BGH,
Urt. v. 14.3.2002 - 4 StR 583/01
4 StR 583/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
vom
14. März 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 14.
März 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Ernemann, Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger für den
Angeklagten von M. , Rechtsanwalt als Verteidiger für den
Angeklagten K. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1.
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Neubrandenburg vom 4. Juli 2001, soweit es die Angeklagten
von M. und K. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten und den Mitangeklagten B. , dessen
Verfahren der Senat abgetrennt hat, von dem Vorwurf der (banden- und
gewerbsmäßig begangenen) Erpressung in 30
Fällen freigesprochen. Ferner hat es bestimmt, daß
die Angeklagten für die jeweils erlittene Untersuchungshaft zu
entschädigen sind. Mit ihren hiergegen gerichteten Revisionen,
mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts
rügt, erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des
freisprechenden Urteils. Die Rechtsmittel, die vom Generalbundesanwalt
vertreten werden, haben mit der Sachrüge Erfolg; eines
Eingehens auf die erhobene Verfahrensbeschwerde bedarf es daher nicht.
Die den Freisprüchen zugrundeliegende Beweiswürdigung
des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
1. Mit der zugelassenen Anklage war den Angeklagten auf der Grundlage
der Angaben der Geschädigten Birgit Ko. im
Ermittlungsverfahren die Erpressung von Schutzgeldern in insgesamt 30
Fällen zur Last gelegt worden. Dem Angeklagten K. wurde
vorgeworfen, er habe - aufgrund eines gemeinsam mit den Mitangeklagten
B. und von M. gefaßten Tatentschlusses - von Birgit Ko.
für den Betrieb ihres in Waren gelegenen Bordells
wöchentliche Schutzgeldzahlungen von zunächst 600.-
DM und später 800.- DM gefordert und für den Fall der
Nichtzahlung in Aussicht gestellt, daß "die Russen" den
ungestörten Betrieb des Bordells verhindern würden.
Unter dem Eindruck dieser Ankündigung habe Birgit Ko. bzw.
eine von ihr beauftragte Mitarbeiterin, die Zeugin Heike R. , in der
Folge in 30 Fällen Schutzgeld - insgesamt 16.600.- DM -
gezahlt. Das Geld sei zumeist dem Angeklagten B. , der teilweise vom
Mitangeklagten von M. begleitet worden sei, übergeben worden.
Bei einer der Geldübergaben habe von M. erklärt,
Waren sei "ihr Revier", es kämen "die Russen", wenn nicht
gezahlt werde.
2. Das Landgericht hat die Angeklagten, die sich zur Sache nicht
eingelassen haben, aus tatsächlichen Gründen
freigesprochen. Es hat hierbei die Bekundungen der Zeugin Birgit Ko. in
der Hauptverhandlung zugrundegelegt, wonach sie die Zahlungen
freiwillig und ohne jeden Zwang geleistet habe, um von den Angeklagten
Schutz für ihren Betrieb zu erhalten. Von "Russen" sei zu
keinem Zeitpunkt die Rede gewesen. Sie habe sich nie
persönlich bedroht gefühlt, "wenn auch insbesondere
von M. von seiner Statur her bedrohlich gewirkt habe" (UA 6).
Das Landgericht hat zwar in diesem Zusammenhang erkannt, daß
die Bekundungen der Zeugin in der Hauptverhandlung inhaltlich von den
Aussagen abweichen, die sie im Rahmen früherer polizeilichen
Vernehmungen getätigt hatte. Es ist jedoch zur Auffassung
gelangt, mangels weiterer Anhaltspunkte könne nicht
festgestellt werden, welche der Aussagen der Wahrheit entspreche. Nach
dem Zweifelsgrundsatz sei daher von den Angaben der Zeugin in der
Hauptverhandlung auszugehen.
3. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an
seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies
vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die
Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des
Tatrichters. Der revisionsrechtlichen Beurteilung unterliegt insoweit
nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler
unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall,
wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261
Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere muß die
Beweiswürdigung erschöpfend sein: Der Tatrichter
muß sich mit allen festgestellten Umständen
auseinandersetzen, die den Angeklagten be- oder entlasten (BGHR StPO
§ 261 Beweiswürdigung 2).
4. Hieran gemessen hält die den Freisprüchen
zugrundeliegende Beweiswürdigung der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand.
a) Ein Mangel liegt bereits darin, daß die Angaben der Zeugin
Ko. im Ermittlungsverfahren nur in sehr groben Zügen
mitgeteilt werden. Soweit in diesem Zusammenhang in den
Urteilsgründen unter Benennung von Blattzahlen auf die sich
bei den Verfahrensakten befindlichen Vernehmungsprotokolle verwiesen
wird (vgl. UA 8), stellt dies keine zulässige Bezugnahme dar
(vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 267
Rdn. 2). Dem Senat ist daher die Überprüfung
verwehrt, in Bezug auf welche konkreten Tatsachen und in welchem Umfang
sich Widersprüche zu der vom Landgericht -
demgegenüber sehr detailliert wiedergegebenen - Aussage in der
Hauptverhandlung ergeben haben. Hiervon hängt jedoch die
Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin in der
Hauptverhandlung wesentlich ab.
b) Die Beweiswürdigung erweist sich jedoch noch aus einem
weiteren Gesichtspunkt als rechtsfehlerhaft.
Weicht der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem
wesentlichen Punkt von seiner früheren Tatschilderung ab und
hängt die Entscheidung allein davon ab, ob diesem Zeugen zu
folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen,
daß der Tatrichter alle Umstände, die die
Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine
Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH StV 1998, 250). Dies hat
nicht nur für den Fall der Verurteilung, sondern auch
für den des Freispruchs des Angeklagten zu gelten (vgl. auch
BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 - 2 StR 507/01). Dem wird das
angefochtene Urteil nicht gerecht.
Die Urteilsgründe verhalten sich weder näher zur
Entstehungsgeschichte der polizeilichen Aussagen noch zu der Frage, aus
welchen Gründen für die Zeugin Ko. ein Motiv
bestanden haben könnte, die Angeklagten im
Ermittlungsverfahren zu Unrecht zu belasten. Entsprechender Darlegungen
hätte es aber schon deshalb bedurft, weil die Zeugin Ko. die
Angeklagten nicht nur durch ihre Aussagen belastet hat, sondern
darüber hinaus ausweislich der Urteilsfeststellungen auch die
gegen die Angeklagten daraufhin eingeleiteten Ermittlungen im weiteren
dadurch aktiv unterstützt hat, daß sie dem
Angeklagten B. zum Nachweis der Schutzgeldzahlungen von der Polizei zur
Verfügung gestelltes sog. "Vorzeigegeld" aushändigte.
Das Urteil teilt auch nicht mit, ob die Zeugin in der Hauptverhandlung
eine Erklärung für ihre Aussageänderung -
und gegebenenfalls welche - abgegeben hat. In diesem Zusammenhang
hätte auch erwogen werden müssen, ob die
Änderung der Zeugenaussage unter Umständen darauf
zurückzuführen ist, daß - was in
Strafverfahren, die Straftaten im Rotlichtmilieu zu Gegenstand haben,
nicht eben selten ist - auf die Zeugin entsprechender Druck
ausgeübt worden ist. Hierauf könnte hinweisen,
daß auch die Zeugin R. frühere (belastende) Angaben
mit einer eher fadenscheinigen Begründung in der
Hauptverhandlung zu relativieren versucht hat (vgl. UA 8/9).
Die Sache bedarf daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Hierbei
wird der neue Tatrichter zu bedenken haben, daß die Drohung
mit einem empfindlichen Übel im Sinne der §§
240, 253 StGB nicht ausdrücklich ausgesprochen werden
muß, sondern auch schlüssig oder versteckt erfolgen
kann (vgl. hierzu Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. §
240 Rdn. 31 m.w.N.).
Tepperwien Maatz Solin-Stojanovic
Ernemann Sost-Scheible |