BGH,
Urt. v. 14.11.2001 - 3 StR 385/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 385/01
vom
14. November 2001
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 14.
November 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach,
Winkler, Becker als beisitzende Richter, Staatsanwältin in der
Verhandlung, Staatsanwältin bei der Verkündung als
Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft, Justizamtsinspektor als
Urkundsbeamter der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des
Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Lübeck
vom 20. November 2000 aufgehoben. Die Feststellungen bleiben
aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und
neun Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen der
Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers; sie erstreben mit der
Sachrüge eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen
versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung.
I.
1. Nach den Feststellungen zog der seitlich hinter dem eine
Schlägerei in einer Diskothek beobachtenden Zeugen T. stehende
Angeklagte ein schweres Kampfmesser mit einer Klingenlänge von
ca. 19 cm aus der Gürtelscheide, "hielt es" dem Zeugen an den
Hals und "fügte ihm mehrere oberflächliche
Schnittverletzungen im Halsbereich zu" (UA S. 6). Der Zeuge
verspürte im ersten Moment einen kleinen Schmerz am Hals, kurz
danach bemerkte er, daß er dort blutete, und begab sich zum
Ausgang der Diskothek. Der zwischenzeitlich von
Sicherheitskräften festgehaltene Angeklagte verfolgte den
Zeugen bis zum Ausgang und rief ihm nach: "Ich mach Dich fertig, ich
bringe Dich um".
Die insoweit sachverständig beratene Strafkammer hat
festgestellt, daß der Zeuge neben einer 3 cm langen
Schnittwunde am Kinn und einer 8 cm langen am Hals eine ca. 20 cm lange
oberflächliche Schnittwunde an der linken Halsseite davontrug,
die vom Unterkieferwinkel bis zum Nacken reichte und die mit 62 Stichen
genäht werden mußte. Die Schnittwunden
hätten nicht zu Verletzungen größerer
Blutgefäße geführt. Der Kraftaufwand beim
Setzen der Schnitte, die nicht im Zuge eines beiderseitigen
Bewegungsablaufs gesetzt wurden, sei nicht erheblich, die Verletzungen
seien nicht lebensgefährlich gewesen. Komplikationen seien in
der Heilungsphase nicht aufgetreten. Wären die Schnitte nur
geringfügig tiefer gewesen, hätte es zu Verletzungen
von größeren Blutgefäßen, Nerven
oder der Luftröhre mit entsprechender Lebensgefahr kommen
können.
Das zur Tatzeit 20 Jahre alte Opfer sei durch drei Narben dauerhaft
gekennzeichnet. Insbesondere von der ca. 20 cm langen Schnittverletzung
sei eine wulstig verheilte und eine deutlich sichtbare Narbe
zurückgeblieben. Für den Verletzten beinhalte dies
eine erhebliche ästhetische Beeinträchtigung.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung gemäß § 224 Abs.
1 Nr. 2 StGB - Verletzung mittels eines als Waffe eingesetzten
Kampfmessers - verurteilt. Es hat nicht feststellen können,
daß der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz
gehandelt habe. Ihm sei nicht nachzuweisen, daß er mit dem
Tod des Opfers gerechnet und ihn auch billigend in Kauf genommen habe.
Das Messer sei nicht als Stichwaffe eingesetzt worden, sein konkreter
Einsatz mit geringem Kraftaufwand habe nur zu drei
oberflächlichen Schnittverletzungen geführt. Der
Angeklagte habe das Messer lediglich an den Hals des Zeugen gehalten.
Angesichts der Stellung des Angeklagten und des Zeugen zueinander
könne nicht davon ausgegangen werden, daß es nur
einem glücklichen Zufall zu verdanken sei, daß durch
den Messereinsatz keine schwerwiegenden Verletzungen verursacht worden
seien, auch wenn bei nur geringfügig tieferer
Schnittverletzung es zu Lebensgefahr hätte kommen
können. Die nachträglichen Todesdrohungen
könnten deshalb zu keiner anderen Beurteilung führen.
II.
1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht ein Handeln des
Angeklagten mit bedingtem Tötungsvorsatz verneint, lassen
Rechtsfehler nicht erkennen. Die Revisionen von Staatsanwaltschaft und
Nebenkläger zeigen solche auch nicht auf.
Das Landgericht hat eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und
subjektiven Tatumstände vorgenommen, es hat die innere
Tatseite anhand der objektiven Umstände umfassend dargestellt
und rechtlich zutreffend gewürdigt. Es durfte daraus den
möglichen Schluß ziehen, daß der
Angeklagte ohne Tötungsvorsatz gehandelt hat.
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend
ausführt, unternimmt die Revisionsbegründung der
Staatsanwaltschaft einen unzulässigen Angriff auf die allein
dem Tatrichter vorbehaltene Beweiswürdigung, soweit sie -
urteilsfremd - von einer insgesamt dynamischen Situation ausgeht, in
der der Angeklagte seinen Messereinsatz nicht habe kontrollieren
können. Mit der von dem Nebenkläger näher
ausgeführten Überlegung, es liege angesichts der
unmittelbaren Nähe großer
Blutgefäße nur ein glücklicher Zufall vor,
hat sich das Schwurgericht rechtsfehlerfrei auseinandergesetzt.
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers
sind jedoch insofern begründet, als die Strafkammer nicht
erörtert hat, ob der Angeklagte wegen schwerer
Körperverletzung gemäß § 226 Abs.
1 Nr. 3 StGB zu bestrafen ist. Die bisher - unter anderen rechtlichen
Gesichtspunkten - getroffenen Feststellungen lassen eine
revisionsrechtliche Überprüfung insoweit nicht zu.
Zwar enthält das angefochtene Urteil im Rahmen der
Sachverhaltsschilderung und der Beweiswürdigung eine
ungefähre Beschreibung der äußerlich
sichtbaren Tatfolgen und im Rahmen der Strafzumessung ihre Bewertung
als entstellend. Damit fehlt es aber an genaueren Feststellungen sowohl
zur Frage der Entstellung in erheblicher Weise (zur Beschaffenheit der
Wulste die Beschreibung ihrer Höhe und Breite, ihrer Farbe
sowie des Verlaufs ihrer Ränder; zur Sichtbarkeit die
Darstellung ihrer genauen Lage) als auch zur Dauer der Entstellung,
insbesondere ob eine erfolgversprechende kosmetische Hautoperation
möglich und vorgesehen ist.
Diese fehlenden Feststellungen wird der neue Tatrichter nachzuholen
haben. Die im übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
3. Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, den Sachverhalt
unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen
§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB - lebensgefährdende
Behandlung - zu prüfen und gegebenenfalls diesen Umstand bei
der Strafzumessung zu berücksichtigen.
Tolksdorf Rissing-van Saan Miebach Winkler Becker |