BGH,
Urt. v. 15.6.2005 - 2 StR 30/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 30/05
vom
15.06.2005
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Juni
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts
Hanau vom 13. Oktober 2004 mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten vorgeworfen, durch acht
selbständige Handlungen jeweils einen Betrug zum Nachteil der
V.-Bank begangen
zu haben, indem er als Teilnehmer an dem Lastschriftverfahren in acht
Fällen Lastschriften Dritter vorlegte und sich die
Beträge hat gutschreiben lassen,
obwohl er damit rechnete, daß die Lastschriften - letztlich
zum finanziellen
Nachteil der V.-Bank - in offener Frist widerrufen werden
würden.
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und von einer
Entscheidung
über den Adhäsionsantrag abgesehen; letzteres ist
nicht angefochten.
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Gegen den Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft,
mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts
rügt. Das Rechtsmittel
hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg. Eines Eingehens
auf die
Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.
A)
Das Landgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte arbeitete zur Tatzeit für die Firma S. , einem
Kurierdienst
in F. , als Subunternehmer und erledigte dabei europaweite
Warenauslieferungs-Touren. Am 7. April 2003 eröffnete er bei
der V.-Bank ein
Firmenkonto und schloß eine sogenannte "Vereinbarung
über den Einzug von
Forderungen durch Lastschriften."
Im Mai oder Juni 2003 wandte sich der in der Regel
überschuldete Angeklagte,
weil der Druck seiner Gläubiger zunahm, an eine Frau G., die
ihm
schon einmal ein Darlehen über 15.000 € vermittelt
hatte. Frau G. hatte Personen
zur Hand, die bereit waren, Gelder kurzfristig gegen einen sehr hohen
Zinsertrag darlehensweise zu investieren. Diese Personen waren damit
einverstanden,
daß das von ihnen zu diesem Zwecke zur Verfügung zu
stellende
Geld im Wege des Lastschriftverfahrens und einer zu erteilenden
Einzugsermächtigung
von dem Zahlungsempfänger eingezogen und
anschließend von
diesem verwendet werden sollte. Im Innenverhältnis zu den
Investoren benötigte
Frau G. - "möglicherweise als Sicherheit" (nähere
Feststellungen dazu hat
das Landgericht nicht getroffen) - Forderungen, die sie im Wege des
Forderungskaufs
(Factoring) zunächst ihrerseits zu erwerben hatte. Deshalb
forderte
sie den Angeklagten auf, Scheinrechungen über von diesem nicht
erbrachte
Leistungen zu erstellen, damit sie diese vorgeblichen Forderungen im
Wege
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des Factoring für sich "ankaufen" konnte. Dem kam der
Angeklagte nach.
Durch Vermittlung von Frau G. erhielt der Angeklagte einen Antrag auf
Abschluß
eines Factoring-Vertrages, den er unterschrieben zurücksandte,
sowie
Lastschriften mit den entsprechenden schriftlichen
Einzugsermächtigungen der
- ihm persönlich unbekannten - Investoren und Darlehensgeber.
Die Lastschriften
reichte der Angeklagte dann jeweils bei der V.-Bank ein, die eine
entsprechende
Gutschrift auf seinem Konto veranlaßte, worüber der
Angeklagte verfügen
konnte und tatsächlich auch verfügte. Er ging dabei
entsprechend der tatsächlichen
Sachlage davon aus, daß der zahlungspflichtige
Ermächtigungsgeber
ihm kurzfristig ein Darlehen zur Verfügung stellen wollte und
deshalb auch
mit der Einziehung und Verwendung des Geldes einverstanden
wäre. Mit einem
Widerruf der Lastschrift rechnete er nach Ansicht des Landgerichts nicht
und konnte damit auch nicht rechnen.
Der Angeklagte reichte am 7. Juli 2003 eine Lastschrift über
15.000 €
ein (Fall 1 der Anklage) und überwies, als er das Geld von der
V.-Bank zur Verfügung
gestellt erhalten hatte, an Frau G. die dieser vertraglich versprochenen
Provisionen und Gebühren in Höhe von 4.050
€. Zu einem Widerruf der Lastschrift
durch den Geldgeber kam es nicht. Als die Rückzahlung des
Darlehens
anstand, war der Angeklagte dazu nicht in der Lage und ließ
sich von Frau G.
weitere Darlehen vermitteln. Diese verlangte wiederum von ihm eine
Scheinrechnung
und übermittelte erneut einen Antrag auf Abschluß
eines Factoring-
Vertrages über einen fingierten Rechnungsbetrag sowie
Lastschriften und Einzugsermächtigungen
von zwei privaten Investoren über 19.000 € und 3.000
€.
Der Angeklagte legte die Lastschriften am 4. August 2003 der V.-Bank
vor (Fall
2 der Anklage), entrichtete an Frau G. die zuvor ausbedungenen
Gebühren
und Provisionen und zahlte von dem Rest das erste Darlehen
zurück. Zu einem
Widerruf der Lastschriften, mit dem der Angeklagte auch nicht gerechnet
hatte,
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kam es ebenfalls nicht. Zur Rückzahlung dieses Darlehens
vermittelte Frau G.
dem Angeklagten auf die geschilderte Weise Darlehen über
36.000 € (zwei
Investoren). Die diesbezüglichen Lastschriften legte der
Angeklagte am
5. September 2003 der V.-Bank vor (Fall 3 der Anklage). Auch in diesem
Fall
erfolgte kein Widerruf der Lastschriften. In der Folge kam es zu
weiteren Darlehensgeschäften
in der vorbeschriebenen Weise wie folgt:
am 8. Oktober 2003 Lastschriften über insgesamt 51.000
€
(4 Investoren; Fall 4 der Anklage);
am 5. November 2003 Lastschriften über insgesamt 70.000
€
(4 Investoren; Fall 5 der Anklage);
am 5. Dezember 2003 Lastschriften über insgesamt 103.000
€
(6 Investoren; Fall 6 der Anklage);
am 7. Januar 2004 Lastschriften über insgesamt 140.000
€
(6 Investoren; Fall 7 der Anklage);
am 2. Februar 2004 Lastschriften über insgesamt 75.000
€
(5 Investoren; Fall 8 der Anklage).
In den ersten sechs Fällen überwies der Angeklagte im
Zeitpunkt der
Fälligkeit der Darlehen jeweils die erhaltene Darlehenssumme
an den betreffenden
Darlehensgeber. Die von Frau G. vom Angeklagten erhaltenen
Gebühren
und Provisionen betrugen insgesamt 107.750 €.
Anfang Februar 2004 widerriefen die Darlehensgeber in den
Fällen 7
und 8 der Anklage die Einzugsermächtigungen bzw. es wurden
Lastschriften
nicht angenommen. Dies führte dazu, daß das Konto
des Angeklagten bei der
V.-Bank mit einem Sollsaldo in Höhe von insgesamt 145.358
€ belastet wurde.
Abzüglich eines Guthabens in Höhe von 5.659,74
€ entstand der V.-Bank ein
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Gesamtschaden in Höhe von 139.698,26 €, der vom
Angeklagten nicht ausgeglichen
werden konnte, weil er zahlungsunfähig ist.
Diesen Betrag nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem
9. Februar 2004 hat die V.-Bank im vorliegenden Verfahren im Wege der
Adhäsionsklage
gegen den Angeklagten geltend gemacht.
Die Kammer ist der Ansicht, ein Betrug sei nur dann gegeben, wenn
Lastschriften über fingierte Forderungen ausgestellt und der
jeweiligen Bank
zur Gutschrift vorgelegt werden, weil dann vorgetäuscht werde,
es käme nicht
zu einem fristgerechten Widerruf. Im vorliegenden Fall lägen
aber keine fingierten
Forderungen zugrunde sondern echte Darlehensansprüche, so
daß die
Bank nicht über einen etwaigen Widerruf getäuscht
werde. Der Angeklagte sei
selbst davon ausgegangen, die Darlehen zurückzahlen zu
können, wie es in
den Fällen 1 bis 6 der Anklage auch geschehen sei. Der
Angeklagte habe die
Bank daher nicht getäuscht und auch keinen entsprechenden
Betrugsvorsatz
gehabt.
Die Kammer meint, dem Angeklagten sei nicht zu widerlegen,
daß er
nicht mit einem Widerruf der Lastschriften gerechnet habe. Dies gelte
auch für
die Fälle 7 und 8 der Anklage, da Frau G. ihm
überraschend mitgeteilt habe,
die Geldgeber hätten sich plötzlich
zurückgezogen.
B)
Das angefochtene Urteil ist, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde,
auf die Sachrüge der staatsanwaltschaftlichen Revision hin
aufzuheben.
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Der Tatrichter hat rechtsfehlerhaft eine Täuschungshandlung
gegenüber
der V.-Bank verneint (B II.) und dementsprechend auch einen
Betrugsvorsatz
des Angeklagten rechtlich unzutreffend nicht festgestellt (B III.).
Die Urteilsausführungen des Landgerichts lassen besorgen,
daß nur
dann ein Betrug zu Lasten der V.-Bank angenommen werden könne,
wenn den
Lastschriften fingierte Forderungen zugrunde liegen. Dies trifft nicht
zu.
I. Zur Beurteilung der Frage, ob im vorliegenden Fall ein Betrug in
Betracht
kommt, sind die Grundzüge des Lastschriftverfahrens
heranzuziehen.
1. Das Lastschriftverfahren stellt ein Instrument des bargeldlosen
Zahlungsverkehrs
dar, das im Gegensatz zur Giroüberweisung nicht vom Zahlenden
sondern vom Zahlungsempfänger in Gang gesetzt wird (vgl.
Canaris,
BankvertragsR in Staub HGB Großkommentar 4. Aufl. Rdn. 528
ff.).
Zahlungsempfänger ist der Gläubiger, der den
"Lastschriftauftrag" seinem
kontoführenden Kreditinstitut zum Einzug hereingibt.
Zahlungspflichtiger
ist der Schuldner, von dessen Konto der Lastschriftbetrag eingezogen
werden
soll. Erste Inkassostelle ist das Kreditinstitut, das als
kontoführendes Institut
des Gläubigers diesen zum Lastschriftverfahren zugelassen hat
(Gläubigerbank).
Zahlstelle ist das Kreditinstitut des Schuldners, das dessen Konto mit
dem Lastschriftbetrag belastet (Schuldnerbank).
Einzugsermächtigung ist die
vom Schuldner seinem Gläubiger grundsätzlich
schriftlich erteilte "Ermächtigung",
Forderungen im Lastschriftwege einzuziehen. Rücklastschriften
sind
Lastschriften, die nicht eingelöst wurden bzw. denen, soweit
als Einzugsermächtigungs-
Lastschriften gekennzeichnet, vom Schuldner widersprochen
wurde. Rückrechnungslastschriften sind Lastschriften, mit
denen die Zahlstelle
das Konto der ersten Inkassostelle aufgrund der im Lastschriftabkommen
ent-
9 -
haltenen Ermächtigung bei Vorliegen von
Rücklastschriften belastet (vgl. hierzu
im einzelnen van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-
Handbuch 2. Aufl. § 56 Rdn. 17-24).
2. Das Lastschriftverfahren richtet sich nach dem "Abkommen
über den
Lastschriftverkehr", das zwischen den Spitzenverbänden des
Kreditgewerbes
vereinbart wurde. Das Lastschriftabkommen (LSA vom 12. Dezember 1995;
vgl. van Gelder aaO Anhang zu §§ 56-59) trifft unter
anderem folgende Regelungen:
Im Rahmen des Lastschriftverfahrens wird zugunsten des
Zahlungsempfängers
über sein Kreditinstitut (erste Inkassostelle) von dem Konto
des Zahlungspflichtigen
bei demselben oder einem anderen Kreditinstitut (Zahlstelle),
der sich aus der Lastschrift ergebende Betrag eingezogen und zwar
aufgrund
einer Einzugsermächtigung (LSA I Nr. 1). Die erste
Inkassostelle nimmt Aufträge
zum Einzug fälliger Forderungen, für deren
Geltendmachung nicht die Vorlage
einer Urkunde erforderlich ist, mittels Lastschrift herein [LSA I Nr. 2
(1)].
Bei Lastschriften, die als Einzugsermächtigungen
gekennzeichnet sind, haftet
die erste Inkassostelle der Zahlstelle für jeden Schaden, der
dieser durch unberechtigt
eingereichte Lastschriften entsteht (LSA I Nr. 5). Lastschriften sind
zahlbar, wenn sie bei der Zahlstelle eingehen (LSA I Nr. 6). Die erste
Inkassostelle
ist - auch bei Verletzung dieses Abkommens und unbeschadet etwaiger
Schadensersatzansprüche - verpflichtet, nicht
eingelöste bzw. wegen Widerspruchs
des Zahlungspflichtigen zurückgegebene Lastschriften ...
zurückzunehmen
und wieder zu vergüten; sie darf diese Lastschrift nicht
erneut zum
Einzug geben (LSA II Nr. 3). Lastschriften, die als
Einzugsermächtigungslastschriften
gekennzeichnet sind, kann die Zahlstelle auch zurückgeben und
deren
Wiedervergütung verlangen, wenn der Zahlungspflichtige der
Belastung
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widerspricht. Die Zahlstelle hat unverzüglich, nachdem sie von
dem Widerspruch
Kenntnis erlangt hat, die Lastschrift ... zurückzurechnen (LSA
III Nr. 1).
Die Rückgabe und Rückrechnung ist ausgeschlossen,
wenn der Zahlungspflichtige
nicht binnen sechs Wochen nach Belastung widerspricht.
Schadensersatzansprüche
im Sinne der Regelung im Abschnitt I Nr. 5 bleiben hiervon
unberührt (LSA III Nr. 2). Dieses Abkommen begründet
Rechte und Pflichten
nur zwischen den beteiligten Kreditinstituten (LSA IV Nr. 1).
3. Zwischen dem Zahlungsempfänger und seiner Bank (erste
Inkassostelle)
wird formularmäßig eine Vereinbarung über
den Einzug von Forderungen
durch Lastschriften getroffen (vgl. van Gelder aaO Anhang 2 zu
§§ 56-59),
nach deren Nr. 1 das Lastschriftverfahren nur dazu dient,
fällige Forderungen,
für deren Geltendmachung nicht die Vorlage einer Urkunde
erforderlich ist, mittels
Lastschrift einzuziehen. Nach Nr. 7 (betreffend das
Einzugsermächtigungsverfahren)
werden nicht eingelöste Lastschriften mit der
Einreichungswertstellung zurückbelastet; dies gilt auch
für die Rückbelastung
von Lastschriften, für die der Zahlungspflichtige nach
Belastung des
Einzugsbetrages auf seinem Konto Wiedergutschrift verlangt, weil er die
Belastung des Einzugsbetrages nicht anerkennt.
4. Aufgrund dieser im einzelnen dargestellten vertraglichen
Verpflichtungen
ergibt sich beim Lastschrifteinzugsermächtigungsverfahren ein
Schadensrisiko der ersten Inkassostelle, wenn der Zahlungspflichtige
binnen
sechs Wochen seiner Belastung widerspricht und die erste Inkassostelle
keinen (realisierbaren) Anspruch gegen weitere Beteiligte hat. Dies ist
vor
allem dann der Fall, wenn das Konto ihres Kunden, des
Zahlungsempfängers,
keine Deckung aufweist und er nicht mehr in der Lage ist, seiner
Zahlungsverpflichtung nachzukommen.
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Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 144,
349 ff.) ist die Möglichkeit des Schuldners zum Widerruf gegen
Belastungen
seines Kontos aufgrund Einzugsermächtigungslastschriften nicht
befristet und
endet erst durch Genehmigung gegenüber der Zahlstelle.
Hierdurch mindert
sich das entsprechende Schadensrisiko der ersten Inkassostelle nicht;
das
LSA ist auch nicht entsprechend geändert worden.
Ob etwaige Gegenansprüche der ersten Inkassostelle
gegenüber dem
Zahlungspflichtigen und/oder der Zahlstelle (vgl. hierzu auch BGH NJW
1979,
2145 ff.) eine andere Beurteilung erfordern würden, kann
für Fälle wie den vorliegenden,
in dem sich den getroffenen Feststellungen hierzu nichts entnehmen
läßt, offen bleiben.
5. In Rechtsprechung und Literatur wird Betrug zum Nachteil der ersten
Inkassostelle angenommen, wenn der Zahlungsempfänger
Lastschriften einreicht,
denen nur fingierte Forderungen zugrundeliegen und die erste
Inkassostelle
dadurch sowohl darüber getäuscht wird, daß
kein Widerruf erfolgen wird
als auch darüber, daß der - ansonsten
zahlungsunfähige - Zahlungsempfänger
solvent ist (vgl. dazu u.a. OLG Hamm NJW 1977, 1834, 1836; LG Oldenburg
NJW 1980, 1176, 1177; Putzo NJW 1978, 689 f.; Cramer in
Schönke/Schröder
StGB 26. Aufl. § 263 Rdn. 30; Lackner/Kühl StGB 25.
Aufl. § 263 Rdn. 11;
Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 263 Rdn. 14 a;
anderer, im Ergebnis unzutreffender
Ansicht Soyka NStZ 2004, 538, der allerdings zu Recht darauf hinweist,
daß weder die Täuschung über den
Nichtwiderruf noch über die Solvenz des
Zahlungsempfängers allein zur Annahme eines Betruges
ausreicht, da nur
dann bei der ersten Inkassostelle ein Schaden eintritt, wenn sowohl
widerrufen
wird als auch ein Anspruch gegenüber dem
Zahlungsempfänger nicht realisierbar
ist).
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Ein Betrug gegenüber der ersten Inkassostelle kommt aber nicht
nur bei
fingierten Forderungen in Betracht, sondern grundsätzlich
dann, wenn sie sowohl
darüber getäuscht wird, daß die
Lastschriften nicht widerrufen werden als
auch darüber, daß der Zahlungsempfänger im
Zeitpunkt der Rückrechnungslastschriften
seiner Bank zahlungsunfähig ist.
Dies liegt bei "Lastschriftreiterei" mit dem Ziel der Kreditbeschaffung
auf
der Hand, weil die erste Inkassostelle darüber
getäuscht wird, daß der Lastschrifteinreichung
nicht (zum Beispiel) ein übliches Umsatzgeschäft,
sondern
ein kurzfristiges Darlehen mit einem deutlich erhöhten Risiko
des Widerrufs
zugrundeliegt. Denn das Lastschriftverfahren dient als Instrument des
bargeldlosen
Zahlungsverkehrs nicht der Kreditbeschaffung. So wie die Verwendung
von Scheck und Scheckkarte zur Kreditbeschaffung in der Regel als
zweckwidrige,
zumindest ungewöhnliche Benutzung angesehen (vgl. BGHZ 64, 79,
84)
und die Hingabe von eurocheques mit dem Ziel, Darlehen auf Kosten der
Bank
zurückzuzahlen, als funktional atypische Verwendungsart der
Scheckkarte gewertet
wird (vgl. BGHZ 83, 28), so ist die "Lastschriftreiterei" mit dem Ziel
der
Kreditbeschaffung - letztlich zum Nachteil der ersten Inkassobank - mit
dem
Wesen des Lastschriftverfahrens nicht zu vereinbaren. Den
Zahlungsempfänger
trifft aufgrund seiner vertraglichen Vereinbarung mit seiner Bank in
diesen
Fällen eine Aufklärungspflicht, wenn die
Lastschriften funktional atypisch verwendet
werden. Legt er die Lastschriften ohne entsprechende Angaben seiner
Bank zur Gutschrift vor, täuscht er diese konkludent
darüber, daß die Lastschrift
hier entgegen ihrem Zweck nicht lediglich Instrument des bargeldlosen
Zahlungsverkehrs ist.
Dementsprechend hat der Angestellte der ersten Inkassobank, der dem
Konto des Zahlungsempfängers den Lastschriftbetrag
gutschreibt, bei Vorlage
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der Lastschrift mit der entsprechenden Einzugsermächtigung die
Vorstellung,
daß seiner Bank durch die Gutschrift letztlich kein Schaden
entsteht, sei es
weil die Lastschrift nicht widerrufen wird, sei es weil die Bank - bei
einem etwaigen
Widerruf - den Betrag beim Zahlungsempfänger unschwer einziehen
kann. Wird er kumulativ darüber getäuscht und trifft
er durch den bei ihm hierdurch
erregten Irrtum die Vermögensverfügung, die dann
später zum Schaden
der Bank führt, ist bei entsprechender Bereicherungsabsicht
und Betrugsvorsatz
ein Betrug zum Nachteil der ersten Inkassostelle gegeben.
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II. Diese Grundsätze hat der Tatrichter hier nicht zutreffend
erkannt.
1. Zwar geht die Strafkammer zu Recht davon aus, daß ein
Betrug zum
Nachteil der ersten Inkassostelle naheliegt, wenn sie darüber
getäuscht wird,
daß nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit
einem Widerruf der Lastschrift
nicht zu rechnen sein wird, obwohl die Beteiligten bereits ins Auge
gefaßt
hatten, vor Fristablauf einen Widerruf zu erklären, nachdem
die zunächst
erhaltene Liquidität zum Nachteil der auszahlenden Bank von
ihrem - in Wirklichkeit
zahlungsunfähigen - Kunden (dem Zahlungsempfänger)
verwendet
wurde. Die Annahme eines solchen Betruges drängt sich auf,
wenn die Lastschriften
über fingierte Forderungen ausgestellt wurden, da dann ein
entsprechender
Widerruf zu erwarten war, und wenn das Konto des
Zahlungsempfängers
keine Deckung aufweist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts
kommt ein solcher Betrug aber auch dann - wie oben ausgeführt
- in Betracht,
wenn den Lastschriften "echte" Forderungen zugrundeliegen. Entscheidend
ist,
ob mit einem Widerruf der Lastschrift zu rechnen ist und ob die Bank
sich gegebenenfalls
an ihrem Kunden (Zahlungsempfänger) schadlos halten kann,
zum Beispiel weil sein Konto entsprechende Deckung aufweist. Die Frage
des
Zugrundeliegens einer fingierten oder einer echten Forderung ist nur
ein Indiz
für die Wahrscheinlichkeit eines Widerrufs und für
die Täuschungsabsicht.
Da der Angeklagte im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des
Landgerichts in der Regel überschuldet (UA S. 4) und
zahlungsunfähig (UA
S. 7) war, kam es für die
Vermögensgefährdung bzw. den Vermögensschaden
der ersten Inkassostelle entscheidend darauf an, ob mit einem Widerruf
der
Lastschriften zu rechnen war.
Die hierfür erforderlichen Feststellungen und
Gesamtwürdigung aller erheblichen
Umstände hat die Kammer rechtsfehlerhaft nicht getroffen bzw.
nicht
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vorgenommen, da sie sich ersichtlich mit dem jeweiligen Bestehen einer
fälligen
(Darlehens-)Forderung begnügte und im übrigen darauf
abstellte, daß in
den ersten sechs Fällen tatsächlich nicht widerrufen
wurde.
2. Die Kammer hätte aber in ihre Überlegung
gewichtige Umstände einbeziehen
müssen, die einen Widerruf der Lastschriften nahelegten:
Die Darlehen wurden so kurzfristig gewährt, daß sie
jeweils innerhalb
der Frist von sechs Wochen, in denen nach damals im
Geschäftsleben üblicher
Ansicht Widerruf erklärt werden konnte, fällig
wurden. Dies deutet darauf hin,
daß gezielt ein fristgerechter Widerruf durch die Schuldner
der Forderung als
Sicherungsinstrument bezweckt war.
Für die kurzfristigen Darlehen waren - ohne daß dies
die Kammer würdigt
- sehr hohe Zinsen (UA S. 4) zu bezahlen, so daß ein - zudem
ein an sich
zahlungsunfähiger - Gläubiger, der Zahlungspflicht
schwerlich nachkommen
konnte, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit eines Widerrufs
erhöht. Frau G.
erhielt allein im Falle 1 der Anklage (Darlehen über 15.000
€) Provisionen und
Gebühren in Höhe von 4.050 €; insgesamt
betrugen ihre Gebühren und Provisionen
über 100.000 € (UA S. 8). Sowohl die hohen Zinsen als
auch die hohen
Gebühren und Provisionen führen zwangsläufig
dazu, daß der zahlungsunfähige
Angeklagte immer sehr kurzfristig neue Darlehensgeber mit immer
wesentlich
höheren Darlehen vermittelt bekommen mußte, um einen
die V.-Bank
schädigenden Widerruf der Lastschriften zu verhindern. Da der
Angeklagte die
Darlehensgeber persönlich gar nicht kannte und wegen der
Vermittlung auf
Frau G. angewiesen war, die sich ihre Tätigkeit teuer
vergüten ließ, und immer
mehr Darlehensgeber in kurzfristiger Zeit gefunden werden
mußten, war die
Wahrscheinlichkeit des Widerrufs der Lastschriften ab einem gewissen
Zeitpunkt
genauso hoch wie beim Zugrundelegen einer nur fingierten Forderung.
- 16 -
Aber auch von Anfang an lag bei diesen - nach Art eines
Schneeballsystems
anwachsenden - Darlehen eine konkrete
Vermögensgefährdung der V.-Bank
vor. Denn es bestand von vornherein die naheliegende
Möglichkeit, daß schon
der erste kurzfristige Darlehensgeber seine Lastschrift widerrufen
würde, da
der zahlungsunfähige Angeklagte keinen weiteren Darlehensgeber
finden würde.
Zudem konnte dieses Verfahren der Bank auffallen, so daß
nachfolgende
Lastschriften nicht eingelöst würden mit der Folge,
daß frühere Lastschriften
mangels Darlehensrückzahlung widerrufen würden. Der
Tatrichter selbst weist
hierzu - ohne dies näher darzulegen - darauf hin,
daß in den Fällen 7 und 8 der
Anklage Lastschriften auch nicht mehr angenommen wurden.
Das Verfahren diente ersichtlich nur der Kreditbeschaffung des
Angeklagten,
der "Provisionen- und Gebührenschneiderei" der Frau G. und der
hohen
Zinsbefriedigung der Darlehensgeber, alles zum Nachteil der ersten
Inkassostelle,
die sich an das Lastschriftabkommen zu halten hatte.
Der Umstand, daß nach den Feststellungen des Tatrichters Frau
G. im
Innenverhältnis zu den Darlehensgebern den Nachweis von ihr im
Wege des
Forderungskaufs (Factoring) zustehende Forderungen benötigte,
besagt für
den vorliegenden Fall zunächst nichts, zumal da der Tatrichter
hierzu keinerlei
konkrete Feststellungen getroffen hat. Sollten diese - angeblichen -
Forderungen
dazu gedient haben, zu verschleiern, daß den Lastschriften
kurzfristige
(mit einer Laufzeit von weniger als sechs Wochen) Darlehen statt
Forderungen
über erbrachte Leistungen zugrundelagen, spräche dies
ebenfalls erheblich für
einen Mißbrauch des
Lastschrifteinzugsermächtigungsverfahrens zum Nachteil
der V.-Bank. Dies gilt um so mehr, als diese durch die nicht als
Darlehen erkennbaren
Lastschriften über die grundsätzliche Solvenz des
Angeklagten getäuscht
wurde und auch deshalb die Lastschriften überhaupt zur
Gutschrift
- 17 -
brachte. Denn sie ging erkennbar davon aus, daß es sich um
Zahlungen für
vom Angeklagten erbrachte Leistungen handelte.
Bereits nach den bisher vom Landgericht getroffenen Feststellungen
liegt hier objektiv ein Betrug zum Nachteil der V.-Bank sehr nahe.
III. Auch die Verneinung eines Betrugsvorsatzes des Angeklagten begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat sich zum einen bereits den Blick für die
Beurteilung
der subjektiven Tatseite dadurch verstellt, daß es dem
Vorliegen einer fälligen
Forderung zu großes Gewicht beigemessen hat. Zum anderen ist
die Strafkammer
rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, "dem Angeklagten (sei) nicht zu
widerlegen, daß die Widerrufserklärungen der
Lastschriften in den Fällen 7
und 8 Anfang Februar 2004 für ihn unvorhersehbar erfolgten"
(UA S. 9).
Entlastende Angaben eines Angeklagten, für deren Richtigkeit
oder Unrichtigkeit
es keine (ausreichenden) Beweise gibt, darf der Richter nicht ohne
weiteres als unwiderlegt seinem Urteil zugrunde legen. Er muß
sich vielmehr
aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der
Beweisaufnahme seine
Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der
Einlassung bilden (st.
Rspr. vgl. u.a. Senatsurteil vom 22.04.2005 - 2 StR 310/04 m.w.N.).
Diese
Gesamtwürdigung fehlt hier genauso wie diejenige zum
objektiven Tatbestand.
Die oben (II. 1.) angeführten Umstände
hätten zur Annahme gedrängt, daß der
zahlungsunfähige Angeklagte sehr wohl zumindest billigend in
Kauf genommen
hat, daß die Lastschriften widerrufen werden und der V.-Bank
ein entsprechender
Schaden verbleibt, da er selbst keinen Ausgleich schaffen konnte. Hinzu
kommt hier noch, daß dem Angeklagten - mag dieser auch in
rechtlichen und
finanziellen Dingen wenig bewandert sein - auffallen mußte,
daß von ihm das
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Erstellen von Scheinrechnungen über von ihm nicht erbrachte
Leistungen verlangt
wurde. Weiter konnte der Angeklagte, zumal da er die Darlehensgeber
gar nicht kannte, nicht ohne weiteres davon ausgehen, er werde die sehr
schnell und sehr hoch anwachsenden Darlehensverpflichtungen auf Dauer
erfüllen
können. Die Feststellung des Tatrichters, für den
Angeklagten sei ein
Widerruf der Lastschrift nicht vorhersehbar gewesen, entbehrt einer
tragfähigen
Grundlage.
Die Einlassung des Angeklagten, er habe an ein dauerhaft
funktionierendes
System geglaubt, durfte der Tatrichter daher nicht als unwiderlegbar zur
Verneinung des Betrugsvorsatzes zugrundelegen.
IV. Die rechtsfehlerhafte Verneinung sowohl der objektiven als auch der
subjektiven Voraussetzungen des Betrugs führt zur Aufhebung
des Freispruchs
mit den zugehörigen Feststellungen. Die Sache war an eine
andere Wirtschaftsstrafkammer
(§ 74 c GVG) des Landgerichts zurückzuverweisen, da
der
Senat nicht ausschließen kann, daß ein neuer
Tatrichter Feststellungen treffen
kann, die zu einer Verurteilung führen.
Dieser wird zu beachten haben, daß ein Betrug des Angeklagten
bereits
bei Eröffnung des Firmenkontos mit Abschluß der
"Vereinbarung über den Einzug
von Forderungen durch Lastschriften" am 7. April 2003 in Betracht kommt,
wenn neue Feststellungen ergeben, daß er schon zu diesem
Zeitpunkt "Lastschriftreiterei"
zum Nachteil der ersten Inkassostelle vorhatte. In diesem Falle
läge eine - schadensgleiche - konkrete
Vermögensgefährdung seiner Bank bereits
im April 2003 vor und die später erfolgten Gutschriften
hätten nur der
- 19 -
Schadensvertiefung gedient. Man hätte dann materiell-rechtlich
von einer einheitlichen
Tat auszugehen (vgl. auch BGHSt 47, 160, 168), die hier auch
verfahrensrechtlich
(§ 264 StPO) eine Tat darstellt und damit von der Anklage
umfaßt
ist.
Rissing-van Saan Otten Rothfuß
Roggenbuck Appl
Nachschlagewerk: ja
BGHR: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 263
Bei "Lastschriftreiterei" mit dem Ziel der Kreditbeschaffung wird die
erste
Inkassostelle (Gläubigerbank) konkludent getäuscht,
wenn den Lastschriften
kurzfristige Darlehen mit einem deutlich erhöhten Risiko des
Widerrufs zugrunde
liegen und der Gläubiger seiner Bank dies nicht offen legt.
BGH, Urteil vom 15.06.2005 - 2 StR 30/05 - Landgericht Hanau |