BGH,
Urt. v. 15.3.2000 - 1 StR 483/99
Nachschlagewerk: nein
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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EuAlÜbk Art. 14, 19 Abs. 2
StGB § 51
IRG §§ 68, 72
Zur zeitgleichen Aburteilung transnationaler Serienstraftaten in zwei
Staaten.
BGH, Urt. vom 15. März 2000 - 1 StR 483/99 - LG
Waldshut-Tiengen
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 483/99
vom
15. März 2000
in der Strafsache
gegen
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wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. März 2000, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Maul
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schomburg,
Schluckebier,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Waldshut-Tiengen vom 26. April 1999 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls
und versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen, davon
in
einem Fall in Tateinheit mit Herbeiführung einer
Sprengstoffexplosion, zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts
gestützte Revision
des Angeklagten hat keinen Erfolg.
Nach den tatrichterlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte mit
den beiden rechtskräftig verurteilten Z. und G. Mitte 1997 in
der Schweiz in der
Absicht zusammengetan, dort - und später auch in Deutschland -
Einbrüche zu
begehen, um sich Geldmittel zu beschaffen. Diese Straftatenserie war in
der
Schweiz - soweit dort vom Angeklagten begangen - Gegenstand des Urteils
des Kantonsgerichts Schaffhausen vom 19. November 1998, dessen Urteil
vom
gleichen Tage zu drei Jahren Zuchthaus und Fr. 200,- Buße -
soweit es um die
Feststellungen insbesondere zum gewerbs- und
bandenmäßigen Diebstahl
ging - vom hiesigen Revisionsführer nicht angefochten wurde.
Mit seiner Berufung
in der Schweiz griff er allein die Verurteilung auch wegen
Gefährdung
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durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht nach Art. 224 Abs. 1 des
Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 sowie das
Strafmaß
an, die jedoch durch Urteil des Obergerichts Schaffhausen vom 17.
Dezember
1999 abgewiesen wurde, wobei die Strafe "als milde, aber dem Verschulden
des Angeklagten noch angemessen" bezeichnet wurde.
1. Ein Fall der Doppelverfolgung liegt nicht vor. Der Senat hat sich
- auch mit Blick auf § 51 Abs. 3 StGB - durch Beiziehung des
letztgenannten
Urteils davon überzeugt, daß in der schweizerischen
Verurteilung vom 19. November
1998 keine Tat abgeurteilt wurde, die auch Gegenstand des hier
angegriffenen
Urteils vom 26. April 1999 ist. Die letzte Tat auf schweizerischem
Territorium
wurde in der Nacht vom 5. zum 6. Januar 1998 begangen; die erste
hier verfahrensgegenständliche in der Nacht vom 6. zum 7.
Januar 1998.
2. Der Grundsatz der Spezialität steht einer Verurteilung auch
im Hinblick
auf Fall II.2. der Urteilsgründe nicht mehr entgegen. Der in
der Schweiz in
Haft befindliche Angeklagte war zur Durchführung der
Hauptverhandlung gemäß
Art. 19 Abs. 2 EuAlÜbk, § 68 IRG zunächst am
22. März 1999 unter der
Bedingung des anschließenden Rücktransfers
vorübergehend nach Deutschland
überstellt und am 29. April 1999 in die Schweiz
zurückgeliefert worden.
Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement - Bundesamt
für Polizeiwesen
- teilte dem Justizministerium Baden-Württemberg am 14.
September
mit, daß die endgültige Auslieferung wegen zweier
Taten in vollem Umfang
antragsgemäß rechtskräftig bewilligt worden
sei. Die zuständige deutsche
Stelle ersuchte erst danach unter Hinweis auf die Einbeziehung auch des
Falles
II.2. in das angegriffene Urteil am 16. September 1999 um eine
ergänzende
Bewilligung gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. a
EuAlÜbk. Da diese bis 1. Dezember
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1999 nicht eingegangen war, stellte der Generalbundesanwalt unter diesem
Datum insoweit einen Teilaufhebungsantrag.
Auf entsprechende Faxanfrage des Senats vom 20. Januar 2000 teilte
die zuständige schweizerische Behörde jedoch am
Folgetag ebenfalls per Fax
mit, daß auch bezüglich der dritten im angegriffenen
Urteil aufgeführten Straftat
(II.2. der Urteilsgründe) am 30. November 1999 die
Auslieferung bewilligt worden
und diese Entscheidung inzwischen in Rechtskraft erwachsen sei. Die
Auslieferung des Angeklagten wurde am 29. Februar 2000 zeitgleich mit
der
bedingten Entlassung aus der Strafhaft in der Schweiz vollzogen, ohne
daß es
zu einer Auslieferungshaft gekommen wäre, über deren
Anrechnungsmaßstab
gemäß § 51 Abs. 4 StGB der Senat in
entsprechender Anwendung von § 354
Abs.1 StPO zu entscheiden hätte (BGH NStZ 1997, 337). Seitdem
befindet sich
der Eingelieferte in deutscher Untersuchungshaft.
Bei dieser Sachlage greift das in jeder Lage des Verfahrens von Amts
wegen zu prüfende Verfahrenshindernis der Spezialität
nicht mehr. Es kann
daher dahingestellt bleiben, ob - wie der Generalbundesanwalt unter
Berufung
auf BGHSt 8, 151, 154 mit seiner Antragsschrift zum Ausdruck brachte -
bei
fortdauerndem, behebbarem Verfahrenshindernis das Urteil teilweise
aufzuheben
und die Sache zurückzuverweisen oder gemäß
§ 260 Abs. 3 StPO das
Verfahren einzustellen wäre, oder aber - wozu der Senat neigt
- aus Gründen
der Prozeßökonomie mit dem Verfahren bis zum
endgültigen Wegfall des Verfahrenshindernisses
ex tunc innezuhalten gewesen wäre (vgl. näher
LRGollwitzer
StPO 24. Aufl. § 260 Rdn. 102; KK-Engelhardt StPO 4. Aufl.
§ 260
Rdn. 47 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. §
260 Rdn. 43, 48 sowie
allgemein zum Verfahrensgang in derartigen Fallkonstellationen Schom-
7 -
burg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 3. Aufl.
§ 72 IRG
Rdn. 28 ff.).
II.
Die Überprüfung des Urteils auf die
Revisionsrechtfertigungen hat einen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht aufgedeckt.
Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs ist jedoch folgendes zu
erörtern:
1. Der Tatrichter hat zwar die - wie oben dargestellt - zeitgleich
verlaufende
schweizerische Strafverfolgung in den Feststellungen mehrfach
erwähnt,
dieser Tatsache jedoch bei der Strafzumessung keine
ausdrückliche Beachtung
gewährt. Dies war jedoch nicht rechtsfehlerhaft, weil im
Zeitpunkt seiner
Entscheidung das schweizerische Urteil noch nicht
rechtskräftig war. Im Einzelfall
könnte es bei einer derartigen Fallgestaltung allerdings nahe
liegen,
nach Abwägung mit dem Beschleunigungsgebot, dem gerade die
vorübergehenden
Auslieferung gemäß Art. 19 Abs. 2 EuAlÜbk
in das (§ 37 IRG) oder aus
dem (§ 68 IRG) Ausland dienen soll, schon an dieser Stelle mit
dem Verfahrensfortgang
innezuhalten. Damit ließe sich die von Rechts wegen noch immer
nicht gegebene Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit
einer ausländischen
Verurteilung im Wege eines Härteausgleiches - falls sich
aufdrängend -
kompensieren (vgl. BGHSt 43, 79; BGH NStZ 1997, 337; NStZ 1998, 134;
Senatsbeschluß
vom 13. Mai 1997 - 1 StR 130/97). Auch könnten durch ein
derartiges
Vorgehen sich aus der Gesamtschau der Serientaten ergebende etwaige
zusätzliche Strafschärfungsgründe
herangezogen werden, etwa wenn ein
Täter bewußt die Grenzen nationaler Strafverfolgung
für sein kriminelles Handeln
ausnutzt.
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Gerade der vorliegende Fall zeigt erneut (vgl. BGHSt 43, 79, 80),
daß
die getrennte oder gemeinsame Aburteilung ebenso wie die Reihenfolge des
Eintritts der Rechtskraft, von dem ab eine Gesamtsanktion fundiert erst
gebildet
werden kann, von Zufälligkeiten abhängt. Diese
können angesichts des Mangels
an gebotener intensiverer, koordinierterer justitieller Zusammenarbeit
über
Grenzen hinweg einerseits nicht immer ausgeschaltet werden; andererseits
dürfen sie weder zu Lasten des Beschuldigten noch der
angemessenen Strafverfolgung
gehen.
Bei der vorliegenden Fallgestaltung ist mangels Rechtsfehlers des
Tatrichters für ein Eingreifen des Revisionsgerichts kein
Raum. Da auch eine
nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß
§ 460 StPO mit einer ausländischen
Entscheidung derzeit noch nicht möglich ist (vgl. LR-Wendisch
StPO
25. Aufl. § 460 Rdn. 5), käme allenfalls eine
Berücksichtigung extremer, nach
Kompensierung rufender Härten im Rahmen der Strafvollstreckung
(etwa § 57
StGB oder § 456a StPO) in Betracht.
Ein derartiger Fall ist jedoch hier nicht gegeben. Das Tatgericht hat
die
maßvollen Strafen äußerst straff
zusammengezogen (drei Jahre Gesamtfreiheitsstrafe
bei einer Einsatzstrafe von zwei Jahren und drei Monaten); die
schweizerische Sanktion war nach der Einschätzung des dortigen
Berufungsgerichts
gerade noch schuldangemessen milde angesichts von 21 erheblichen
Taten. Zudem wurde der Verurteilte in der Schweiz vorzeitig bedingt aus
der
Haft entlassen.
2. Mit Blick auf die Anrechnungspflicht des § 51 StGB wird im
Rahmen
der Strafvollstreckung allerdings zu prüfen sein, ob in den in
der Schweiz angerechneten
656 Tagen Untersuchungshaft die Zeit der vorübergehenden
Auslieferung
nach Deutschland vom 22. März 1999 bis 29. April 1999
enthalten ist.
- 9 -
Ist dies der Fall, ist für eine doppelte Anrechnung kein Raum.
Ansonsten greift,
ohne daß dies im Urteil ausdrücklich ausgesprochen
werden müßte, (auch)
insoweit § 51 StGB ein, da § 68 IRG zwar
primär die Rechtsgrundlage für eine
Haft zur Sicherung der zugesagten Rücklieferung in das Ausland
bietet (vgl.
insoweit Schomburg/Lagodny a.a.O. § 68 IRG Rdn 1ff.), zugleich
aber eine
Freiheitsentziehung aus Anlaß der hier abgeurteilten Tagen
begründet.
Maul Wahl Boetticher
Schomburg Schluckebier |