BGH,
Urt. v. 15.11.2007 - 4 StR 453/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 453/07
vom
15.11.2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15.11.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Athing,
Richterinnen am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Neubrandenburg vom 13. März 2007, soweit es den
Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen mit Ausnahme derjenigen
zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und
sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung
ausgesetzt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten
Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die
Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Sie erstrebt eine
Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge. Das Rechtsmittel hat im Wesentlichen Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen suchten der Angeklagte und Frank L. , der in
diesem Verfahren von dem Vorwurf der Beteiligung an einer
Schlägerei rechtskräftig freigesprochen worden ist,
am Tattage gegen 1.30 Uhr die Diskothek "Moon-Dance" in D. auf. Als der
Angeklagte mit Nicole U. tanzte, kam René D. , das
spätere Tatopfer, wiederholt auf die Tanzenden zu
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und wollte mit Nicole U. tanzen. Der Angeklagte forderte ihn jedesmal
auf, sich zu entfernen. Geraume Zeit später ging der erheblich
angetrunkene René D. (BAK: 2,56 ‰) zu der sich
nunmehr im Eingangsbereich der Diskothek aufhaltenden Gruppe um den
Angeklagten und versuchte erneut, Nicole U. anzusprechen. Als diese
sich abwandte, sprach René D. den früheren
Mitangeklagten Frank L. an, der sich belästigt fühlte
und René D. mit beiden Händen einen Stoß
gegen die Brust versetzte, so dass dieser einige Schritte
rückwärts taumelte und zu Boden fiel.
Der Angeklagte trat "eingedenk der vorangegangenen
Auseinandersetzungen" an den am Boden liegenden René D.
heran und trat ihm "mit der Spitze des beschuhten Fußes
kräftig gegen den Oberkörper". Dabei achtete der
Angeklagte nach seinen Angaben darauf, René D. nicht am Kopf
zu treffen, weil er um die Gefährlichkeit von Tritten gegen
den Kopf wusste.
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Der Fußtritt des Angeklagten traf den Oberkörper des
Tatopfers unmittelbar unterhalb des Rippenwinkels und löste
über das sog. Sonnengeflecht eine Reaktion des Nervus vagus
(10. Hirnnerv) des parasympatischen Nervensystems aus, die zum
Herzstillstand führte. Der Reflextod in Folge der Reizung des
Solarplexus wurde möglicherweise durch eine mit der starken
Alkoholisierung des Tatopfers verbundene Beeinträchtigung des
Atemzentrums und durch organische Veränderungen am Herzmuskel
des Tatopfers nach einer Herzmuskelentzündung
begünstigt.
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2. Das Landgericht hat die Tat lediglich als mittels einer das Leben
gefährdenden Behandlung begangene gefährliche
Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) gewertet.
Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB) hat es verneint. Die
tödliche Gefahr
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für das Opfer habe so weit außerhalb der
Lebenswahrscheinlichkeit gelegen, dass dem Angeklagten die
qualifizierende Folge deshalb nicht zugerechnet werden könne.
Nach den nachvollziehbaren und überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen stelle zwar jeder
Tritt gegen den Rumpf eines am Boden liegenden Menschen eine
gefährliche Begehungsweise dar, da dann stets das Risiko
erheblicher Verletzungen bestehe, sei es durch Leber- oder Milzriss
oder aber Rippenbrüche und Einspießungsverletzungen;
bei dem Reflextod, der durch Reizung des Solarplexus eintritt, handele
es sich aber um eine "medizinische Rarität", die nicht zum
Allgemeinwissen gehöre. Dass der Angeklagte, als Kampfsportler
oder aufgrund Bildung oder Ausbildung über weitergehendes
medizinisches Wissen verfüge, habe nicht festgestellt werden
können, so dass es an der individuellen Vorhersehbarkeit des
Todeseintritts fehle.
Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Sie lassen besorgen, dass die Jugendkammer hinsichtlich der -
individuellen - Vorhersehbarkeit des Todeseintritts zu hohe
Anforderungen gestellt hat.
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a) Nach den Feststellungen haftete der vom Angeklagten
vorsätzlich begangenen Körperverletzungshandlung, die
das Landgericht ohne Rechtsfehler als gefährliche
Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB
gewertet hat, die spezifische Gefahr an, zum Tod des Opfers zu
führen. Da sich gerade diese Gefahr in dem tödlichen
Ausgang niedergeschlagen hat, ist der von § 227 Abs. 1 StGB
vorausgesetzte „unmittelbare“
(Gefahrverwirklichungs-) Zusammenhang (vgl. BGHR StGB § 226
[a.F.] Todesfolge 12) zwischen der todesursächlichen
Körperverletzungshandlung und dem später
eingetretenen Tod des Opfers gegeben. Zwar fehlt ein solcher
Zusammenhang dann, wenn der tatsächliche Geschehensablauf, der
Körperverletzung und Todesfolge miteinander
verknüpft, außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit
liegt (vgl. BGHSt
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31, 96, 100; 51, 18, 21 m.w.N.), wie etwa eine Verkettung
außergewöhnlicher unglücklicher
Zufälle (vgl. BGHSt 31, 96, 100). So liegt es hier aber
entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht. Dass ein
kräftiger Tritt mit der Schuhspitze gegen den Rumpf eines am
Boden Liegenden zum Tod des Verletzten führt, liegt nicht
außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit (vgl. BGHR StGB
§ 226 [a.F.] Todesfolge 9), denn ein solcher Geschehensablauf
ist, auch wenn es sich - wie hier - bei der konkreten Todesursache um
eine „medizinische Rarität“ handelt, nicht
so außergewöhnlich, dass der eingetretene Erfolg
deshalb nicht zuzurechnen ist (vgl. BGHSt 31, 96, 100). Dass
möglicherweise die Alkoholisierung des Tatopfers und eine
Vorschädigung des Herzmuskels für den Todeserfolg
mitursächlich waren, steht der Zurechnung ebenfalls nicht
entgegen (vgl. BGHSt aaO; BGHR StGB § 226 [a.F.] Todesfolge
12).
b) Soweit § 227 Abs. 1 StGB ferner voraussetzt, dass dem
Täter hinsichtlich der Verursachung des Todes wenigstens
Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (§ 18 StGB), ist
alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit hinsichtlich der
qualifizierenden Tatfolge die Vorhersehbarkeit des Todes des Opfers
(st. Rspr.; vgl. BGHSt 51, 18, 21 m.N.). Hierfür reicht es
aus, dass der Erfolg nicht außerhalb der
Lebenswahrscheinlichkeit lag, was hier aus den genannten
Gründen der Fall ist. Ferner ist erforderlich, dass der
Eintritt des Todes des Opfers vom Täter in seiner konkreten
Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen vorhergesehen werden
konnte (vgl. BGHSt 51, 18, 21; BGHR StGB § 227 [i.d.F. d. 6.
StrRG] Todesfolge 1). Bei der Prüfung der individuellen
Vorhersehbarkeit ist das Landgericht von einem falschen rechtlichen
Ansatz ausgegangen, denn es hat darauf abgestellt, ob der Angeklagte
die konkrete Todesursache hätte vorhersehen können.
Bei der Körperverletzung mit Todesfolge braucht sich die
Vorhersehbarkeit aber gerade nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode
führenden Geschehensablaufs zu erstrecken (vgl. BGHSt aaO;
BGHR StGB § 226 [a.F.] To-
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desfolge 9, 12), insbesondere nicht auf die durch die
Körperverletzungshandlung ausgelösten im Einzelnen
ohnehin nicht einschätzbaren somatischen Vorgänge,
die den Tod schließlich ausgelöst haben (vgl. BGHR
aaO). Vielmehr genügt die Vorhersehbarkeit des Erfolges im
Allgemeinen (vgl. BGHSt 48, 34, 39).
Das Landgericht hätte demgemäß
prüfen müssen, ob der Angeklagte bei der
Tatausführung den Eintritt des Todes des Opfers in seiner
konkreten Lage nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten im
Ergebnis und nicht in den Einzelheiten des dahin führenden
Kausalverlaufs hätte voraussehen können (vgl. BGHSt
51, 18, 21). Dass ein kräftiger Tritt mit der Schuhspitze
gegen den Rumpf eines am Boden Liegenden zum Tode führen kann,
ist im Hinblick darauf, dass bei solchen Tritten, wie das
sachverständig beratene Landgericht zutreffend
ausgeführt hat, stets das Risiko eines Leber- oder Milzrisses
und von Rippenbrüchen und Einspießungsverletzungen
besteht, regelmäßig vorhersehbar. Dies gilt
insbesondere dann, wenn das Tatopfer - wie hier - infolge
übermäßigen Alkoholkonsums
körperlich beeinträchtigt ist und dies für
den Täter, was hier nach den Feststellungen jedenfalls nahe
liegt, erkennbar war (vgl. BGHSt 24, 213, 217; BGH NStZ 2001, 143,
145). Dass der Angeklagte nach seinen Kenntnissen und
Fähigkeiten in seiner konkreten Situation den Tod des Opfers
im Ergebnis - insoweit anders als die Angeklagte in der vom Landgericht
in Bezug genommenen Senatscheidung BGHSt 51, 18, 21 - nicht
hätte vorhersehen können, liegt nach den bisherigen
Feststellungen fern. Dies gilt um so mehr als das Landgericht zur
gefährlichen Körperverletzung ausgeführt
hat, der Angeklagte habe nicht nur eine Beeinträchtigung des
persönlichen Wohlbefindens des Tatopfers in Kauf genommen,
sondern auch Rippenbrüche oder innere Verletzungen.
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3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des
Urteils, soweit es den Angeklagten betrifft. Die rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen
können jedoch bestehen bleiben.
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Für den Fall einer Verurteilung wegen
Körperverletzung mit Todesfolge werden im Hinblick auf die
zahlreichen gewichtigen Milderungsgründe die Annahme eines
minder schweren Falles im Sinne des § 227 Abs. 1 StGB und die
Verhängung einer Bewährungsstrafe nahe liegen.
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Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Sost-Scheible |