BGH,
Urt. v. 14.11.2001 - 3 StR 352/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 352/01
vom
14. November 2001
in der Strafsache gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 14.
November 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach,
Winkler, Becker als beisitzende Richter, Bundesanwalt in der
Verhandlung, Staatsanwältin bei der Verkündung als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Justizamtsinspektor als
Urkundsbeamter der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Krefeld vom 19. März 2001
a) im Schuldspruch mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die
Angeklagte wegen der Tat vom 25. Februar 2000 und wegen der letzten der
nach dem 6. Januar 2000 durchgeführten sieben Einkaufsfahrten
nach Venlo verurteilt worden ist,
b) im übrigen im Schuldspruch dahin geändert,
daß die Angeklagte
- wegen gewerbsmäßiger Abgabe von
Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in Tateinheit
mit unerlaubtem Handeltreiben in zwei Fällen,
- wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in
Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
in jeweils nicht geringer Menge und
- wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 34
Fällen
verurteilt ist und
c) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil
wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten dieses Rechtsmittels und die der
Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen bewaffneten unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln,
gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln
durch Erwachsene an Jugendliche unter achtzehn Jahren in zwei
Fällen, wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit
unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge und wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in 37 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt sowie die Einziehung
sichergestellter Betäubungsmittel und den Verfall eines
Geldbetrags angeordnet. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Revision
eingelegt, hiervon jedoch den Maßregelausspruch ausgenommen.
Die mit der Sachrüge begründete Revision der
Staatsanwaltschaft ist auf den Strafausspruch beschränkt. Das
Rechtsmittel der Angeklagten hat den aus der Urteilsformel
ersichtlichen Erfolg, die Revision der Staatsanwaltschaft ist
unbegründet.
I. Revision der Angeklagten:
1. Die Nachprüfung des Schuldspruchs führt zur
Aufhebung des Schuldspruchs, soweit die Angeklagte wegen der Tat vom
25. Februar 2000 und der letzten der nach dem 6. Januar 2000
durchgeführten sieben Einkaufsfahrten verurteilt worden war,
und zu einer Änderung des Konkurrenzverhältnisses
zwischen der Abgabe von Betäubungsmitteln in zwei
Fällen an den minderjährigen Schüler S. und
zwei der in der Zeit vom 15. September bis zum 22. Oktober 2000
durchgeführten Einkaufsfahrten. Im übrigen hat sich
zum Schuldspruch kein Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
a) Die Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln nach § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG
(gleichzeitige Aufbewahrung von zum Weiterverkauf bestimmten 112,3
Gramm Haschisch und einer griffbereiten, geladenen Gaspistole am 25.
Februar 2000) hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand, weil die Strafkammer nicht festgestellt hat, ob die Waffe den
Ausschuß nach vorne durch den Lauf hatte. Der Senat kann
daher nicht ausschließen, daß es sich trotz der
mitgeteilten Typenbezeichnung noch um ein älteres Modell mit
seitlichen oder obenliegenden Ausschußöffnungen
handelte, das nach ständiger Rechtsprechung die
Voraussetzungen einer Schußwaffe nicht erfüllen
würde (vgl. Weber, BtMG § 30 a Rdn. 116 m.w.Nachw.).
Dies erfordert eine neue Prüfung durch den Tatrichter. Dieser
wird zu bedenken haben, daß die im angefochtenen Urteil
vorgenommene straferschwerende Berücksichtigung der
"Gefährlichkeit der einsatzbereiten Schußwaffe" (UA
S. 18) gegen § 46 Abs. 3 StGB verstößt, da
eine einsatzbereite Schußwaffe Tatbestandsmerkmal des
§ 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist.
Im übrigen liegt es nahe, daß diese Tat in
Tateinheit mit der letzten der sieben nach dem 6. Januar 2000
durchgeführten Einkaufsfahrten steht. Nach den Feststellungen
fuhr die Angeklagte ab dem 6. Januar 2000 "weitere sieben Male im
Abstand je einer Woche" nach Venlo und kaufte jeweils 100 Gramm
Haschisch ein. Da demnach die siebte dieser Fahrten um den 17. Februar
2000 stattfand und eine Woche später am 25. Februar 2000 bei
der vorgenannten Tat 112,3 Gramm Haschisch gefunden worden sind,
bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, daß von
dieser Menge zwar 100 Gramm von einer achten Einkaufsfahrt um den 24.
Februar 2000, die darüber hinausgehende Menge von etwa 12
Gramm aber noch aus der vorhergehenden siebten Einkaufsfahrt um den 17.
Februar 2000 stammte. Damit hatte sich aber die Tat vom 25. Februar
2000 zum Teil auch auf diese Menge bezogen.
b) Die beiden Fälle der Abgabe von Betäubungsmitteln
an den minderjährigen Schüler S. bilden jeweils mit
einem der auf UA S. 5 bis 6 dargestellten 30 Fälle des
unerlaubten Handeltreibens eine Bewertungseinheit. Nach den
Feststellungen erfolgten die beiden Abgaben an den Schüler in
der Zeit nach dem Einzug der Angeklagten in die Wohnung in der R.
straße am 15. September 1999 und vor dessen Aussage am 22.
Oktober 1999. Da die Angeklagte vom 5. April bis zum 30. Oktober 1999
wöchentliche Einkaufsfahrten nach Venlo zum Erwerb von je 100
g Haschisch unternommen hatte, die von der Strafkammer als 30
Fälle des unerlaubten Handeltreibens abgeurteilt worden sind,
liegt es nahe, daß die in diesem Zeitraum an den
Schüler S. abgegebenen Mengen von einmal 10 g und einmal 1 g
Haschisch aus derart erworbenen Einkaufsmengen stammen. Daher stehen
zwei der auf UA S. 5 bis 6 abgeurteilten 30 Fälle in
Tateinheit mit diesen Abgabedelikten. Tateinheit ist deswegen gegeben,
weil diese beiden einheitlich erworbenen Einkaufsmengen zum Teil an
Minderjährige (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG) verkauft
worden sind.
2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand, da die
Strafzumessungsgründe des Urteils durchgreifende, die
Angeklagte belastende Rechtsfehler aufweisen:
a) In den beiden Fällen, bei denen die Angeklagte Haschisch
von zehn bzw. einem Gramm an den 17-jährigen Schüler
S. abgegeben hatte, hat die Strafkammer erschwerend
berücksichtigt, "daß Haschisch nach den derzeitigen
Erkenntnissen Einstiegsdroge ist und Jugendliche oftmals
härteren Drogen zuführt" (UA S. 21). Dies
verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB. Die
besondere Schutzbedürftigkeit von Jugendlichen ist bereits
Grund für die Aufstufung zu dem Verbrechenstatbestand der
Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige nach
§ 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG.
b) Die Fälle der insgesamt 37 wöchentlichen
Einkaufsfahrten nach Venlo hat die Strafkammer als unerlaubtes
Handeltreiben nach § 29 BtMG abgeurteilt und wegen der
gewerbsmäßigen Begehung den erhöhten
Strafrahmen des § 29 Abs. 3 BtMG zugrunde gelegt.
Daß sie gleichwohl zum Nachteil der Angeklagten
berücksichtigt hat, daß sich diese "über
einen langen Zeitraum aus Drogengeschäften finanziert und aus
den einzelnen Taten erhebliche Gewinne gezogen hat, die über
das zum notwendigen Unterhalt Erforderliche hinausgegangen sind" (UA S.
22), verstößt wiederum gegen § 46 Abs. 3
StGB. Bereits in dem Merkmal der Eigennützigkeit des Begriffs
des Handeltreibens ist die Absicht eines Händlers, durch den
Verkauf von Betäubungsmitteln mit Hilfe eines Preisaufschlags
Gewinn zu erzielen, enthalten. Daher ist es nicht zulässig,
dieses Gewinnstreben bei der Strafzumessung erneut straferschwerend zu
berücksichtigen (BGHR StGB § 46 III Handeltreiben 1).
Da der Begriff der Gewerbsmäßigkeit zudem eine auf
Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit von einiger Dauer und
einigem Umfang voraussetzt, die zu einer fortlaufenden Einnahmequelle
führt (st.Rspr., vgl. Nachw. bei Weber, BtMG § 29
Rdn. 939), wird die Bestreitung des Lebensbedarfs des Täters
von diesem Qualifikationsmerkmal umfaßt, ohne daß
es darauf ankäme, ob er lediglich seinen notwendigen Unterhalt
abdeckt oder einen darüber hinausgehenden Gewinn erzielt. Im
übrigen widerspricht die Angabe der Strafkammer, die Gewinne
seien über die Deckung des Notwendigen hinausgegangen, ihren
eigenen Feststellungen auf UA S. 10, wonach die Angeklagte
"ausschließlich" zur Sicherstellung des Familienunterhalts
gehandelt habe, sich während des Tatzeitraums in beengten
wirtschaftlichen Verhältnissen befunden habe und ihre Taten
durch eine "finanzielle Notlage" veranlaßt gewesen seien.
Zwar hat die Strafkammer in diesen Fällen jeweils nur die
Mindeststrafe nach § 29 Abs. 3 StGB von einem Jahr
Freiheitsstrafe verhängt. Es kann aber nicht ausgeschlossen
werden, daß ohne diese unzulässige Erwägung
ein besonders schwerer Fall verneint und der Strafrahmen des §
29 Abs. 1 BtMG angewandt worden wäre.
c) Die Revision der Angeklagten rügt zu Recht, daß
die Strafkammer nicht erkennbar erörtert hat, welche
Auswirkungen die Verhängung einer mehrjährigen zu
verbüßenden Freiheitsstrafe auf das
künftige Leben der Angeklagten hat und ob insoweit eine
besondere Strafempfindlichkeit gegeben ist. Dies wäre
angesichts der festgestellten Umstände, insbesondere
daß die Angeklagte mit ihren beiden sechs und sieben Jahre
alten Kindern getrennt von ihrem Ehemann gelebt hatte und für
die Kinder allein sorgen mußte, veranlaßt gewesen.
Der neue Tatrichter wird dabei auch Gelegenheit haben, die Auswirkungen
einer Verurteilung auf ausländerrechtliche Folgen für
die Angeklagte und ihre Kinder zu prüfen (vgl. BGHR StGB
§ 46 I Schuldausgleich 30, 37).
II. Revision der Staatsanwaltschaft:
Die Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft zeigt zur
Strafzumessung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil der
Angeklagten auf, ein solcher ist auch sonst nicht ersichtlich. Der
Erörterung bedarf lediglich folgendes:
1. Bei der Tat vom 25. Februar 2000 (bewaffnetes Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln nach § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG)
wäre es zwar gerechtfertigt gewesen, das
gewerbsmäßige Handeln bei diesem
Qualifikationstatbestand, der gewerbsmäßiges Handeln
nicht voraussetzt, straferschwerend zu berücksichtigen (vgl.
BGH bei Zschockelt, NStZ 1998, 238, 240 m.w.Nachw.). Andererseits war
es nicht geboten, diesen Umstand ausdrücklich in den
Urteilsgründen zu erörtern, da es sich nach Sachlage
nicht um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des
§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO handelt.
2. Dagegen wäre es rechtsfehlerhaft gewesen, wenn die
Strafkammer entsprechend der Beanstandung durch die Staatsanwaltschaft
die Gewerbsmäßigkeit des Handelns auch bei den
beiden Fällen der gewerbsmäßigen Abgabe an
Minderjährige nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG erschwerend
berücksichtigt hätte, da dieses Merkmal im Tatbestand
der Qualifikationsnorm enthalten ist (§ 46 Abs. 3 StGB).
III. Die angefochtene Entscheidung gibt dem Senat Anlaß zu
folgenden Hinweisen:
1. Die Verständlichkeit eines Urteils, das mehrere Taten zum
Gegenstand hat, leidet erheblich, wenn auf die Vergabe von
Ordnungsziffern zur Kennzeichnung der Taten verzichtet wird. Es
empfiehlt sich dabei, die Ordnungsziffern für die einzelnen
Fälle einheitlich und übereinstimmend bei
Sachverhaltsdarstellung, Beweiswürdigung, rechtlicher
Würdigung und Strafzumessung zu verwenden (vgl. BGH, bei Kusch
NStZ-RR 2001, 133 Nr. 14 m.w.Nachw.; Kroschel/Meyer-Goßner,
Die Urteile in Strafsachen, 26. Aufl. S. 74 ff.). Zusätzlich
erschwert wird die Verständlichkeit, wenn wie hier nicht nur
auf Fallziffern verzichtet, sondern zudem bei Sachverhaltsdarstellung
und übrigen Urteilsabschnitten eine unterschiedliche
Reihenfolge gewählt wird.
2. Es ist zulässig und in der Regel auch empfehlenswert, bei
der Strafzumessung für eine Vielzahl von Taten diejenigen
Erwägungen, die für alle Fälle in gleicher
Weise gelten, "vor die Klammer zu ziehen" und dann bei den einzelnen
Taten nur noch die fallbezogenen besonderen
Zumessungserwägungen anzustellen (vgl. Schäfer,
Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 791).
Im Regelfall ist es auch zulässig, bei einer mehrfach
erforderlichen Gesamtabwägung der
Strafzumessungsgründe (gegebenenfalls mehrfach abgestufte
Strafrahmenbestimmung und Strafzumessung im engeren Sinne) auf die
einmal dargestellten Gründe in späteren Stufen zu
verweisen und dann nur noch die in dieser Stufe erforderliche
Abwägung zu treffen, sofern nicht besondere Umstände
des Einzelfalls eine gesonderte Erörterung gebieten (BGHR StGB
§ 46 I Begründung 21).
3. Das Gesetz fordert in § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO lediglich
die Angabe der bestimmenden Strafzumessungsgründe. Es
empfiehlt sich daher, auf wenig ergiebige und in ihrer
Bewertungsrichtung unklare Erwägungen zu verzichten und sich
statt dessen auf die Prüfung zu konzentrieren, ob die
bestimmenden Gründe vollständig erfaßt,
durch eine ausreichende Tatsachengrundlage belegt und auf ihre
Vereinbarkeit mit § 46 Abs. 3 StGB sowie auf die zutreffende
Bewertungsrichtung überprüft sind.
4. Die für die Bildung der Gesamtstrafe erforderliche
Gesamtschau der maßgeblichen Zumessungsgründe
erfordert zwar grundsätzlich nicht ihre erneute
ausdrückliche Abhandlung, meist wird eine Bezugnahme
ausreichen. Dabei sind jedoch die für die Gesamtstrafenbildung
besonders bedeutsamen Gesichtspunkte (z.B. zeitlicher, sachlicher und
situativer Zusammenhang der Taten, Häufigkeit, Gesamtgewicht,
Auswirkungen der Höhe der Gesamtstrafe u.ä.)
hervorzuheben und zu bewerten (BGHR StGB § 54 I Bemessung 1).
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