BGH,
Urt. v. 15.2.2007 - 4 StR 467/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 467/06
vom
15.2.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15.02.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz, Prof. Dr. Kuckein, Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der
Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom
28. Juni 2006 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem
Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt
die Staatskasse. Die Kosten der Revisionen des Angeklagten und der
Nebenkläger fallen dem jeweiligen Beschwerdeführer
zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden
sich der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die
Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge
gestützten Revisionen. Der Angeklagte rügt die
Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt - ebenso
wie die Nebenkläger - mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten
eingelegten Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird,
eine Verurteilung wegen Mordes. Sämtliche Rechtsmittel
erweisen sich als unbegründet.
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II.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Nach zwei gescheiterten Beziehungen lebte der Angeklagte, der an einer
kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden
Elementen und narzisstischen Zügen leidet, von 1999 bis zum
September 2005 mit Nicole K. , dem späteren Tatopfer, in
häuslicher Lebensgemeinschaft, aus der ein gemeinsames Kind
hervorging. Auch diese Beziehung war, insbesondere wegen der grundlosen
Eifersucht des Angeklagten, spannungs- und streitbeladen und wurde
schließlich von Nicole K. beendet. Der Angeklagte konnte
sich, wie auch beim Scheitern seiner früheren Beziehungen, mit
der Trennung nicht abfinden. Im September 2005 kam es deswegen bei
einer von ihm erbetenen Aussprache zwischen ihm und Nicole K. zu einem
heftigen Streit, in dessen Verlauf er sie zu Boden warf und ihr ein
Messer vor den Körper hielt. Erst als ihr Vater zu Hilfe
eilte, ließ er von ihr ab. Bei ihren
Abwehrbemühungen erlitt sie eine Schnittverletzung an der
Hand. Auch nach diesem Vorfall bemühte sich der Angeklagte
weiter um eine Fortsetzung der Beziehung.
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Am 17. November 2005 wurde der Angeklagte von Arbeitskollegen damit
gehänselt, dass Nicole K. "jetzt einen anderen Mann
küsse", worauf er antwortete, "dass dies nicht mehr lange der
Fall" sein werde. Am Nachmittag begegnete ihm Nicole K. , die auf ihrem
Fahrrad durch Schönebeck fuhr. Sie hielt zwar an, lehnte aber
eine nochmalige Aussprache über die aus ihrer Sicht
endgültig beendete Beziehung ab. Es kam zu einem teilweise
lautstark geführten Wortgefecht, wobei der Angeklagte aus Wut
so heftig gegen ihr Fahrrad trat, dass sie es nur noch schieben konnte.
Den Vorschlag des Angeklagten, sie mit seinem Fahrzeug zu ihrem
Fahrtziel zu fahren, lehnte sie ab. Sie hatte Angst, weinte und
versuchte, mit ihrem Handy zu telefonieren. Streitend gingen sie etwa
fünf Minuten nebeneinander her, wobei sie ihr Fahrrad zwischen
ihnen schob. Nunmehr wurde dem Angeklagten bewusst, dass er Nicole K.
nicht zurückgewinnen konnte. Aus "Wut, Verzweiflung,
endgültiger Verlustangst, Är-
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ger und Enttäuschung über das Scheitern der
Beziehung" entschloss er sich, sie zu töten. Er nahm aus
seiner Hosentasche ein aufklappbares Taschenmesser mit einer
Klingenlänge von neun Zentimetern und versetzte Nicole K.
sechs Messerstiche in den Hals- und Brustbereich. Auch durch Rufe einer
Zeugin ließ er sich von seinem Tun nicht abbringen. Das Opfer
verstarb alsbald an innerem Verbluten. Der Angeklagte fuhr mit seinem
Pkw zu Bekannten, von denen er ein Alibi für die Tatzeit
erhalten wollte. Danach ging er seinen gewöhnlichen
Verrichtungen nach, bis er am Abend festgenommen wurde.
III.
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
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Ohne Erfolg wenden sich die Staatsanwaltschaft und die
Nebenkläger dagegen, dass der Angeklagte nicht wegen Mordes,
sondern nur wegen Totschlags verurteilt worden ist.
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a) Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen
ist das Schwurgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der
Angeklagte nicht heimtückisch im Sinne des § 211 Abs.
2 StGB gehandelt hat.
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Nach der Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in
feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers
bewusst zur Tötung ausnutzt, wobei auf den Beginn des ersten
mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs abzustellen ist
(vgl. BGHSt 32, 382, 384). Ein bloßer, der Tat
vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre
oder ein generelles Misstrauen schließen die
Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht
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die Gefahr einer Tätlichkeit entnommen hat. Erforderlich ist
vielmehr für die Beseitigung der Arglosigkeit auch bei einem
vorangegangenen Streit, dass das Opfer mit einem tätlichen
Angriff rechnet (vgl. BGHSt 33, 363; 39, 353, 368; BGHR StGB §
211 Abs. 2 Heimtücke 21; BGH NStZ 2003, 146).
Dass Letzteres hier vorgelegen hat, hat das Landgericht unter
Berücksichtigung der Vorgeschichte und des Verlaufs der dem
Tatgeschehen unmittelbar vorausgegangenen Auseinandersetzung nicht
auszuschließen vermocht. Nach den insoweit getroffenen
Feststellungen war Nicole K. bei dem Zusammentreffen mit dem
Angeklagten bewusst, dass dieser nach wie vor nicht bereit war, die
Trennung zu akzeptieren. Sie wusste, dass er etwa zwei Monate zuvor auf
ihre Weigerung zur Fortsetzung der Beziehung mit Tätlichkeiten
reagiert und ihr sogar ein Messer vor den Körper gehalten
hatte. Dass ihre erneute Ablehnung einer von ihm erbetenen Aussprache
ihn wiederum in große Wut versetzte, erkannte sie daran, dass
er mit einem Fußtritt ihr Fahrrad massiv
beschädigte. Es liegt durchaus nahe, dass sie nach dieser
Eskalation weitere Wutausbrüche bis hin zu einem schweren
Angriff auf ihren Körper befürchtete. Dafür
spricht, dass sie Angst vor dem Angeklagten hatte, weinte und nicht
bereit war, sich von ihm in seinem Pkw zu ihrem Fahrtziel bringen zu
lassen. Demgegenüber folgt aus der Tatsache, dass Nicole K.
während der andauernden verbalen Auseinandersetzung nicht
versuchte, sich vom Angeklagten zu entfernen, und statt dessen ihn mit
Worten zu beschwichtigen suchte, nicht ohne Weiteres die Arglosigkeit
des späteren Opfers. Auf die Frage, ob das Opfer gesehen hat,
wie der Angeklagte unmittelbar vor dem Zustechen das Messer zog und
aufklappte, kommt es nicht an, weil das Opfer zu diesem Zeitpunkt
bereits nicht mehr arglos war.
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b) Das Landgericht hat auch das Mordmerkmal der niedrigen
Beweggründe auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen
rechtsfehlerfrei verneint.
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Es ist zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe Nicole
K. aus "Wut, Verzweiflung, endgültiger Verlustangst,
Ärger und Enttäuschung über das Scheitern
der Beziehung" getötet. Es hat nicht feststellen
können, welches dieser Motive für die Tötung
ausschlaggebend gewesen ist und hat deshalb die Motivation des
Angeklagten insgesamt nicht als auf niedrigster Stufe stehend angesehen.
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Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung stand.
Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die
vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen
Beweggründen, wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden
Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner
sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und besonders verwerflich
sind (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 20;
BGH NStZ 2004, 34; 2006, 338, 340 m.w.N.).
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Ein solcher Fall ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen nicht gegeben. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass
bei der Tötung auch Wut und Ärger des Angeklagten
über das Scheitern der Beziehung eine Rolle gespielt haben.
Dass es - trotz der Reaktion des Angeklagten auf die
Hänseleien seiner Arbeitskollegen am Vormittag des Tattages -
diese Motivation nicht als tatbeherrschend angesehen hat, begegnet
indes keinen rechtlichen Bedenken. Vielmehr ist anhand der
Vorgeschichte der Tat belegt, dass gleichbedeutend
tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der
Verzweiflung des Angeklagten über die Trennung und
über das Erkennen, dass sich seine Lebensgefährtin
endgültig von ihm abgewandt hatte, waren. Hinzu kommt, dass der
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Angeklagte eine dissoziale Persönlichkeitsstörung
aufweist, auf Grund derer er sein Selbstwertgefühl einerseits
nur über die Beziehung zu einer Partnerin definiert,
andererseits aber nicht in der Lage ist, eine längerfristige
Beziehung beizubehalten. Vor diesem Hintergrund hält es sich
im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR
2004, 79, 80; NStZ 2006, 338, 340), dass das Landgericht die
für den Angeklagten bestimmenden Motive in ihrer Gesamtheit
nicht als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gewertet hat.
2. Die Revision des Angeklagten
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Die Überprüfung des Urteils auf Grund der vom
Angeklagten erhobenen Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum
Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben;
insbesondere begegnet auch die Verneinung erheblich verminderter
Schuldfähigkeit keinen rechtlichen Bedenken.
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