BGH,
Urt. v. 14.3.2001 - 3 StR 446/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 446/00
vom
14. März 2001
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14.
März 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Kutzer, die Richter am Bundesgerichtshof Winkler,
Pfister, von Lienen, Becker als beisitzende Richter, Oberstaatsanwalt
beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Hannover vom 20. Juni 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags wegen
Notwehr freigesprochen. Mit ihrer auf die Verletzung des § 264
StPO gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft
nicht gegen den Freispruch, sondern beanstandet, daß die
angeklagte Tat nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des
bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
gemäß § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG
geprüft worden ist. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Anklage vom 27. Januar 2000 legt dem Angeklagten zur Last, mit
bedingtem Vorsatz P. erschossen zu haben, wobei im wesentlichen
Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt wird, daß er mit ihm in
der Tatwohnung zusammengetroffen war, um ein
Betäubungsmittelgeschäft abzuwickeln.
2. Nach den Feststellungen traf sich der Angeklagte am 31. Dezember
1999 mit P. in der Wohnung, um 200 Gramm Kokain zu kaufen. Dabei
führte er zur Bezahlung des Rauschgifts Bargeld in
Höhe von 20.000 DM und eine geladene Pistole, die er zu seinem
Schutz bei der Abwicklung von
Betäubungsmittelgeschäften erworben hatte, mit sich.
Nachdem P. das Geld gezählt und dem Angeklagten
zurückgegeben hatte, versetzte er dem Angeklagten unvermittelt
von hinten einen Schlag in das Genick und an-
schließend einen weiteren Schlag in das Gesicht, so
daß dieser zu Boden fiel und auf dem Rücken zum
Liegen kam. Als P. sich zu dem Angeklagten hinbeugte, um auf ihn
einzudringen, ging der Angeklagte davon aus, daß P. ihn
weiter zusammenschlagen, das Bargeld entwenden sowie ihm die Waffe
entreißen und mit dieser auf ihn schießen werde.
Deshalb gab er in Verteidigungsabsicht einen Schuß in
Richtung des P. ab, durch den dieser tödlich verletzt wurde.
3. Die Revision rügt zu Recht einen Verstoß gegen
§ 264 StPO.
a) Die Tat im verfahrensrechtlichen Sinne, die gemäß
§ 264 StPO Gegenstand der Urteilsfindung ist, umfaßt
den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang,
innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht
haben soll. Zu ihr gehört nicht nur der in der Anklage dem
Angeklagten zur Last gelegte Geschehensablauf, sondern darüber
hinaus dessen gesamtes Verhalten, soweit es mit dem durch die Anklage
umschriebenen geschichtlichen Vorkommnis bei natürlicher
Betrachtung einen einheitlichen Vorgang bildet (vgl. BGHSt 32, 215, 216
m.w.Nachw.; BGHR StPO § 264 I Tatidentität 28; BGH
StV 1981, 127, 128; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl.
§ 264 Rdn. 2 m.w.Nachw.).
b) Das vom Angeklagten am 31. Dezember 1999 angebahnte
Kokaingeschäft, bei dem er die Pistole mit sich
führte, gehört unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze zu der angeklagten Tat, so daß auch das
bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Gegenstand des
Verfahrens ist. Zwischen diesem Delikt und dem angeklagten Totschlag
besteht ein enger zeitlicher, räumlicher, sachlicher und
persönlicher Zusammenhang. Die Straftaten gingen in derselben
Wohnung zeitlich ineinander über. Das gerade in Gang
befindliche Betäubungsmittelgeschäft war für
P. der Anlaß und die Gelegenheit, den Angeklagten anzugreifen
und ihm mit Gewalt das für die Bezahlung des Kokains
vorgesehene Geld wegzunehmen. Der tödliche Schuß
wurde aus der zur Sicherung des Rauschgiftgeschäfts
mitgeführten Waffe abgegeben. Eine Trennung des Tatgeschehens
in das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
einerseits und die Tötung andererseits wäre eine
unnatürliche Aufspaltung und Würdigung eines
einheitlichen Lebensvorgangs (vgl. BGH NStZ 1996, 563, 564). Bereits
Verhandlungen über den Erwerb von Betäubungsmitteln
sind als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln anzusehen, sofern
der Erwerber diese - wie hier - gewinnbringend weiterverkaufen will
(vgl. BGHR BtMG § 29 I Nr. 1 Handeltreiben 4; Weber, BtMG
§ 29 Rdn. 92 ff.). Soweit von der Strafkammer vor dem 31.
Dezember 1999 abgewickelte Rauschgiftgeschäfte des Angeklagten
festgestellt worden sind, bilden diese mit dem in der Anklage
umschriebenen geschichtlichen Vorkommnis keinen einheitlichen Vorgang
und gehören deshalb nicht mehr zu der angeklagten Tat.
c) Das Landgericht war - nach einem Hinweis auf die
Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts (§ 265
StPO) - gemäß § 264 StPO von Amts wegen,
also ohne einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft und ohne
Bindung an die Einschätzung des Sitzungsvertreters der
Staatsanwaltschaft, verpflichtet, den Unrechtsgehalt der prozessualen
Tat auszuschöpfen. Innerhalb derselben prozessualen Tat ist
nämlich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft
grundsätzlich unteilbar (vgl. BGH StV 1981, 127, 128;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 264 Rdn.
7 a).
4. Die Verletzung des § 264 StPO zwingt zur Aufhebung des
gesamten gegen den Angeklagten ergangenen Urteils, obwohl die
Feststellungen der Strafkammer zur Notwehr den Freispruch vom Vorwurf
des Totschlags tragen. Da zwischen dem bewaffneten Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln und einem dabei begangenen
Tötungsdelikt Tateinheit besteht (vgl. BGH, Urt. vom 17.
Januar 2001 - 2 StR 437/00 und 2 StR 438/00), kommt eine
Beschränkung der Revision auf das bewaffnete Handeltreiben
nicht in Betracht (vgl. Kuckein in KK 4. Aufl. § 344 Rdn. 8;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO § 318 Rdn. 13,
§ 344 Rdn. 7). Auch können die Feststellungen des
Landgerichts zum Tatgeschehen nicht aufrechterhalten werden, weil die
Feststellungen zu dem Rauschgiftgeschäft nicht unter dem den
Angeklagten belastenden Gesichtspunkt des bewaffneten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln getroffen worden sind und zwischen dem
bewaffneten Handeltreiben und der daraus entstandenen Tötung
ein untrennbarer Zusammenhang besteht.
Kutzer Winkler Pfister von Lienen Becker |