BGH,
Urt. v. 16.3.2004 - 5 StR 364/03
5 StR 364/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
16.03.2004
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
16.03.2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt H ,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof K
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Bonn vom 21. November 2002 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der
Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen
Auslagen der Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in
elf Fällen, wegen versuchter Steuerhinterziehung in zwei
Fällen und wegen
Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen - unter
Freisprechung im übrigen
- zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
I.
Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte
Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die
Beschwerdeführerin Verfahrensrügen
erhebt und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Angeklagte im
Jahr 2000 als Geschäftsführerin der W GmbH in
Bonn-Bad Godesberg
an einem international agierenden
„Umsatzsteuerkarussell“ beteiligt, bei dem
Computerprozessoren aus Drittstaaten nach Deutschland
eingeführt wurden.
Dabei waren auch deutsche Scheinfirmen in den vorgetäuschten
Lieferweg
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eingebunden; diese betrieben tatsächlich keinen Handel,
sondern erstellten
lediglich Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis, ohne die dadurch
entstehende
Umsatzsteuer anzumelden und an das Finanzamt abzuführen. Ziel
der Täter war es dabei, die in den Eingangsrechnungen zu
Unrecht ausgewiesenen
Umsatzsteuerbeträge als Vorsteuer sich erstatten oder mit
fälligen
Umsatzsteuerzahlungen verrechnen zu lassen. Das
„Umsatzsteuerkarussell“
wurde maßgeblich von belgischen und niederländischen
Hintermännern organisiert.
Die Angeklagte wurde von diesen Hintermännern in die geplanten
Hinterziehungstaten eingeweiht und als
Geschäftsführerin der W GmbH
eingesetzt; die GmbH war in die angeblichen Lieferwege
rechnungsmäßig
eingebunden und sollte die Computerprozessoren mit einer Gewinnspanne
von 2 DM von vorgegebenen Lieferanten an vorgegebene Abnehmer verkaufen.
Der von der Angeklagten entweder als Täterin verursachte oder
ihr als
Gehilfin zuzurechnende Gesamtschaden beläuft sich auf rund
12,2 Mio. DM.
Der ihr unmittelbar aus den Taten zugeflossene finanzielle Vorteil
beschränkt
sich auf den Bezug eines Geschäftsführergehaltes in
Höhe von 6.000 DM
monatlich in der Zeit von Dezember 1999 bis August 2000.
2. Die Staatsanwaltschaft beanstandet im wesentlichen, daß
die Angeklagte
nicht auch wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §
129
Abs. 1 StGB verurteilt worden ist. Dem Gesamtzusammenhang der
Revisionsrechtfertigung
ist zu entnehmen, daß der Freispruch vom Vorwurf der
Steuerhinterziehung in Fall 14 der Urteilsgründe nicht vom
Rechtsmittelangriff
umfaßt ist.
II.
Das - ungeachtet des unbeschränkten Aufhebungsantrages -
schlüssig
beschränkte Rechtsmittel (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1
Antrag 3), das
vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.
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1. Die Verfahrensrügen versagen.
a) Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung des
§ 244 Abs. 2
StPO im Zusammenhang mit der Nichtvernehmung der gesondert verfolgten
Mitbeteiligten Ha und Har beanstandet, ist ihre Rüge nicht in
zulässiger Form erhoben.
Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist eine Verfahrensrüge
nur dann in
zulässiger Weise erhoben, wenn „die den Mangel
enthaltenden Tatsachen
angegeben“ sind. Diese Angaben haben mit Bestimmtheit und so
genau und
vollständig zu erfolgen, daß das Revisionsgericht
allein auf Grund der
Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler
vorliegt, wenn die
behaupteten Tatsachen zutreffen. Eine Aufklärungsrüge
ist nur dann begründet,
wenn der Tatrichter es unterlassen hat, eine bestimmte Beweistatsache
unter Benutzung eines bestimmten Beweismittels aufzuklären,
obwohl sich
ihm die unterbliebene Beweiserhebung aufdrängen
mußte (BGHR StPO
§ 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 6
m.w.N.). Deshalb setzt eine zulässige
Aufklärungsrüge zunächst voraus,
daß ein bestimmtes Beweismittel
und ein bestimmtes zu erwartendes Beweisergebnis benannt werden (BGH
aaO). Diese Voraussetzungen erfüllt die von der
Staatsanwaltschaft erhobene
Verfahrensrüge nicht. Unter Zeugenbeweis stellt die
Beschwerdeführerin
nicht Tatsachen, sondern lediglich aus - nicht mitgeteilten - Tatsachen
gezogene
rechtliche Schlußfolgerungen.
b) Soweit die Beschwerdeführerin beanstandet, daß
das Landgericht
mehrere auf die Vernehmung von Auslandszeugen gerichtete
Beweisanträgen
abgelehnt hat, sind ihre Rügen unbegründet. Nach
§ 244 Abs. 5 Satz 2
StPO kann der Tatrichter einen Beweisantrag auf Vernehmung eines
Auslandszeugen
dann ablehnen, wenn die Vernehmung des Zeugen nach dem
pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung
der Wahrheit nicht
erforderlich ist.
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Die Ablehnung der Beweisanträge ist angesichts der
eingeschränkten
Bedeutung der unter Beweis gestellten Tatsachen, welche
überwiegend die
Rechtsfolgen der ausgeurteilten Taten betreffen, frei von
Rechtsfehlern. Das
Landgericht hat in seinem die Beweisanträge ablehnenden
Beschluß zu
Recht darauf abgestellt, daß für die Bewertung des
Geständnisses eine Vielzahl
von Tatumständen maßgeblich ist. Die
Erwägungen der Strafkammer
halten sich im Rahmen tatrichterlichen Ermessens und durften im Rahmen
der gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO
ausdrücklich für zulässig erklärten
vorweggenommenen
Beweiswürdigung herangezogen werden.
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge
ergibt weder im
Schuld- noch im Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zum Vor- oder
Nachteil der Angeklagten (§ 301 StPO).
a) Der Schuldspruch ist frei von Rechtsfehlern.
aa) Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 129 StGB zu
Recht verneint. Eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129
Abs. 1 StGB
ist ein im räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes
bestehender auf
Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluß von
mindestens drei
Personen, die bei Unterordnung des Willens des einzelnen unter den
Willen
der Gesamtheit gemeinsame (kriminelle) Zwecke verfolgen oder gemeinsame
(kriminelle) Tätigkeiten entfalten und unter sich derart in
Beziehung stehen,
daß sie sich untereinander als einheitlicher Verband
fühlen. Eine solche
Vereinigung setzt die Unterordnung des einzelnen unter den Willen der
Gesamtheit
voraus. Wenn sich der einzelne nur dem Willen eines anderen Individuums
unterordnet, repräsentiert der andere hier immer nur einen
eigenen
Willen, nicht den einer hinter ihm stehenden Mehrheit. Der
bloße Wille mehrerer
Personen, gemeinsam Straftaten zu begehen, verbindet diese, weil der
Wille des einzelnen maßgeblich bleibt und die Unterordnung
unter einen
Gruppenwillen unterbleibt, noch nicht zu einer kriminellen Vereinigung.
Dies
gilt auch dann, wenn eine Person als Anführer eingesetzt wird,
nach dem
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sich die anderen richten. Der Erfassung krimineller Erscheinungsformen
dieser
Art dienen Strafbestimmungen, welche die
bandenmäßige Begehung
bestimmter Straftaten mit höherer Strafe bedrohen. Das
schließt nicht aus,
daß dieser Gruppenwille darauf gerichtet ist, einem der
Mitglieder die Entscheidungsbefugnisse
zuzuweisen, mit der Folge, daß die anderen Mitglieder
sich dessen Willen unterordnen (BGHR StGB § 129 Gruppenwille 1
m.w.N.).
Eine entsprechende Struktur des Zusammenschlusses mit dem einer
kriminellen Vereinigung genügenden Organisationsgrad hat das
Landgericht
- ungeachtet der bandenmäßigen Begehungsweise im
Rahmen des „Umsatzsteuerkarussells“
- vorliegend nicht festgestellt. Die Urteilsfeststellungen
hierzu sind - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin -
auch nicht
in einer Weise lückenhaft oder widersprüchlich,
daß ein Eingreifen des Revisionsgerichts
allein auf die Sachrüge geboten erscheint.
Zwar können organisierte Steuerstraftaten unter bestimmten
Voraussetzungen
auch dem Begriff der kriminellen Vereinigung unterfallen (vgl.
BGHSt 48, 240). Im Hinblick auf den durch das 34. StrÄndG vom
22. August
2002 (BGBl I 3390) neu eingeführten § 129b StGB
i.V.m. § 370 Abs. 6
und Abs. 7 AO kann dies nunmehr auch für bestimmte
unselbständige deutsche
Teilorganisationen einer ausländischen kriminellen Vereinigung
gelten,
so daß etwa Ermittlungsmaßnahmen nach den
§§ 100a ff. StPO zulässig
sein können. Die Voraussetzungen für die Annahme
einer kriminellen Vereinigung
liegen indes hier nicht vor.
bb) Zutreffend hat das Landgericht die Angeklagte wegen ihrer
Beteiligung
an der Steuerhinterziehung der der W GmbH im
„Umsatzsteuerkarussell“
vorgeschalteten GmbH auch als Gehilfin verurteilt. Zwar ist im
Rahmen von „Umsatzsteuerkarussellen“ zu bedenken,
daß es - schon aus
Vereinfachungsgründen - regelmäßig
angezeigt sein wird, das Verfahren
allein auf die täterschaftlichen Steuerhinterziehungen zu
beschränken und
insoweit den steuerlichen Gesamtschaden lediglich als Gesichtspunkt in
die
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Strafzumessung einzustellen (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1
Strafzumessung
18 m.w.N.), weil sich der Tatrichter damit nicht nur eine im Einzelfall
schwierige Abschichtung des jeweils eigenständigen
Schuldumfangs der
miteinander verzahnten Taten, sondern auch zusätzliche
Feststellungen zu
den Steuererklärungen der übrigen Beteiligten des
„Umsatzsteuerkarussells“
erspart. Indessen hat der Tatrichter vorliegend den Schuldumfang -
ungeachtet
der Ausurteilung auch der Beihilfetaten - in Übereinstimmung
mit den
Grundsätzen der Rechtsprechung des Senats (BGHR AO §
370 Abs. 1
Strafzumessung 16) rechtsfehlerfrei bestimmt.
b) Auch der Rechtsfolgenausspruch weist im Ergebnis keinen
durchgreifenden
Rechtsfehler auf, obwohl die gefundenen Einzelstrafen angesichts
des jeweiligen tatbestandlichen Steuerschadens
außerordentlich niedrig
sind.
Die Wahl des Strafrahmens aus § 370 Abs. 1 AO begegnet keinen
Bedenken. Groben Eigennutz im Sinne von § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO
hat der
Tatrichter angesichts des geringen persönlichen Vorteils der
Angeklagten
ebenso mit tragfähiger Begründung verneint, wie auch
mit Blick auf die eher
untergeordnete Stellung der Angeklagten im Gesamtgefüge der
Organisation
ein besonders schwerer Fall aus sonstigen Gründen zutreffend
abgelehnt
worden ist.
Die Strafzumessung im einzelnen ist ebenfalls frei von durchgreifenden
Rechtsfehlern. Die sehr maßvollen Strafen lassen noch nicht
besorgen,
sie könnten sich von ihrer Bestimmung, gerechter
Schuldausgleich zu sein,
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so weit entfernt haben, daß ein Einschreiten des
Revisionsgerichts zwingend
geboten wäre.
Harms Häger Gerhardt
Brause Schaal |