BGH,
Urt. v. 16.8.2007 - 4 StR 62/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 62/07
vom
16.8.2007
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: : nein
Veröffentlichung: ja
StGB § 284
Zur Anwendbarkeit des § 284 StGB auf die ohne Vorliegen einer
behördlichen Genehmigung betriebene gewerbliche Vermittlung
von Sportwetten (sog. Oddset-Wetten) in der Zeit vor der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 - 1 BvR
1054/01 (sog. Altfälle).
BGH, Urteil vom 16.8.2007 - 4 StR 62/07 - LG Saarbrücken
wegen unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
16.8.2007, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterinnen am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 25. Juli 2006 wird verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die
dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten - aus tatsächlichen
Gründen - von dem Vorwurf unerlaubter Veranstaltung eines
Glücksspiels in zwei Fällen freigesprochen. Zugleich
hat das Landgericht angeordnet, den Angeklagten aus der Landeskasse
für die infolge von Durchsuchungsmaßnahmen sowie
infolge der hiermit verbundenen Beschlagnahmen entstandenen
Schäden zu entschädigen. Mit ihrer Revision
rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts.
Im Ergebnis bleibt das - vom Generalbundesanwalt vertretene -
Rechtsmittel ohne Erfolg.
1
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der Angeklagte seit
dem 15. Oktober 2003 ein Wettbüro in V. . Eine
behördliche Genehmigung hierfür besaß er
nicht. Bei der Gewerbeanmeldung gegenüber dem Ordnungsamt der
Stadt V. hatte er als Geschäftszweck angegeben:
„Vertrieb von Sport-Fan-Artikeln hauptsächlich
über das Internet; Sportinformationsdienst;
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- 4 -
Abwicklung des Zahlungsverkehrs für staatlich lizenzierten
Wettanbieter, Datenübertragungsservice“ angegeben.
In dem für jedermann zugänglichen Wettbüro
konnten sich Interessierte an Sportwetten mit festen Gewinnquoten der
Firma M. beteiligen. Diese Firma ist auf der Isle of Man
niedergelassen. Der Angeklagte legte die Wettscheine und die jeweils
aktuellen Wettprogramme der M. aus, nahm die von den Kunden
ausgefüllten Wettscheine sowie den Wetteinsatz entgegen und
gab die Wetten in den zur Verfügung gestellten Computer ein,
von dem die Daten mittels einer Onlineverbindung an die M.
weitergeleitet wurden. Auf diese Weise kamen die Wettverträge
zwischen den Kunden und der M. zustande. Die Auszahlung etwaiger
Gewinne erfolgte ebenfalls durch den Angeklagten. Von der M. erhielt
der Angeklagte Provision in Höhe von monatlich 6.000,- Euro.
Auf den Inhalt der Wetten hatte der Angeklagte keinen Einfluss.
Am 2. Februar 2004 wurde das Wettbüro in einem
Ermittlungsverfahren wegen unerlaubter Veranstaltung eines
Glücksspiels durchsucht, die Einrichtung und Bargeld wurden
beschlagnahmt. Der Angeklagte beauftragte daraufhin einen auf das Recht
der Sportwetten spezialisierten Rechtsanwalt, der ihm die Auskunft gab,
dass viele Gerichte die Vermittlung von Sportwetten bereits als nicht
strafbar bewertet hätten, und ihm deshalb zur
Weiterführung seines Betriebes riet. Am 1. März 2004
nahm der Angeklagte den Geschäftsbetrieb wieder auf und setzte
ihn bis zur zweiten Durchsuchung am 29. März 2004 fort. Ob der
Angeklagte bis dahin Kenntnis davon erlangt hatte, dass die Beschwerde
seines Anwalts gegen den ersten Durchsuchungsbeschluss zwischenzeitlich
als unbegründet verworfen worden war, konnte nicht
festgestellt werden. Jedenfalls betrieb der Angeklagte sein
Wettbüro auch nach der zweiten Durchsuchung - dies ist nicht
mehr Gegenstand der Anklage - noch bis zur Gewerbeabmeldung am 26.
April 2005 weiter; zwischenzeitlich hatte die Stadt V.
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- 5 -
gegen den Angeklagten zwar eine Untersagungsverfügung
erlassen, auf dessen Widerspruch hin sich mit ihm im
Verwaltungsgerichtsverfahren aber im Wege eines Vergleichs auf eine
Duldung seines Betriebes bis zur Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts in der Verfassungsbeschwerdesache 1 BvR
1054/01 geeinigt.
2. Das Landgericht hat die Frage, ob das strafbewehrte Verbot der
Veranstaltung von Glücksspielen ohne behördliche
Erlaubnis gemäß § 284 StGB gegen
europäisches Gemeinschaftsrecht oder deutsches
Verfassungsrecht verstößt, ausdrücklich
offen gelassen. Es hat die objektive Strafbarkeit unterstellt, ist
jedoch - unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes - von einem
unvermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne des § 17 Satz 1 StGB
ausgegangen.
4
II.
Der Revision bleibt der Erfolg versagt.
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1. Allerdings hat der Angeklagte objektiv und subjektiv die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 284 Abs. 1 StGB
erfüllt (vgl. nur OLG München NJW 2006, 3588;
Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 284 Rdn. 10 m.w.N.).
Nicht zu entscheiden braucht der Senat, ob die Tätigkeit des
Angeklagten ein tatbestandliches Veranstalten darstellt; denn
jedenfalls hat der Angeklagte - nimmt man als
„Veranstalter“ lediglich die auf der Isle of Man
ansässige Firma M. an - durch seinen Geschäftsbetrieb
„Einrichtungen hierzu bereitgestellt“ (vgl. Senat
NStZ 2003, 372, 374; Groeschke/Hohmann MüKo StGB §
284, Rdn. 15, 17). Schließlich besaß der Angeklagte
auch keine hier wirksame behördliche Erlaubnis für
die Vermittlung von Oddset-Wetten. Ob und inwieweit dies mit Blick auf
den Anwendungsvorrang des europäischen Gemein-
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- 6 -
schaftsrechts (vgl. BVerfG NJW 2006, 1261 Rdn. 77) anders zu beurteilen
wäre, wenn der Veranstalter über die
behördliche Genehmigung eines Mitgliedsstaats der
Europäischen Union verfügte (vgl. dazu die
„Gambelli“-Entscheidung des EuGH vom 6. November
2003, NJW 2004, 139), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn wie der
Verwaltungsgerichtshof Kassel in seinem Beschluss vom 27. Oktober 2004
(NVwZ 2005, 99) ausführlich dargelegt hat, haben die
Vorschriften des EG-Vertrages über die Dienstleistungs- und
Niederlassungsfreiheit für die Isle of Man, auf der die Firma
M. ihren Sitz hat, keine Geltung.
2. Das freisprechende Urteil hält jedoch der rechtlichen
Nachprüfung deshalb stand, weil die Annahme des Landgerichts,
der Angeklagte habe sich bei seiner Betätigung in einem
unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 Satz 1 StGB) befunden und
sei deshalb straflos, im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler
aufweist.
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Über die Frage, ob der Angeklagte sich in einem Verbotsirrtum
befunden hat und ob ein solcher Irrtum vermeidbar war, hat in erster
Linie der Tatrichter im Rahmen der ihm obliegenden
Beweiswürdigung unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes zu
befinden. Seine Entscheidung hat das Revisionsgericht
grundsätzlich hinzunehmen. Anders ist es bei einem Freispruch
nur, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich oder
lückenhaft ist oder erkennen lässt, dass der
Tatrichter überspannte Anforderungen an seine
Überzeugungsbildung gestellt hat. Das ist hier nicht der Fall.
Im Ergebnis ist der Senat vielmehr der Auffassung, dass das Risiko der
extrem unklaren Rechtslage, wie sie hier durch die Verwaltung und die
Rechtsprechung geschaffen worden ist, nicht einseitig dem
Normadressaten aufgebürdet werden darf (so auch OLG Stuttgart
NJW 2006, 2422). Das verlangt hier bei der Beurteilung der subjektiven
Tatseite um-
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so mehr Beachtung, als selbst das Bundesverfassungsgericht in seiner
Entscheidung vom 27. April 2005 (1 BvR 223/05 - NVwZ 2005, 1303 m. Anm.
Ennuschat DVBl 2005, 1288 und Dietlein, WRP 2005, 1001) - insbesondere
unter europarechtlichen Gesichtspunkten - einer Verfassungsbeschwerde
gegen eine auf die angenommene Strafbarkeit nach § 284 Abs. 1
StGB gestützte Untersagung der Vermittlung von Sportwetten
stattgegeben und dazu ausgeführt hat, zwar liege eine
Untersagung strafbaren Verhaltens durch Verwaltungsakt
regelmäßig in öffentlichem Interesse, das
setze jedoch voraus, dass die Strafbarkeit des in Rede stehenden
Verhaltens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden
könne. Gerade das hat das Bundesverfassungsgericht dort aber
verneint.
Hiervon ausgehend, hat das Landgericht für den zweiten
Tatzeitraum einen unvermeidbaren Verbotsirrtum schon deshalb zu Recht
angenommen, weil der Angeklagte zuvor bei einem auf das Recht der
Sportwetten spezialisierten Rechtsanwalt um Rechtsrat nachgesucht und
dieser ihm zur Weiterführung seines Betriebes geraten hatte.
Bei dieser Sachlage genügt der Umstand, dass der Angeklagte im
Tatzeitraum trotz der Durchsuchungsmaßnahmen den Betrieb der
Annahmestelle für Sportwetten fortsetzte, hier nicht, um einen
schuldhaften Verstoß anzunehmen.
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Im Ergebnis tragen die Feststellungen aber auch für den ersten
Tatzeitraum die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums. Allerdings
hat sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass der
Angeklagte nach den Feststellungen vor Aufnahme seines Betriebes noch
keinen Rechtsrat eingeholt, sondern sich lediglich bei dem deutschen
Geschäftsführer der M. informiert hatte, und die
Gewerbeanmeldung zum Geschäftszweck den Klammerzusatz
enthielt: „kein Wettbüro“. Dies
gefährdet den Bestand des Urteils
10
- 8 -
indes auch zum ersten Tatzeitraum nicht. Vielmehr kann der Senat den
Freispruch aus tatsächlichen Gründen auf der
Grundlage der getroffenen Feststellungen bestätigen. Danach
hat der Angeklagte nach seiner unwiderlegten Einlassung bei der
Gewerbeanmeldung auf die Frage, „ob er selbst Wetten
veranstalte“, den Vertrag mit der Fa. M. und deren
„Bookmaker´s Permit“ vorgelegt (UA 7).
Wenn daraufhin die Verwaltungsangestellte den Angaben des Angeklagten
zum Geschäftszweck „Abwicklung des Zahlungsverkehrs
für staatlich lizenzierten Wettanbieter“ in Klammern
den Zusatz „kein Wettbüro“
hinzufügte, so kann dem - juristisch ersichtlich nicht
vorgebildeten - Angeklagten nicht vorgeworfen werden, dass er keinen
weiteren Rechtsrat einholte, sondern darauf vertraute, dass er
„die Wettvermittlung in der angemeldeten Form betreiben
könne“ (UA 7).
Der Angeklagte ist deshalb zu Recht aus tatsächlichen
Gründen freigesprochen worden.
11
3. Danach kommt es nicht mehr darauf an, dass - ausgehend von den
tragenden Erwägungen der zum staatlichen Wettmonopol im
Freistaat Bayern ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 28. März 2006 (1 BvR 1054/01, NJW 2006, 1261; im
Folgenden: BVerfG aaO) - nach Auffassung des Senats das
Sportwettengesetz des Saarlandes im Tatzeitraum mit dem Grundgesetz
unvereinbar war und deshalb die Strafnorm des § 284 StGB auf
den hier zu beurteilenden Sachverhalt aus verfassungsrechtlichen
Gründen nicht anwendbar, der Angeklagte mithin aus rechtlichen
Gründen freizusprechen gewesen wäre. Dies
hätte indes eine Vorlage der Sache durch den Senat
gemäß Art. 100 Abs. 1 GG an das
Bundesverfassungsgericht erforderlich gemacht, deren es jedoch mangels
der dafür vorausgesetzten Entscheidungser-
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- 9 -
heblichkeit der für verfassungswidrig erachteten Rechtslage
(vgl. Jarass/Pieroth GG 7. Aufl. Art. 100 Rdn. 11 m.N.) hier nicht
bedurfte.
Der Senat stützt seine Rechtsauffassung auf folgende
Überlegungen:
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a) Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Sportwettenurteil vom
28. März 2006 (BVerfG aaO) für die Rechtslage in
Bayern entschieden, dass das dortige staatliche Wettmonopol in seiner
gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen
Ausgestaltung und der dadurch begründete Ausschluss privater
Vermittlung von Sportwetten „vor dem Hintergrund des
§ 284 StGB“ einen
unverhältnismäßigen und deshalb
„nach Maßgabe der Gründe“ mit
Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbaren Eingriff in die Berufsfreiheit der an
entsprechender beruflicher Tätigkeit interessierten Personen
darstellt (BVerfG aaO Rdn. 79, 119).
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Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt, dass dem
staatlichen Wettmonopol legitime Gemeinwohlziele zugrunde liegen -
namentlich die Bekämpfung der Spiel- und Wettleidenschaft
sowie der Verbraucherschutz - und der Gesetzgeber auch von dessen
Geeignetheit und Erforderlichkeit zur Bekämpfung dieser Ziele
ausgehen durfte. Jedoch ist danach ein solches Monopol
verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt, wenn es in seiner konkreten
gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung konsequent an
seinem legitimen Hauptzweck ausgerichtet ist, nämlich an der
Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht (BVerfG aaO Rdn. 97 ff zu
den Gemeinwohlzielen, Rdn. 111 ff zur Geeignetheit, Rdn. 115 ff zur
Erforderlichkeit). Dagegen scheiden fiskalische Interessen des Staates
als solche zur Rechtfertigung der Errichtung eines Wettmonopols aus
(BVerfG aaO Rdn. 107). An einer solchen konsequenten Ausrichtung der
Regelung des Sportwettenrechts an den legitimen Gemeinwohlzielen fehlte
es in Bayern:
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- 10 -
Weder das bayerische Staatslotteriegesetz noch die Vorschrift des
§ 284 StGB oder die Regelungen im Lotteriestaatsvertrag
gewährleisteten - so das Bundesverfassungsgericht -, dass das
Spannungsverhältnis zwischen den legitimen Zielen des
staatlichen Wettmonopols und den fiskalischen Interessen des Staates,
der durch das eigene Wettangebot erhebliche Einnahmen erziele, nicht
zugunsten letzterer aufgelöst werde und der Staat sich damit
nicht in Widerspruch zu den legitimen Zielen der Monopolisierung setze.
Das der Strafvorschrift des § 284 StGB zu entnehmende
repressive Verbot ungenehmigten Glücksspiels beseitige das
verwaltungsrechtliche Defizit einer konsequent am Ziel der Begrenzung
der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Suchtgefahren
ausgerichteten Gesamtregelung nicht. Dieses Regelungsdefizit spiegelte
sich nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts auch in der
tatsächlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols in
Bayern wider, indem der Vertrieb der Sportwette Oddset dem
Erscheinungsbild der wirtschaftlich effektiven Vermarktung einer
grundsätzlich unbedenklichen Freizeitbeschäftigung
entsprach (BVerfG aaO Rdn. 125).
16
b) Diese grundsätzliche (so ausdrücklich BVerfG -
Kammer - Beschluss vom 2. August 2006 - 1 BvR 2677/04 - Rdn. 16 [nach
Juris]) Beurteilung der Rechtslage durch das Bundesverfassungsgericht
ist nicht auf Bayern beschränkt, sondern hat - ersichtlich
auch nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts - Bedeutung
für alle anderen Bundesländer (so bisher
ausdrücklich allerdings erst für die Länder
Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen BVerfG - Kammer -
Beschlüsse vom 4. Juli und vom 2. August 2006 - 1 BvR 138/05 -
und - 1 BvR 2677/04; für die Übertragung der
Entscheidungsgründe auf alle Bundesländer auch
Dietlein K&R 2006, 307, 309). Davon geht auch der Entwurf eines
neuen Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland
(Glücksspielstaatsvertrag - GlüStV, Stand 14.
Dezember 2006 zu I. 2) aus. Je-
17
- 11 -
denfalls verlangt die einschlägige verfassungsgerichtliche
Rechtsprechung für den Tatzeitraum auch Anerkennung
für das Saarland (vgl. in diesem Sinne OVG des Saarlandes,
Beschluss vom 25. April 2007 - 3 W 24/06 - Rdn. 40 ff. [nach Juris],
dort unter Berücksichtigung des § 284 StGB auch Rdn.
120 ff. mit Bezug auf den weiteren einschlägigen Beschluss vom
4. April 2007 - 3 W 18/06), auch wenn es bislang an einer
ausdrücklichen Erklärung des Verfassungsgerichts zur
Unvereinbarkeit der gesetzlichen Regelung im Saarland mit dem
Grundgesetz fehlt:
Wie in Bayern, bestand im Tatzeitraum auch im Saarland ein staatliches
Monopol für die Veranstaltung von Sportwetten. Der
saarländische Gesetzgeber sah eine Erlaubnis für
Veranstalter oder Vermittler von Sportwetten nicht vor, sondern
bestimmte, dass das Alleinrecht zur Veranstaltung dem Staat vorbehalten
bleibt (§ 1 Satz 4 des Gesetzes über die
Veranstaltung von Sportwetten im Saarland vom 8. Juni 1951 [Amtsbl. S.
804] i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 25. März 1998
[Amtsbl. S. 402], das Gesetz zuletzt geändert durch Art. 1
Abs. 40 des AnpassungsG 2006 vom 15. Februar 2006 [Amtsbl. S. 474]).
Unter Mehrheitsbeteiligung des Saarlandes wurde ein
öffentliches Wettunternehmen errichtet, dessen Betrieb der
Saarland-Sporttoto-GmbH übertragen wurde (§ 2 Abs.1
des o.g. Gesetzes). Die Rechtslage entsprach somit im Wesentlichen
derjenigen in Bayern, die dem Bundesverfassungsgericht zur
Prüfung vorlag.
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Im Saarland fehlte es genau wie in den genannten Ländern im
verfahrensgegenständlichen Zeitraum an gesetzlichen Vorgaben
zur konsequenten Ausrichtung des staatlichen Wettmonopols am Ziel der
Bekämpfung der Spiel- und Wettleidenschaft. Zwar sah das
Sportwettengesetz des Saarlandes die Bestellung eines Aufsichtsrates
vor (§ 2 Abs. 2 Satz 1). Auch fungierte nicht der
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Minister der Finanzen, sondern der Minister des Inneren als
Aufsichtsbehörde (§ 3 Abs. 4; vgl. zu diesem
Gesichtspunkt BVerfG - Kammer - in der Spielbankenentscheidung vom 26.
März 2007 - 1 BvR 2228/02 - Rdn. 59), die etwa im
Personalwesen, über die Verwendung von
Überschüssen sowie über die amtlichen
Wettbestimmungen und die Vertragsbedingungen mit zu entscheiden hatte.
Nach welchen Kriterien aber diese Aufsichtsbefugnisse
auszuüben waren, ließ sich dem Gesetz nicht
entnehmen. Regelungen zu den Vertriebswegen oder zu Art und Umfang der
Werbung für das staatliche Wettangebot waren nicht getroffen.
Auch für das Saarland ist vor diesem Hintergrund von einer
Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols auszugehen, die eine
konsequente Ausrichtung am Hauptzweck der Suchtbekämpfung
vermissen ließ (so auch OVG des Saarlandes aaO Rdn. [nach
Juris] 41, 42).
c) Auch im Saarland war deshalb im Tatzeitraum die Berufsfreiheit des
privaten Sportwettanbieters unter Zugrundelegung der tragenden
Erwägungen des Sportwettenurteils des
Bundesverfassungsgerichts einem
unverhältnismä-ßigen, mit Art. 12 Abs. 1 GG
unvereinbaren Eingriff ausgesetzt (OVG des Saarlandes aaO Rdn. 42).
Dies würde nach Auffassung des Senats zur Nichtanwendbarkeit
des § 284 StGB auf das Verhalten des Angeklagten
führen, was zu beurteilen das Bundesverfassungsgericht
ausdrücklich der Entscheidung der Strafgerichte zugewiesen hat
(BVerfG aaO Rdn. 159; zur Straflosigkeit wie hier OLG München
NJW 2006, 3588, 3592; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 5. Juli
2007 - 1 Ws 61/07 Rdn. [nach Juris] 6 ff.; ebenso Horn JZ 2006, 789,
793; Widmaier in Gutachten „Strafrechtliche Konsequenzen aus
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März
2006“, abrufbar unter www.vewu.com, zit. bei Dietlein
K&R 2006, 307, 308).
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- 13 -
Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht das (bayerische)
Staatslotteriegesetz nicht für nichtig erklärt
(BVerfG aaO Rdn. 146), was wegen der Verwaltungsakzessorietät
des § 284 StGB auch eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift
ausgeschlossen hätte. Vielmehr hat das
Bundesverfassungsgericht es als „nach Maßgabe der
Gründe mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar“
erklärt, dass nach dem Staatslotteriegesetz Sportwetten nur
staatlicherseits veranstaltet und nur derartige Wetten gewerblich
vermittelt werden dürfen, „ohne das Monopol
konsequent am Ziel der Bekämpfung der Suchtgefahren
auszurichten“. Auch wenn danach die in der
Entscheidungsformel enthaltene Unvereinbarkeitserklärung des
Bundesverfassungsgerichts nicht die Strafvorschrift des § 284
StGB unmittelbar betrifft, diese Strafvorschrift als solche vielmehr
verfassungsrechtlich unbedenklich ist (vgl. BVerfG aaO Rdn. 116 ff. zum
Schutzzweck der Norm vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 67 und BGHSt 11, 209,
210; auch Senat NStZ 2003, 372, 374), schränkt die
Entscheidung „nach Maßgabe der
Gründe“ - insoweit grundlegend anders als in dem der
Entscheidung BGHSt 47, 138 zu Grunde liegenden Sachverhalt (vgl. dazu
OLG München aaO S. 3592) - auch deren Anwendungsbereich ein.
Denn das durch § 284 StGB begründete strafrechtliche
Verbot der Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels ist Teil der
Gesamtregelung, die zumindest in der Vergangenheit das den
verfassungswidrigen, mit Art. 12 GG unvereinbaren Eingriff in die
Berufsfreiheit begründende staatliche Wettmonopol ausmachte
(BVerfG aaO Rdn. 79, 119; ebenso für das europäische
Gemeinschaftsrecht EuGH in der
„Gambelli“-Entscheidung aaO Rdn. 57, 72 sowie in
der „Placanica“-Entscheidung vom 6. März
2007, EuZW 2007, 209 ff Rdn. 72). Dieser Zustand würde aber
aufrecht erhalten, wäre die Strafvorschrift auch auf
abgeschlossene Sachverhalte wie hier weiterhin uneingeschränkt
anwendbar.
21
- 14 -
Dass die Frage der Strafbarkeit nicht losgelöst von der
verfassungsrechtlichen Beurteilung der landesrechtlichen Gesamtregelung
des Sportwettenrechts zu beantworten ist, folgt aus der
verwaltungsakzessorischen Natur des § 284 StGB (vgl.
Tröndle/Fischer aaO § 284 Rdn. 14 m.N.). Davon
ausgehend, ist deshalb derjenige Anbieter von Sportwetten, der in der
Vergangenheit - wie der Angeklagte - nicht zunächst den
Verwaltungsrechtsweg beschritten hat, um eine behördliche
Erlaubnis im Sinne von § 284 StGB zu beantragen (vgl. BGH (Z)
NJW 2002, 2175, 2176), nicht nach dieser Strafvorschrift strafbar, wenn
die fehlende Erlaubnis auf einem Rechtszustand beruht, der seinerseits
die Rechte des Betreibers von Glücksspielen in
verfassungswidriger Weise verletzt. So verhält es sich nach
Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hier.
Denn zumindest in den Altfällen - d.h. im Zeitraum vor dem
Sportwettenurteil des Bundesverfassungsgerichts - verbot der Staat
unter Androhung von Kriminalstrafe, was er selbst betrieb, ohne
rechtlich und organisatorisch sichergestellt zu haben, dass er sich
nicht tatsächlich mit den von ihm für das Verbot
geltend gemachten Zielen in Widerspruch setzte. Hinzu kommt, dass ein
auf präventive Kontrolle gerichtetes Genehmigungsverfahren im
Rahmen der Regelung des staatlichen Wettmonopols auch im Saarland -
anders als neuerdings etwa in Sachsen-Anhalt (vgl. dazu BVerfG - Kammer
- Beschluss vom 27. September 2005 - 1 BvR 789/05 Rdn. [nach Juris] 16
ff.) - von vornherein nicht vorgesehen war, die dortige Regelung die
private Vermittlung von Sportwetten vielmehr auch bei Unbedenklichkeit
ohne die Möglichkeit einer Erlaubniserteilung unter Androhung
von Kriminalstrafe verbot (zu diesem Gesichtspunkt OVG des Saarlandes
aaO Rdn. 83 ff). Vor diesem Hintergrund hat das
Bundesverfassungsgericht aber gerade den strafbewehrten Ausschluss als
für den an entsprechender beruflicher Tätigkeit
Interessierten „unzumutbar“ bezeichnet (BVerfG aaO
Rdn. 119).
22
- 15 -
d) Diese strafrechtlichen - und auch nur die Altfälle
betreffenden - Konsequenzen aus der Sportwettenentscheidung des
Bundesverfassungsgerichts lassen das Ordnungsrecht
grundsätzlich unberührt. Denn die Gründe der
Entscheidung beschränken die Weitergeltungsanordnung dahin,
dass das gewerbliche Veranstalten von Sportwetten durch private
Wettunternehmen bis zur Neuregelung „weiterhin als verboten
angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden“ darf
(BVerfG aaO Rdn. 158; Hervorhebung durch den Senat). Dies
erklärt sich nicht zuletzt im Hinblick auf das vom
Bundesverfassungsgericht selbst geschaffene Übergangsrecht.
Deshalb belässt die fortgeltende Bedeutung des in §
284 StGB verankerten Verbots den Ordnungsbehörden
Handlungsspielräume für die Gefahrenabwehr, wenn die
Vollzugsanordnungen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) mit
konkreten Gefahren für das Gemeinwohl begründet
werden können (BVerfG - Kammer - Beschluss vom 27. April 2005,
1 BvR 223/05, WRP 2005, 1003, 1006; Groeschke/Hohmann in MüKo
StGB § 284 Rdn. 22). Dies ändert aber nichts daran,
dass eine Strafbarkeit zumindest in den Altfällen zu verneinen
ist. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage der Strafbarkeit
eines verbotswidrigen Verhaltens nicht etwa bejaht, sondern
ausdrücklich offen gelassen (BVerwGE 126, 149 = NVwZ 2006,
1175 = GewArch 2006, 412, 415 Rdn. 44).
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III.
Nach alledem hat es bei dem freisprechenden Urteil sein Bewenden. Dies
gilt auch für die Entschädigungsentscheidung im
angefochtenen Urteil. Soweit der Generalbundesanwalt in seiner
Zuschrift an den Senat hilfsweise beantragt hat, diese Entscheidung
aufzuheben, weil der Angeklagte die Strafverfolgung zumindest grob
fahrlässig verursacht habe (§ 5 Abs. 2 StrEG),
könnte der Senat dem schon deshalb nicht entsprechen, weil die
Staatsanwaltschaft
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- 16 -
die Entschädigungsentscheidung nicht - wie es erforderlich
gewesen wäre (vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. zu
§ 8 StrEG Rdn. 18) - fristgerecht mit der sofortigen
Beschwerde angefochten, sondern erst im Rahmen der
Revisionsbegründungsschrift beanstandet hat.
Maatz Kuckein Athing
Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović ist urlaubsbedingt
ortsabwesend und deshalb verhindert zu unterschreiben
Maatz Sost-Scheible |