BGH,
Urt. v. 16.2.2006 - 4 StR 508/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 508/05
vom 16.2.2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
16.02.2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Prof. Dr. Kuckein, Richterinnen am Bundesgerichtshof Solin-Stojanović,
Sost-Scheible als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
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1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen
vom 28. Juni 2005 wird verworfen. 2. Der Angeklagte hat die Kosten
seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen
Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten von den
Tatvorwürfen der gefährlichen
Körperverletzung, der Körperverletzung und der
Beleidigung wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB)
freigesprochen und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet. Mit seiner auf die Sachrüge
gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen die
Unterbringungsanordnung. 1 Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die
Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB hält
entgegen der Auffassung der Revision und des Generalbundesanwalts im
Ergebnis rechtlicher Prüfung stand. 2 1. Nach den
Feststellungen leidet der Angeklagte an einer schizophrenen Psychose,
zu deren Entstehung möglicherweise seine jahrelange
Heroinabhängigkeit beigetragen hat. Die Erkrankung tritt in
Schüben auf und äußert sich in inhaltlichen
Denkstörungen im Sinne von Wahngedanken und in
Ansätzen auch als ausgeprägtes Wahnsystem. Der
formale Gedankengang des Angeklagten ist zeitweise aufgelockert,
alogisch, bizarr und abstrus. Seit mehreren 3
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Jahren fühlt sich der Angeklagte von der Zeugin M. , einer
früheren Wohnungsnachbarin, verfolgt, ohne dass diese durch
ihr Verhalten dazu Anlass gegeben hätte. Nach zwei
Vorfällen im Jahre 2003, bei denen er die Zeugin M. bedroht
und unflätig beschimpft hatte, wurde der Angeklagte in die
psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses verbracht, wo seine
Erkrankung erstmals festgestellt wurde. Auch nach der
verfahrensgegenständlichen Tat wurde er dort nach dem PsychKG
untergebracht, wobei neben der schizophrenen Psychose auch eine
Opiatabhängigkeit und eine Alkoholintoxikation diagnostiziert
wurden. Entgegen ärztlichem Rat wurde der Angeklagte jedoch
nach etwa fünf Wochen wieder entlassen. Dem vorliegenden
Verfahren liegt ein Vorfall vom Mai 2004 zu Grunde. Bereits am Abend
zuvor hatte sich der Angeklagte nach einem erfolglosen
Selbsttötungsversuch vergeblich bemüht, mit der
Zeugin M. in Kontakt zu treten. Dabei zeigte er ein
auffälliges Verhalten: Einerseits hatte er
Rosensträu-ße für die Zeugin und deren
Schwester, die Zeugin S. , bei sich; andererseits
äußerte er sich gegenüber einem
Hausbewohner abfällig und beleidigend über die beiden
Frauen. Tags darauf begab er sich erneut zur Wohnung der Zeugin S. ,
öffnete gewaltsam die Wohnungstür und
stürmte in das Zimmer, in dem sich die Zeuginnen M. und S.
sowie die 13jährige Alina S. aufhielten. Er beschimpfte die
Zeugin M. , griff sie mit Händen und Fäusten
tätlich an und schlug ihren Kopf mehrfach gegen einen
Mauervorsprung. Sodann würgte er sie so stark, dass sie keine
Luft bekam, wobei er schrie, er werde sie umbringen. Die Zeugin S. ,
die ihrer Schwester helfen wollte, wurde vom Angeklagten zu Fall
gebracht. Danach setzte er sich auf ihren Rücken und schlug
mit seinen Fäusten auf ihren Kopf und Rücken ein, bis
es der Zeugin M. gelang, Hilfe herbeizurufen. Die beiden Frauen zogen
nach dem Vorfall in eine andere 4
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Wohngegend, Alina S. war zeitweilig in schulpsychologischer Behandlung.
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen, weil es -
sachverständig beraten - zu dem Ergebnis gelangt ist, dass er
die Tat infolge seiner schizophrenen Psychose im Zustand
möglicherweise sogar gänzlich ausgeschlossener
Steuerungsfähigkeit (§ 20 StGB) begangen hat.
Zugleich wurde die Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet,
weil von dem Angeklagten infolge seiner Erkrankung auch
künftig erhebliche Straftaten zu erwarten sind und er deshalb
für die Allgemeinheit gefährlich ist. 5 2. Die
Erwägungen des Landgerichts tragen im Ergebnis den
Maßregelausspruch nach § 63 StGB. Dem
Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist mit hinreichender
Deutlichkeit zu entnehmen, dass die Strafkammer bei der Beurteilung der
Schuldfähigkeit von einer erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sicher ausgegangen ist.
Indem das Urteil mehrfach darauf verweist, dass die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner Erkrankung
möglicherweise sogar ausgeschlossen war, besagt es damit
zugleich, dass mit Sicherheit zumindest eine erhebliche Verminderung
der Steuerungsfähigkeit vorgelegen hat. 6 Soweit die
Strafkammer, was der Generalbundesanwalt zu Recht beanstandet, meint,
dass auch die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit
erheblich vermindert gewesen sei, hat sie offensichtlich eine
missverständliche Formulierung des Sachverständigen
aufgegriffen. Dabei hat sie nicht bedacht, dass eine erhebliche
Verminderung der Einsichtsfähigkeit für die Anordnung
nach § 63 StGB nicht genügt, weil damit die
Voraussetzungen des § 21 StGB (vgl. BGHSt 40, 341, 349) nicht
festgestellt sind. Solange die Verminderung der 7
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Einsichtsfähigkeit nicht das Fehlen der Einsicht
ausgelöst und dadurch zu Straftaten geführt hat, ist
auch eine Sicherung der Allgemeinheit durch Unterbringung des
Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht veranlasst
(st. Rspr., BGHSt 34, 22, 26/27; vgl. auch Tröndle/Fischer
StGB 53. Aufl. § 63 Rdn. 11 m.w.N.). Die fehlerhafte
Erwägung des Landgerichts führt hier aber nicht zur
Aufhebung der Unterbringungsanordnung - deren Voraussetzungen auch im
Übrigen vorliegen -, weil diese durch die sichere Feststellung
der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit gerechtfertigt
ist. 8 Schließlich hat die Strafkammer, entgegen der Ansicht
der Revision, die Maßregel auch zu Recht nicht zur
Bewährung ausgesetzt, da der Angeklagte, der über
keine tragfähigen persönlichen Bindungen
verfügt, bisher keine Krankheits- und Behandlungseinsicht
gezeigt hat und dringend einer längerfristigen Behandlung
bedarf. 9
Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanović Sost-Scheible |