BGH,
Urt. v. 14.5.2002 - 1 StR 48/02
1 StR 48/02
BUNDESGERICHTSHOF 1
IM NAMEN DES VOLKES 2
URTEIL 3
vom 14. Mai 2002 4
in der Strafsache gegen 5
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge 6
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 14.
Mai 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Schluckebier, Dr. Kolz,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt: 7
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Traunstein vom 7. August 2001 wird verworfen. 8
Die Kosten dieses Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last. 9
Von Rechts wegen 10
Gründe: 11
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in 14 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung
es zur Bewährung ausgesetzt hat, und ihn im übrigen
freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der
Sachrüge. Sie macht geltend, das Landgericht habe
gewerbsmäßiges Handeln im Sinne von § 29
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG zu Unrecht verneint mit der Folge,
daß die Gesamtfreiheitsstrafe zu niedrig sei;
außerdem ist sie der Auffassung, daß die
Voraussetzungen einer Strafaussetzung zur Bewährung nach
§ 56 Abs. 2 StGB nicht vorgelegen hätten. Das - vom
Generalbundesanwalt nicht vertretene - Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
12
I. 13
Die Revision ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkt. 14
Die Beschwerdeführerin hat zwar einen unbeschränkten
Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils gestellt. Dieser steht
aber im Widerspruch zu dem Angriffsziel des Rechtsmittels, wie es sich
aus der Revisionsrechtfertigungsschrift ergibt. Deren Auslegung
läßt einen auf den Rechtsfolgenausspruch bezogenen
Beschränkungswillen der Beschwerdeführerin erkennen
(vgl. zur Auslegung in solchen Fällen BGHR StPO § 344
Abs. 1 Antrag 3; Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 5
m.w.Nachw.). Die Beschwerdeführerin erstrebt eine
höhere Gesamtfreiheitsstrafe als zwei Jahre oder zumindest den
Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung. 15
Soweit die Beschwerdeführerin die Verneinung des
Regelbeispiels des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG beanstandet,
macht sie erkennbar nur einen Wertungsfehler geltend, so daß
der Senat ausschließen kann, daß auch der
Schuldspruch berührt ist. 16
II. 17
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen
veräußerte der Angeklagte an den anderweitig
verfolgten Zeugen H. in zehn Fällen jeweils mindestens 10 g
und in weiteren vier Fällen jeweils 7 g Heroin mit einem
Wirkstoffgehalt von ca. 3 % zu einem Preis von 125 DM pro Gramm. 18
Das Landgericht hat der Strafbemessung den Normalstrafrahmen des
Tatbestandes des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG zugrundegelegt und
für die Fälle mit 7 g Heroin eine Freiheitsstrafe von
jeweils sieben Monaten sowie für die Fälle mit 10 g
Heroin eine Freiheitsstrafe von jeweils zehn Monaten festgesetzt. 19
III. 20
Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs deckt
keinen Rechtsfehler zu Gunsten - oder, was gemäß
§ 301 StPO ebenfalls zu beachten ist, zum Nachteil - des
Angeklagten auf. 21
1. Die Verneinung des Regelbeispiels des
gewerbsmäßigen Handelns (§ 29 Abs. 3 Satz 2
Nr. 1 BtMG) hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Die Strafkammer hat nicht die Überzeugung gewinnen
können, daß der Angeklagte vor oder bei der
Abwicklung der einzelnen Rauschgiftgeschäfte die Absicht
hatte, sich eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu
verschaffen. Diese Bewertung wird insbesondere durch die Feststellung
gestützt, daß der Angeklagte zu jedem einzelnen
Rauschgiftgeschäft "gedrängt und überredet"
werden mußte. Hinzu kommt, daß der nicht
einschlägig vorbestrafte Angeklagte in familiär und
sozial geordneten Verhältnissen lebt und Umstände,
die ein Motiv für die Schaffung einer fortlaufenden
Einnahmequelle durch Rauschgifthandel, sei es auch nur als Nebenerwerb,
darstellen könnten, nicht erkennbar sind.
Demgegenüber ist die - allerdings nicht geringe - Zahl der
Taten, aus denen der Angeklagte jeweils Gewinn zog, kein hinreichendes
Beweisanzeichen für einen solchen Willen des Angeklagten. Dies
hat das Landgericht zwar denkbar knapp, aber ohne Rechtsfehler
dargelegt. 22
2. Der Revision muß der Erfolg auch versagt bleiben, soweit
sie sich gegen die Aussetzung der Vollstreckung der erkannten
Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung wendet. Die von der
Strafkammer getroffene Entscheidung liegt innerhalb des ihr
eingeräumten Ermessensspielraums und ist vom Revisionsgericht
hinzunehmen, auch wenn eine zum umgekehrten Ergebnis führende
Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen
wäre (BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung
4; Umstände, besondere 3). Die positive Kriminalprognose wie
auch die Annahme besonderer Umstände im Sinne von §
56 Abs. 2 StPO sind - wie der Generalbundesanwalt bereits in der
Antragsschrift vom 8. Februar 2002 zutreffend dargelegt hat - aufgrund
einer hinreichenden Gesamtwürdigung erfolgt, bei der die
Kammer auch die gegen eine Strafaussetzung sprechenden Gesichtspunkte
der Tat und der Täterpersönlichkeit offensichtlich
nicht aus den Augen verloren hat. Die Beschwerdeführerin zeigt
keine tatsächlichen Umstände auf, die die
tatrichterliche Würdigung in Frage stellen. 23
Einer ausdrücklichen Erörterung, ob die Verteidigung
der Rechtsordnung die Strafvollstreckung gebietet (§ 56 Abs. 3
StGB) bedurfte es hier nicht. Veranlassung dazu besteht nur, wenn
konkrete Umstände vorliegen, welche die Anwendung dieser
Vorschrift nahelegen (BGH, Urt. v. 14. März 1995 - 1 StR
856/94 -; BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 9). Das ist hier
nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nicht der Fall.
24
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Kolz |