allgemeinen
Grundausbildung wären also geänderte
Ausbildungsinhalte zu erwarten gewesen“ (UA S. 45). Die
Kammer geht damit davon aus, dass die Ausbilder und auch der Angeklagte
über eine erst in der Zukunft erfolgende Änderung der
Ausbildungsregeln diskutiert haben. Dann drängt es sich aber
gerade auf, dass die Beteiligten - insbesondere auch vor dem
Hintergrund, dass die AnTrA1 nach den Urteilsfeststellungen im Intranet
der Bundeswehr abrufbar und damit für sie ohne weiteres
zugänglich war und zudem bereits entsprechende Schulungen
für die Ausbilder stattfanden - sehr wohl wussten, dass zum
Tatzeitpunkt eine Änderung gerade noch nicht erfolgt und die
praktische Geiselnahmeübung daher nach wie vor nicht
zulässig war. Denn wenn einerseits über eine erst
zukünftige Änderung der Ausbildungsregeln diskutiert
wurde, konnte schwerlich angenommen werden, die damals geltenden Regeln
seien bereits ohne Geltung gewesen. Wieso demnach eine vermutete
bevorstehende Veränderung der
77
- 37 -
Rechtslage einen Grund dafür bieten sollte, Nachfragen im
Hinblick auf die Zulässigkeit der Übung bereits im
Vorfeld zu unterlassen, erschließt sich nicht.
78
d) Unter diesen Umständen war das Tatgericht nicht gehalten,
auch entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren
Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den
Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde zu
legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung
vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses zu
entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine
Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34;
BGH NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07). Die
vom Landgericht als unwiderlegbar hingenommene Einlassung, die
Angeklagten seien von keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen
Ausbildung ausgegangen, stellt sich unter Berücksichtigung der
zuvor dargelegten Gesichtspunkte als eine eher denktheoretische
Möglichkeit dar, die beweiskräftiger
Anknüpfungspunkte entbehrt. Es ist weder im Hinblick auf den
Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten
Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine
zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom
8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35,
36; NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07).
7. Schließlich hält die Auffassung des Landgerichts,
der Überfall, das Verbinden der Augen, die Fesselung und das
Verladen der Rekruten auf einen Transporter stellten keine
entwürdigende Behandlung nach § 31 Abs. 1 WStG dar,
sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
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a) Entwürdigende Behandlung ist jedes Verhalten eines
Vorgesetzten gegenüber einem Untergebenen, das dessen Stellung
als freie Persönlichkeit
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- 38 -
nicht unerheblich in Frage stellt, das die Achtung nicht unerheblich
beeinträchtigt, auf die der Untergebene allgemein als Mensch
in der sozialen Gesellschaft und im besonderen als Soldat innerhalb der
soldatischen Gemeinschaft Anspruch hat. Der Untergebene darf keiner
Behandlung ausgesetzt werden, die ihn zum bloßen Objekt
degradiert und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage
stellt (BayObLG NJW 1970, 769, 770; Schölz/Lingens,
Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 3; Stauf in Nomos -
Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht § 31 WStG
jeweils m.w.N.). Ob eine entwürdigende Behandlung vorliegt,
beurteilt sich, wenn die Handlung nicht bereits wegen ihres absolut
entwürdigenden Charakters unter § 31 Abs. 1 WStG
fällt, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller
Tatumstände (BayObLG NJW 1970, 769, 770; Dau in Erbs/Kohlhaas
172. Lfg. § 31 WStG Rdn. 3; Schölz/Lingens,
Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 4).
b) Daran gemessen unterfällt jedenfalls die
Geiselnahmeübung in ihrer Gesamtheit dem Tatbestand des
§ 31 Abs. 1 WStG. Insbesondere die Fesselung der Rekruten
(vgl. dazu Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. §
31 Rdn. 5), das Verbinden ihrer Augen, das Verladen der Rekruten
„wie Ware“ auf die Ladefläche eines
Pritschenwagens, die auf den Helm verabreichten Schläge, um
für Ruhe zu sorgen, das Hinknienlassen sowie die
schikanösen Zwangshaltungen und Ausdauerübungen, die
den nach fast 24stündigem Dienst und einem anstrengenden
Nachtmarsch ohnehin zumeist erschöpften Rekruten befohlen
wurden, schließlich die angedrohten (teils mit angesetzter
Waffe) und vorgetäuschten Erschießungen (vgl. dazu
Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg. § 31 WStG Rdn. 4 m.w.N.)
stellen ebenso entwürdigende Behandlungen dar, welche
zumindest bei einem Soldaten auch zu einer nahezu panischen Angst
führten, wie die Vorgehensweise, die der Angeklagte dem Zeugen
Sc. angedeihen ließ. Dies alles erniedrigte die Rekruten zum
bloßen Objekt.
81
- 39 -
IV.
82
Die Sache bedarf daher der erneuten Verhandlung und Entscheidung. Die
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum
äußeren Tatgeschehen können
aufrechterhalten bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in
Widerspruch stehende Feststellungen sind zulässig.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den
Kostenausspruch des angefochtenen Urteils ist durch die insoweit
erfolgte Urteilsaufhebung gegenstandslos (vgl. BGH StV 2006, 687, 688).
83
V.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes
hin:
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1. Selbst wenn das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der
Feststellung gelangen sollte, die betroffenen Rekruten hätten
ausdrücklich oder konkludent in die gegenständliche
unzulässige Geiselnahmeübung eingewilligt, so
hätte dies keine rechtfertigende Wirkung. §§
30, 31 WStG schützen nicht allein das Rechtsgut der
körperlichen Unversehrtheit beziehungsweise der Würde
des Untergebenen, sondern auch die Disziplin und Ordnung in der
Bundeswehr. Die ehr- und körperverletzende Behandlung durch
Vorgesetzte stellt einen Verstoß gegen die in Art. 1 Abs. 1
Satz 2 GG normierte Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zum Schutze
der Menschenwürde und der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG
gewährleisteten körperlichen Unversehrtheit dar. Von
dieser Verpflichtung kann der für den Staat handelnde
Amtsträger oder Bedienstete durch das subjektive
Einverständnis des Individualgrundrechtsträgers nicht
frei-
85
- 40 -
gestellt werden (vgl. BVerwG NJW 2001, 2343, 2344; Dau in Erbs/Kohlhaas
172. Lfg. § 30 WStG Rdn. 10 m.w.N.).
86
2. § 30 WStG kann mit § 224 StGB in Tateinheit
(§ 52 StGB) stehen. § 30 WStG geht nur § 223
StGB vor, enthält aber keine alle
Körperverletzungsdelikte ausschließende
Sonderregelung. Dies folgt schon daraus, dass das allgemeine Strafrecht
gerade in den schwereren Fällen der Untergebenenmisshandlung
nicht durch das WStG gemildert werden darf (vgl. BGH NJW 1970, 1332 zu
§ 226 StGB aF; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4.
Aufl. § 30 Rdn. 28; a.A. Dau in Erbs/Kohlhaas 172. Lfg.
§ 30 WStG Rdn. 18; Arndt, Grundriß des
Wehrstrafrechts 2. Aufl. S. 218).
3. Sollte das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der
Auffassung gelangen, eine Strafbarkeit gemäß
§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB,
§§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 WStG liege nicht vor, so wird
es aufgrund der Fesselung der Rekruten für teilweise mehr als
30 Minuten - erst recht aufgrund der Fesselung an Händen und
Füßen -, deren Verbringens mit verbundenen Augen auf
die Ladefläche des Pritschenwagens und deren begleiteten
Abtransports
87
- 41 -
den Straftatbestand der Freiheitsberaubung gemäß
§ 239 Abs. 1 StGB, zumindest aber den Tatbestand der
Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB in den Blick zu
nehmen haben.
Nack Wahl Elf
Graf Sander |