BGH,
Urt. v. 15.6.2000 - 4 StR 172/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 172/00
vom
15. Juni 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15.
Juni 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner, die Richter am
Bundesgerichtshof Maatz, Athing, die Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovic, den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als
beisitzende Richter, Bundesanwalt in der Verhandlung, Staatsanwalt bei
der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt aus Karlsruhe als Verteidiger für den Angeklagten
U. R. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Essen vom 16. August 1999, soweit es die Angeklagten K. R.
und U. R. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten K. R. und U.
R. jeweils wegen schweren Raubes in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung verurteilt, und zwar
den Angeklagten K. R. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und den
Angeklagten U. R. zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren.
Darüber hinaus hat es die Unterbringung der Angeklagten in
einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich
die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision. Die
Beschwerdeführerin beanstandet mit sachlichrechtlichen
Einwendungen, daß das Landgericht die Angeklagten nicht auch
wegen versuchten Mordes statt lediglich wegen gefährlicher
Körperverletzung verurteilt hat. Das - vom Generalbundesanwalt
vertretene - Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschlossen die Angeklagten
sowie die frühere Mitangeklagte P. deren Freund, G. , in
dessen Wohnung mit Arzneimitteln zu betäuben, ihm Geld,
nämlich die Tageseinnahmen aus der von ihm betriebenen
Gaststätte "T. ", wegzunehmen und sich davon Heroin
für ihren Eigenkonsum zu beschaffen. In Ausführung
des Tatplans rührte P. ein Mittel in den Kakao, den sie G. zu
trinken gab. Dieser fiel aber nicht, wie erhofft, in einen tiefen,
sondern nur in einen leichten Schlaf. Um ihren Plan dennoch zu
verwirklichen, beschlossen die Angeklagten, "nicht mehr lange
zuzuwarten, sondern G. mit
Messern zu bedrohen und etwaigen Widerstand notfalls auch durch
Messerstiche in den Leib zu brechen". Der Angeklagte U. R. hatte ein
eigenes Messer bei sich; der Angeklagte K. R. nahm sich aus der
Küche ein Messer und legte weitere Messer bereit. Nachdem P.
aus der Jacke des G. eine Geldbörse mit 1.000 DM an sich
gebracht hatte, wachte G. auf. "Den Angeklagten war jetzt klar,
daß sie, ohne die Messer einzusetzen, nicht an das Geld aus
dem ´T. ´ gelangen würden" (UA 10 f.). "Um
mit G. leichteres Spiel zu haben", brachte P. dessen
Hund, einen Rottweiler, aus der Wohnung. Währenddessen hielten
sich die beiden Angeklagten in der Wohnung verborgen; sie waren sich
"einig ..., G. notfalls auch in die Gefahr des Todes zu bringen". Als
G. erneut aufstand und in den unbeleuchteten Flur kam, "griffen ihn die
Angeklagten R. unvermittelt an. Beide schlugen und traten auf ihn ein.
G. setzte sich zur Wehr. Daraufhin zog einer der beiden - wer, ist
unklar - sein Messer und stach im Dunkeln mehrfach auf G. ein. Dabei
nahm er in Kauf, sein Opfer tödlich zu verletzen". G. erlitt
tiefe Schnittverletzungen am Rücken und am Hals, konnte sich
aber befreien und hilferufend ins Treppenhaus retten. Die Angeklagten
flüchteten.
Die Angeklagten haben die Tat gestanden, sich der Messerstiche aber
gegenseitig bezichtigt. Einen bedingten Tötungsvorsatz haben
sie in Abrede gestellt; sie hätten sich "lediglich mit der
Gefahr seines Todes abgefunden", aber "auf einen glücklichen
Ausgang vertraut".
2. Das Landgericht hat die Angeklagten (neben tateinheitlich begangenem
schweren Raub) jeweils lediglich der gefährlichen
Körperverletzung für schuldig befunden, obwohl es
"nach Zahl, Richtung und der durch die Verletzungsfolgen belegten Wucht
der Stiche und Schnitte" davon ausgegangen ist, daß der
Messereinsatz mit bedingtem Tötungsvorsatz erfolgte. An einer
Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts hat es sich
deshalb gehindert gesehen, weil es nicht feststellen konnte,
daß beide Angeklagten ihre Messer gegen G. geführt
haben bzw. wer von ihnen auf G. eingestochen hat. Zwar hat die
frühere Mitangeklagte P. angegeben, beide Angeklagten
hätten ihr gegenüber den Messereinsatz zugegeben. Das
Gericht hat sich aber nicht von der Glaubhaftigkeit der Aussage zu
überzeugen vermocht. Dies weist für sich keinen
Rechtsfehler auf. Was die Beschwerdeführerin hiergegen
einwendet, erschöpft sich in dem unzulässigen
Versuch, die tatrichterliche Würdigung durch eine eigene zu
ersetzen.
Doch kann das Urteil nicht bestehen bleiben, denn die Ansicht des
Tatrichters, derjenige der Angeklagten, der nicht selbst zugestochen
hat, habe zwar an dem Raub ein Interesse gehabt und auch die gewaltsame
Überwindung des Widerstands des Opfers gewollt, nicht jedoch
auch dessen Tod in Kauf genommen, ist nicht nachvollziehbar (vgl. BGHR
StGB § 25 Abs. 2 Tatinteresse 5); die Annahme, der konkrete
Messereinsatz sei ein vom gemeinsamen Tatplan nicht umfaßter
Exzeß, wird den getroffenen Feststellungen nicht gerecht. Ihr
liegt zudem ein zu enges Verständnis der Zurechnung eines
Taterfolgs bei mittäterschaftlichem Verhalten zugrunde:
a) Einer auf gemeinsamem Willen beruhenden Mittäterschaft
steht mangelnde Eigenhändigkeit, und zwar auch bei
Tötungsdelikten, nicht entgegen (BGH NJW 1999, 2449 m.w.N.;
BGH StV 1998, 540; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 16,
18). Das Landgericht hat seine rechtliche Bewertung deshalb schon
dadurch im Ansatz verkürzt, daß es bei der
Prüfung einer Beteiligung an dem versuchten
Tötungsdelikt allein auf die unmittelbare
Tatausführung beim Zustechen abgestellt hat. Die Annahme von
Mittäterschaft erfordert jedoch nicht zwingend auch eine
Mitwirkung am Kerngeschehen (zu einem vergleichbaren Sachverhalt BGHR
StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 26).
b) An sich hat das Landgericht dies auch nicht verkannt; denn es hat
beide Angeklagten auch hinsichtlich der gefährlichen
Körperverletzung als Mittäter verurteilt und ihnen
dabei - wie die Liste der angewandten Vorschriften der
§§ 224 Abs. 1 Nrn. 2, 4 und 5, 250 Abs. 2 Nrn. 1, 3
a) und b), 25 Abs. 2 StGB belegt - auch den lebensgefährlichen
Messereinsatz als vom gemeinsamen Entschluß getragen
angelastet. Zu Recht hat es sich daran nicht dadurch gehindert gesehen,
daß "angesichts der Dunkelheit, die auf dem Flur herrschte,
nicht einmal zu beweisen" war, daß "der, der nicht selbst das
Messer gegen G. führte, ... den Einsatz eines Messers durch
den anderen überhaupt sah".
Bei dieser Sachlage fehlt es für die Annahme des Landgerichts,
der bedingte Tötungsvorsatz sei "allein dem nachzuweisen, der
das Messer gegen G. führte", an einer nachvollziehbaren
Begründung. Zwar zwingt nicht jeder objektiv
lebensgefährliche Einsatz eines Messers zur Annahme zumindest
bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. BGHR StGB § 212 Abs.
1 Vorsatz, bedingter 11, 13, 22, 24). Angesichts der beide Angeklagten
beherrschenden Motivation, unbedingt - auch um den Preis, daß
G. durch Messerstiche in den Leib in Todesgefahr geriet - an dessen
Geld zu gelangen, um sich davon Heroin zu besorgen, liegt es hier aber
nahe, daß beiden das Schicksal des Opfers jedenfalls
gleichgültig war. Schon dies läßt entgegen
der Annahme des Landgerichts auch auf eine Billigung des
tödlichen Erfolges durch beide Angeklagten schließen
(BGH NStZ 1998, 511, 513 m.w.N.).
Das Landgericht stützt sich für seine gegenteilige
Annahme allein auf die Einlassung der beiden Angeklagten, die jeder
für sich geltend machen, sie hätten sich zwar mit der
Gefahr des Todes für das Opfer abgefunden, aber auf einen
glücklichen Ausgang vertraut. Es hat aber diese Einlassung
hinsichtlich desjenigen der Angeklagten, der selbst zugestochen hat, zu
Recht für widerlegt erachtet. Das hat jedoch auch Bedeutung
für den anderen Angeklagten.
Irgendwelche Hinweise, wie nach der gemeinsamen Vorstellung der
Angeklagten sichergestellt sein sollte, daß der Messereinsatz
zwar notfalls das Leben des Geschädigten in Gefahr bringen,
der Eintritt des Todes aber abgewendet werden sollte, enthält
das Urteil nicht. Von einem kontrollierten Messereinsatz, bei dem es
die Angeklagten in der Hand hatten, welche Körperstellen des
Geschädigten getroffen wurden (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai
1992 - 3 StR 28/92), kann schon angesichts ihres
überfallartigen Vorgehens in dem zudem dunklen Flur nicht
ausgegangen werden. Nach der Art des vom gemeinsamen Willen beider
Angeklagten getragenen Messereinsatzes, der auch Stiche in den Bereich
lebenswichtiger Organe des Opfers einschloß, konnte auch
derjenige von ihnen, der nicht selbst zugestochen hat, allenfalls vage
- aber nicht ernsthaft - darauf vertrauen, G. werde trotz der von ihnen
bewußt in Kauf genommenen Lebensgefahr nicht zu Tode kommen
(BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 2, 3; BGH, Urteil
vom 16. September 1998 - 2 StR 341/98). Schließlich ist auch
keinerlei Grund ersichtlich, weshalb derjenige, der selbst zugestochen
hat, dabei nach Art und Intensität der Stiche über
den von beiden verfolgten Zweck hinausgegangen sein und sich allein,
nicht aber auch der andere Angeklagte, mit dem Tod des Opfers
abgefunden haben sollte. Das Verhalten des Tatopfers gibt
dafür nichts her, denn daß es sich zur Wehr setzte,
war nach dem gemeinsamen Tatplan gerade der Anlaß zum
Messereinsatz.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler betrifft nur die rechtliche Bewertung
der im übrigen zur objektiven und subjektiven Tatseite beider
Angeklagten rechtsfehlerfrei und vollständig getroffenen
Feststellungen. Auf dieser Tatsachengrundlage sind die Angeklagten
jeweils des - gemeinschaftlich begangenen - versuchten Mordes in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (BGHSt
44, 196) in weiterer Tateinheit mit schwerem Raub schuldig. Obwohl
schon die unverändert zugelassene Anklage den Angeklagten auch
jeweils versuchten Mord (aus Habgier) zur Last gelegt hat, sieht sich
der Senat gehindert, die Schuldsprüche entsprechend zu
ändern, weil die Frage, ob die Angeklagten vom Versuch des
Tötungsdelikts nach § 24 StGB mit strafbefreiender
Wirkung zurückgetreten sind, der Prüfung bedarf.
Dabei wird zu erörtern sein, ob der Versuch fehlgeschlagen
war, nachdem es G. "irgendwie" gelang, den Angeklagten zu entkommen und
ins Treppenhaus zu flüchten (vgl. BGHSt 35, 90, 94; 39, 221,
228).
Meyer-Goßner Maatz Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |