BGH,
Urt. v. 16.5.2006 - 1 StR 46/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 46/06
vom
16.5.2006
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
StGB § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73c Abs. 1 Satz 2
1. Bei der Härteklausel des § 73c Abs. 1 Satz 2, 1.
Alt. StGB (Entreicherung) kommt es grundsätzlich nicht darauf
an, ob das vorhandene Vermögen einen Bezug zu der
rechtswidrigen Tat hat.
2. Zum Wert des Erlangten bei Tatbeteiligten in einer Handelskette.
BGH, Urt. v. 16.05.2006 - 1 StR 46/06 - LG Karlsruhe
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
16.05.2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Karlsruhe vom 23.09.2005 im Ausspruch über den
Verfall von Wertersatz, soweit von einer 12.500,-- €
übersteigenden Verfallsanordnung abgesehen wurde, aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
G r ü n d e:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht
Fällen, davon in sieben Fällen in Tateinheit mit
unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten
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verurteilt. Außerdem hat das Landgericht den Verfall von
Wertersatz in Höhe von 12.500,-- € angeordnet.
Die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte und auf die Rüge
der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der
Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch im Fall 8, auf
den Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie auf die Anordnung
des Verfalls von Wertersatz in Höhe von - nur - 12.500,--
€ (betreffend die Fälle 1 bis 7) beschränkt.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich der
Verfallsanordnung Erfolg.
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I.
Zur Strafzumessung im Fall 8:
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In Erwartung eines hohen Gewinns stellte der Angeklagte am 19. November
2004 - zumindest in positiver Kenntnis dessen, dass es um den Handel
mit Betäubungsmitteln geht, wenn er das Geschäft
nicht sogar selbst initiiert und organisiert hatte, - zwei
Mittätern 46.250,-- € zum Erwerb von 25 kg Marihuana
zur Verfügung. Den Einsatz des Angeklagten vereinnahmte der
vorgebliche Lieferant - unter Drohung mit einer Schusswaffe - ohne
Gegenleistung. Die Strafkammer verhängte eine Freiheitsstrafe
von einem Jahr und neun Monaten, wobei sie dem Angeklagten unter
anderem zugute hielt, dass er "nur mit Eventualvorsatz gehandelt hat".
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Diese Erwägung in der Strafzumessung stellt einen Rechtsfehler
zum Vorteil des Angeklagten dar. Nach den von der Strafkammer
getroffenen Feststellungen handelte der Angeklagte mit direktem
Vorsatz. Der Ausspruch über die
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Einzelstrafe hat gleichwohl Bestand. Denn die vom Landgericht erkannte
Strafe ist - noch - angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1a Satz
1 StPO einer Norm, die auch bei einer Revision der Staatsanwaltschaft
zu Ungunsten des Angeklagten Anwendung findet (vgl. BGH, Urt. v. 16.
März 2006 - 4 StR 536/05). Entscheidend ist, dass das
Betäubungsmittelgeschäft scheiterte und der
Angeklagte seiner eingesetzten Mittel in Höhe von 46.250,--
€ vollständig verlustig ging.
Damit hat auch die rechtsfehlerfrei gebildete Gesamtstrafe Bestand.
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II.
Zur Verfallsanordnung:
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1. In der Zeit von Mai bis Dezember 2004 bezog der Angeklagte in sieben
Fällen insgesamt 67 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von
6,97 % THC (10 kg) beziehungsweise mindestens 8 % THC (57 kg) "auf
Kommission". 62.244 kg veräußerte der Angeklagte an
verschiedene Abnehmer. Von diesen erhielt er 161.000,-- €, die
er insgesamt - ohne Abzug seines nach der getroffenen Vereinbarung ihm
hieraus zustehenden Gewinnanteils in Höhe von 200,--
€ je Kilogramm - an seinen Lieferanten weitergab. Die
Strafkammer beschränkte die Anordnung des Verfalls von
Wertersatz (§ 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a Satz 1 StGB)
auf den Gewinnanteil (12.500,-- €). Nur diesen habe der
Angeklagte, da es sich um ein Kommissionsgeschäft gehandelt
habe, - jedenfalls zeitweise - erlangt im Sinne von § 73 Abs.
1 Satz 1 StGB. "In dem Bewusstsein, dass die [von der Strafkammer]
vertretene Rechtsansicht möglicherweise nicht der bisherigen
obergerichtlichen Rechtsprechung entspricht", hat das Landgericht das
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Absehen von einer weiterreichenden Verfallsanordnung ergänzend
auf § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB gestützt. Der Wert des
Erlangten (161.000,-- €) sei jedenfalls nicht mehr
Vermögensbestandteil, denn die vorhandenen
Vermögenswerte (netto über 800.000,-- €) des
Angeklagten seien ohne jeden denkbaren Zusammenhang mit den
abgeurteilten Straftaten erworben worden und der Zugriff auf das
"unbefleckte" Vermögen würde insbesondere die Familie
treffen, deren langfristiger Absicherung das vorhandene
Vermögen des Angeklagten diene.
2. Die Erwägungen, aufgrund derer die Strafkammer davon
abgesehen hat, einen 12.500,-- € übersteigenden
Betrag für verfallen zu erklären, halten rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
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a) Bei der Prüfung, was der Angeklagte aus der Tat
(Fälle 1 bis 7) gemäß § 73 Abs. 1
Satz 1 StGB erlangt hat, hat die Strafkammer die Reichweite des
Bruttoprinzips verkannt.
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"Bruttoprinzip" bedeutet, dass nicht bloß der Gewinn, sondern
grundsätzlich alles, was der Täter für die
Tat oder aus ihr erhalten hat, für verfallen zu
erklären ist (BGH NStZ 1995, 491). Bei der Berechnung des bei
einem verbotenen "Verkauf" Erlangten ist deshalb vom gesamten
Erlös ohne Abzug des Einkaufspreises und sonstiger
Aufwendungen auszugehen (BGHSt 47, 369 [370]; BGH NStZ 1994, 123; NStZ
2000, 480; NStZ-RR 2000, 57; wistra 2001, 388, 389; BGH, Beschl. v. 13.
Dezember 2000 - 1 StR 547/00; BGH, Urt. v. 20. März 2001 - 1
StR 12/01). Insbesondere bei Betäubungsmitteldelikten "besteht
kein rechtlich schützenswertes Vertrauen, aus dem verbotenen
Geschäft erlangte Vermögensbestandteile behalten zu
dürfen, die der Erlös strafbarer Geschäfte
sind (BGHSt 47, 369 [372]; BGH NStZ 2001, 312).
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Das Bruttoprinzip sollte die Anordnung des Verfalls nicht nur im
Hinblick auf seine Berechnung praktikabler machen. Die
Abschöpfung des über den Nettogewinn hinaus Erlangten
verfolgt vielmehr primär einen Präventionszweck. Die
dadurch angestrebte Folge, dass auch die Aufwendungen nutzlos sind,
soll zur Verhinderung gewinnorientierter Straftaten - und insbesondere
diese wollte der Gesetzgeber erfassen - beitragen. Müsste der
Betroffene für den Fall der Entdeckung lediglich die
Abschöpfung des Tatgewinns befürchten, so
wäre die Tatbegehung unter finanziellen Gesichtspunkten
weitgehend risikolos. Diesen Präventionszweck - der
Verfallsbetroffene soll das Risiko strafbaren Handelns tragen - hatte
der Gesetzgeber im Auge, als er sich auf den Rechtsgedanken des
§ 817 Satz 2 BGB bezog und darauf abhob, dass das in ein
verbotenes Geschäft Investierte unwiederbringlich verloren
sein soll (BGHSt 47, 369 [373 f.]).
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An dieser - verfassungungskonformen (vgl. BVerfG NJW 2004, 2073 [2074
ff.]) - Rechtsprechung hält der Senat uneingeschränkt
fest. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach dann, wenn
für einen dem Verfall unterliegenden Vermögensvorteil
die Steuer bereits bestandskräftig festgesetzt worden ist,
dies bei der zeitlich nachfolgenden Anordnung des Verfalls mindernd zu
berücksichtigen ist (BGHSt 47, 260) liegen Besonderheiten des
Steuerrechts zugrunde. Da für verfallen erklärte
Vermögenswerte mangels Strafcharakters einer Verfallsanordnung
grundsätzlich steuermindernd geltend gemacht werden
dürfen, könnte die Verfallsanordnung je nach dem
Zeitpunkt der Verfallsanordnung - vor oder nach Bestandskraft der
Steuerfestsetzung - zu dem Gleichbehandlungsgebot widersprechenden
unterschiedlichen Gesamtbelastungen führen (vgl. BGHSt 47, 260
[265 ff.]). Dies - sowie eine daraus folgende mögliche
Doppelbelastung desselben Betroffenen - zu vermeiden, dient die
Berücksichtigung steuerlicher Konsequenzen bei der
Feststellung dessen, was im Sinne
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von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt wurde. Das gesetzlich
verankerte Bruttoprinzip wird hierdurch nicht in Frage gestellt. Bei
Betäubungsmittelgeschäften dürfte eine
entsprechende - steuerlich relevante - Situation ohnehin nie eintreten.
Wirtschaftlich erlangt ist ein Gegenstand oder Wert im Sinne von
§ 73 Abs. 1 StGB sobald dieser unmittelbar aus der Tat in die
eigene Verfügungsgewalt des Täters
übergegangen ist (vgl. Nack, Aktuelle Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zum Verfall, Goltdammer’s Archiv
für Strafrecht, 2003, 879 [880] m.w.N.). Beim Erlangen im
Sinne von § 73 Abs. 1 StGB handelt es sich um einen
tatsächlichen Vorgang. Auch der einem Kurier
ausgehändigte Kaufpreis unterliegt bei diesem in voller
Höhe dem Verfall, unabhängig von den zivilrechtlichen
Besitz- und Eigentumsverhältnissen zwischen den Tatbeteiligten
(BGH NStZ 2004, 440; vgl. aber Winkler NStZ 2003, 247 [250]). Auf die
Besonderheiten des Kommissionsgeschäfts kann es beim
Betäubungsmittelhandel schon deshalb nicht ankommen, da
sämtliche schuldrechtlichen Vereinbarungen in diesem
Zusammenhang nichtig sind (§ 134 BGB).
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b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Angeklagte -
entgegen der Bewertung durch die Strafkammer - nicht nur seinen
Gewinnanteil, sondern den Gesamterlös in Höhe von
161.000,-- € gemäß § 73 Abs. 1
Satz 1 StGB erlangt. Mit der Übertragung der Beträge
von seinen Abnehmern an ihn wurden die entsprechenden Geldmittel Teil
seines Vermögens, und zwar unabhängig davon, ob sie
bar oder unbar übergingen, ob sie mit anderen Geldern
vermischt oder gesondert verwahrt wurden. Unmaßgeblich ist
auch, aus welchem Guthaben anschließend der Lieferant bedient
wurde. Selbst wenn ein Zwischenhändler dieselben Geldscheine,
die er von seinen Rauschmittelkäufern erhalten hat,
unmittelbar im Anschluss daran an seinen Lieferanten weitergibt, werden
diese
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Beträge zunächst Teil seines Vermögens.
Spätere Mittelabflüsse können dann
allenfalls noch im Rahmen der Prüfung der
Härtevorschrift des § 73c StGB von Bedeutung sein.
Grundsätzlich unterliegen somit die vom Angeklagten von seinen
Abnehmern als Gegenwert für das veräußerte
Marihuana erhaltenen 161.000,-- € bei ihm insgesamt dem
Verfall gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB bzw.
es ist gegen ihn in dieser Höhe der Verfall von Wertersatz
anzuordnen (§ 73a Satz 1 StGB).
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c) Das im Einzelfall unter Umständen notwendige Korrektiv zum
Bruttoprinzip des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB bietet die
Härtevorschrift des § 73c StGB.
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Deren Voraussetzungen hat die Strafkammer in ihren
Hilfserwägungen allerdings ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei
festgestellt.
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aa) Das gilt zunächst für die Härteklausel
des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB, die die Anordnung des Verfalls
zwingend ausschließt, soweit er für den Betroffenen
eine unbillige Härte wäre. Als unbillige
Härte - als Verstoß gegen das
Ü-bermaßverbot (vgl. BGHR StGB § 73c
Härte 11) - stellt sich eine Anordnung des Verfalls von
Wertersatz in Höhe der insgesamt vereinnahmten 161.000,--
€ nach den bisherigen Feststellungen nicht dar. Dies hat zwar
die Strafkammer im Ergebnis ebenfalls so gesehen. Soweit das
Landgericht allerdings in anderem Zusammenhang auf die
existenzbedrohenden Konsequenzen einer weitergehenden Verfallsanordnung
für die Familie des Angeklagten - dies betrifft ihn selbst,
nicht nur Außenstehende - hinweist, überzeugt dies
nicht. Die Anordnung des Verfalls in Höhe von 161.000,--
€ würde bei weitem nicht deren Existenzgrundlage
vernichten. Bei diesem Betrag handelt es sich um nur 19,06 % des
Nettovermögens am 31. Dezember 2004. Außerdem
scheint der Angeklag-
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te neben seinem Erwerbseinkommen (1.800,-- € netto) bis
Frühjahr 2004 über weitere laufende Einnahmen zu
verfügen, etwa aus seinem mit Hilfe der Arbeitsagentur
gegründeten Brennstoffhandel oder aus
Überschüssen aus Vermietung und Verpachtung seiner
Immobilien. Denn der Angeklagte hat sein Nettovermögen im
Jahre 2004 um immerhin 30.882,-- € gesteigert. Hinzu kommt der
- in der Höhe unbekannte - Aufwand zur Deckung des
Lebensunterhalts der Familie.
bb) Die bisherigen Feststellungen tragen allerdings auch nicht das
fakultative Absehen von einer Anordnung des Verfalls von Wertersatz in
Höhe der gesamten 161.000,-- € aufgrund des
§ 73c Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. StGB.
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Schon die Bewertung der Strafkammer, der Wert des Erlangten (161.000,--
€) sei im Vermögen des Angeklagten nicht mehr
vorhanden im Sinne von § 73c Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. StGB
vermag nicht zu überzeugen.
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Der Wert des Erlangten ist dann noch vorhanden, wenn das (Netto-)
Vermögen des Betroffenen den Wert des Erlangten zumindest
erreicht. Deshalb scheidet nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs.
1 Satz 2 StGB von vorneherein aus, solange und soweit der Angeklagte
über Vermögen verfügt, das
wertmäßig nicht hinter dem "verfallbaren" Betrag
zurück bleibt (BGHSt 48, 40 [42]; BGHR StGB § 73c
Wert 2). Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob das
vorhandene Vermögen einen konkreten oder unmittelbaren Bezug
zu der rechtswidrigen Tat hat; ebenso wenig hängt die
Anordnung des Verfalls davon ab, ob der Angeklagte die vorhandenen
Vermögenswerte unmittelbar mit Drogengeldern erworben hat oder
ob er mit Drogengeldern andere Aufwendungen bestritten und erst mit den
so eingesparten Mitteln das noch vorhandene Vermögen gebildet
hat (BGHR
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StGB § 73c Wert 2). Hieran hält der Senat fest.
Nachforschungen über die Verwendung der erlangten
Beträge, über die Quellen des vorhandenen
Vermögens, über Vermögensumschichtungen,
über ersparte Aufwendungen usw. sind deshalb
grundsätzlich nicht erforderlich.
Der Senat teilt nicht die Auffassung, wonach vorhandenes
Vermögen nur nahe lege, dass der Wert des Erlangten beim
Verfallsbetroffenen noch vorhanden ist, wobei dies nicht mehr sei als
eine widerlegbare Vermutung, die nicht greife, wenn zweifelsfrei
feststehe, dass der fragliche Vermögenswert ohne jeden
denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Taten, etwa mehrere Jahre
vor deren Begehung im Wege der Erbfolge, erworben wurde (vgl. BGHSt 48,
40 [42 f.]). Ob eine derartig differenzierte Betrachtung einer
über Jahre angesammelten Vermögensmasse im Hinblick
darauf, ob der "Wert" eines bestimmten Mittelzuflusses darin noch
enthalten ist, überhaupt möglich ist, erscheint
fraglich. Unter Umständen könnten umfangreiche
Finanzermittlungen notwendig werden. Jedenfalls ist diese einengende
Auslegung aus Sicht des Senats vom Wortlaut des § 73c Abs. 1
Satz 2 1. Alt. StGB nicht geboten, beschränkt aber die
Praktikabilität und Effektivität der Vorschriften
über den Verfall - von Wertersatz - und insbesondere deren
Präventivwirkung. In besonders gelagerten
Einzelfällen bietet § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB
genügend Schutz. Wäre die Anordnung des Verfalls des
Erlangten im Einzelfall - ganz oder zum Teil - eine unbillige
Härte, wäre die Maßnahme ungerecht oder
verstieße gegen das Übermaßgebot (vgl.
BGH, Urt. v. 3.07.2003 - 1 StR 453/02, insoweit in NStZ 2004, 457,
nicht abgedruckt); dann hat die Anordnung gemäß
§ 73c Abs. 1 Satz 1 StGB zu unterbleiben. Um eine unbillige
Härte festzustellen, bedarf es im Rahmen der hierzu
erforderlichen Gesamtbewertung dann aber keiner exakten Untersuchung
über den Ursprung des vorhandenen Vermögens oder des
wirtschaftlichen Verbleibs des Erlangten.
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Im vorliegenden Fall kann dies jedoch dahinstehen. Denn soweit die
Strafkammer auf die "unbefleckten" Vermögensteile des
Angeklagten, also auf die vor dem Jahr 2004 erworbenen
Grundstücke abgestellt hat, hat sie nicht bedacht, dass diese
Immobilien weitgehend (1,4 von 2 Millionen €) kreditfinanziert
sind. Zu Einzahlungen auf zur späteren Tilgung abgeschlossene
Bauspar- und Lebensversicherungsverträge wurden vom
Angeklagten im Jahre 2004 - dem Tatzeitraum - etwa 67.000,-- €
aufgebracht; deren Bestand erhöhte sich nach den
Feststellungen im Jahr 2004 nämlich von 207.764,-- €
auf 275.000,-- €. Dies diente mittelbar der Entschuldung der
Grundstücke und legt nahe, dass ein den Wert des Erlangten
entsprechendes Vermögen des Angeklagten noch vorhanden ist,
das nicht ohne jeden denkbaren Bezug zu den Straftaten des Angeklagten
ist (vgl. BGHSt 38, 23 [25]; BGHSt 48, 40 [42 f.]). Feststellungen zum
Umfang (Wert) des durch Schenkung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge
von den Eltern erworbenen (unbelasteten?) Grundvermögens hat
die Strafkammer bislang nicht getroffen.
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Im Übrigen schlösse auch nach der oben zitierten -
vom Senat nicht geteilten - Rechtsprechung selbst ein völlig
fehlender Bezug des vorhandenen Vermögens zu den Straftaten
des Angeklagten die Abschöpfung über die
Verfallsvorschriften nicht aus. Denn vorhandenes Vermögen
behält, auch dann, wenn es in keiner denkbaren Beziehung zum -
nicht mehr vorhandenen - "Wert des Erlangten" steht und deshalb die
Anwendbarkeit des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB nicht hindert,
seine Bedeutung im Rahmen der nach billigem Ermessen zu treffenden
Entscheidung (vgl. BGHSt 48, 40 [43]).
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cc) Die Strafkammer hat ihre grundsätzlichen Vorbehalte gegen
das Bruttoprinzip argumentativ auch auf den kumulierenden Effekt
mehrerer Verfallsan-
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ordnungen gegen verschiedene Personen bei Handelsketten beziehungsweise
bei Mittätern gestützt und in diesem Zusammenhang
auch auf vermeintliche Probleme bei der Vollstreckung in derartigen
Konstellationen hingewiesen. Denn dann ist - so bisherige Meinung -
grundsätzlich von Gesamtschuldnerschaft auszugehen (vgl. BGH
NStZ 2003, 198 [199]). Dies überzeugt nach Auffassung des
Senats allerdings nicht für Fallgestaltungen der vorliegenden
Art. Vielmehr ist jeder Täter, jeder Teilnehmer einer
Handelskette, in der ein und dieselbe Menge an
Betäubungsmitteln mehrfach umgesetzt und der entsprechende
Kaufpreis jeweils bezahlt und vom Verkäufer im Sinne von
§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt wird, für sich zu
betrachten und allein daran zu messen, was er konkret erhalten hat.
Anderes gilt nur dann, wenn - dabei - mehrere Tatbeteiligte etwas
gemeinsam erlangten, ohne dass festgestellt werden kann, wem dies
zufloss. Ziel der aus Verfallsanordnungen gemäß
§§ 73, 73a StGB resultierenden
Zahlungsansprüche ist nicht die einmalige Abschöpfung
des - regelmäßig beim Endabnehmer
schließlich erreichten - höchsten Handelspreises.
Vielmehr soll bei jedem Einzelnen, der aus einer rechtswidrigen Tat
etwas erlangt hat, dieses weggenommen werden und zwar, da es sich um
eine präventive Maßnahme eigener Art handelt, nach
dem Bruttoprinzip. Bei einer Handelskette kann deshalb die Summe der
Beträge, hinsichtlich derer gegen die verschiedenen
Händler der Verfall angeordnet wurde, den maximalen
Handelspreis des umgesetzten Betäubungsmittels um ein
mehrfaches übersteigen. Dies dann über das
Rechtsinstitut der Gesamtschuldnerschaft zu begrenzen und
auszugleichen, widerspräche dem Zweck des Verfalls
gemäß §§ 73, 73a StGB. Die
Weitergabe des Erlangten kann in besonderen Ausnahmefällen
beim jeweiligen Einzelfall im Rahmen des Härtausgleichs
gemäß § 73c StGB Berücksichtigung
finden, wenn kein - ausreichendes - Vermögen mehr vorhanden
oder eine Verfallsanordnung eine unbillige Härte wäre.
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Auch dies kann hier jedoch dahinstehen, da die Stellung als
Gesamtschuldner die Anordnung des Verfalls beziehungsweise des Verfalls
von Wertersatz gegen den Angeklagten in voller Höhe
zunächst gerade nicht berührt.
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3. Die Entscheidung über die Anordnung des Verfalls bedarf
nach allem neuer Verhandlung und Entscheidung. Die bisher getroffenen
Feststellungen können bestehen bleiben. Diesen nicht
widersprechende, ergänzende Feststellungen sind
möglich.
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Nack Wahl Schluckebier
Kolz Hebenstreit |