BGH,
Urt. v. 15.12.2005 - 4 StR 314/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 314/05
vom 15.12.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15.12.2005, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Prof.
Dr. Kuckein, Athing, Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das
Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 23. Februar 2005 werden
verworfen. 2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels
der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen Gründe: Das
Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren sowie zur Zahlung eines
Schmerzensgeldes in Höhe von 8.000 Euro an den
Nebenkläger verurteilt. 1 Der Angeklagte rügt mit
seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit
ihrer zu Ungunsten des Angeklagten, auf die Sachrüge
gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt im Ergebnis
vertreten wird, die Verurteilung des Angeklagten zu einer
höheren Strafe. Sie beanstandet insbesondere, dass der
Schuldspruch wegen Vergewaltigung lediglich auf § 177 Abs. 1
Nr. 2 StGB, nicht aber auch auf Nr. 1 und 3 dieser Vorschrift
gestützt und dass von der Milderungsmöglichkeit nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht worden ist. 2
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Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg. 3 I. Die Revision des Angeklagten
ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 4 Die
Verfahrensrügen sind unzulässig erhoben; sie
wären im Übrigen, wie der Generalbundesanwalt in
seiner Antragsschrift vom 5. August 2005 zutreffend ausgeführt
hat, auch unbegründet. 5 Die Überprüfung des
Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Beschwerdeführers ergeben. Ergänzend zu den
Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift
bedarf der Erörterung nur Folgendes: 6 Die
Ausführungen des Landgerichts zur erheblichen Verminderung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21
StGB begegnen zwar rechtlichen Bedenken, soweit von einer erheblichen
Verminderung "der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit"
ausgegangen wird, denn die Anwendung des § 21 StGB kann nicht
zugleich auf seine beiden Alternativen gestützt werden. Eine
Strafmilderung scheidet aus, wenn der Täter trotz erheblich
verminderter Einsichtsfähigkeit das Unerlaubte seines Tuns
erkennt. Fehlt ihm bei verminderter Einsichtsfähigkeit hierzu
die Einsicht, ohne dass ihm dies vorzuwerfen ist, kommt § 20
StGB zur Anwendung (st. Rspr., vgl. BGHSt 21, 27, 28; BGHR StGB
§ 21 Einsichtsfähigkeit 5). Dieser Mangel
gefährdet aber den Bestand des Urteils nicht, weil sich aus
dem Gesamtzusammenhang ergibt, dass das sach-7
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verständig beratene Landgericht das Fehlen der Einsicht in
Folge verminderter Einsichtsfähigkeit rechtsfehlerfrei
verneint hat. Das Landgericht hat ausgeschlossen, dass der Angeklagte
"auf Grund seiner aktuellen Alkohol-intoxikation im Tatzeitraum" (...)
"schuldunfähig" im Sinne des § 20 StGB gewesen sein
könnte und dabei ausdrücklich sowohl die Merkmale der
Einsichts- und Steuerungsfähigkeit angesprochen. Die Annahme
einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit hat das
Landgericht mithin allein auf die schwerwiegende
Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten gestützt, von der es in Anwendung des
Zweifelsgrundsatzes ausgegangen ist. II. Auch die Revision der
Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Die
Überprüfung des Urteils auf Grund der
Revisionsrechtfertigung hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum
Vorteil des Angeklagten ergeben. 8 1. Das Landgericht hat den
Schuldspruch wegen Vergewaltigung zwar allein auf die Verwirklichung
der Tatbestandsvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB
gestützt, weil der Angeklagte den Nebenkläger zur
Duldung der sexuellen Handlungen mit der Drohung genötigt hat,
diesen andernfalls umzubringen, und die weiteren Tatbestandsvarianten
dieser Vorschrift, nämlich eine Nötigung mit Gewalt
(Nr. 1) und das Ausnutzen einer schutzlosen Lage des Tatopfers (Nr. 3)
verneint. Dies ist aber entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin, soweit es die Verneinung der dritten
Tatbestandsvariante des § 177 Abs. 1 StGB betrifft, rechtlich
nicht zu beanstanden; soweit das Landgericht rechtsfehlerhaft auch eine
Nötigung mit Gewalt verneint hat, ist
auszuschließen, dass sich dies auf die Bemessung der
verhängen Strafe ausgewirkt hat. 9
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a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich das
Tatopfer auf Grund seiner psychischen Unterlegenheit, seiner
intellektuellen Minderbegabung und seiner Alkoholisierung objektiv in
einer hilflosen Lage befunden hat. Nach Auffassung des Landgerichts ist
sich der erheblich unter Al-koholeinfluss stehende Angeklagte dieser
besonderen Konstellation bei der Tatbegehung aber nicht bewusst
gewesen. Diese Wertung ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner
Antragsschrift ausgeführt hat, möglich und deshalb
vom Revisionsgericht hinzunehmen. 10 b) Bedenken begegnet jedoch die
Verneinung einer im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB
tatbestandsmäßigen Gewaltanwendung. Nicht zu
beanstanden ist allerdings die Erwägung des Landgerichts, mit
Rücksicht auf die Bekundungen der Zeugin B. , die vor Beginn
des eigentlichen Tatgeschehens durch den Hausflur gegangen ist, als der
Angeklagte den Nebenkläger gegen die Wand "stützte",
könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte zu
diesem Zeitpunkt den alkoholisierten Nebenkläger lediglich
habe stützen wollen. Nachdem der Angeklagte sich entschlossen
hatte, den Nebenkläger zur Vornahme und Duldung sexueller
Handlungen zu zwingen und gedroht hatte, diesen andernfalls
umzubringen, drückte der Angeklagte den Nebenkläger
aber zunächst weiterhin gegen die Wand und "zog" dann dessen
Kopf zu seinem erigierten Glied herunter. Danach hat der Angeklagte
auch die Variante des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht. 11
Die rechtsfehlerhafte Verneinung dieser weiteren Tatbestandsvariante
führt unter den hier gegebenen Umständen jedoch
entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht zur Aufhebung
des Strafausspruchs, weil auszuschließen ist, dass sich
dieser Rechtsfehler auf die Bemessung der Strafe ausgewirkt hat. Zwar
kann es straferschwerend wirken, wenn der Täter, auch 12
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wenn dies im Urteilstenor nicht zum Ausdruck kommt, mehrere
Begehungsvarianten eines Tatbestands erfüllt (vgl. BGH NStZ
1999, 130; StV 2001, 451). Voraussetzung ist jedoch, dass hieraus auf
eine erhöhte Vorwerfbarkeit zu schließen ist (vgl.
BGH StV 2001, 451 f.). So liegt es hier aber nicht, weil das
Maß der Gewalt, wie die Revision der Staatsanwaltschaft
zutreffend ausgeführt hat, "nicht allzu groß"
gewesen ist. Den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit bildet mithin die
Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben
des Nebenklägers, die von diesem nach den Feststellungen unter
anderem wegen der deutlichen körperlichen
Überlegenheit des Angeklagten ernst genommen wurde und dazu
führte, dass dieser sexuelle Handlungen an dem Angeklagten
vornahm (zweimaliger Oralverkehr) und den Analverkehr duldete. 2. Die
Strafrahmenverschiebung gemäß §§
21, 49 Abs. 1 StGB hält ebenfalls im Ergebnis rechtlicher
Nachprüfung stand. 13 a) Entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin lassen die Erwägungen des
Landgerichts nicht besorgen, dass es, was rechtsfehlerhaft
wäre (vgl. BGH NStZ 2000, 24), den Zweifelsgrundsatz auf die
vom Tatrichter zu beantwortende Rechtsfrage einer im Sinne des
§ 21 StGB "erheblichen" Verminderung der
Steuerungsfähigkeit angewendet hat. Vielmehr hat das
Landgericht eine Gesamtschau der für die Beurteilung des
Grades einer krankhaften seelischen Störung durch akute
Alkoholintoxikation maßgeblichen Kriterien, nämlich
der auf Grund einer Blutentnahme ermittelten Blutalkoholkonzentration
des Angeklagten während des in Betracht kommenden Tatzeitraums
(zwischen 2,62 und 2,32 ‰) und der psychodiagnostischen
Kriterien, "unter Beachtung des Grundsatzes in dubio pro reo"
vorgenommen. Dies ist nicht zu beanstanden, weil der Zweifelsgrundsatz
bei nicht behebbaren Zweifeln, die Art und Grad des psychischen
Ausnahmezustandes betreffen, anzuwenden ist (BGH aaO). 14
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b) Auch soweit die Beschwerdeführerin rügt, dass das
Landgericht "keine Veranlassung" gesehen hat, dem Angeklagten die
fakultative Strafmilderung gemäß
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu versagen, zeigt die Revision
keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. 15 Beruht die
erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf zu
verantwortender Trunkenheit, spricht dies in der Regel gegen eine
solche Strafrahmenverschiebung, wenn sich auf Grund der
persönlichen oder situativen Verhältnisse des
Einzelfalles das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar
signifikant in Folge der Alkoholisierung erhöht hat. Ob dies
der Fall ist, hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu bestimmen;
seine Entscheidung unterliegt nur eingeschränkter
revisionsgerichtlicher Überprüfung (vgl. BGHSt 49,
239 = NJW 2004, 3350). Gemessen an diesen Grundsätzen ist die
vom Landgericht hinreichend begründete Entscheidung, den
Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB gemäß
§§ 21, 49 StGB zu mildern, aus Rechtsgründen
nicht zu beanstanden. 16 Nach den Feststellungen beruhte die erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zwar auf
einer von ihm zu verantwortenden Trunkenheit. Ohne Rechtsfehler ist das
Landgericht aber "mangels gegenteiliger Anhaltspunkte" davon
ausgegangen, "dass der Angeklagte bisher nie unter Alkoholeinfluss
aggressiv und gewalttätig, insbesondere bezogen auf die
Befriedigung sexueller Bedürfnisse, wurde und er auch bisher
in diesem Zusammenhang keine homosexuellen Neigungen
verspürte". Eine für den Angeklagten vorhersehbare
signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten
in Folge seiner Alkoholisierung auf Grund seiner persönlichen
Verhältnisse lag danach nicht vor. Ebenso fehlt es an einer
für den Angeklagten vorhersehbaren Risikoerhöhung auf
Grund der situativen Verhältnisse. Der Angeklagte 17
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befand sich nicht in einer gefahrträchtigen Lage, als er den
Alkohol zu sich nahm. Er hat sich auch danach weder bewusst noch mit
einer gewissen Leichtfertigkeit in die Tatsituation gebracht (vgl. dazu
BGHSt 49, 239, 243 f. = NJW 2004, 3350), denn er hatte nach den auch
insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu dem Zeitpunkt,
als er sich auf den Wunsch des Nebenklägers bereit
erklärte, diesen nach Hause zu bringen, die Tatbegehung "weder
geplant noch überhaupt vorausgesehen". 3. Die
Erwägungen zur Bemessung der Höhe der
verhängten Freiheitsstrafe weisen ebenfalls keinen
durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Der
Erörterung bedarf insoweit nur Folgendes: 18 Das Landgericht
hat mit Rücksicht auf die hier gegebenen besonderen
Umstände der Tat nicht strafschärfend
berücksichtigt, dass der Angeklagte mit dem Tatopfer den
ungeschützten Oral- bzw. Analverkehr vollzogen hat. Zwar kann
auch dann, wenn es bei einem solchen Verkehr - wie hier - nicht zum
Samenerguss gekommen ist, die ungeschützte Vornahme solcher
sexuellen Handlungen grundsätzlich strafschärfend
berücksichtigt werden, wobei sich erschwerend insbesondere der
Umstand auswirkt, dass eine solche Tatausführung mit der
erhöhten Gefahr einer Infektion verbunden sein kann (vgl. BGHR
StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 14). Das Landgericht hat dies
aber nicht verkannt, sondern die Infektionsgefahr deshalb nicht
strafschärfend berücksichtigt, weil hier - anders als
in der vorgenannten Entscheidung - keine konkreten Anhaltspunkte
dafür bestanden, "dass der Angeklagte tatsächlich
unter irgendeiner ansteckenden (Geschlechts -) Krankheit leidet". Diese
Wertung ist rechtlich nicht zu beanstanden. 19
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Zwar ist die verhängte Freiheitsstrafe, zumal die
Vorgehensweise des Angeklagten vom Tatopfer "als
äußerst Ekel erregend und demütigend
empfunden" werden musste, niedrig. Sie ist aber entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführerin nicht (unvertretbar) milde. 20
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